European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0020OB00011.23S.0221.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Klauselentscheidungen
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist ein gemäß § 29 Abs 1 KSchG klagebefugter Verband. Die Beklagte betreibt den Messenger‑Dienst *, den sie (auch) in Österreich anbietet. Anfang 2021 ließ sie ihren Nutzern bei Aufruf der *-Anwendungen folgende Mitteilung zur „Aktualisierung der Nutzungsbedingungen und der Datenschutzrichtlinie von *“ samt „Zustimmen“-Button zukommen (Klausel 1; Hyperlinks unterstrichen):
„Diese Aktualisierung erweitert unsere Nutzungsbedingungen und unsere Datenschutzrichtlinie um zusätzliche Informationen beispielsweise dazu, wie du mit Unternehmen chatten kannst, wenn du das möchtest […]
Die Nutzungsbedingungen sind ab 15. Mai 2021 gültig. Bitte stimme diesen Bedingungen zu, um * nach diesem Datum weiterhin nutzen zu können. Weitere Informationen zu deinem Account erhältst du hier. In unserer Datenschutzrichtlinie erfährst du mehr darüber, wie wir deine Daten verarbeiten.“
[2] Die Hyperlinks führen einerseits zu einer Gesamtfassung der ab 15. Mai 2021 gültigen AGB, andererseits zu einer beispielhaften Auflistung von mit der „Aktualisierung“ verbundenen Änderungen.
[3] Soweit für das Revisionsverfahren noch von Relevanz untersagten die Vorinstanzen der Beklagten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern die Klausel 1 oder sinngleiche Klauseln zu verwenden oder sich darauf zu berufen. Die Klausel 1 beurteilten sie als intransparent.
Rechtliche Beurteilung
[4] Mit ihrer außerordentlichen Revision zeigt die Beklagte das Vorliegen erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht auf.
[5] 1. Der Oberste Gerichtshof ist auch zur Auslegung von AGB-Klauseln nicht jedenfalls, sondern nur dann berufen, wenn die zweite Instanz Grundsätze höchstgerichtlicher Rechtsprechung missachtete oder für die Rechtseinheit und Rechtsentwicklung bedeutsame Fragen zu lösen sind (RS0121516 [T3]).
[6] 2. Gemäß § 28 Abs 1 KSchG kann auf Unterlassung geklagt werden, wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen.
[7] Nach der Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt. Gleichgültig ist, ob die Bestimmungen einen äußerlich gesonderten Bestandteil des Vertrags bilden oder in die Vertragsurkunde selbst aufgenommen werden, welchen Umfang sie haben, in welcher Schriftart sie verfasst sind und welche Form der Vertrag hat (RS0123499 [T7]). Eine Formulierung ist grundsätzlich unbedenklich, wenn sie keine Willenserklärung des Verbrauchers enthält, sondern bloß dessen Aufklärung dient (RS0131601). Wenn allerdings solche Informationsklauseln – bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung (RS0016590) – über eine bloße Aufklärung des Verbrauchers hinausgehen und den Vertragsinhalt gestalten, können diese Regelungen Gegenstand der Verbandsklage nach § 28 Abs 1 KSchG sein (vgl 6 Ob 106/22i Rz 14 mwN).
[8] Die Vorinstanzen sind vertretbar davon ausgegangen, dass die Klausel 1 über eine bloße Aufklärung hinausgeht, weil diese Klausel bei kundenfeindlichster Auslegung im Wege einer Änderungskündigung samt Anbot zur Änderung des Vertragsinhalts (vgl dazu 9 Ob 16/18w Punkt II.1.) das Vertragsverhältnis zu gestalten beabsichtigt.
[9] 3. Das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden (RS0115219 [T9]). Einzelwirkungen des Transparenzgebots sind das Gebot der Erkennbarkeit und Verständlichkeit, das Gebot, den anderen Vertragsteil auf bestimmte Rechtsfolgen hinzuweisen, das Bestimmtheitsgebot, das Gebot der Differenzierung, das Richtigkeitsgebot und das Gebot der Vollständigkeit (RS0115219 [T12]). Eine Pflicht zur Vollständigkeit ergibt sich immer dort, wo ansonsten die Auswirkungen für einen Kunden allenfalls unklar bleiben (5 Ob 118/13h Punkt 3.9.). Zweck des Verbandsprozesses ist es damit nicht nur, das Verbot von Klauseln zu erreichen, deren Inhalt gesetzwidrig ist, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position vermitteln (RS0115219 [T14]).
[10] Das Berufungsgericht ist unter Beachtung dieser Grundsätze vertretbar davon ausgegangen, dass der Verbraucher durch die Klausel 1 auch unter Berücksichtigung der darin enthaltenen Hyperlinks kein klares und umfassendes Bild davon vermittelt bekommt, in welchen Punkten sich die AGB der Beklagten konkret ändern. Dem Konsumenten wird durch diese Vorgehensweise die Möglichkeit genommen, die Auswirkungen der Änderung der AGB auf seine Rechtsposition verlässlich abschätzen zu können und damit eine fundierte Entscheidungsgrundlage für die von ihm verlangte Zustimmung (bei sonstiger Beendigung des Vertragsverhältnisses) zu erlangen (vgl 9 Ob 16/18w zu den Anforderungen an eine Änderungskündigung im Anwendungsbereich des ZaDiG [2009]).
[11] Der Hinweis der Beklagten, dass Verbraucher nicht für einen bestimmten Zeitraum an die Vertragsbeziehung mit der Beklagten gebunden sind (also keine Mindestvertragsdauer besteht), mag zutreffen, ändert aber nichts an den Anforderungen an die Transparenz einer Vertragsklausel.
[12] Soweit die Beklagte argumentiert, sie stelle ihren Dienst kostenlos zur Verfügung, ist ihr zu erwidern, dass sie das Vorbringen des Klägers, die Konsumenten bezahlten für die Nutzung des Dienstes der Beklagten mit der Übermittlung ihrer einen monetären Wert darstellenden Kontaktdaten, nicht substantiiert bestritten hat (§ 267 ZPO). Ausgehend davon kann der Dienst der Beklagten entgegen ihrer Argumentation als entgeltlich qualifiziert werden (vgl ErwGr 16 RL [EU] 2018/1972: Entgeltkonzept umfasst auch Fälle, in denen der Diensteanbieter die personenbezogenen Daten monetisiert).
[13] Mit ihren Ausführungen zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Querverweisen (vgl RS0122040) zeigt die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage auf, weil hier nicht deren Zulässigkeit, sondern die fehlende Transparenz der Klausel unter Berücksichtigung der Querverweise entscheidend ist.
[14] 4. Das Unterlassungsgebot muss den konkreten Kern der betreffenden Verletzungshandlung umschreiben (RS0119807 [T5]). Es ist dann zu weit gefasst, wenn der Beklagte damit zu Unterlassungen verurteilt wird, zu denen er bei richtiger Auslegung des materiellen Rechts nicht verpflichtet wäre (RS0037461). Der Formulierung des Unterlassungsgebots kommt im Regelfall keine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zu (vgl RS0037671).
[15] Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen das den Wortlaut der inkriminierten Klausel wiedergebende Unterlassungsbegehren vertretbar als nicht zu weit gehend qualifiziert, zumal zur Beurteilung der Frage, welche Klauseln als „sinngleich“ anzusehen sind, die Entscheidungsgründe heranzuziehen sind (RS0127694).
[16] 5. Auch bei Unterlassungsklagen ist nach § 409 Abs 2 ZPO eine angemessene Leistungsfrist zu bestimmen, wenn die Unterlassung die Pflicht zur Änderung eines Zustands einschließt (RS0041265 [T2, T3]). Die Länge der Leistungsfrist ist einzelfallbezogen zu beurteilen (RS0041265 [T8]). Nach der Rechtsprechung ist eine Leistungsfrist von drei Monaten zur Umgestaltung des Klauselwerks grundsätzlich angemessen (RS0041265 [T5]).
[17] Bei Festlegung der Leistungsfrist ist zu berücksichtigen, ob die Umsetzung des Unterlassungsgebots aktiver Vorkehrungen wie bestimmter betrieblicher und/oder organisatorischer Maßnahmen bedarf (vgl RS0041265 [T12]). Bedarf es einer Leistungsfrist für die Unterlassung des Sich-Berufens auf unzulässige Klauseln, wird darauf Bedacht zu nehmen sein, dass der Unternehmer seine Rechtsposition aus den rechtswidrigen Klauseln keinesfalls ohne Notwendigkeit aufrechterhalten können soll, was im Zweifel für eine knappere Bemessung der Frist sprechen wird (RS0041265 [T13]).
[18] 5.1. Wenn die Vorinstanzen auf Grundlage dieser Rechtsprechung der Beklagten für das Verbot zur Verwendung der (insgesamt sechs) Klauseln eine Frist von vier Monaten und für das Verbot, sich auf die Klauseln zu berufen, eine Frist von zwei Monaten setzten, stellt dies keine aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
[19] Dass für das Verbot der Verwendung und jenes des Sich-Berufens stets eine einheitliche Leistungsfrist festzusetzen wäre, lässt sich der höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht entnehmen (vgl nur 9 Ob 73/17a, 8 Ob 106/20a und 4 Ob 63/21z [jeweils unterschiedliche Leistungsfristen]).
[20] 5.2. Die Beklagte weist grundsätzlich zutreffend darauf hin, dass sie als nummernunabhängiger interpersoneller Kommunikationsdienst iSd § 4 Z 4 lit b, 6 und 8 TKG 2021 (vgl ErläutRV 1043 BlgNR 27. GP 3) die Bestimmungen des TKG 2021 zu beachten und daher der Regulierungsbehörde jede Änderung ihrer AGB, die den Endnutzer nicht ausschließlich begünstigen, drei Monate vor beabsichtigtem Inkrafttreten anzuzeigen hat (§ 133 Abs 4 TKG 2021 [die Beklagte hat gerichtsnotorisch mehr als 350.000 Endnutzer im Bundesgebiet – § 133 Abs 3 TKG 2021]). Die Regulierungsbehörde hat sodann ein binnen sechs Wochen auszuübendes Widerspruchsrecht (§ 133 Abs 6 TKG 2021).
[21] Dieser Umstand ist bei der Ausmittlung der angemessenen Leistungsfrist zu berücksichtigen (vgl 7 Ob 84/12x und 2 Ob 20/15b Punkt II.3.). Allerdings ist zu bedenken, dass die Anzeigefrist des § 133 Abs 3 TKG 2021 von drei Monaten nur bei den Endnutzer nicht ausschließlich begünstigenden Änderungen gilt, wovon aber bei Änderungen aufgrund eines gegen die Beklagte mit Klage nach § 28 KSchG erwirkten Unterlassungsurteils gerade nicht ohne Weiteres ausgegangen werden kann (2 Ob 20/15b Punkt II.3.). Die Gewährung einer viermonatigen Leistungsfrist für das Unterlassen der Verwendung der AGB hält sich damit auch unter Berücksichtigung der Notwendigkeit eines Vorgehens nach § 133 TKG 2021 im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung zu Verbandsklagen im Telekommunikationsbereich (7 Ob 84/12x und 2 Ob 20/15b: jeweils vier Monate).
[22] 5.3. In der Argumentation der Beklagten, dass ihr zur Vermeidung einer Fragmentierung der einheitlichen Nutzungsbedingungen für die gesamte Europäische Union eine längere Leistungsfrist zuzubilligen sei, liegt eine im Revisionsverfahren unbeachtliche Neuerung.
[23] Den mit der Umstellung der untersagten Klauseln verbundenen innerbetrieblichen Aufwand hat das Berufungsgericht ohne Überschreitung seines Beurteilungsspielraums ohnehin berücksichtigt. Zu beachten ist außerdem, dass das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten zum innerbetrieblichen Koordinierungsaufwand eher vage gehalten war.
[24] 6. Insgesamt war die außerordentliche Revision damit zurückzuweisen.
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