European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0020OB00101.22Z.0627.000
Spruch:
Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird eine neuerliche Entscheidung über den Rekurs des Sohnes aufgetragen.
Begründung:
[1] Der 2021 verstorbene Erblasser hinterlässt seine testamentarisch zur Alleinerbin eingesetzte Ehefrau und einen Sohn, den Rechtsmittelwerber.
[2] Im Zuge der Todesfallaufnahme vom 6. 4. 2021 nannte die Ehefrauua ein Superädifikat auf Pachtgrund und eine Lebensversicherung als nachlasszugehörig.
[3] Bei der am 22. 6. 2021 beim Gerichtskommissär durchgeführten Tagsatzung erklärte der Sohn nach Belehrung über seine Rechte als Pflichtteilsberechtigter, derzeit keine Inventarisierung oder Schätzung zu beantragen. Das Superädifikat wurde mit dem dreifachen Einheitswert (27.034,29 EUR) in die Vermögenserklärung aufgenommen und zur Lebensversicherungspolizze unter Hinweis auf ein Schreiben des Versicherungsunternehmens festgehalten, diese sei bereits 2020 an den Erblasser ausbezahlt worden.
[4] Am 5. 7. 2021 berichtigte die Erbin die Vermögenserklärung dahingehend, dass das Superädifikat nur zur Hälfte nachlasszugehörig sei.
[5] Mit Beschluss vom 21. 7. 2021 antwortete das Erstgericht der Erbin die Verlassenschaft ohne die Rechtswohltat des Inventars ein und sprach aus, an dem dem Erblasser „angeblich“ zur Hälfte gehörenden Superädifikat werde die Einreihung bzw Hinterlegung des Einantwortungsbeschlusses in der Sammlung der beim Bezirksgericht hinterlegten und eingereihten Liegenschafts- und Bauwerksurkunden zum Zweck des Erwerbs des Eigentumsrechts für die Erbin vorzunehmen sein.
[6] Am 24. 11. 2021 berichtigte die Erbin ihre Vermögenserklärung erneut dahingehend, dass auch der zweite Hälfteanteil am Superädifikat nachlasszugehörig sei.
[7] Mit Beschluss vom 7. 12. 2021 sprach das Erstgericht aus,aufgrund des Ergebnisses der Nachtragsabhandlung könne die Hinterlegung dieses Beschlusses in die Sammlung der gerichtlich hinterlegten Urkunden zum Zweck des Erwerbs des Eigentumsrechts am (ganzen) Superädifikat für die Erbin erfolgen.
[8] Am 10. 2. 2022 beantragte der Sohn die Aufhebung der Rechtskraftsbestätigung des Einantwortungsbeschlusses sowie die Inventarisierung des Nachlasses und erhob Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss. Dieser sei ihm bisher nicht zugestellt worden. Auf eine Inventarisierung habe er nicht verzichtet. Aufgrund seines rechtzeitigen, nicht erledigten Antrags auf Inventarisierung dürfe der Nachlass nicht eingeantwortet werden.
[9] Mit Beschluss vom 25. 2. 2022 hob das Erstgericht die dem Einantwortungsbeschluss sowie dem Beschluss vom 7. 12. 2021 erteilten Rechtskraftbestätigungen mangels deren ordnungsgemäßer Zustellung an den Sohn auf.
[10] Das Rekursgericht wies den Rekurs des Sohnes mangels Beschwer zurück. Dieser ziele auf die Berücksichtigung des gesamten Superädifikats als Nachlassaktivum ab. Diesem Zweck sei aber durch die Nachtragsabhandlung ohnehin bereits entsprochen. Die fehlende Nachlasszugehörigkeit der Lebensversicherung sei bereits am 22. 6. 2021 erörtert worden. Hinweise auf weitere Versicherungsguthaben lägen nicht vor. Der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 30.000 EUR nicht. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Sohnes, mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und dem Rekursgericht eine inhaltliche Behandlung seines Rekurses aufzutragen.
[12] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil dem Rekursgericht bei der Beurteilung der Beschwer des pflichtteilsberechtigten Sohnes eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Er ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen zweitinstanzlichen Beschlusses auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Revisionsrekurs macht geltend, es liege eine den Obersten Gerichtshof nicht bindende, krasse Unterbewertung vor. Das Rekursgericht habe auch zu Unrecht seine Beschwer verneint und in grober Verkennung des § 167 Abs 2 AußStrG im Ergebnis seine Verfahrensrechte als Pflichtteilsberechtigter beschnitten, obwohl er vor Rechtskraft des Einantwortungsbeschlusses die Inventarisierung und Schätzung, insbesondere des Superädifikats, beantragt habe. Der Inventarisierungsantrag habe auch darauf abgezielt, den Verbleib des ausbezahlten Versicherungsguthabens, allenfalls durch ergänzende Kontoöffnung, feststellen zu können.
1. Bewertung des Entscheidungsgegenstands
[14] 1.1 An die Bewertung des Entscheidungsgegenstands ist der Oberste Gerichtshof grundsätzlich gebunden (vgl RS0042515). Eine Bindung besteht nur dann nicht, wenn zwingende Bewertungsvorschriften verletzt werden, eine offenkundige Über- oder Unterbewertung vorliegt oder eine Bewertung überhaupt unterbleiben hätte müssen (RS0042515 [T10, T11]; vgl RS0109332).
[15] 1.2 Das Noterbrecht zählt zu den Vermögensrechten, weil damit das Recht geltend gemacht wird, eine Forderung auf einen verhältnismäßigen Teil des Nachlasswerts in Geld zu erheben (RS0109919). Auch wenn es sich um eine verfahrensrechtliche Frage handelt, ist der Entscheidungsgegenstand wegen der vermögensrechtlichen Natur der Hauptsache ebenfalls ein vermögensrechtlicher und daher zu bewerten (RS0109919 [T2]). Im Verlassenschaftsverfahren hat sich das Rekursgericht beim Bewertungsausspruch in der Regel an der Höhe der Aktiva und Passiva zu orientieren (RS0042515 [T25]).
[16] 1.3 Selbst wenn man im Hinblick darauf, dass der Pflichtteilsberechtigte bloß eine seinen Pflichtteil entsprechende Geldforderung hat, eine Orientierung nur an dieser für maßgeblich hielte, liegt in Anbetracht des 300.000 EUR übersteigenden reinen Nachlasses eine offenkundige Unterbewertung vor, sodass der Oberste Gerichtshof über den außerordentlichen Revisionsrekurs entscheiden kann.
[17] 2. Das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung eines Rekurses ist einseitig (RS0120614). Die Freistellung einer Revisionsrekursbeantwortung ist daher nicht erforderlich.
3. Rechtsmittellegitimation
[18] 3.1 Pflichtteilsberechtigte sind in ihrer Parteistellung nach ständiger Rechtsprechung auf die Rechte nach den §§ 778, 804 und 812 ABGB (Anwesenheit bei Schätzungen, Antrag auf Inventarisierung oder Nachlassseparation) beschränkt. Zur Wahrung dieser Rechte sind sie dem Verlassenschaftsverfahren beizuziehen. Daher kommt dem Pflichtteilsberechtigten (nur) in diesem Rahmen Rechtsmittelbefugnis zu. Somit auch dann, wenn er dem Verfahren nicht beigezogen wurde. Diese Differenzierung zum übergangenen Erben, der gemäß § 164 AußStrG nach Bindung des Gerichts an den Einantwortungsbeschluss auf den streitigen Rechtsweg verwiesen ist, findet ihre Rechtfertigung darin, dass dem im Erbschaftsprozess obsiegenden (wahren) Erben als Gesamtrechtsnachfolger ohnehin alle Auskunftsrechte des Erblassers gegenüber Dritten (etwa Banken) zukommen. Für den Pflichtteilsberechtigten, der lediglich ein Geldleistungsbegehren erheben kann, stellt hingegen das Inventar eine wichtige Grundlage für die Berechnung seines Zahlungsanspruchs dar. Daher kommt auch dem Pflichtteilsberechtigten, der dem Verfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß beigezogen wurde, die Rechtsmittelbefugnis zu (2 Ob 66/21a mwN). Geht es um die Frage, ob der Pflichtteilsberechtigte dem Verfahren ordnungsgemäß beigezogen wurde, kann seine Rechtsmittellegitimation auch nicht mit der Begründung verneint werden, er habe sich am erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt (RS0006567 [T1]).
[19] 3.2 Der pflichtteilsberechtigte Sohn, der behauptet, in seinem Recht auf Inventarisierung und Schätzung verletzt worden zu sein, ist daher grundsätzlich rechtsmittellegitimiert.
4. Beschwer
[20] 4.1 Ein Rechtsmittelrecht steht auch im Verfahren außer Streitsachen nur demjenigen zu, dessen rechtlich geschützte Interessen (geschützte Rechtssphäre) durch den angefochtenen Beschluss beeinträchtigt worden sind (RS0006497; RS0006641). Dabei geht es im Gegensatz zur Rechtsmittellegitimation nicht darum, wer abstrakt zur Erhebung eines Rechtsmittels befugt ist, sondern darum, wer konkret dazu berechtigt ist (G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² § 45 Rz 49).
[21] Bei der Beschwer unterscheidet man die formelle Beschwer, welche dann vorliegt, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, und die materielle Beschwer. Diese liegt vor, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird, diese also für ihn ungünstig ausfällt (RS0041868).
[22] 4.2 Eine Beschwer des Noterben durch die unterbliebene Inventarisierung und Schätzung ist entgegen dem Rekursgericht nicht bereits deshalb zu verneinen, weil das Superädifikat letztlich ohnehin zur Gänze als Nachlassaktivum behandelt wurde und keine Anhaltspunkte für weitere Versicherungsverträge vorhanden sind, wird doch – zumindest nach den Rechtsmittelbehauptungen – mangels ordnungsgemäßer Beteiligung am Verfahren und Einantwortung ohne Inventarisierung in seine prozessualen Rechte als Noterbe eingegriffen.
[23] 5. Das Rekursgericht hat den Rekurs des Sohnes als unzulässig zurückgewiesen, ohne sich inhaltlich mit dieser, im Rekurs behaupteten Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens zu befassen. Zutreffend zeigt der Revisionsrekurs daher (erkennbar) einen Mangel des Rekursverfahrens (§ 66 Abs 1 Z 2 AußStrG) auf, der zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses führt. Das Rekursgericht wird über den Rekurs meritorisch zu entscheiden haben.
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