OGH 28Ds2/20p

OGH28Ds2/20p24.8.2021

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 24. August 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Wippel und Dr. Stortecky als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Scheichel in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die

Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 24 Juni 2019, GZ D 13/18‑47, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin Mag. Poppenwimmer, des Kammeranwalts Dr. Winiwarter, des Disziplinarbeschuldigten und seines Verteidigers Dr. Wess, LL.M., M.B.L., zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0280DS00002.20P.0824.000

 

Spruch:

 

Der Berufung gegen den Ausspruch über die Schuld wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich verwiesen.

Mit seiner weiteren Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und mit seiner Berufung wegen Strafe wird der Disziplinarbeschuldigte auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, mit Beschluss des Vorsitzenden des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 24. Februar 2020 in Ansehung des Namens eines Mitglieds des erkennenden Disziplinarrats berichtigten (§§ 270 Abs 3, 271 Abs 7 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) Erkenntnis wurde ***** (richtig:) der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 [Abs 1 erster und zweiter Fall] DSt „iVm § 2 RL‑BA 1977 bzw § 6 RL‑BA 2015“ schuldig erkannt und gemäß § 16 Abs 1 [richtig:] Z 4 DSt die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste ausgesprochen.

[2] Danach hat er – so wörtlich der Tenor (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO iVm § 77 Abs 3 DSt) des Erkenntnisses –„durch ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Zeitraum April – Dezember 2003, welches zu einer rechtskräftigen Verurteilung durch das Landesgericht Korneuburg zu GZ 611 Hv 12/05x (wegen §§ 14/1, 156/1 und 2, 146, 147/2 und 3, 148 2. Fall, 12 2. Fall, 223/1 und 2, 224, 228/2 StGB) geführt hat, in welchem er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten (teilbedingt) verurteilt wurde“.

[3] Mit dem angeführten, unangefochten in Rechtskraft erwachsenen Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 21. Dezember 2005, GZ 611 Hv 12/05x‑382, wurde ***** der Verbrechen der betrügerischen Krida nach §§ „14 Abs 1“, 156 Abs 1 und 2 StGB (A./) und des „schweren und gewerbsmäßig schweren“ Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 und 3, 148 zweiter Fall StGB (B./) sowie der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 12 zweiter Fall, 223 Abs 1, 224 StGB (C./I./), der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 12 zweiter Fall, 223 Abs 2, 224 StGB (C./II./, III./1./ und 2./) und der unmittelbaren unrichtigen Beurkundung oder Beglaubigung nach § 228 Abs 2 StGB (D./I./) schuldig erkannt.

[4] Nach dem diesbezüglichen Referat der entscheidenden Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) des genannten Strafurteils haben

A./ *****, Christian Ba***** und Helmut S***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken – zum Teil mit dem abgesondert verfolgten Josef M***** (Punkt I./) – als Mittäter in W***** und N*****, Bestandteile des Vermögens der unten angeführten Schuldner mehrerer Gläubiger beiseite geschafft bzw verringert und dadurch die Befriedigung der Gläubiger geschmälert, wodurch ein insgesamt 50.000 Euro übersteigender Schaden von ca 210.000 Euro herbeigeführt wurde, und zwar

I./ im November 2003 Bestandteile des Vermögens des Josef M*****

a./ indem sie die Lebensversicherung des Josef M***** bei der A***** Versicherungs AG vorzeitig kündigten und den Auszahlungserlös in Höhe von 48.978,34 Euro verbrachten;

b./ indem sie das Einzelunternehmen Josef M***** an die U***** GmbH verkauften und die aktiven Vermögensbestandteile, nämlich die Abfertigungsrücklage in der Höhe von 42.198 Euro und ein Bankguthaben bei der C***** in M***** in der Höhe von 65.000 Euro verbrachten;

II./ im August 2003 Bestandteile des Vermögens der P***** KEG, indem sie sich ein der dieser zustehendes Finanzamtsguthaben in der Höhe von 54.000 Euro zueigneten;

B./ in W***** im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter gewerbsmäßig mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, die unten angeführten Personen durch Täuschung über Tatsachen zu Handlungen, nämlich zu Geldleistungen verleitet, die diese in einem 50.000 Euro übersteigenden Betrag von insgesamt 88.700 Euro am Vermögen schädigten, und zwar

I./ ***** und Christian Ba***** im Juli und August 2003 den Architekten Ing. Mag. Josef Mü***** durch die Behauptung, sein angenommener Ausgleich könne jederzeit in einen Konkurs umgewandelt werden, was die Pfändung seiner Pension auf das Existenzminimum zur Folge hätte, weshalb er vorbeugend einen Scheinvertrag und bestimmte Transaktionen durchführen müsse, zur Bezahlung von Honoraren von insgesamt 19.700 Euro;

II./ *****, Christian Ba***** und Helmut S***** im Sommer 2003 Ing. Karl Pö***** durch die Vorgabe, der unter dem Aliasnamen als Unternehmenserwerber Stefan Pf***** auftretende (tatsächlich ein Mitangeklagter) werde das Unternehmen sanieren und die Schulden der Pöl***** GmbH übernehmen, sodass er von seiner Haftung befreit werde, zur Bezahlung eines Geldbetrags in der Höhe von insgesamt 19.000 Euro;

III./ ***** und Christian Ba***** im April 2003 Elfriede L*****, Mag. Thomas L***** und Bernhard Ar***** durch die Vorspiegelung, der Käufer ihres Unternehmens Be***** GmbH Fabio G***** werde die Schulden des Unternehmens übernehmen, sodass für sie keine Haftung schlagend werde, zur Bezahlung von Honoraren in der Höhe von zumindest 50.000 Euro;

C./I./ Helmut S***** über Auftrag (§ 12 zweiter Fall StGB) von ***** und Christian Ba***** im August 2003 in M***** einen mit dem Lichtbild des Christoph Le***** versehenen falschen österreichischen Führerschein auf den Namen Günter R*****, somit eine falsche öffentliche Urkunde, mit dem Vorsatz hergestellt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache (Punkt C./II./) gebraucht werde;

II./ ***** und Christian Ba***** im August 2003 in W***** den abgesondert verfolgten Christoph Le***** beauftragt (§ 12 zweiter Fall StGB), mit dem zu C./I./ hergestellten falschen österreichischen Führerschein als Identitätsnachweis jeweils ein Sparbuch bei der B***** und der E***** AG zu eröffnen, mithin eine falsche inländische öffentliche Urkunde im Rechtsverkehr zum Beweis einer Tatsache zu gebrauchen;

III./ Helmut S***** in W***** gefälschte österreichische Führerscheine zum Nachweis der von ihm behaupteten Identität, mithin falsche inländische öffentliche Urkunden im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen gebraucht, und zwar

1./ über Auftrag (§ 12 zweiter Fall StGB) von ***** und Christian B*****

a./ am 28. Oktober 2003 den auf den Namen Ferdinand Mo***** ausgestellten Führerschein zur Durchführung von notariellen Beglaubigungen auf Verträgen und Erklärungen durch den Notar Dr. Rudolf K*****;

b./ am 20. Oktober 2003 den auf den Namen Stefan Pf***** ausgestellten Führerschein [zur] Durchführung von notariellen Beglaubigungen auf Verträgen und Erklärungen durch den Notar Dr. Walter Ga*****;

c./ am 13. August 2003 und am 9. Dezember 2003 den auf den Namen Harald Ma***** ausgestellten Führerschein zur Durchführung von notariellen Beglaubigungen auf Verträgen und Erklärungen durch den Notar Dr. Gerhard Pa*****;

d./ am 31. Oktober 2003 den auf den Namen Ferdinand Mo***** ausgestellten Führerschein anlässlich einer Kontoeröffnung gegenüber den Angestellten der Ra***** AG;

e./ am 14. August 2003 den auf den Namen Harald Ma***** ausgestellten Führerschein anlässlich einer Kontoeröffnung gegenüber den Angestellten der E***** Bank;

2./ über Auftrag (§ 12 zweiter Fall StGB) von ***** am 16. Juli 2003 in W***** den auf den Namen Vladimir N***** ausgestellten Führerschein [zur] Durchführung von notariellen Beglaubigungen auf Verträgen und Erklärungen durch den Notariatssubstitut Dr. Thomas T***** des Notariats Dr. Ga*****;

D./I./ ***** in W***** gutgläubig hergestellte unrichtige inländische Urkunden (Notariatsakte), deren Unrichtigkeit von ihm vorsätzlich bewirkt wurde, nämlich die im Punkt C./III./1./a./ bis c./ und 2./ angeführten notariell beglaubigten Urkunden im Firmenbuchverfahren vorgelegt, sohin im Rechtsverkehr zum Beweis von Tatsachen gebraucht, und zwar unmittelbar nach den dort angeführten Zeitpunkten, im Fall des Punktes C./III./1./c./ im Dezember 2003.

[5] Dem angeführten strafgerichtlichen Urteil ist nicht zu entnehmen, dass ***** die ihm angelasteten Tathandlungen als Rechtsanwalt bzw im Zusammenhang mit dieser Berufsstellung begangen hätte.

Rechtliche Beurteilung

[6] Gegen das angeführte Disziplinarerkenntnis richtet die (nach Zustellung der berichtigten Erkenntnisausfertigung nicht neuerlich erstattete, jedoch beachtliche [RIS‑Justiz RS0098962 [T2]; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 2]) Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen [hier wegen örtlicher Unzuständigkeit des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich nach § 466 Abs 1 Z 1 StPO und wegen § 281 Abs 1 Z 3, 5, 9 lit a und b sowie 11 StPO] in deren Rahmen siehe RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) und die Strafe.

[7] Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) eine fehlende Begründung der Feststellung releviert, wonach der Disziplinarbeschuldigte die ihm (losgelöst von einem disziplinären Überhang) angelasteten, im Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 21. Dezember 2005, GZ 611 Hv 12/05x‑382, angeführten Tathandlungen als Rechtsanwalt gesetzt habe, ist sie im Recht.

[8] Die hiezu im Erkenntnis – teils in gänzlich anderem Zusammenhang – und disloziert getroffenen Konstatierungen, dass der Disziplinarbeschuldigte „in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt“ mit zum genannten Strafurteil Mitangeklagten zusammengearbeitet hat (ES 5 fünfter Absatz), „im [Tat‑]Zeitpunkt April bis Dezember 2003 [...] als Rechtsanwalt in *****, tätig“ war (ES 7 erster Absatz), „vor seinem Verzicht per [richtig:] 30.6.2004 elf Jahre selbständiger Rechtsanwalt“ war (ES 7 zweiter Absatz), er „das im Urteil des LG Korneuburg zu GZ 611 Hv 12/05x vom 21.12.2005 objektivierte Verhalten [...] in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt aus[übte]“ (ES 7 Mitte) und er „den Schuldnern gegenüber als Rechtsanwalt auftrat und in dieser Eigenschaft rechtliche Beratung anbot“ (ES 7 vorletzter Absatz), stellen allesamt – auch unter Berücksichtigung der beweiswürdigenden Erwägungen – keine taugliche, auf Basis vorliegender Beweisergebnisse erfolgte Begründung für die Feststellung der entscheidenden, weil erst die Unterwerfung unter die Bestimmungen des DSt und der Disziplinartatbestände begründenden (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 2, 9 und 16; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt S 851, 856) Tatsache dar, dass er die angelasteten Tathandlungen in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt gesetzt hat.

[9] Teils wiederum in anderem Zusammenhang erfolgten die Ausführungen, dass der Disziplinarbeschuldigte Privatpersonen und Personengesellschaften „beraten“ (ES 5 f) sowie in mehreren Fällen eine „unrichtige Rechtsauskunft“ erteilt hat (ES 6 zweiter Absatz, vgl auch ES 7 Mitte), „die im Straferkenntnis festgehaltenen einzelnen Fakten, [...] zum Teil nur aufgrund der rechtlichen Kenntnisse [...] als Rechtsanwalt umsetzbar“ gewesen seien (ES 7 drittletzter Absatz), der Disziplinarbeschuldigte „per 30.6.2004 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft in Niederösterreich verzichtete“ (ES 9 erster Absatz), er „rechtliche Kenntnisse einerseits sowie Erfahrungswerte aufgrund seiner langjährigen (11 Jahre) Tätigkeit als Rechtsanwalt andererseits genutzt hat, um strafbare Handlungen zu ermöglichen bzw diese selbst zu verwirklichen“ (ES 11 fünfter Absatz) und „zum damaligen Zeitpunkt als Gemeinschuldnervertreter tätig [war] und [...] über entsprechende Kenntnisse im Insolvenzrecht [verfügte]“ (ES 14 siebenter Absatz). Sie werden gleichfalls dem gebotenen Begründungserfordernis nicht gerecht.

[10] Dies gilt ebenso für die zirkulären, den zu beweisenden Tatumstand nämlich bloß stillschweigend anlässlich der Beweisführung als bewiesen voraussetzenden (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 446; RIS‑Justiz RS0108609), nicht auf vorliegende Erhebungsergebnisse gegründete Erwägungen im Erkenntnis, wonach „unstrittig“ sei, „dass der Disziplinarbeschuldigte im Rahmen seiner übernommenen Vertretungsverhältnisse im Zeitraum April 2003 bis Dezember 2003 im Rahmen seiner Berufsausübung des Rechtsanwalts tätig wurde“ (ES 11 erster Absatz). Solche Scheingründe bilden keine logisch und empirisch einwandfreie Begründung.

[11] Auch dem in der mündlichen Disziplinarverhandlung verlesenen Urteil des Landesgerichts Korneuburg, auf das auch das Disziplinarerkenntnis verweist, ist nicht zu entnehmen, dass der Disziplinarbeschuldigte die ihm angelasteten Tathandlungen als Rechtsanwalt bzw in Ausübung dieses Berufs begangen hat. Das Wort „Rechtsanwalt“ findet sich sogar im gesamten Strafurteil, das zum Genannten als dessen (derzeitigen) Beruf bloß „Angestellter“ anführt (US 1 und 10), nicht. Diesbezüglich führt auch das Disziplinarerkenntnis zutreffend aus, dass „im dortigen Strafverfahren [...] zu keinem Zeitpunkt ein Augenmerk darauf gelegt [wurde], dass die zur Verurteilung geführt habenden Veranlassungen des Disziplinarbeschuldigten in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt verübt wurden und allenfalls auch im Hinblick auf die standesrechtlichen Bestimmungen hierdurch Verstöße vorliegen könnten“ (ES 8 zweiter Absatz).

[12] Zutreffend kritisiert die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) auch eine fehlende Begründung der für die disziplinarrechtliche Beurteilung entscheidenden (dislozierten) Feststellungen zum sachverhaltsmäßig angenommenen disziplinären Überhang (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 23 DSt Rz 7; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt S 851), wonach „die im Straferkenntnis festgehaltenen einzelnen Fakten, [...] zum Teil nur aufgrund der rechtlichen Kenntnisse [...] als Rechtsanwalt umsetzbar“ waren (ES 7 drittletzter Absatz) und „der Disziplinarbeschuldigte den Schuldnern gegenüber als Rechtsanwalt auftrat und in dieser Eigenschaft rechtliche Beratung anbot, [was] vertrauensbildend [war], und [...] gerade hierdurch erst die Möglichkeit geschaffen [wurde], dass der Disziplinarbeschuldigte (gemeinsam mit anderen) sich aus der Notlage diverser Schuldner ein laufendes Einkommen sicherte“ (ES 7 vorletzter Absatz).

[13] Soweit die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) in Ansehung der Subsumtion des angelasteten Verhaltens (auch) unter das Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) eine unzureichende Begründung des festgestellten, von der Verfehlung des Disziplinarbeschuldigten Kenntnis erlangenden größeren Personenkreises („medial ausgeschlachtet“ [ES 11 zweitletzter Absatz]) und der damit bestehenden Publizität releviert, ist sie im Ergebnis ebenso im Recht, wie die Rechtsrüge (Z 9 lit a), die – gerade noch erkennbar – Feststellungen dahingehend vermisst, dem erforderlichen Personenkreis sei auch zur Kenntnis gelangt, dass die Verfehlung von einem Rechtsanwalt begangen wurde.

[14] Zwar erlangen in einem gerichtlichen Strafverfahren und dabei insbesondere im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung vor (aktuell) einem Schöffengericht zu erörternde Umstände (vergleichbar Eingaben an Organe der Rechtspflege, die ihren Inhalten nach auf justizförmige Entscheidungen abzielen) naturgemäß eine Mehrzahl weiterer Personen Kenntnis (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 14 mwN) und bedarf dieser solcherart notorische Umstand keiner – jedoch vom Rechtsmittel geforderten – gesonderten Begründung (RIS‑Justiz RS0098698, RS0098570, RS0098526).

[15] Eine Subsumtion unter § 1 Abs 1 zweiter Fall DSt bedarf jedoch auch einer (zumindest laienhaften) Kenntnis der erforderlichen Anzahl an Adressaten über den Umstand, dass der Angeklagte seine Tathandlungen in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt setzte, was die inkriminierte standesrechtliche Verfehlung und damit verbunden eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes zumindest indiziert (26 Os 1/14p mit Hinweis auf RIS‑Justiz RS0054876, RS0055086; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1 DSt S 859; vgl zuletzt auch 27 Ds 1/19g).

[16] Eine diesbezüglich erforderliche (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 348, 456, 600) Feststellung (Z 9 lit a) – aber auch Begründung zur konkreten Publizität (Z 5 vierter Fall) – fehlt jedoch sowohl hinsichtlich des Wissensstandes der Tatopfer und der im Strafverfahren einschreitenden Personen als auch hinsichtlich der „medialen Ausschlachtung“ in Bezug auf die Verfehlung durch einen Rechtsanwalt. Auch dem genannten Strafurteil ist – wie bereits erwähnt – nicht zu entnehmen, dass der Disziplinarbeschuldigte seine Tathandlungen als Rechtsanwalt setzte. Vielmehr wird als dessen damals aktueller Beruf ausschließlich „Angestellter“ angeführt (US 1 und 10 letzter Absatz).

[17] Damit besteht für die vom Disziplinarrat – neben der rechtlichen Beurteilung als Berufspflichtenverletzung – getroffene rechtliche Annahme (auch) einer Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes (§ 1 Abs 1 zweiter Fall DSt) keine tragfähige Grundlage.

[18] Da bereits infolge dieser Mängel des angefochtenen Erkenntnisses die Aufhebung des Schuldspruchs wie auch des Strafausspruchs unumgänglich ist, erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen der Berufung wegen Schuld.

 

[19] Im Hinblick auf den zweiten Rechtsgang ist jedoch zum Einwand mangelnder örtlicher Zuständigkeit des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich, zum Vorwurf, die gemäß § 16 Abs 1 Z 4 DSt ausgesprochene Disziplinarstrafe der Streichung des (nicht mehr der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich angehörenden) Disziplinarbeschuldigten von der Liste (infolge dessen aktueller Zugehörigkeit im Entscheidungszeitpunkt des Disziplinarrats) der Wiener Rechtsanwaltskammer „torpediere“ in verfassungswidriger Weise die vor dem Disziplinarerkenntnis erfolgte Eintragung (vgl § 5 Abs 2 RAO) des Disziplinarbeschuldigten in die Liste der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien, sowie zur behaupteten Unzulässigkeit der disziplinarrechtlichen Verurteilung infolge zuvor eingetretener Tilgung der Verurteilung mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 21. Dezember 2005, GZ 611 Hv 12/05x‑382, Folgendes auszuführen:

[20] 1./ Die Behauptung mangelnder örtlicher Zuständigkeit des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich scheitert bereits am Erfordernis rechtzeitiger Rüge (vgl Ratz, WK‑StPO § 468 Rz 13), deren Unterlassung in der Berufung bloß mit Komplexität der zu Grunde liegenden Rechtsfragen erklärt wurde, geht aber auch der Sache nach fehl.

[21] Gemäß dem klaren Wortlaut des § 20 Abs 1 erster Satz DSt, der im Übrigen nicht danach differenziert, ob der Disziplinarbeschuldigte nach eingeleitetem Disziplinarverfahren seine Zugehörigkeit zu einer anderen Rechtsanwaltskammer wechselt, ist zur Ausübung der Disziplinargewalt der Disziplinarrat derjenigen Rechtsanwaltskammer zuständig, bei der der Beschuldigte in dem Zeitpunkt, in dem der Kammeranwalt vom Verdacht des Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt (§ 22 Abs 1 DSt), in die Liste der Rechtsanwälte oder Rechtsanwaltsanwärter eingetragen ist (RIS‑Justiz RS0055634; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 DSt Rz 1 f; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 20 DSt S 913).

[22] Weshalb mit Blick auf die am 27. April 2004 seitens des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich erstattete Anzeige (unjournalisiert vor ON 1) gegen den Disziplinarbeschuldigten, der damals in die Liste der Rechtsanwälte der genannten Rechtsanwaltskammer eingetragen war, seinen Kanzleisitz in *****, sohin ebenfalls in N***** unterhielt und erst ab 30. Juni 2004 auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft verzichtete (ES 2 viertletzter Absatz, 8 f und 15 f), und unter Berücksichtigung der am 28. April 2004 seitens des Kammeranwalts der genannten Rechtsanwaltskammer beantragten Bestellung eines Untersuchungskommissärs (ON 1) der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich – mag der Disziplinarbeschuldigte im Zeitpunkt des Disziplinarerkenntnisses auch in die Liste der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien eingetragen sein – nicht zuständig sein soll, ist aus den genannten Bestimmungen nicht ableitbar.

[23] Abgesehen vom Fall eines aktuell nicht vorliegenden Zuständigkeitsstreits, über den der Oberste Gerichtshof ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 20 Abs 1 zweiter Satz DSt; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 DSt Rz 4; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 20 DSt S 913), wird die Übertragung der Zuständigkeit an einen anderen Disziplinarrat (etwa auch aufgrund verfehlt angewandter Zuständigkeitsbestimmungen des DSt [RIS‑Justiz RS0119215 [T1]; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 25 DSt Rz 4) abschließend in § 25 DSt geregelt. Eine solche können gemäß § 25 Abs 1 DSt der Disziplinarrat selbst und der Beschuldigte sowie der Kammeranwalt – letztere binnen vier Wochen nach Zustellung des Einleitungsbeschlusses beim Disziplinarrat (§ 25 Abs 2 erster Satz leg cit) – beantragen, nicht jedoch der Oberste Gerichtshof von Amts wegen vornehmen (vgl demgegenüber § 39 Abs 1 StPO).

[24] Dabei ist der zu beurteilende Fall der Neueintragung des Disziplinarbeschuldigten in die Liste der Rechtsanwälte einer anderen Rechtsanwaltskammer weder explizit als Delegierungsgrund angeführt, noch bildet er fallbezogen einen anderen wichtigen Grund im Sinn der genannten Bestimmung. Ganz im Gegenteil genügt der bloße Umstand der Kanzleisitzverlegung allein ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht als ausreichender Delegierungsgrund (RIS‑Justiz RS0119215; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 25 DSt Rz 5).

[25] Dass die Anhängigkeit eines Disziplinarverfahrens vor dem Disziplinarrat einer anderen Rechtsanwaltskammer nicht unbedingt zu einer Delegierung führen muss (RIS‑Justiz RS0056922; Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 25 DSt Rz 5; vgl aber auch RIS‑Justiz RS0056906), stützt den Rechtsmittelstandpunkt eines zwingend eintretenden Zuständigkeitsübergangs auf den Disziplinarrat jener Rechtsanwaltskammer, der der Disziplinarbeschuldigte nunmehr angehört, nicht.

[26] Entgegen den diesbezüglich umfangreichen Ausführungen des Disziplinarbeschuldigten ist diese Zuständigkeitsregel (§ 20 Abs 1 DSt) auch verfassungsrechtlich unbedenklich (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 DSt Rz 2 mwN).

[27] Zu B 1868/92 hatte der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen die Regelung der örtlichen Zuständigkeit des Disziplinarrats in § 20 Abs 1 DSt, weil es sich bei den Rechtsanwaltskammern nicht um vorgegebene, den Zuständigkeits- und Organisationsanordnungen des Gesetzgebers weithin entzogene Körperschaften öffentlichen Rechts handelt, das derzeit geltende Regelungssystem länderweise gegliederter Rechtsanwaltskammern von Verfassungs wegen nicht geboten ist und eine anders geartete Organisations- und Zuständigkeitsstruktur ebenso verfassungsrechtlich unbedenklich wäre wie die bestehende.

[28] Da der Rechtsmittelwerber jedoch unzweifelhaft einer Rechtsanwaltskammer angehört, ändern daran das von der Rüge ins Treffen geführte, im Übrigen nicht die RAO betreffende, zur Eintragung in die Ärzteliste ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs G 87/2013, aber auch die darauf Bezug nehmenden Ausführungen von Gratzl (Eintragungs- und Streichungsverfahren der Rechtsanwälte verfassungswidrig, ecolex 2014, 1017) nichts, zumal der Oberste Gerichtshof unter dem Aspekt der Betroffenheit Außenstehender und öffentlicher Interessen selbst das Eintragungsverfahren als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen hat (19 Ob 3/14a mwN).

[29] Schließlich ist in sinngemäßer Anwendung der StPO (§ 77 Abs 3 DSt) die behauptete Verfassungswidrigkeit von – hier vom Disziplinarrat – angewandten Gesetzesbestimmungen kein Gegenstand zulässiger Urteilsanfechtung wegen Nichtigkeit (RIS‑Justiz RS0053859; vgl zuletzt 14 Os 50/20i).

[30] Ein Antragsrecht des Beschuldigten, dass der Oberste Gerichtshof – wie von ihm ein seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur begehrt – gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG den Verfassungsgerichtshof anrufen möge, besteht nicht (RIS‑Justiz RS0054189). Zu einem amtswegigen Vorgehen in diesem Sinn bestand wie dargelegt mangels verfassungsrechtlicher Bedenken gegen § 20 Abs 1 DSt kein Anlass.

[31] 2./ Die Kritik (Z 9 lit a), die gemäß § 16 Abs 1 Z 4 DSt ausgesprochene Disziplinarstrafe der Streichung des (nicht mehr der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich angehörenden) Disziplinarbeschuldigten von der Liste (infolge dessen aktueller Zugehörigkeit im Entscheidungszeitpunkt des Disziplinarrats) der Wiener Rechtsanwaltskammer „torpediere“ in verfassungswidriger Weise die vor dem Disziplinarerkenntnis erfolgte Eintragung (vgl § 5 Abs 2 RAO) des Disziplinarbeschuldigten in die Liste der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien, spricht keine fehlerhafte Subsumtion des dem Berufungswerber zur Last liegenden Verhaltens an. Aber auch eine Überschreitung der dem Disziplinarrat zukommenden Strafbefugnis (Z 11 erster Fall) ist nicht ersichtlich:

[32] § 2 Abs 2 Z 2 DSt, wonach der Lauf der Verfolgungsverjährungsfrist in Ansehung eines Disziplinarvergehens ab dem Erlöschen der Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft während des Laufs der Verjährungsfrist bis zur allfälligen Wiedereintragung des Disziplinarbeschuldigten „in die Liste der Rechtsanwälte“ (lege non distinguente somit irgendeiner Rechtsanwaltskammer) gehemmt ist (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 2 DSt Rz 13; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 2 DSt S 882), differenziert auch nicht danach, ob der Disziplinarbeschuldigte in die Liste jener Rechtsanwaltskammer eingetragen wird, deren Disziplinarrat gemäß § 20 Abs 1 DSt zur Ausübung der Disziplinargewalt in Ansehung der seinerzeit angezeigten Verdachtsmomente berufen ist (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 DSt Rz 1 f [arg: „in diesem Zeitpunkt“ {Rz 2}]; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 20 DSt S 913), oder ob der Disziplinarbeschuldigte inzwischen in die Liste einer anderen Rechtsanwaltskammer eingetragen wurde.

[33] Weshalb die zuletzt am 20. März 2018 auf Gesuch des Disziplinarbeschuldigten vom 16. November 2017 erfolgte Eintragung des Genannten in die Liste der Rechtsanwälte der Rechtsanwaltskammer Wien (ES 2 vorletzter Absatz) einer mit der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste (§ 16 Abs 1 Z 4 DSt) verbundenen disziplinarrechtlichen Verurteilung durch den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich entgegenstehen soll, ist nicht ersichtlich.

[34] Denn das Gesetz sieht bloß im Eintragungsverfahren (§ 5 RAO) eine Rücksichtnahme auf zuvor erfolgte disziplinarrechtliche Verurteilungen vor (§ 5 Abs 2, Abs 3 und insbesondere Abs 4 RAO, § 18 DSt; vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 5 RAO Rz 4 und 15, § 18 DSt Rz 1 f; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 5 RAO S 60 ff), nicht aber derart umgekehrt, dass die Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste bei zuvor (trotz anhängigem, wenn auch abgebrochenem Disziplinarverfahren [hier § 412 StPO aF iVm § 77 Abs 3 DSt]) erfolgter Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte unzulässig wäre.

[35] Ganz im Gegenteil normiert § 5 Abs 4 RAO, dass, inwiefern die Eintragung infolge eines Disziplinarerkenntnisses zu verweigern ist, die Disziplinarvorschriften (und nicht umgekehrt die Regelungen über die Eintragung) bestimmen. In diesem Sinn normiert § 18 DSt, dass nach Verhängung der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste ein Rechtsanwalt erst dann erneut in die Liste einer Rechtsanwaltskammer eingetragen werden kann, wenn er seit der Streichung die Rechtsanwaltschaft insgesamt drei Jahre nicht ausgeübt hat. Auch aus dieser dreijährigen Sperrfrist (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 18 DSt Rz 1; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 5 RAO S 63) ergibt sich der Vorrang der disziplinarrechtlichen Beurteilung gegenüber dem Eintragungsverfahren und nicht umgekehrt.

[36] Die solcherart voneinander getrennt vorzunehmende Beurteilung einerseits im Disziplinarverfahren und andererseits im Eintragungsverfahren ergibt sich auch daraus, dass der Ausschuss bei einem neuerlichen Eintragungsantrag eigenständig auch darüber abzusprechen hat, ob die geforderte Vertrauenswürdigkeit allenfalls trotz einer früheren disziplinären Verfehlung gegeben ist (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 5 RAO Rz 4 und 6, § 18 DSt Rz 2; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 5 RAO S 64). Die Beurteilung dieser Frage, deren Beantwortung nicht immer von der Verurteilung des Bewerbers wegen eines Disziplinarvergehens abhängt, erfolgt autonom durch den Ausschuss, zumal der Disziplinarrat stets nur darüber entscheiden kann, ob ein eingetragener Rechtsanwalt durch eine nach seiner Eintragung in die Liste begangene (konkrete), noch nicht verjährte strafbare oder standeswidrige Handlung ein Disziplinarvergehen begangen hat (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 5 RAO Rz 6; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 5 RAO S 61).

[37] Solcherart sind die Disziplinarbehörden an allfällige Entscheidungen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer über eine neuerliche Eintragung nicht gebunden. Die Tatsache der neuerlichen Eintragung steht daher der Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht entgegen (RIS‑Justiz RS0071662 [T3]).

[38] Weiters spricht auch § 20 Abs 1 erster Satz DSt gegen die Rechtsansicht des Disziplinarbeschuldigten, wonach die neue Eintragung in die Liste der Rechtsanwaltskammer den Disziplinarrat einer anderen Rechtsanwaltskammer unzuständig mache und überhaupt der Verhängung der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste entgegenstehe. Denn gemäß dieser Bestimmung ist zur Ausübung der Disziplinargewalt der Disziplinarrat derjenigen Rechtsanwaltskammer zuständig, bei der der Beschuldigte in dem Zeitpunkt, in dem der Kammeranwalt vom Verdacht des Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt (§ 22 Abs 1 DSt), in die Liste der Rechtsanwälte oder Rechtsanwaltsanwärter eingetragen ist (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 20 DSt Rz 2). Fälle einer nachträglichen Änderung der solcherart einmal begründeten Zuständigkeit (etwa durch Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte einer anderen Rechtsanwaltskammer) sind dieser Bestimmung nicht zu entnehmen.

Im Übrigen spricht auch § 2 Abs 2 Z 2 DSt gegen die Rechtsansicht des Rechtsmittelwerbers. Denn nach dieser Bestimmung wird der Lauf der Verfolgungsverjährungsfrist gehemmt, wenn die Berechtigung eines Rechtsanwalts zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft während des Laufs der Verjährungsfrist erlischt, bis zu seiner allfälligen Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 2 DSt Rz 13; Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 2 DSt S 882). Würde aber die Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte den nachfolgenden Ausspruch der Streichung von der Liste ipso iure ausschließen, so wäre diese Hemmungsbestimmung in Ansehung der genannten Disziplinarstrafe gänzlich entbehrlich. Diesfalls hätte der Gesetzgeber aber in § 16 DSt normiert, dass der Ausspruch der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste aufgrund vorangegangener und im Zeitpunkt des Ausspruchs der genannten Disziplinarstrafe aufrechter Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte (irgendeiner Rechtsanwaltskammer) stets unzulässig sei, was dem Gesetz gerade nicht zu entnehmen ist.

[39] Auch der Wortlaut des § 16 Abs 1 Z 4 DSt beschränkt den Disziplinarrat im Ausspruch der Disziplinarstrafe der Streichung von der Liste nicht bloß auf die Liste der „eigenen“ Rechtsanwaltskammer (arg: „Streichung von der Liste“).

[40] Schließlich erlischt die Berechtigung zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft (ua) erst aufgrund eines rechtskräftigen Disziplinarerkenntnisses auf Streichung von der Liste (§ 34 Abs 1 Z 5 RAO). Auch diese Bestimmung differenziert nicht danach, welche Liste der jeweiligen Rechtsanwaltskammer betroffen ist.

[41] 3./ Soweit die Berufung aus § 281 Abs 1 Z 3 StPO auf vor der disziplinarrechtlichen Verurteilung vom 24. Juni 2019 eingetretene Tilgung der Verurteilung mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 21. Dezember 2005, GZ 611 Hv 12/05x‑382, verweist, und die Unzulässigkeit des Anknüpfens an den strafgerichtlichen Schuldspruch im nunmehr ergangenen Disziplinarerkenntnis postuliert, ist nicht ersichtlich, inwieweit die eigenständig durch den Disziplinarrat durch sachverhaltsmäßige Übernahme der Annahmen im Strafurteil konstatierten und im Erkenntnis in Ansehung des disziplinären Überhangs erweiterten Feststellungen zu den Tathandlungen bzw das Disziplinarverfahren ganz allgemein eine nachteilige Folge sein sollte, die „kraft Gesetzes mit der Verurteilung verbunden“ ist (§ 1 Abs 2 TilgG; Kert , WK TilgG § 1 Rz 9 f).

[42] Dies erhellt auch daraus, dass es ein legitimes Interesse der Standesgemeinschaft (hier: der Rechtsanwälte) ist, in Wahrung des sogenannten „disziplinären Überhangs“ disziplinarrechtliche Reaktionen vorzubehalten, wenn einer strafgerichtlichen Verurteilung Verhaltensweisen eines Standesangehörigen zugrunde liegen, von denen auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes oder der ordnungsgemäßen Erfüllung bestimmter standesspezifischer Berufspflichten ausgeht. Dies ist ein eigener – eine gesonderte disziplinäre Bestrafung rechtfertigender – Aspekt, der auch grundrechtlich keinen Bedenken begegnet (20 Os 1/15w) und der auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung nach Art 4 des 7. ZPMRK begründet (vgl Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek , RAO 10 § 23 DSt Rz 7).

[43] Im Übrigen fallen solche Rechtsfolgen, die nicht ex lege eintreten, sondern durch eine weitere Entscheidung wie aktuell des Disziplinarrats ausgesprochen werden und die damit noch von der konstitutiven (Ermessens‑)Entscheidung einer anderen Behörde abhängen bzw an die Tat (und nicht die Verurteilung) geknüpfte nachteilige Folgen bilden, nicht unter die von § 1 Abs 2 TilgG erfassten Folgen (Kert, WK TilgG § 1 Rz 10 und 19).

[44] Schließlich kann eine strafgerichtliche Verurteilung, die seinerzeit zur Streichung von der Liste der Rechtsanwälte geführt hat, auch nach ihrer Tilgung – der spezialpräventiven Erwägungen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens durchaus vergleichbaren – Vertrauensunwürdigkeit des Wiedereintragungswerbers (§ 5 Abs 2 RAO) begründen (RIS‑Justiz RS0055851, RS0055866; Kert, WK TilgG § 1 Rz 39), weshalb auch aus diesem Grund die Unzulässigkeit der Anknüpfung an die teils auch zum genannten Strafurteil festgestellten Tathandlungen just in Ansehung des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses nicht ersichtlich ist (zu § 95 BDG siehe VwGH zu 2013/09/0012).

[45] 4./ Die Sanktionsrüge (Z 11 zweiter Fall) zeigt zutreffend auf, dass der Umstand, wonach „die schriftlichen Äußerungen des Disziplinarbeschuldigten [...] keinerlei Reue erkennen lassen“ (ES 17; vergleichbar der verfehlten Berücksichtigung nicht geständiger Verantwortung) nichtigkeitsbegründend als erschwerend gewertet wurde (RIS‑Justiz RS0090897; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 713).

 

[46] Das angefochtene Erkenntnis war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur in Stattgebung der Berufung des Disziplinarbeschuldigten aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich zu verweisen.

[47] Mit seiner weiteren Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und mit seiner Berufung wegen Strafe war der Disziplinarbeschuldigte auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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