OGH 27Ds2/20f

OGH27Ds2/20f17.3.2022

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 17. März 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Kretschmer und Dr. Schlager als Anwaltsrichter in Gegenwart des Schriftführers Mag. Socher in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 19. September 2019, GZ D 111/18‑29, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, des Kammeranwalts Mag. Jakauby, des Disziplinarbeschuldigten und seiner Verteidigerin Mag. Fehringer‑Missaghi zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0270DS00002.20F.0317.000

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten eine Geldbuße von 500 Euro verhängt.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte * der Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 10. Jänner 2018 im Verfahren AZ * des Bezirksgerichts I* einen Antrag auf Nichtigerklärung dieses Verfahrens eingebracht und sich auf die von * E* erteilte Vollmacht berufen, ohne hiezu von diesem beauftragt oder bevollmächtigt gewesen zu sein.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS‑Justiz RS0128656) und die Strafe.

[4] Die Verfahrensrüge (Z 4) scheitert bereits an der fehlenden, jedoch unabdingbaren Voraussetzung der mündlichen Antragstellung (hier:) auf Ladung und Einvernahme der Zeugin Mag. * B* in der Disziplinarverhandlung (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 309).

[5] Um erfolgreich zu sein muss eine Mängelrüge (Z 5) entscheidende Tatsachenfeststellungen, somit für die Entscheidung über einen Schuld- oder Freispruch oder die Kategorie der strafbaren Handlung erforderliche Konstatierungen, betreffen (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 f). Ob der Zeuge * A* dem Disziplinarbeschuldigten eine Vollmacht erteilte, ist für die Berufung auf eine (tatsächlich nicht) erteilte Vollmacht des * E* jedoch nicht entscheidungswesentlich.

[6] Die Kritik an den vom Disziplinarrat aus der Urkunde vom 4. April 2017 (Beilage ./V‑2) gezogenen Schlüssen zum – zutreffend den Tatsachenbereich betreffenden (vgl RIS‑Justiz RS0092588; Jerabek in WK² StGB § 74 Rz 34) – Bedeutungsgehalt (ES 7) erschöpft sich im Rahmen des Verfahrens wegen Nichtigkeit in unzulässiger Beweiswürdigungskritik, zumal der Disziplinarbeschuldigte den vom Disziplinarrat angeführten Erwägungen bloß eigene, für ihn günstigere, den Inhalt der unternehmerischen Vereinbarung betreffende Überlegungen entgegenstellt und jene des Disziplinarrats als „aktenwidrig“ (vgl hiezu jedoch Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 467) bezeichnet. Im Übrigen hat der Zeuge * A* – was der Berufungswerber, der eine Auseinandersetzung mit dessen Angaben zum „Thema der Bevollmächtigung“ im Disziplinarerkenntnis vermisst (Z 5 zweiter Fall), übergeht – zum Nachteil des Disziplinarbeschuldigten dezidiert ausgesagt, dass es eine Vollmacht, nach welcher er für * E* persönlich einschreiten könne, nicht gebe (Protokoll der mündlichen Disziplinarverhandlung vom 27. Mai 2019, ON 24 S 3). Ob er „es schon so sehe, dass er [...] persönlich einschreiten kann“, ist als dessen Schlussfolgerung nicht Thema des Zeugenbeweises (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 352) und daher nicht erörterungsbedürftig.

[7] Entgegen der Behauptung der Berufung hat sich der Disziplinarrat mit der „unternehmerischen Vereinbarung“ vom 4. April 2017, der Aussage des Zeugen * E*, insbesondere eine auf * lautende Vollmacht nicht unterschrieben zu haben (ON 28a), und der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten ohnedies auseinandergesetzt (ES 6 f). Dass er – dem Gebot zu gedrängter Darstellung in den Entscheidungsgründen folgend – nicht den vollständigen Inhalt der Verfahrensergebnisse erörtert hat, führt nicht zur Mangelhaftigkeit des Erkenntnisses (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428).

[8] Der Disziplinarrat begründete die Feststellung, dass der Disziplinarbeschuldigte nicht versuchte, mit dem Zeugen * E* persönlichen Kontakt aufzunehmen, mit der Verantwortung des Disziplinarbeschuldigten, der einen solchen Versuch nicht behauptet hat (ES 6). Weshalb das Gericht diesbezüglich auf die Angaben des Zeugen * A* einzugehen gehabt hätte, nämlich immer wieder mit * E* gesprochen zu haben, vertröstet worden zu sein und ihn sogar zeitnah getroffen zu haben (Protokoll vom 28. Mai 2019, ON 24 S 2 f), bleibt – zumal diese Aussage, die eine Erreichbarkeit des * E* bestätigt, dem Disziplinarbeschuldigten zum Nachteil gereichen würde – unerfindlich.

[9] Ebenso nicht nachzuvollziehen ist, weshalb die Erwägungen des Disziplinarrats, wonach der Disziplinarbeschuldigte aufgrund der Vereinbarung vom 4. April 2017 und aufgrund des äußeren Anscheins zwar auf die Vertretungsmacht des Kommanditisten für die „M* KG“, nicht aber auch auf dessen persönliche Bevollmächtigung vertrauen durfte (ES 7), widersprüchlich (vgl hiezu Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 438 f) sein sollten.

[10] Soweit der Beschwerdeführer Feststellungen zu einem möglichen Irrtum vermisst (inhaltlich Z 9 lit a), nennt er prozessordnungswidrig (vgl Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600) keine Beweisergebnisse, die solche Feststellungen indizieren würden. Im Übrigen gab er – den begehrten Feststellungen zuwider – selbst an, die Vollmacht zu dem Zeitpunkt, als er sich darauf berief, nicht gehabt zu haben (Protokoll der mündlichen Disziplinarverhandlung vom 1. April 2019, ON 16 S 2).

[11] Entgegen der Rechtsrüge („Z 9“) finden sich die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (disloziert) auf der S 7 des Erkenntnisses. Welche darüber hinausgehenden Feststellungen zur rechtsrichtigen Subsumtion zu treffen gewesen wären, sagt der Berufungswerber nicht (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

[12] Dass der Beschwerdeführer sich ohne Versuch einer Kontaktaufnahme mit * E* auf die – in der eidesstättigen Erklärung vom 23. Mai 2018 (ES 5 iVm Beilage ./V‑11) enthaltenen – Angaben des Zeugen * A*, den Disziplinarbeschuldigten berechtigter Weise auch im Namen des * E* beauftragt zu haben, verlassen habe dürfen, behauptet dieser bloß, ohne diese rechtliche Konsequenz methodengerecht aus dem Gesetz abzuleiten (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 588).

[13] Im Übrigen gründet sich das Einschreiten eines Rechtsanwalts auf ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Klienten und setzt eine Bevollmächtigung voraus. § 7 RL‑BA normiert dementsprechend, dass Aufträge an einen Rechtsanwalt grundsätzlich durch denjenigen zu erteilen sind, dessen Interesse der Rechtsanwalt zu vertreten hat, um sicher zu stellen, dass die Vertretungshandlungen auch tatsächlich vom Willen des Vertretenen umfasst sind.

[14] Wenn der Rechtsanwaltschaft dabei nach § 8 Abs 1 RAO das Privileg des Zureichens einer Berufung auf eine erteilte Bevollmächtigung zur Erleichterung der anwaltlichen Tätigkeit eingeräumt ist, ändert dies nichts daran, dass eine solche Bevollmächtigung durch den Vertretenen ohne jeden Zweifel gegeben sein muss. Es trifft den Rechtsanwalt die Verpflichtung, sowohl Identität des Vollmachtgebers als auch die Erteilung und den Umfang der Vollmacht besonders sorgfältig zu überprüfen. Derartige Sorgfaltsanforderungen bestehen ebenso in durch die Wortfolge „in der Regel“ in § 7 RL‑BA ermöglichten Ausnahmefällen, wie etwa einer Überbringung der Auftragserteilung des zu Vertretenden durch einen Dritten (20 Os 4/15m mwN).

[15] Soweit sich der Berufungswerber auf sein Recht, sich gemäß § 8 RAO auf eine erteilte Vollmacht berufen zu dürfen, stützt, hält er neuerlich nicht an den getroffenen Feststellungen fest, wonach es eine solche Vollmacht nicht gab (ES 4 f iVm S 1).

[16] Der Beschwerdeführer behauptet gestützt darauf, dass eine Vollmacht keine Voraussetzung für das Zustandekommen eines Vertrags zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber sei und ein Vertretungsauftrag auch von dritter Seite erteilt werden dürfe, dass * E* dem * A* Vollmacht erteilt habe, orientiert sich damit aber neuerlich nicht an den getroffenen Feststellungen, wonach diese Vollmacht lediglich die geschäftliche Beziehung umfasste (ES 5; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 584).

[17] Infolge dessen, dass der Disziplinarbeschuldigte gar nicht behauptet, eine Kontaktaufnahme mit dem Zeugen * E* versucht, sondern sich lediglich auf die Angaben des Zeugen * A* gestützt zu haben, sich jedoch dennoch auf eine erteilte Vollmacht zur persönlichen Vertretung des im Zivilverfahren Zweitbeklagten * E* berufen zu haben, bestehen der Berufung wegen Schuld zuwider keine Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Disziplinarrats, zumal auch darauf zu verweisen ist, dass die vom Berufungswerber vorgebrachten Sprachprobleme einer Partei eine Berufung auf eine nicht erteilte Vollmacht nicht rechtfertigen könnten und im Fall der Dringlichkeit der Prozesshandlung die Möglichkeit einer Vorgehensweise nach § 38 Abs 1 und 2 ZPO bestanden hätte.

[18] Das Vorbringen, dass „entgegen der Unschuldsvermutung Annahmen des Disziplinarrats zu Ungunsten des Disziplinarbeschuldigten getroffen“ worden seien, ist einer Erwiderung nicht zugänglich.

[19] Dem Antrag auf neuerliche Einvernahme des Disziplinarbeschuldigten und des Zeugen * A* steht die Bestimmung des § 49 DSt entgegen. Weder die Hintergründe noch der Inhalt des dem Zivilverfahren zu Grunde liegenden Mietvertrags oder allfällige daraus resultierende strafrechtliche Folgen betreffen eine erhebliche Tatsache, sodass die in der Äußerung des Disziplinarbeschuldigten zur Stellungnahme der Generalprokuratur gestellten Beweisanträge schon aus diesem Grund auf sich beruhen können.

[20] Soweit der Disziplinarbeschuldigte die Anwendung des Strafbefreiungsgrundes nach § 3 DSt reklamiert (Z 9 lit b) und sich auf die Verpflichtung gemäß § 9 RAO stützt ist ihm zu entgegnen, dass sich diese Bestimmung auf das Verhältnis des Rechtsanwalts mit seinem Mandanten bezieht, fallgegenständlich ein solches – mangels Auftragsverhältnisses – jedoch nicht bestand. Im Übrigen können für die unrichtige Erklärung der erteilten Vollmacht zwar im Einzelfall Umstände vorliegen, die die Anwendung der Rechtswohltat des § 3 DSt rechtfertigen, doch ergibt sich aus der Befreiung von der Verpflichtung, einen schriftlichen Nachweis der Vollmacht zu erbringen, die Pflicht des Rechtsanwalts zu besonderer Sorgfalt (Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10, § 8 RAO Rz 14). Auf Basis der getroffenen Feststellungen, wonach der Disziplinarbeschuldigte keinen Versuch einer Kontaktaufnahme mit dem Zeugen * E* unternahm, liegt nicht bloß ein Sorgfaltsverstoß vor, dessen Gewicht im Vergleich zu den Durchschnittsfällen der Deliktsverwirklichung deutlich abfällt (vgl RIS‑Justiz RS0089972, RS0056585).

[21] Der Berufung wegen Schund war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur nicht Folge zu geben.

[22] Berechtigt ist hingegen die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Strafe.

[23] Nach § 16 Abs 6 DSt ist bei der Verhängung der Strafe auf die Größe des Verschuldens und die daraus entstandenen Nachteile, vor allem für die Recht suchende Bevölkerung, bei Bemessung der Geldbuße auch auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Disziplinarbeschuldigten Bedacht zu nehmen. Außerdem sind bei der Strafbemessung die maßgebenden Grundsätze der §§ 32 ff StGB anzuwenden (Lehner in Engelhart et al, RAO9 § 16 Rz 17 mwN). Nach § 32 StGB wiederum sind – ausgehend von der Schuld des Täters – sowohl die allgemeinen als auch die besonderen Erschwerungs- und Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen und ist überdies auf spezial- und generalpräventive Gründe Bedacht zu nehmen. Der Disziplinarrat ging bei der Bemessung der Geldbuße von einem monatlichen Nettoeinkommen von durchschnittlich 3.000 Euro aus (ES 4). Unter Abwägung des vom Disziplinarrat zutreffend aufgezeigten Erschwerungsgrundes des Zusammentreffens zweier Disziplinarvergehen und der Milderungsgründe der Unbescholtenheit und des Tatsachengeständnisses kann unter Berücksichtigung der für den Beschuldigten vergleichsweise undurchsichtigen Vertretungssituation im Bereich der M* KG und dessen daraus resultierendes doch reduziertes Verschulden mit einer Geldbuße von 1.000 Euro das Auslangen gefunden werden.

[24] Angesichts der auch vom Rechtsmittel hervorgehobenen Verfahrensdauer von nunmehr bereits über drei Jahren (§ 34 Abs 2 StPO) war die Strafe um einen weiteren Betrag von 500 Euro zu reduzieren (vgl RIS-Justiz RS0114926).

[25] Die beantragte bedingte Nachsicht der Geldbuße war schon angesichts des Tatzeitpunkts mangels gesetzlicher Grundlage ausgeschlossen (AZ 20 Ds 3/21b).

[26] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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