OGH 20Os4/15m

OGH20Os4/15m26.6.2015

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 26. Juni 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Grassner und Dr. Haslinger als Anwaltsrichter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kampitsch als Schriftführer in der Disziplinarsache gegen Mag. *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 12. Mai 2014, AZ D 60/13 (DV 47/13), TZ 29, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwaltstellvertreters der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer Mag. Kammler, des Disziplinarbeschuldigten und dessen Verteidigers Mag. Stöglehner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0200OS00004.15M.0626.000

 

Spruch:

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde Mag. ***** schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dadurch begangen zu haben, dass er sich im Verfahren zu AZ 6 A 206/13a des Bezirksgerichts Traun auf eine von Elisabeth P***** erteilte Vollmacht berief und Anträge auf Akteneinsicht und Übermittlung von Unterlagen aus dem Akt stellte, ohne jedoch tatsächlich von P***** bevollmächtigt gewesen zu sein, wodurch er gegen die § 11 RL‑BA, § 8 RAO und § 1 DSt sowie gefestigte Standesauffassung verstieß.

Über den Disziplinarbeschuldigten wurde dafür eine Geldbuße in Höhe von 1.000 Euro verhängt; er wurde weiters verpflichtet, die Verfahrenskosten zu ersetzen.

Bei der Strafbemessung war mildernd, dass für P***** die Sache „ohne Folge geblieben ist, sohin die Vertretungshandlungen, die im Zuge der Akteneinsicht gesetzt wurden, für sie keinen Nachteil ausgelöst haben“; weiters die Unbescholtenheit und das bisherige Wohlverhalten des Disziplinarbeschuldigten. Erschwerend wurde kein Umstand angeführt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Berufung des Disziplinarbeschuldigten wegen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a StPO), Schuld und Strafe, zu der der Kammeranwalt der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer eine abschlägige Gegenanführung erstattet hat.

Das Vorbringen der ‑ im Übrigen abstrakt bleibenden ‑ Mängelrüge, es habe eine „Kettenbeauftragung“ gegeben, hat der Disziplinarrat ‑ ablehnend ‑ erörtert (ES 6).

Die Berufung (auf deren bezügliche Ausführungen daher in der Folge nicht mehr eingegangen werden musste) sowie die Stellungnahme der Generalprokuratur gaben Anlass, aufgrund der ‑ lebensnah gewürdigten ‑ erstinstanzlichen Verfahrensergebnisse (zu denen dem Rechtsmittelwerber im Gerichtstag ausdrücklich ergänzendes Gehör gewährt wurde) ergänzende Feststellungen zu treffen (§ 54 Abs 3 DSt):

Die Erklärungen der Melanie M***** beim von ihr an den Disziplinarbeschuldigten herangetragenen Ersuchen, statt ihrer auf Wunsch ihrer Großmutter Elisabeth P***** Erkundungen im gerichtlichen Abhandlungsverfahren vorzunehmen und Einsicht in die Verlassenschaftsakte zu nehmen, haben keinerlei Schluss darauf zugelassen, dass die Bevollmächtigung eines Anwalts dazu vom Willen der Großmutter getragen war. Der Disziplinarbeschuldigte, der mit Ausnahme des Vorschlags einer gemeinsamen Besprechung in seiner Kanzlei keine Überprüfungen anstellte, nahm sein Einschreiten im billigenden Bewusstsein der mangelnden Bevollmächtigung durch Elisabeth P***** vor (Verhandlungsprotokoll vom 12. 5. 2014, TZ 28, S 2, 4, 7 oben, 9).

Die (sonstige) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld überzeugt nicht. Von einer Vollmachtserteilung an einen Rechtsanwalt zwecks konkreter Schritte in einem gerichtlichen Verfahren kann unter Zugrundelegung der von Großmutter und Enkelin ex post schriftlich (Blg ./9, ./10) und als Zeugen dargelegten Abläufe keine Rede sein. Eine möglicherweise laienhafte Ausdrucksweise der beiden Frauen vermag den Disziplinarbeschulditgen ‑ der ex professione rechtliche Unbedarftheit nicht für sich ins Treffen führen darf ‑ nicht zu exculpieren.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) versagt:

Sie orientiert sich einerseits nicht am festgestellten Sachverhalt (ES 6: kein „Auftrag“ an einen Rechtsanwalt durch die behauptete Vollmachtsgeberin).

Überdies ist ihr entgegenzuhalten:

Das Einschreiten eines Rechtsanwalts gründet sich auf ein entsprechendes Vertrauensverhältnis zwischen ihm und seinem Klienten und setzt eine Bevollmächtigung voraus. § 11 RL‑BA normiert dementsprechend, dass Aufträge an einen Rechtsanwalt grundsätzlich durch denjenigen zu erteilen sind, dessen Interesse der Rechtsanwalt zu vertreten hat, um sicher zu stellen, dass die Vertretungshandlungen auch tatsächlich vom Willen des Vertretenen umfasst sind (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 RL‑BA § 11 Rz 2).

Wenn der Rechtsanwaltschaft dabei nach § 8 Abs 1 RAO das Privileg des Zureichens einer Berufung auf eine erteilte Bevollmächtigung zur Erleichterung der anwaltlichen Tätigkeit eingeräumt ist, ändert dies nichts daran, dass eine solche Bevollmächtigung durch den Vertretenen ohne jeden Zweifel gegeben sein muss. Es trifft den Rechtsanwalt die Verpflichtung, sowohl Identität des Vollmachtgebers als auch die Erteilung und den Umfang der Vollmacht besonders sorgfältig zu überprüfen (AnwBl 2011, 328; 2013, 447; RIS‑Justiz RS0089972). Derartige Sorgfaltsanforderungen bestehen ebenso in durch die Wortfolge „in der Regel“ in § 11 RL‑BA ermöglichten Ausnahmefällen, wie etwa einer Überbringung der Auftragserteilung des zu Vertretenden durch einen Dritten (AnwBl 2011, 328).

Um diesen Anforderungen zu entsprechen, wäre es dem Disziplinarbeschuldigten beim konstatierten Sachverhalt oblegen, vor Antragstellung auf Akteneinsicht abzuklären, ob das (notwendigerweise aktenbekannt werdende) Einschreiten eines Anwalts vom Willen der Elisabeth P***** getragen sei. Ohne eine konkrete Bestätigung hätte er das Ersuchen abzulehnen gehabt. Dies umso mehr als der ihm mitgeteilte Erkundungswunsch der Elisabeth P***** zum Verfahrensstand mit „Sie sollte aus dieser Sache heraus gehalten werden“ das Verständnis einer von dieser gewünschten bloß verdeckten und den Verfahrensparteien gegenüber verschlossen bleibenden Erhebung nahelegte. Jegliche Unsicherheit im Bestand dieser Anforderungen hätte der Disziplinarbeschuldigte jedenfalls auch zum Anlass nehmen müssen, P***** ohne Aufschub von durch ihn gesetzten Schritten in gebotener Form zu informieren.

Das Begehren nach Anwendung von § 3 DSt (dSn Z 9 lit b) stützt sich ua auf bloß fahrlässiges Handeln ‑ dem steht nunmehr der (ergänzend) festgestellte bedingte Vorsatz entgegen. Die Folgen für Elisabeth P***** aus dem vollmachtslosen Einschreiten des Disziplinarbeschuldigten waren auch nicht unbedeutend (unverständlich diesbezüglich die Bewertung ES 7) und konterkarierten geradezu ihre Intentionen im Zusammenhang mit dem Verlassenschaftsverfahren nach ihrem ‑ Kinder aus einer anderen Beziehung habenden ‑ Lebensgefährten. Die Voraussetzungen des angestrebten Verfolgungshindernisses liegen somit nicht zur Gänze vor (vgl Feil/Wennig, Anwaltsrecht DSt § 3 S 883, 885; jüngst 22 Os 7/14s).

Auch mit seiner Strafberufung dringt der Disziplinarbeschuldigte nicht durch: sein Verschulden ist unter Bedacht auf sein leichtfertiges Einschreiten ohne Vollmacht und ohne jeglicher Kontaktaufnahme mit Elisabeth P***** sowie ohne Informationserteilung an die Vertretene als nicht bloß geringfügig einzustufen, zumal das Vollmachtsgebot nach § 11 RL‑BA zum Kernbereich anwaltlicher Vertrauensanforderungen zu zählen ist. Trotz der überwiegenden Milderungsgründe schied eine Reduktion der ohnedies bereits bloß symbolhaften Geldbuße im untersten Bereich des Strafrahmens aus.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 54 Abs 5 DSt.

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