OGH 21Ds12/23m

OGH21Ds12/23m12.9.2024

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 12. September 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Fetz und Dr. Leb MBA als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin OKontr Schaffhauser in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwalt in *, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt über die Berufung des Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 30. Mai 2022, GZ D 117/18, 120/19, 109/20‑36, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Stani, des Kammeranwalts Dr. Klemm und des Disziplinarbeschuldigten sowie seines Verteidigers Dr. Grass zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0210DS00012.23M.0912.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Standes- und Disziplinarrecht der Anwälte

 

Spruch:

 

Der Berufung wegen Schuld wird nicht Folge gegeben.

Hingegen wird der Berufung wegen Strafe Folge gegeben und über den Beschuldigten unter weiterer Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien vom 27. September 2021, AZ D 238/19, eine Zusatzgeldbuße von 3.000 Euro verhängt.

Dem Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen – auch einen Freispruch von weiteren Vorwürfen enthaltenden – Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien wurde * mehrerer Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten nach § 1 Abs 1 erster Fall DSt schuldig erkannt und hiefür unter Bedachtnahme auf das Erkenntnis des Disziplinarrats der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 8. Jänner 2020, AZ D 13/17, nach § 31 Abs 1 StGB iVm § 16 Abs 5 DSt zu einer Zusatzgeldbuße von 8.000 Euro verurteilt.

[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat er

A./1./ zu D 117/18 im Zuge der Vertretung von DI I* T* beauftragte und bereits im November 2017 vorab bezahlte Leistungen im Zusammenhang mit der Eigentumsübertragung von Liegenschaften nach einem Aufteilungsverfahren nach dem EheG im Zeitraum von 28. November 2017 bis 10. April 2018 nicht erbracht;

A./2./ zu D 117/18 entgegen den standesrechtlichen Gepflogenheiten die Schreiben der neuen Rechtsvertretung von DI I* T*, Rechtsanwältin Dr. M* B*, vom 22. Jänner 2018, 7. Februar 2018 und 21. Februar 2018 verspätet, nämlich erst am 6. März 2018, beantwortet;

A./3./ zu D 109/20 es zu verantworten, dass mit seinem Schreiben vom 21. Oktober 2019 eine inhaltlich verfälschte Ausfertigung des Protokolls über die Verhandlung vom 30. September 2019 im Verfahren AZ * des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht an seinen Mandanten L* H* übermittelt wurde.

Rechtliche Beurteilung

[3] Der Disziplinarbeschuldigte bekämpft dieses Erkenntnis mit einer Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO relevierenden (vgl RIS‑Justiz RS0128656 [T1]) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe.

[4] Voranzustellen ist, dass soweit im Rechtsmittel gleichzeitig und ununterschieden auf mehrere Nichtigkeitsgründe Bezug genommen oder pauschal auf andere Beschwerdepunkte verwiesen wird, jegliche Unklarheiten, die durch diese Art der Rechtsmittelausführung bedingt sein könnten, zu Lasten des Berufungswerbers gehen (RIS‑Justiz RS0100183).

[5] Tatsachenfeststellungen sind nur insoweit mit Mängelrüge (Z 5) anfechtbar, als sie die Frage nach der rechtlichen Kategorie einer oder mehrerer strafbarer Handlungen beantworten und solcherart im Sinn der Z 5 entscheidend sind (RIS‑Justiz RS0117499).

[6] Wie lange genau der Disziplinarbeschuldigte mit der vereinbarten und von der Klientin bereits bezahlten grundbücherlichen Durchführung der Eigentumsübertragung an den Liegenschaften säumig war, spricht keine entscheidende Tatsache an, nahm er diese doch bis zur Beendigung des Vollmachtsverhältnisses nicht vor (ES 5). Da der Disziplinarrat beim Schuldspruch A./1./ von fahrlässigem Handeln des Disziplinarbeschuldigten selbst ausging (ES 5), betreffen – bei verständiger Lesart auf den Schuldspruch A./2./ bezogene – Erwägungen zu einem diesem anzulastenden Organisationsverschulden (ES 9) in diesem Zusammenhang keine entscheidende Tatsache.

[7] Soweit der Berufungswerber eine „Vermengung von Feststellungen, rechtlicher Beurteilung und Beweiswürdigung“ behauptet, spricht er keinen Nichtigkeitsgrund an. Denn es ist unmaßgeblich, an welcher Stelle im Rahmen der Entscheidungsgründe Feststellungen getroffen worden sind, genügt doch der für das Rechtsmittelgericht unzweideutig feststehende Wille der Tatrichter, etwas festzustellen (vgl Mayerhofer, StPO6 § 270 E 103).

[8] Mit dem pauschalen Hinweis auf „die Beweisergebnisse in der Disziplinarverhandlung“ und auf mittels einer „Verteidigungsschrift“ vorgelegte Urkunden wird kein Nichtigkeitsgrund deutlich und bestimmt angesprochen. Der in diesem Zusammenhang erhobene Einwand von Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) verkennt, dass eine solche nur bei einer (erheblich) unrichtigen oder unvollständigen Wiedergabe des Inhalts einer Urkunde oder einer Aussage vorliegt (RIS‑Justiz RS0099547). Ein derartiges Fehlzitat wird vom Berufungswerber aber nicht behauptet.

[9] Der weiteren Kritik (Z 5 dritter Fall) zuwider besteht zwischen der Annahme, wonach die „Auslackung“ im Protokoll des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht im Verfahren AZ * über die Verhandlung vom 30. September 2019 in der Kanzlei des Disziplinarbeschuldigten erfolgte (ES 7), und der Konstatierung, wonach nicht festgestellt werden konnte, ob der Disziplinarbeschuldigte „selbst oder ein:e Mitarbeiter:in seiner Kanzlei diese Verfälschung vorgenommen hat“ (ES 10), kein logischer Widerspruch (RIS‑Justiz RS0099651).

[10] Die Rechtsrüge (Z 9 lit a) zum Schuldspruch A./2./ bestreitet eine disziplinäre Verantwortlichkeit des Disziplinarbeschuldigten, erklärt jedoch nicht, weshalb kein Organisationsverschulden vorliegen solle, wenn der Ausfall eines Rechtsanwalts der Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts zum Verlust des Zugriffs auf den E-Mail-Account der Wiener Niederlassung der Gesellschaft führt.

[11] Soweit der Disziplinarbeschuldigte zum Schuldspruch A./2./ einwendet, die Schreiben von Rechtsanwältin Dr. B* seien nicht unbeantwortet geblieben, legt er nicht dar, inwiefern im Antwortschreiben vom 6. März 2018 eine Beantwortung innerhalb angemessener Frist (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO11 § 1 DSt Rz 71) zu erblicken sei. Die Argumentation, die Verpflichtung zur Beantwortung des Briefs eines Kollegen entspreche „nur“ dem Grundgedanken der kollegialen Höflichkeit, verkennt, dass es sich dabei um eine anerkannte Standespflicht handelt (RIS‑Justiz RS0055211).

[12] Auch der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld des Disziplinarbeschuldigten war ein Erfolg zu versagen, hat sich der Disziplinarrat doch im Rahmen seiner empirisch nachvollziehbaren Beweiswürdigung mit allen entscheidungswesentlichen Umständen der Taten auseinandergesetzt und seine Feststellungen überzeugend begründet (ES 8 ff), wobei er sich insbesondere auch auf die vorliegenden Urkunden stützen konnte.

[13] Das (auf die eigene Verantwortung verweisende) Vorbringen in der Schuldberufung, wonach im fraglichen Zeitraum ausschließlicher Vertreter von DI I* T* der Kanzleikollege Mag. Z* gewesen sei, vermag keine Bedenken an der in freier Beweiswürdigung getroffenen Lösung der Schuldfrage durch den Disziplinarrat und dessen anderslautenden Feststellungen, wonach weder eine Vollmachtsbeendigung durch die Rechtsanwaltsgesellschaft bürgerlichen Rechts noch eine Übernahme des Mandats durch Rechtsanwalt Mag. Z* erfolgte (ES 4), zu erwecken. Lediglich der Vollständigkeit halber sei auf die Angaben des Disziplinarbeschuldigten in der Disziplinarverhandlung vom 30. Mai 2022 verwiesen, wonach „nach außen hin in der GesbR weitergemacht wurde“ (ON 35 PS 6).

[14] Ebenso wenig werden mit dem Einwand, „das Chaos im Zuge der Verhaftung des Kollegen Z*“ habe eine schnellere Erledigung der Schreiben Dr. B* nicht zugelassen, Umstände aufgezeigt, die Zweifel an der Beweiswürdigung des Disziplinarrats zu wecken geeignet wären, zumal dies ohnehin berücksichtigt wurde (ES 4, 6).

[15] Der Berufung des Disziplinarbeschuldigten * wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der hiezu erstatteten Äußerung der Verteidigung – nicht Folge zu geben.

Zur Berufung wegen Strafe:

[16] Als mildernd für die Strafzumessung wurde vom Disziplinarrat die Tatsache gewertet, dass es zu keiner Schadensverursachung gekommen ist und sich der Disziplinarbeschuldigte seit den Tatzeitpunkten wohlverhalten hat. Die vom Disziplinarbeschuldigten als Milderungsgrund reklamierte „überlange Verfahrensdauer“ wurde vom Disziplinarrat ohnehin berücksichtigt. Als erschwerend wurden die Begehung mehrerer Dienstpflichtverletzungen, eine Vorverurteilung, was sich der Rüge zuwider zweifelsfrei aus den Feststellungen ergibt (ES 3), sowie ein verwerflicher Vertrauensbruch zu A./3./ gewertet.

[17] Insoweit weist der Beschwerdeführer jedoch zutreffend darauf hin, das ihm lediglich ein fahrlässig zu verantwortendes Organisationsverschulden zur Last liegt (ES 7), sodass der zuletzt genannte Erschwerungsgrund zu Unrecht in Anschlag gebracht wurde. Ferner hat der Disziplinarrat zwar die prekäre kanzleiinterne Situation für den Beschuldigten nach der Verhaftung seines Kanzleikollegen berücksichtigt, ihr jedoch zu wenig Gewicht beigemessen.

[18] Insgesamt war die als Bedachtnahme auf die im obgenannten Verfahren der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer, in dem eine Geldbuße von 5.000 Euro, verhängt worden war, ausgesprochene Sanktion auch unter Berücksichtigung der nunmehr infolge Rechtskraft und der Tatzeitpunkte gebotenen weiteren Bedachtnahme auf den zu AZ D 238/19 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Wien ergangenen Schuldspruch wegen des Vorwurfs, einen Kollegen in den Streit gezogen zu haben (Geldbuße von 1.500 Euro), angemessen auf 3.000 Euro zu reduzieren.

[19] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.

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