Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die Antragstellerin ist die Tochter des verstorbenen Betroffenen. Sie hat am 10. 4. 2012 im (österreichischen) Verlassenschaftsverfahren eine Erbantrittserklärung abgegeben und vertritt ‑ nach der Amtsbestätigung des Gerichtskommissärs gemäß § 172 AußStrG vom selben Tag ‑ die Verlassenschaft gemeinsam mit den beiden anderen erbantrittserklärten Erben.
Schon am 29. 2. 2012 hatte sie die Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt im Umfang der vom Sachwalter für den Zeitraum seiner Tätigkeit gelegten Rechnungen beantragt. Als „erbliche“ Tochter des verstorbenen Betroffenen stehe sie im (österreichischen) Verlassenschaftsverfahren Forderungen des Sachwalters gegenüber, habe aber weder über die getätigten Aufwendungen des Sachwalters noch über die Berechtigung seiner Forderung Kenntnis.
Das Erstgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 23. 3. 2012 ab und führte aus, der Antragstellerin komme im Sachwalterschaftsverfahren keine Parteistellung im Sinn des § 2 AußStrG zu. Aus ihrem Vorbringen sei allenfalls ein wirtschaftliches, aber kein rechtliches Interesse im Sinn des § 219 Abs 2 ZPO für eine Einsichtnahme in den Akt abzuleiten.
Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Antragstellerin nicht Folge. Diese habe im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung noch keine Erbantrittserklärung abgegeben gehabt, sondern erst (während des Rekursverfahrens) am 10. 4. 2012. Der noch nicht erbantrittserklärte Erbe habe kein Recht auf Akteneinsicht, weil er noch „Dritter“ im Sinn des § 219 ZPO sei und kein rechtliches Interesse habe, da die Rechte des Betroffenen noch nicht auf ihn übergegangen seien. Hingegen habe der noch nicht eingeantwortete, aber bereits erbantrittserklärte Erbe, der die Verlassenschaft gemäß § 810 Abs 1 ABGB ex lege vertrete, Einsicht(‑srechte) in den Sachwalterschaftsakt des Erblassers ‑ eingeschränkt auf Einkommens‑ und Vermögensangelegenheiten. Seien mehrere erbantrittserklärte Erben vorhanden, so könnten diese die Verlassenschaft gemäß § 810 ABGB nur gemeinsam vertreten, soweit sie nichts anderes vereinbart hätten. Ohne Verstoß gegen das (eingeschränkte) Neuerungsverbot des § 49 Abs 3 AußStrG sei zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin während des Rekursverfahrens eine Erbantrittserklärung abgegeben habe und „nach dieser“ die Verlassenschaft gemeinsam mit den beiden anderen erbantrittserklärten Erben vertreten dürfe. Selbst danach bestehe kein Recht auf Akteneinsicht, weil sie den Antrag allein gestellt habe, obwohl sie nur gemeinsam mit den beiden anderen erbantrittserklärten Erben vertretungsbefugt sei. Das Vorliegen deren Vollmacht sei nicht behauptet worden.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu der „vom Berufungsgericht“ zu lösenden Rechtsfrage fehle.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Voranzustellen ist, dass die Antragstellerin den Antrag auf Akteneinsicht allein unter Berufung auf ihre Eigenschaft einer Tochter des Erblassers stellte.
Im Hinblick auf die (aktenkundige) deutsche Staatsangehörigkeit des Betroffenen ist festzuhalten, dass auf das Sachwalterschaftsverfahren nach der lex fori grundsätzlich österreichisches Verfahrensrecht anzuwenden ist (§ 1 Abs 1 e contrario und speziell § 27 Abs 2 IPRG; 10 Ob 146/05a; 10 Ob 60/07g = SZ 2007/183; 10 Ob 102/08k = ZfRV‑LS 2009/27 [Ofner]; 6 Ob 137/09d = iFamZ 2009/251 [Fucik] = ZfRV‑LS 2009/63 [Ofner]; RIS‑Justiz RS0076618; Slonina, Sachwalterbestellung für Deutsche in Österreich und Art 24 EGBGB, iFamZ 2009, 376 [377]; Oberhammer/Graf/Slonina, Sachwalterschaft für Deutsche und Schweizer in Österreich, ZfRV 2007/22, 133 [134 f]). Das von der Antragstellerin begehrte Recht auf Akteneinsicht in die Rechnungslegung des Sachwalters betrifft eine rein verfahrensrechtliche Frage und unterliegt daher (von Vorfragen abgesehen) ausschließlich österreichischem Recht.
Zur Frage der Berechtigung der Antragstellerin zur Akteneinsicht in die Rechnungen des Sachwalters ist nun Folgendes zu erwägen:
Die Antragstellerin releviert im Revisionsrekurs zutreffend den aktenkundigen Umstand, dass der Betroffene deutscher Staatsangehöriger war. Bei dieser Sachlage liegt jedenfalls ein Hinweis auf einen Auslandsbezug vor (zur daraus resultierenden Prüfpflicht siehe RIS‑Justiz RS0009230; RS0045126).
Gemäß § 28 Abs 1 IPRG ist die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach dem Personalstatut des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes zu beurteilen. Diese Verweisung ist eine Gesamtverweisung, sie umfasst daher auch die Verweisungsnormen des Rechts (RIS‑Justiz RS0076673), auf das verwiesen wird. Der Erblasser war deutscher Staatsbürger; gemäß § 9 Abs 1 IPRG war sein Personalstatut daher deutsches Recht. Dieses nimmt die Verweisung an, weil sich gemäß Art 25 Abs 1 EGBGB die Rechtsnachfolge von Todes wegen nach der Staatsangehörigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt seines Todes richtet (2 Ob 81/03f = ZfRV 2003/44 [Hoyer], dazu zust Lorenz, Erbstatut, Erberwerbsstatut und Erbenhaftung im deutsch‑österreichischen Verhältnis: „le mort saisit le vif“ contra „hereditas iacens“ und die Folgen, IPRax 2004, 536; 2 Ob 99/06g). Die Fragen des Erbschaftserwerbs (und der Nachlassschuldenhaftung) richten sich daher grundsätzlich nach deutschem Recht (Schwimann in Rummel³ § 28 IPRG Rz 5). Gemäß § 1922 Abs 1 BGB geht mit dem Tod einer Person deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über. § 1942 Abs 1 BGB, wonach die Erbschaft auf den berufenen Erben unbeschadet des Rechts übergeht, sie auszuschlagen, bringt zusammen mit § 1922 BGB den Grundsatz des ipso iure‑Erwerbs zum Ausdruck. Nach diesen Bestimmungen tritt der Erbschaftserwerb sogleich mit dem Erbfall ein (2 Ob 81/03f; 2 Ob 99/06g). Die Erbengemeinschaft besitzt auch nach deutschem Recht keine eigene Rechtspersönlichkeit und ist als solche auch sonst nicht rechts‑ oder parteifähig (2 Ob 99/06g mwN; Stürner in Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch14 [2011] § 2032 BGB Rn 1). Für die (verfahrensrechtliche) Frage des Akteneinsichtsrechts einer Miterbin in den Sachwalterschaftsakt enthält das deutsche Erbrecht im Hinblick auf eine Miterbengemeinschaft keine Beschränkungen oder Regelungen (siehe zum Akteneinsichtsrecht in Betreuungssachen der Erben des Betroffenen zur Wahrnehmung ihrer Interessen im Nachlassverfahren OLG Stuttgart 6. 9. 1993, 8 W 346/92, BWNotZ 1993, 173 [zum früheren § 34 FGG]; Sternal in Keidel, FamFG17 [2011] § 13 FamFG Rn 40).
Allerdings enthält § 28 Abs 2 IPRG eine Ausnahme von der Regelung des Abs 1. Wird ‑ wie hier aufgrund der Aktenlage offenkundig im Hinblick auf das in Österreich befindliche bewegliche Vermögen des Betroffenen, der seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte (§ 106 Abs 1 Z 2 lit b JN) ‑ eine Verlassenschaftsabhandlung in Österreich durchgeführt, so sind der Erbschaftserwerb und die Haftung für Nachlassschulden nach österreichischem Recht zu beurteilen. Der Grund für diese Regelung liegt darin, dass bei manchen Fragen, wie etwa dem Erwerb der Erbschaft und der Beschränkung der Erbenhaftung für die Nachlassschulden, eine Loslösung des materiellen Rechts vom Verfahrensrecht geradezu unmöglich ist. Ist also nach § 28 Abs 2 IPRG österreichisches Recht anzuwenden, so geht das hievon erfasste Nachlassvermögen erst durch Erbantrittserklärung und Einantwortung über. Ist allerdings nur ein Teil des Nachlasses ‑ wofür nach der Aktenlage Anhaltspunkte bestehen ‑ in Österreich abzuhandeln, so richten sich Erbschaftserwerb und Nachlassschuldenhaftung grundsätzlich hinsichtlich des restlichen Nachlasses weiterhin nach dem Erbstatut (2 Ob 81/03f mwN).
Die Antragstellerin brachte im erstinstanzlichen Verfahren allerdings gar nicht vor, Miterbin zu sein, noch weniger belegte sie dies (etwa durch einen Erbschein oder den in der Amtsbestätigung des Gerichtskommissärs genannten Erbvertrag). Sie berief sich auch nicht auf eine Berechtigung zur Vertretung der Verlassenschaft. Im Rekurs behauptete sie weiterhin ihr Recht auf Akteneinsicht als „erbliche“ Tochter des Erblassers, ohne ihre am Tag der Rekurserhebung im (österreichischen) Verlassenschaftsverfahren abgegebene Erbantrittserklärung zu erwähnen. Gemäß § 49 Abs 3 AußStrG können Tatsachen, die nach der erstinstanzlichen Beschlussfassung eingetreten sind (nova producta), dann im Rekurs geltend gemacht werden, wenn sie nicht ohne wesentlichen Nachteil der Partei zum Gegenstand eines neuen Antrags ‑ ausgenommen einen Abänderungsantrag ‑ gemacht werden können. Da nova producta grundsätzlich stets einen neuen Antrag rechtfertigen, dh nicht von den zeitlichen Grenzen der Rechtskraft einer Entscheidung erfasst werden, soll nach dem Gesetz der neue Antrag Vorrang haben und das Vorbringen im Rekurs nur dann möglich sein, wenn es erhebliche Vorteile für die Partei hat (8 Ob 59/07w; Klicka in Rechberger, AußStrG § 49 Rz 1). Entgegen der Rechtsansicht des Rekursgerichts liegen im hier zu beurteilenden Fall die Voraussetzungen des § 49 Abs 3 AußStrG aber nicht vor. Der „amtswegigen“ Berücksichtigung der Erbantrittserklärung der Antragstellerin und ihrer Vertretungsbefugnis der Verlassenschaft gemeinsam mit den beiden anderen erbantrittserklärten Erben steht nicht nur das fehlende Rekursvorbringen entgegen, sondern auch der Umstand, dass sie keinen „wesentlichen“ Nachteil erleidet, wenn sie einen neuen Antrag auf Akteneinsicht in die Rechnungslegung des Sachwalters unter nunmehr vollständiger Darlegung der Anspruchsgrundlagen stellt. Die von der Antragstellerin in diesem Zusammenhang relevierte Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens ist schon deshalb nicht gegeben, weil die Zustimmung der beiden anderen erbantrittserklärten Erben zur begehrten Akteneinsicht ebenfalls als Neuerung unbeachtlich wäre. Die im Revisionsrekurs erstmals aufgestellten Behauptungen ihrer Miterbenstellung und der Zustimmung der beiden anderen Miterben zur Akteneinsicht verstoßen ebenso gegen das Neuerungsverbot wie die Urkundenvorlagen (§ 66 Abs 2 AußStrG; RIS‑Justiz RS0119918; 6 Ob 226/09t).
Gemäß § 141 AußStrG dürfen Auskünfte über die Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse vom Gericht nur dem betroffenen Pflegebefohlenen oder seinen gesetzlichen Vertretern, nicht aber sonstigen Personen oder Stellen erteilt werden. Diese Bestimmung schränkt die Akteneinsicht im Sachwalterschaftsverfahren für Dritte ein. Im Anwendungsbereich von § 141 AußStrG steht Dritten grundsätzlich kein Recht auf Akteneinsicht zu (allenfalls mit der Ausnahme, dass diese zur Wahrnehmung der Interessen des Pflegebefohlenen Einsicht nehmen wollen; (3 Ob 17/10m = iFamZ 2010/209, 287 [Tschugguel] = EvBl 2010/123, 858 [Neuner]; Graf, Akteneinsicht im Außerstreitverfahren und § 141 AußStrG, Zak 2007/733, 427 [429]; vgl 7 Ob 119/08p = iFamZ 2008/165, 328 [Parapatits]). Diese Grundsätze kommen ebenso nach dem Ableben der betroffenen Person zur Anwendung, weil auch nach dem Tod niemand einen Vorteil aus dem Pflegschaftsverfahren ziehen soll (Graf aaO 430 unter teilweisem Verweis auf 3 Ob 298/05b). Nach Rechtsprechung (3 Ob 17/10m; RIS‑Justiz RS0125886; RS0106077 [T3]) und Lehre (C. Graf aaO 430) hat jedoch der Erbe des Betroffenen nach der maßgeblichen Rechtsnorm des § 219 Abs 1 ZPO iVm § 22 AußStrG, dem § 141 AußStrG nicht entgegensteht, ein Recht auf Akteneinsicht in den Sachwalterschaftsakt, soweit dieser Einkommens‑ und Vermögensangelegenheiten betrifft. Er ist in vermögensrechtlichen Belangen nicht „Dritter“ im Sinn des § 219 Abs 2 ZPO, vielmehr ist er in die Rechte des Betroffenen im Sachwalterschaftsverfahren eingetreten und Universalsukzessor. Damit besteht ihm gegenüber kein Bedürfnis auf Geheimhaltung.
Als „erbliche“ Tochter des verstorbenen Betroffenen ist die Antragstellerin weder notwendigerweise dessen Universalsukzessorin (Erbin), noch vertritt sie die Verlassenschaft. Als bloßer naher Angehöriger ist ihr aber ‑ auch nach § 219 Abs 2 ZPO iVm § 22 AußStrG ‑ die Akteneinsicht zwecks Überprüfung der Gebarung des Sachwalters zu verweigern (Zankl/Mondel in Rechberger, AußStrG § 141 Rz 1 mwN; Graf aaO 429; 9 Ob 15/07g).
Dem Revisionsrekurs ist daher ein Erfolg zu versagen.
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