Spruch:
Wer eine Vertragspflicht übernimmt, sie aber wegen Aufkündigung eines Bankkredites nicht erfüllen kann, haftet dem Vertragspartner für das Erfüllungsinteresse, wenn er nicht beweist, daß er ohne Verschulden mit dem Fortbestand des Kreditverhältnisses rechnen konnte
OGH 1. Dezember 1982, 1 Ob 730/82 (OLG Wien 4 R 63/82; HG Wien 19 Cg 79/81)
Text
Die Beklagte war persönlich haftende Gesellschafterin der Firma W, einer Kommanditgesellschaft, über deren Vermögen zu Sa 28/80 des Handelsgerichtes Wien am 5. 5. 1980 das Ausgleichsverfahren und zu S 136/80 am 1. 9. 1980 der Anschlußkonkurs eröffnet wurde. Auf Grund eines Anbotes der Firma W vom 10. 12. 1979 wurde dieser von der klagenden Partei Republik Österreich (Bundesministerium für Landesverteidigung) am 27. 12. 1979 der Zuschlag über die Lieferung von 20 000 Trainingshosen zum Preis von 2 655 000 S erteilt. Liefertermin war für 70% der bestellten Ware spätestens der 31. 8. 1980, die restlichen 30% waren bis 31. 10. 1980 zu liefern. Subsidiär galten die allgemeinen Leistungsbestimmungen für Aufträge der Heeresverwaltung. Am 3. 1. 1980 wurde die Firma W von der L-Bank, ihrer Hausbank, telefonisch verständigt, daß der ihr erteilte Kredit sofort fälliggestellt wird und daß sie alle zur Sicherung des Kredites gegebenen verdeckten Zessionen offengelegt habe. Diese Maßnahme kam für die Firma W völlig überraschend. Sie wurde dadurch außerstande gesetzt, die für die Ausführung des Auftrages benötigten Materialien anzukaufen. Mit Schreiben vom 20. 5. 1980 teilte die Firma W der klagenden Partei mit, daß sie infolge Eröffnung des Ausgleichsverfahrens nicht in der Lage sei, den Zuschlag vom 27. 12. 1979 zu erfüllen. IS des Punktes 1.4338 der Ö-Norm A 2050 lud daraufhin die klagende Partei die seinerzeitigen Mitbewerber zur neuen Anbotlegung ein. Den Auftrag erhielt auf Grund des günstigeren Anbotes die Firma H zu einem Preis von 3 610 800 S. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 20. 6. 1980, Sa 28/80-12, wurde die Firma W ermächtigt, die Erfüllung des Vertrages mit der klagenden Partei abzulehnen. Die klagende Partei trat mit Schreiben vom 20. 6. 1980 vom Vertrag zurück; gleichzeitig verlangte sie den Ersatz des ihr auf Grund des Deckungskaufes in der Höhe von 955 800 S entstandenen Schadens.
Von diesem Betrag macht die klagende Partei vorerst 150 000 S samt Anhang klageweise geltend.
Die Beklagte wendete ein, die Firma W treffe kein Verschulden an der Unmöglichkeit der Leistung. Diese sei durch einen nicht vorhersehbaren Schritt der Hausbank hervorgerufen worden, die ungeachtet einer mehr als 100%igen Deckung durch Zessionen den eingeräumten Kontokorrentkredit aufgekundigt habe. Dadurch sei das Unternehmen plötzlich und unerwartet illiquid geworden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die klagende Partei sei berechtigt gewesen, gemäß § 918 ABGB vom Vertrag zurückzutreten, einen Deckungskauf zu tätigen und den Ersatz des erlittenen Schadens zu begehren.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Die klagende Partei mache eine Schadenersatzforderung geltend. Die Ersatzpflicht richte sich nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechtes. Es käme die Vorschrift des § 1298 ABGB zur Anwendung. Den ihr obliegenden Entlastungsbeweis habe aber die Beklagte erbracht. Infolge des für sie völlig überraschenden Schrittes der kreditgewährenden Bank sei die Firma W wirtschaftlich nicht mehr in der Lage gewesen, die für die Erfüllung des Auftrages benötigten Materialien einzukaufen. Daß die Firma W darüber hinaus ein sonstiges Verschulden an der Nichterfüllung der vertragsmäßigen Verbindlichkeit getroffen habe oder daß sie den ihr widerfahrenen Zufall der Fälligstellung des Kredites durch ein Verschulden veranlaßt habe, sei von der klagenden Partei weder behauptet worden noch gehe dies aus den getroffenen Feststellungen hervor. Die Regel des § 1298 ABGB über die Verteilung der Beweislast beschränke sich auf den Fall, daß jemand einer vertragsmäßigen oder gesetzlichen Verbindlichkeit nicht nachkomme; andernfalls gelange die Bestimmung des § 1296 ABGB zur Anwendung, wonach im Zweifel die Vermutung gelte, daß ein Schaden ohne Verschulden eines anderen entstanden sei. Der Unterschied der Tatbestände nach §§ 1296 und 1298 ABGB liege darin, daß § 1298 ABGB eine bereits bestehende Verbindlichkeit voraussetze, § 1296 ABGB aber nicht. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses habe jedoch für die Firma W noch keine Verbindlichkeit bestanden. Wenn die klagende Partei demnach ein Verschulden der Firma W darin erblicke, daß diese die vertragliche Verpflichtung überhaupt eingegangen sei, hätte sie im erstgerichtlichen Verfahren zu behaupten und nachzuweisen gehabt, daß ihr Vertragspartner insoweit fahrlässig gehandelt habe, als er schon damals mit einer Fälligstellung des eingeräumten Kredites habe rechnen müssen. Dies habe die klagende Partei aber nicht einmal behauptet. Hätte die klagende Partei nämlich ein Verschulden der Firma W bei Eingehen der Verbindlichkeit releviert, so hätte sie folgerichtig nur die Differenz zwischen dem mit der Firma W vereinbarten Kaufpreis und dem Kaufpreis, der damals mit dem zweitbesten Bieter hätte vereinbart werden können, begehren dürfen.
Rechtliche Beurteilung
Über Revision der klagenden Partei hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurück.
Die klagende Partei hat mit der Behauptung, die Firma W treffe an der Erfüllungsvereitlung ein Verschulden, von dem ihr gemäß § 920 ABGB zustehenden Wahlrecht (Koziol - Welser[5] I 196) dahin Gebrauch gemacht, daß sie vom Vertrag zurücktrat und gemäß § 921 ABGB den Ersatz des Nichterfüllungsschadens, den sie auf Grund einer konkreten Schadensberechnung ermittelte, begehrt. Sie muß vermögensmäßig so gestellt werden, wie wenn ordnungsgemäß erfüllt worden wäre (Koziol, Österr. Haftpflichtrecht[2] I 34). Im Falle der konkreten Schadensberechnung ergibt sich der zu ersetzende Schaden aus der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis bzw. Werklohn und den Kosten des infolge Nichterfüllung durch die Firma W eingegangenen Deckungsgeschäftes (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 495; Ehrenzweig[2] II/1, 293; Koziol - Welser aaO 205 f; vgl. SZ 46/109). Wer objektiv seine vertraglichen Pflichten nicht erfüllt hat und behauptet, an der Erfüllung seiner vertragsmäßigen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert worden zu sein, ist gemäß § 1298 ABGB dafür beweispflichtig, daß ihn an der Nichterfüllung kein Verschulden traf. Das Gesetz will durch diese Bestimmung verhindern, daß der Geschädigte, für den die Lebensverhältnisse in der Sphäre des Verantwortlichen nicht durchschaubar sind, in Beweisnotstand gerät (JBl. 1982, 318; SZ 52/15; SZ 51/99; NZ 1980, 73; SZ 48/100 ua.; Koziol aaO 330, 332; Bydlinski in Klang[2] IV/2, 172 f.; Welser, Vertretung ohne Vollmacht 267). Entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist § 1298 ABGB auch auf denjenigen anzuwenden, der einen Vertrag abschließt und als Schuldner eine Vertragspflicht übernahm, obwohl er wissen mußte, daß er zur Erfüllung nicht in der Lage sein werde (JBl. 1982, 431; RZ 1972, 14; sogenanntes Übernahmeverschulden: vgl. Löwisch in Staudinger[12], Rdz. 26 zu § 276 BGB; Deutsch, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt 307 f.). Die Feststellung, der Schuldner habe fahrlässig gehandelt, bedeutet ihm gegenüber den Vorwurf, er hätte bei gehöriger Willensanspannung erkennen können, daß er gefährlich und rechtswidrig handle und anders hätte handeln können (Koziol aaO 128;
Gschnitzer, Schuldrecht Besonderer Teil und Schadenersatz 149);
dabei ist der Grad der Aufmerksamkeit und des Fleißes objektiv zu beurteilen (§ 1294 ABGB; Koziol aaO 129). Eine Fahrlässigkeit durch Eingehen einer vertraglichen Verpflichtung, von der der Schuldner hätte wissen können, er werde sie bei Fälligkeit nicht erfüllen können, wird nur dann nicht anzunehmen sein, wenn die Wahrscheinlichkeit der Unfähigkeit zur Erfüllung der vertraglichen Pflicht so gering war, daß sie auch einen gewissenhaften Menschen nicht von seiner Handlungsweise abgehalten hätte (vgl. Hanau in Münchener Kommentar, Rdz. 102 zu § 276 BGB).
Ob diese Voraussetzungen vorliegen, kann auf Grund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Die Feststellung, für die Beklagte sei es völlig überraschend zu einer Aufkündigung des Zessionskredites und damit in weiterer Folge zur Unerfüllbarkeit der eingegangenen Verpflichtung der Firma W gekommen, läßt für sich allein, da die Behauptung der Beklagten, der Kredit sei weit mehr als zu 100% durch Zessionen abgedeckt gewesen, nicht als Feststellung übernommen wurde, noch nicht eine Beurteilung dahin zu, daß ein Verschulden an der Erfüllungsvereitlung nicht vorliege. Es muß geklärt werden, ob nicht etwa bereits vor Abgabe des Anbotes durch die Firma W und in der Zeit von der Abgabe des Anbotes bis zum Zugang des Zuschlages die vertretungsbefugten Gesellschafter der Firma W bei gehöriger Umsicht, sei es, daß die Hausbank der Firma W eine Aufkündigung des Kredites bei Nichtstellung weiterer Sicherheiten angedroht hatte, sei es, daß ein im Kreditvertrag ausdrücklich genannter Kündigungsgrund der Firma W bekannt war oder bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte bekannt sein müssen, hätten erkennen können, daß die Erfüllung des angestrebten Werkvertrages für sie nicht möglich sein dürfte. War der Firma W bekannt, daß die Übernahme einer vertraglichen Verpflichtung größeren Umfanges nur bei Weitergewährung des eingeräumten Kredites hätte erfüllt werden können, müßte der Beweis ihrer Schuldlosigkeit als mißlungen angesehen werden, wenn mit einer Aufkündigung des hiefür notwendigen Betriebsmittelkredites gerechnet werden müßte.
In einem fortgesetzten Verfahren werden daher von der beweispflichtigen Beklagten die für das Fehlen eines Übernahmsverschuldens sprechenden Umstände darzustellen und unter Beweis zu stellen sein.
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