Spruch:
Keine Parteistellung des Erlagsgegners im Erlagsverfahren.
Entscheidung vom 1. September 1954, 1 Ob 692/54.
I. Instanz: Kreisgericht Ried im Innkreis; II. Instanz:
Oberlandesgericht Linz.
Text
Zwischen Anna K. als Klägerin und Ludwig H. als Beklagter wird wegen des tödlichen durch das Motorrad des Beklagten verursachten Unfalles des Johann K., des Gatten der Klägerin, ein Schadenersatzprozeß geführt. Im Zuge dieses Prozesses erlegte "Der A."- Versicherungsaktiengesellschaft, der Haftpflichtversicherer des Beklagten, gemäß § 1425 ABGB. die Versicherungssumme von 37.500 S zugunsten der Klägerin beim Erstgericht. Dieses nahm mit dem Beschluß vom 1. Juli 1954, den Erlag an.
Der vom Beklagten Ludwig H. gegen den Erlagsbeschluß erhobene Rekurs wurde vom Rekursgericht zurückgewiesen. Der Erlag nach § 1425 ABGB. stelle sich als ein einseitiges Verfahren zwischen dem Erleger und dem Erlagsgericht dar, der zu dem vorliegenden, zwischen dritten Personen geführten Rechtsstreit keine Beziehungen herstelle. Die Annahme des Erlages zu Gericht sei weder für den Rechtsstreit, noch für die darin als Klägerin und Beklagter auftretenden Parteien präjudiziell, insbesondere sei mit der Tatsache der Erlagsannahme noch nicht gesagt, daß der Erlag auch sachlich gerechtfertigt sei. Diese Frage sei vielmehr im Innenverhältnis zwischen dem Erleger und dem Beklagten zu klären und nötigenfalls auf dem Rechtsweg zu entscheiden. Die Erlagssache sei ein selbständiges Verfahren nach dem Außerstreitgesetz, das nur zufällig und rein äußerlich mit dem Prozeßakt verbunden sei. Da das Erstgericht die Voraussetzungen des Erlages nur im Verhältnis zum Erleger zu prüfen gehabt habe, stehe dem Rekurswerber als einer an diesem Verfahren nicht beteiligten Person das Rekursrecht nicht zu.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs des Beklagten Ludwig H. nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
§ 1425 ABGB. räumt dem Schuldner das Recht ein, den Gegenstand seiner Schuld bei Gericht zu hinterlegen oder in gerichtliche Verwahrung zu geben, wenn er aus Gründen, die nicht in seiner Person liegen, die Schuld nicht abtragen kann. Der Schuldner soll dadurch der Notwendigkeit überhoben werden, über seine rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen hinaus für den Gegenstand der Schuld weiter zu haften. Der Erlag bei Gericht, der im Verhältnis zwischen dem Erleger und dem Gericht allerdings Rechtsbeziehungen begrundet, ist im Verhältnis zum Vertragspartner nicht anders als seine einseitige Rechtshandlung des Schuldners, auf die jener keinen Einfluß nehmen kann. Geradeso wie Mängelrüge erhoben, eine Kündigung ausgesprochen oder sonstige rechtlich bedeutsame Erklärungen abgegeben werden können, kann auch der gerichtliche Erlag des Schuldgegenstandes bewirkt werden. Der Umstand, daß bei dieser Rechtshandlung ein Gericht, nämlich das Erlagsgericht, beteiligt ist, spielt keine Rolle. Dieses ist nichts anderes als ein gesetzlich vorgesehenes Hilfsorgan, das einschreitet, wenn die äußeren Voraussetzungen des Erlages behauptet werden, sich aber in die rechtlichen Beziehungen der Beteiligten nicht einmischt (Oberster Gerichtshof, Entscheidung vom 9. Dezember 1919, ZBl. 1920, 49).
Mit Rücksicht darauf, daß der gerichtliche Erlag eine einseitige Rechtshandlung des Schuldners darstellt, die der Vertragspartner nicht verhindern kann, hat dieser keine Parteistellung im Erlagsverfahren. Seine Rechte werden durch den Erlag nicht verkürzt oder beeinträchtigt. Ist nämlich die Behauptung des Erlegers, zum Erlag berechtigt zu sein, unrichtig, ist die Rechtslage für den Vertragspartner so, als ob der Erlag nie vorgenommen worden wäre. Der Schuldner müßte die geschuldete Sache im richtigen Umfang leisten und könnte sich nicht darauf berufen, durch den Erlag von jeder weiteren Haftung befreit worden zu sein. Die wahre Rechtslage im Verhältnis zwischen dem Erleger und dem Vertragspartner könnte ungeachtet des Erlages jederzeit auf dem Prozeßweg klargestellt werden. Wenn freilich der Rechtsstreit ergibt, daß der Erlag mit Recht vorgenommen worden ist, müßte der Vertragspartner dessen Rechtswirkungen gegen sich gelten lassen. Diese Folge ergäbe sich aber nicht aus dem unangefochten gebliebenen Erlagsbeschluß des Gerichtes, sondern aus der gerichtlichen Entscheidung im Prozeß, in dem beide Parteien ihre Rechte wahrnehmen konnten.
In der vorliegenden Sache macht Ludwig H. der Versicherungsgesellschaft "Der A." zum Vorwurf, sich durch den Erlag (§ 10 Abs. 4 AKHB.) der Kostenersatzpflicht nach § 150 VersVG. widerrechtlich entziehen zu wollen, weshalb der Erlag nicht anzunehmen gewesen wäre. Ist diese Behauptung richtig, wird die Versicherungsgesellschaft trotz des Erlages Kosten zu zahlen haben. Ludwig H. als Versicherungsnehmer wird das Recht haben, die Streitfrage vor das zuständige Prozeßgericht zu bringen. Er ist aber nicht befugt, den Erlag der Versicherungssumme bei Gericht zu verhindern.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)