OGH 1Ob67/12b

OGH1Ob67/12b22.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Florian S*****, vertreten durch Dr. Michael Göbel Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei Erich T*****, vertreten durch Zorn Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen 34.660,18 EUR sA und Feststellung (300 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 16. Februar 2012, GZ 14 R 10/12m‑20, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 9. November 2011, GZ 12 Cg 31/11h‑15, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 1.961,64 EUR (darin enthalten 326,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

In ihrem Testament vom 18. 10. 1994 bestimmte die Erblasserin eine Alleinerbin mit der Auflage, die Hälfte des reinen Nachlassvermögens zur Finanzierung eines Auslandsstudiums des damals noch minderjährigen Klägers zu verwenden. Dieser wurde für den Fall, dass die Alleinerbin vor der Erblasserin oder ohne Abgabe einer Erbserklärung stirbt oder keine Erbserklärung abgibt, zum Ersatzerben bestimmt. Keiner dieser Fälle ist eingetreten. Die Alleinerbin gab zum gesamten Nachlass eine bedingte Erbserklärung ab, die das Verlassenschaftsgericht am 10. 7. 2000 annahm.

Der Gerichtskommissär beauftragte den beklagten Sachverständigen, den Wert der in der Wohnung der Erblasserin vorhandenen Fahrnisse und „Pretiosen“ zu schätzen. In seinem Schätzgutachten vom 20. 11. 2000 bezifferte der Beklagte den Wert der Antiquitäten und Pretiosen mit 140.320 S netto. Zwei weitere Kunstgegenstände wurden im ergänzenden Gutachten vom 12. 2. 2001 mit 24.000 S netto geschätzt. In seinem an das Verlassenschaftsgericht gerichteten Schreiben vom 20. 11. 2003 bemängelte der Kläger den ermittelten Schätzwert als zu gering, weil eine Schätzung aus dem Jahr 1993 einen Wert von 8.275.000 S ergeben hätte.

Am 17. 6. 2004 errichtete der Gerichtskommissär in Anwesenheit des Klägers und dessen Rechtsanwalts das Inventar, das Aktiva von 6.999.845,09 S und Passiva von 715.672,52 S, somit einen Reinnachlass von 6.283.812,57 S auswies. Diesem Inventar lag ua das Schätzgutachten des Beklagten zugrunde.

Am 31. 3. 2004 hatte der Kläger gegen die Alleinerbin eine Klage eingebracht, gerichtet auf Feststellung, dass sie kein Erbrecht habe. Das Klagebegehren wurde mit Urteil vom 7. 5. 2006 abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb so wie seine außerordentliche Revision, die der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 31. 1. 2007, zugestellt am 2. 3. 2007, zurückwies, erfolglos.

Das Verlassenschaftsverfahren wurde in erster Instanz mit Mantelbeschluss und Einantwortungsurkunde vom 23. 4. 2007 beendet. Mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 27. 2. 2008, 3 Ob 272/07g, der auf die mangelnde Parteistellung des Klägers im Verlassenschaftsverfahren verweist und diesem am 20. 4. 2008 zugestellt wurde, wurde es rechtskräftig abgeschlossen.

Der Kläger studiert seit 2007 in Italien und übermittelte der Erbin seine Studiennachweise. Sie leistete im Mai 2008 eine erste Teilzahlung und schließlich im April 2010 den Restbetrag. Bei der Berechnung der dem Kläger auszuzahlenden Summe legte sie den halben reinen Nachlass nach dem Ergebnis des Verlassenschaftsverfahrens zugrunde und zog die ihr zu ersetzenden Verfahrenskosten ab.

Der Kläger begehrte in seiner am 31. 3. 2011 eingebrachten Klage 34.660,18 EUR und die Feststellung der Haftung des Beklagten für künftige Schäden aus seinen Schätzungen. Der Beklagte habe die zu schätzenden Gegenstände falsch bewertet bzw beschrieben, manche wertvolle Stücke überhaupt nicht in das Inventar aufgenommen und deshalb den Wert um 953.876 EUR zu niedrig angesetzt. Der Schaden des Klägers betrage die Hälfte dieses Betrags. Seine Ansprüche seien nicht verjährt, weil das Verlassenschaftsverfahren erst im April 2008 rechtskräftig beendet worden sei. Im April 2010 sei die Auflage als Folge des unrichtigen Gutachtens mit einem zu niedrigen Betrag erfüllt worden. Erst zu diesem Zeitpunkt sei der Schaden des Klägers festgestanden und habe die Verjährungsfrist begonnen.

Der Beklagte wendete insbesondere Verjährung ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Inventar diene als Mittel der Beweissicherung nur dazu, das Vermögen des Erblassers vorläufig und ohne Bindungswirkung zu erheben. Es biete keine Gewähr dafür, dass Vermögen und Verbindlichkeiten des Erblassers vollständig erfasst seien. Die Interessen des Klägers seien nicht vom Zweck des vom Gerichtskommissär an den Beklagten erteilten Gutachtensauftrags erfasst. Letztlich sei ein allfälliger Schadenersatzanspruch des Klägers verjährt, weil dieser schon zum Zeitpunkt seines Schreibens an das Verlassenschaftsgericht die (behauptete) Unrichtigkeit des Sachverständigengutachtens gekannt habe, jedenfalls aber mit Zustellung des Mantelbeschlusses am 26. 4. 2007.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es ging in seiner rechtlichen Beurteilung auf die Frage der Verjährung ein, deren Eintritt es bejahte.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.

Gerichtlich bestellte Sachverständige haften für die Folgen eines unrichtigen Gutachtens nach den allgemeinen Regeln persönlich und zwar nicht nur den Parteien (vgl RIS‑Justiz RS0026319; vgl RS0026360), sondern auch Dritten, wenn deren Interessen vom Schutzzweck der gerichtlichen Bestellung erfasst werden (vgl RIS‑Justiz RS0026316 [T1]; 5 Ob 18/00h mwN = RIS‑Justiz RS0017178 [T6]; Karner in KBB3 § 1299 ABGB Rz 10 mwN). Dass der Kläger keine Partei des Verlassenschaftsverfahrens war, hat der Oberste Gerichtshof in der (im Verlassenschaftsverfahren über den Revisionsrekurs des Klägers ergangenen) Entscheidung 3 Ob 272/07g (= EFSlg 121.818) bereits dargelegt. Die Haftung des Beklagten hängt damit grundsätzlich davon ab, ob die Normen über die Inventarisierung des Vermögens des Erblassers im Verlassenschaftsverfahren den Kläger vor dem Eintritt der hier geltend gemachten Schäden schützen sollten. Das ist nicht der Fall.

Nach § 97 Abs 1 AußStrG 1854, der nach § 205 AußStrG (BGBl I 2003/111) auf das Verlassenschaftsverfahren anzuwenden war, hat das Inventar ein genaues und vollständiges Verzeichnis des gesamten beweglichen und unbeweglichen Vermögens, in dessen Besitz sich der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes befunden hat, zu enthalten (RIS‑Justiz RS0109531). Die in der Wohnung der Erblasserin vorhandenen Fahrnisse, mit deren Schätzung der Gerichtskommissär den beklagten Sachverständigen beauftragte, waren nach § 101 Abs 2 AußStrG 1854 mit dem Verkehrswert zu bewerten. Das Inventar dient nach ständiger Judikatur nur Zwecken des Verlassenschaftsverfahrens (RIS‑Justiz RS0006465), bietet keine Gewähr für die vollständige Erfassung von Vermögen und Verbindlichkeiten (4 Ob 170/03h mwN) und ist beispielsweise auch für die Berechnung des Pflichtteils nicht bindend (RIS‑Justiz RS0007784). Dass das Inventar auch für die Berechnung des Ausmaßes einer Verpflichtung zur Erfüllung einer Auflage im Sinne des § 709 ABGB keine Wirkung hat, hat der Oberste Gerichtshof in der bereits zitierten Entscheidung 3 Ob 272/07g klargestellt.

Der Oberste Gerichtshof bejahte zwar in einem Amtshaftungsverfahren den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Verletzung der §§ 97 und 98 AußStrG 1854 durch den Gerichtskommissär bzw das Verlassenschaftsgericht und dem Schaden des klagenden Testamentserben als Folge einer Einbeziehung eines nicht zu den Verlassenschaftsaktiva zählenden Vermögenswerts in die Berechnungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch (1 Ob 190/10p mwN = NZ 2011/50, 184), weil das Inventar als öffentliche Urkunde den Anschein der Verlassenschaftszugehörigkeit aufgenommener Positionen schaffe und Erben und Pflichtteilsberechtigten als Orientierungshilfe und Grundlage für die Berechnung der Höhe des Pflichtteils diene. Beurteilt wurden Schadenersatzansprüche eines Erben, der mit Pflichtteilsberechtigten auf Grundlage der Bewertung des Reinnachlasses im Inventar ein Erbschafts‑ und Pflichtteilsübereinkommen geschlossen und im Amtshaftungsprozess behauptet hatte, er hätte bei Kenntnis der wahren Sachlage eine für ihn günstigere Vereinbarung getroffen.

Der Kläger geht nun selbst von seiner Stellung als durch eine Auflage der Erblasserin Begünstigter aus. Als solcher standen ihm aber überhaupt keine durchsetzbaren Ansprüche auf Erfüllung der Auflage zu (3 Ob 272/07g mwN; vgl 1 Ob 90/01v = RIS‑Justiz RS0006335 [T1]; vgl Rabl, Die Nichterfüllung letztwilliger Auflagen, NZ 1998, 97 ff; vgl Ferrari in Ferrari/Likar‑Peer, Erbrecht [2007] 228 f). Der Kläger behauptet nun, einen Schaden dadurch erlitten zu haben, dass die Alleinerbin als durch die Auflage Verpflichtete (Eccher in Schwimann 3 § 709 ABGB Rz 2; Ferrari 227 ff; Rabl aaO 97) aufgrund des angeblich unrichtigen Gutachtens des Beklagten die Auflage nicht zur Gänze erfüllt hätte. Dieser Schaden entspricht also einem (restlichen) Erfüllungsanspruch gegen die Erbin, der dem auflageberechtigten Kläger mangels Vorliegens jeglichen Forderungsrechts eben nicht zusteht. Hätte die Erbin bei (angeblich) richtiger, weil höherer Bewertung durch den Sachverständigen die Auflage nicht (zur Gänze) erfüllt, wäre es dem Kläger ja ebenfalls verwehrt gewesen, Zahlung zu fordern. Aus diesen Erwägungen erweist sich die Abweisung des Klagebegehrens als berechtigt.

Auf die Frage der Verjährung ist deshalb nicht weiter einzugehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Einheitssatz betrug im Revisionsverfahren nach § 23 RATG nur 50 % und nicht wie verzeichnet 150 %.

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