Spruch:
Die sachliche Unzuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz für Erbteilungsklagen ist nach der Sachentscheidung durch das Prozeßgericht nicht mehr wahrzunehmen
OGH 28. Juni 1978, 1 Ob 637/78 (OLG Wien 8 R 62/78; LGZ Wien 11 Cg 243/77)
Text
Der Kläger ist ein Sohn, die Beklagte eine Enkelin des im Jahre 1896 verstorbenen akademischen Malers Carl Rudolf H und dessen Ehefrau Anita Maria. Er behauptet, nach dem Tode seiner Mutter im Jahre 1937 mit dem inzwischen ebenfalls verstorbenen Bruder Hans und seiner Schwester Meta vereinbart zu haben, daß Bilder aus dem Nachlaß seines Vaters ihm zufallen sollen. Diese Vereinbarung sei auch gegenüber der Beklagten als dem einzigen Kind seiner Schwester Meta rechtswirksam.
Der Erstrichter wies ein primäres und ein Eventual-Feststellungsbegehren des Klägers ab. Das Berufungsgericht hob aus Anlaß der Berufung des Klägers dieses Urteil und das vorausgegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück, weil § 77 Abs. 2 JN für Erbteilungsklagen den individuellen Gerichtsstand des Abhandlungsgerichtes vorschreibe, der auch nicht durch Vereinbarung umgangen werden könne, so daß ungeachtet § 45 Abs. 1 JN die Unzuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz und die Nichtigkeit des Verfahrens wahrgenommen werden müßten.
Über den Rekurs des Klägers hob der Oberste Gerichtshof den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und trug diesem eine Entscheidung über die Berufung des Klägers unter Abstandnahme von dem angenommenen Nichtigkeitsgrund auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Wohl gehören Klagen, welche die Teilung einer Erbschaft zum Gegenstande haben, gemäß § 77 Abs. 2 JN vor das Gericht, bei welchem die Nachlaßabhandlung anhängig ist. Dieser Gerichtsstand bleibt (nach dem zweiten Satz der Gesetzesbestimmung) auch nach rechtskräftiger Einantwortung des Nachlasses bestehen. Es handelt sich um einen sogenannten individuellen Gerichtsstand, mit dem also sowohl die sachliche als auch die örtliche Zuständigkeit durch Hinweis auf ein ganz bestimmtes Gericht geregelt sind.
Entgegen der Meinung des Rekurswerbers ist nicht zu bezweifeln, daß es sich um eine Erbteilungsklage handelt. Darunter werden nämlich alle Klagen verstanden, deren Rechtsgrund im Erbrecht liegt und die auf die Teilung des Nachlaßvermögens gerichtet sind, gleichgültig ob letztere mangels Einigung erst in einer bestimmten Richtung durchgesetzt werden soll oder ein Erbteilungsübereinkommen vorliegt, auf dessen Durchführung die Klage zielt (Fasching I, 410; SZ 25/206 u. a.). Daß ein Feststellungsbegehren erhoben wird, ändert nichts daran, daß auch im vorliegenden Fall einer angeblich getroffenen Erbteilung zum Durchbruch verholfen werden soll.
Das Berufungsgericht hat im Sinne der Lehrmeinung Faschings (I, 410) und der Entscheidung JBl. 1957, 321 eine Bindung an die Entscheidung des Gerichtshofes erster Instanz über seine sachliche Zuständigkeit im Sinne des § 45 Abs. 1 JN verneint, weil es sich nicht bloß um eine Frage der sachlichen, sondern der individuellen Zuständigkeit eines bestimmten Bezirksgerichtes handle. Dieser Rechtsansicht stehen jedoch die Entscheidungen EvBl. 1954/99 und kürzlich 7 Ob 571/78 entgegen, denen der erkennende Senat folgt:
Auszugehen ist davon, daß es für die Bindung nach § 45 Abs. 1 JN genügt, wenn der Gerichtshof erster Instanz seine Zuständigkeit auch 562; EvBl. 1975/297 u. v. a.), und daß der Sinn dieser Anfechtungsbeschränkung darin liegt, den Verlust bereits geschehenen Prozeßaufwandes zu vermeiden, wenn durch die Befassung des Gerichtshofes erster Instanz statt eines Bezirksgerichtes ein berücksichtigungswürdiges Interesse der Parteien nicht verletzt sein kann (EvBl. 1975/297 u. v. a.). Richtig ist nun allerdings, daß § 77 Abs. 2 JN für Erbteilungssachen einen sogenannten individuellen Gerichtsstand bestimmt, indem es solche Rechtssachen vor ein bestimmtes Bezirksgericht verweist, nämlich vor das Verlassenschaftsgericht und damit im Ergebnis vor das Bezirksgericht des allgemeinen Gerichtsstandes des Erblassers (§ 105 JN). So wird die sachliche und die örtliche Zuständigkeit in einem geregelt (Faschin I, 283). Daraus folgt aber keineswegs zwingend, daß die Heilung im Umfang der sachlichen Unzuständigkeit durch die Anerkennung der eigenen Zuständigkeit des Gerichtshofes erster Instanz (§ 45 Abs. 1 JN) ausgeschlossen sei. Der Restinhalt der insgesamt individuellen Zuständigkeit betrifft ja bloß die örtliche Zuständigkeit, worüber nach § 104 Abs. 1 JN eine Vereinbarung der Parteien ohne weiteres zulässig wäre. Dieser Anhang kann also keine entscheidende Rolle spielen. Das tritt besonders in einem Falle wie dem vorliegenden zutage, wo die Klage ohnehin bei einem Gericht am früheren Wohnsitz des Erblassers erhoben wurde und eine Unzuständigkeit in örtlicher Hinsicht damit nicht in Betracht kommt. Bei einer solchen Sachlage fällt die entscheidende Bedeutung dem bereits oben dargestellten grundsätzlichen Sinn der Bestimmung des § 45 Abs. 1 JN zu, den Verlust bereits geschehenen Prozeßaufwandes zu vermeiden, weil ein berücksichtigungswürdiges Parteiinteresse nicht verletzt sein kann. Das Ergebnis der Heilung der Unzuständigkeit ist auch nicht etwa wegen Unzulässigkeit einer Prorogation zum Gerichtshof unvertretbar. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes hält Fasching gerade eine solche Prorogation bei einem Streitwert über die Wertgrenze für möglich (I, 410; vgl. auch Pollak ZPR[2], 338). Eine nähere Prüfung dieser Frage kann aber schon deshalb unterbleiben, weil § 45 Abs. 1 JN ohne Rücksicht auf eine Prorogierbarkeit der Rechtssache zu dem seine Zuständigkeit anerkennenden Gerichtshof anzuwenden (Fasching I, 284; 4 Ob 543/73).
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