OGH 1Ob63/01y

OGH1Ob63/01y26.6.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache der Betroffenen Gabriele G*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 30. Jänner 2001, GZ 2 R 324/00x, 325/00v-24, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichts Leoben vom 4. Mai 2000, GZ 1 P 127/99a-15, und vom 15. Mai 2000, GZ 1 P 127/99a-16, bestätigt wurden, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Mit Amtsvermerk vom 21. Oktober 1999 hielt der Pflegschaftsrichter fest, dass gegen die nunmehrige Betroffene, eine 25jährige Studentin der Rechtswissenschaften, am 4. Oktober 1999 ein Versäumungsurteil ergangen sei, und verfügte daraufhin die Eröffnung eines SW-Akts für die Betroffene und die Beischaffung einer Kopie des Gutachtens einer näher bezeichneten Sachverständigen. In diesem, in der Sachwalterschaftssache der Mutter der Betroffenen, einer vormaligen Rechtsanwältin für die ein Sachwalter bestellt ist, erstatteten Gutachten findet sich folgender Passus: "... Die Tochter [hier Betroffene] ist auch extrem psychotisch. Beide dürften jegliche Realitätsbeziehung verloren haben. Aus diesem Grund kann man auch nicht abschätzen, welche Handlungen die beiden Personen setzen werden. Die beiden können Gefahrensituationen nicht abschätzen, daher kann man nicht sagen, was passieren wird." Dass die hier Betroffene von der Sachverständigen begutachtet worden wäre, ist dem Akt nicht zu entnehmen, abgesehen von einem referierten Auftritt beim Versuch der Sachverständigen, mit der Mutter der hier Betroffenen einen Kontakt herzustellen.

Die Betroffene wird in einem bezirksgerichtlichen Verfahren wegen Mietzinszahlung von 25.000 S sA und Räumung ihrer Einzimmerwohnung in Graz als Beklagte belangt. Gegen das klagestattgebende Versäumungsurteil vom 4. Oktober 1999 erhob sie, vertreten durch ihre Mutter, Widerspruch. Der Schriftsatz weist keine Rechtsanwaltsstampiglie auf, eine schriftliche Vollmacht wurde nicht vorgelegt, eine einstweilige Zulassung gemäß § 38 ZPO nicht begehrt. Die Richterin dieses Zivilprozesses setzte in sinngemäßer Anwendung des § 6a ZPO das Verfahren mit Beschluss vom 10. November 1999 bis zur Entscheidung des Bezirksgerichts Leoben als für die Beklagte zuständiges Pflegschaftsgericht, ob ein (einstweiliger) Sachwalter für die Beklagte bestellt oder sonst eine entsprechende Maßnahme gesetzt wird, aus. Denn gegen die Beklagte sei ein Sachwalterschaftsverfahren eingeleitet, für ihre Mutter ein Sachwalter für dringende Angelegenheiten sowie als einstweiliger Sachwalter und für die Anwaltskanzlei (der Mutter der Betroffenen) ein Rechtsanwalt rechtskräftig zum besonderen Sachwalter bestellt worden. Diese Umstände indizierten Zweifel an der Prozessfähigkeit der Beklagten (hier: Betroffenen), inbesondere auch deren Fähigkeit, die Tragweite des Prozessführungsauftrags an ihre offenbar zur Prozessführung ausersehene Vertreterin zu erkennen.

Mit Amtsvermerk vom 25. November 1999 hielt der zuständige Pflegschaftsrichter fest, an diesem Tag die Erstanhörung der Betroffenen an deren Wohnsitzadresse in Leoben versucht zu haben. Sämtliche Garteneingangstüren seien jedoch mit Fahrradschlössern abgeschlossen gewesen. Vor dem Objekt befinde sich am Gehsteig Müll jeder Art, sodass das Passieren des Gehsteigs im Bereich (des Wohnhauses) unmöglich sei. Im Zusammenhang mit dem Sachwalterschaftsverfahren betreffend die Mutter der Betroffenen sei mehrmals ein persönlicher Kontakt mit der Betroffenen erfolgt. Diese habe jedenfalls den Eindruck hinterlassen, nicht in der Lage zu sein, ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, sodass die Einleitung eines Sachwalterschaftsverfahrens geboten sei.

Nachdem die Ablehnung des Pflegschaftsrichters durch die Betroffene mit Beschluss vom 28. April 2000 abgewiesen worden war, hat dieser für die Betroffene mit zwei Beschlüssen eine Rechtsanwältin zum "einstweiligen Sachwalter" bestellt: 1.) mit Beschluss ON 15 für die Vertretung der Betroffenen in dem genannten bezirksgerichtlichen Verfahren als "dringende Angelegenheit" nach § 238 Abs 2 AußStrG und 2.) mit Beschluss ON 16 zum einstweiligen Sachwalter für das Sachwalterschaftsverfahren, somit als Verfahrenssachwalter. Begründet wurde dies jeweils damit, dass die Betroffene nach dem Ergebnis der Erstanhörung vom 25. November 1999 - erkennbar ist damit der Ablehnungsschriftsatz der Betroffenen gemeint - nicht in der Lage sei, alle ihre Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen.

Die zweite Instanz bestätigte in einem Beschluss die beiden - "gerade noch hinreichend begründeten" - erstinstanzlichen Beschlüsse und erachtete den ordentlichen Revisionsrekurs als nicht zulässig.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Betroffenen ist teils verspätet, teils nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

§ 238 AußStrG sieht die Bestellung eines "einstweiligen Sachwalters" in zwei Fällen vor: Nach Abs 1 ist für den Betroffenen, wenn er keinen gesetzlichen oder selbst (wirksam) gewählten Vertreter hat, ein einstweiliger Sachwalter für das Sachwalterbestellungsverfahren zu bestellen (Verfahrenssachwalter), wodurch der Betroffene in seinen Rechtshandlungen nicht beschränkt wird. Eine solche Bestellung nahm der Erstrichter mit seinem Beschluss ON 16 vor. Nach § 238 Abs 2 AußStrG hat das Gericht dem Betroffenen, wenn es sein Wohl erfordert, zur Besorgung sonstiger dringender Angelegenheiten für die Dauer des Verfahrens gleichfalls einen einstweiligen Sachwalter zu bestellen. Diese - sofort wirksame - Bestellung schränkt die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen im Wirkungskreis des einstweiligen Sachwalters ein (EvBl 1991/34 = EFSlg 63.056 u.a.). Eine solche Bestellung nahm das Erstgericht mit seinem Beschluss ON 15 für den Prozess vor, in dem die Beklagte wegen Zahlung von 25.000 S und Räumung belangt worden war.

a) Der zweitinstanzliche Beschluss wurde nach dem Inhalt des maßgeblichen Rückscheins der Betroffenen am Mittwoch, dem 7. Februar 2001 durch Hinterlegung zugestellt und ihr Rechtsmittel erst am Donnerstag, dem 22. Februar 2001, somit nach Ablauf der 14tägigen Rechtsmittelfrist (§ 11 Abs 1 AußStrG), zur Post gegeben. Gemäß § 11 Abs 2 AußStrG kann auf verspätete Rekurse Rücksicht genommen werden, wenn sich die Verfügung noch ohne Nachteil eines Dritten abändern lässt. Der Oberste Gerichtshof vertritt zur Bestellung eines Sachwalters nach § 236 AußStrG die Auffassung, dass mit der Bestellung weder dem Betroffenen (seine Rechtsstellung wird durch die Sachwalterbestellung eingeschränkt) noch Dritten Rechte erwachsen, jedoch sei aus der im § 247 AußStrG angeordneten Rechtskraftwirkung abzuleiten, dass die Bestellung eines Sachwalters nicht mit einem verspäteten Rechtsmittel angefochten werden könne (1 Ob 607/87 = SZ 60/103 = ÖA 1988, 48; 4 Ob 575/89 = RZ 1990/50; 1 Ob 196/99a, je mwN u.v.a.; RIS-Justiz RS00071379; Gamerith, Drei Jahre Sachwalterrecht, in NZ 1988, 61 ff [70]). Diesen Entscheidungen lag der Gedanke zugrunde, dass mit der Bestellung des endgültigen Sachwalters weitreichende Rechtsfolgen im privaten und öffentlichen Recht verknüpft sind. Es könne nicht angenommen werden, der Gesetzgeber des SachwG habe in Kauf nehmen wollen, dass die Bestellung eines Sachwalters aufgrund eines verspäteten Rechtsmittels und damit praktisch ohne zeitliche Begrenzung (rückwirkend) beseitigt werden könne. Mit dem Hinweis auf den Eintritt der Rechtskraft in § 247 AußStrG sei vielmehr eine klare Bestimmung über das Wirksamwerden des Sachwalterbestellungsbeschlusses geschaffen worden, der Gesetzesabsicht die Anwendbarkeit des § 11 Abs 2 AußStrG zuwiderliefe.

Nur wenn - anders als hier - kein einstweiliger Sachwalter bestellt wurde, treten die Beschränkungen der Geschäftsfähigkeit erst mit Rechtskraft der Entscheidung über die Bestellung des (endgültigen) Sachwalters ein (SZ 58/113). Da auch die Bestellung des einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 2 AußStrG die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen einschränkt, müssen die aus § 247 AußStrG abgeleiteten Wertungen, im Besonderen, dass Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen rückwirkend beseitigt werden könnten, auch hier gelten. Daher kann auch ein Beschluss, mit dem ein einstweiliger Sachwalter nach § 238 Abs 2 AußStrG bestellt wird, nicht mit einem verspäteten Rechtsmittel wirksam angefochten werden.

Soweit sich daher das Rechtsmittel gegen die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses ON 15 richtet, ist es als verspätet zurückzuweisen, weil § 11 Abs 2 AußStrG hier unanwendbar ist.

Damit ist es dem Obersten Gerichtshof versagt, inhaltlich zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verfahrenseinleitung vorlagen. Festzuhalten bleibt, dass nach dem Gesetz als einzige materiellrechtliche Voraussetzung begründete Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Maßnahme nach § 273 ABGB vorliegen müssen. Die bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist für die Einleitung des Verfahrens nicht hinreichend; die Anhaltspunkte müssen konkret und begründet sein; sie haben sich sowohl auf die psychische Krankheit oder geistige Behinderung als auch auf die Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte, ist ein Verfahren nach § 236 AußStrG nicht einzuleiten (2 Ob 573/89; 7 Ob 598/91 = EvBl 1992/12; 3 Ob 2291/96z = SZ 69/205 u.a., zuletzt EvBl 1999/11; RIS-Justiz RS0008526).

b) Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein Sachwalter nicht im eigenen, sondern ausschließlich im Interesse des Betroffenen tätig wird und durch seine Bestellung keine eigenen Rechte erwirbt, in die eingegriffen werden könnte (SZ 60/103, RZ 1990/50 u.a.). In diesen Fällen ging es jedoch nicht um einstweilige (Verfahrens-)Sachwalter. Soweit - wie hier durch Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG - § 247 AußStrG nicht betroffen ist, muss iSd Fürsorgeprinzips § 11 Abs 2 AußStrG Anwendung finden (9 Ob 382/97k; Gamerith aaO 70). Ausgehend davon, dass der Verfahrenssachwalter nach § 238 Abs 1 AußStrG ausschließlich Interessen des Betroffenen wahrzunehmen hat, hindern Nachteile Dritter somit die Berücksichtigung des verspäteten Rechtsmittels nicht.

Soweit sich daher das Rechtsmittel gegen die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses ON 16 richtet, kann darauf ungeachtet seiner Verspätung in der Sache eingegangen werden. Allerdings werden im Rechtsmittel gegen die Bestätigung des Beschlusses ON 16 keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG angesprochen.

Insoweit die Betroffene in ihrem Rechtsmittel neuerlich Mängel und Nichtigkeit des Verfahrens erster Instanz (wegen unterlassener Erstanhörung) geltend macht, ist sie auf die insoweit unanfechtbare Rekursentscheidung zu verweisen. Im Revisionsrekursverfahren kann die vom Gericht zweiter Instanz verneinte Nichtigkeit oder Mangelhaftigkeit des Verfahrens erster Instanz nicht neuerlich geltend gemacht werden (stRspr, zuletzt wieder für das Sachwalterschaftsverfahrens EvBl 1999/11). Da die Einleitung des Sachwalterschaftsverfahren mit der Bestellung eines einstweiligen Sachwalters nach § 238 Abs 2 AußStrG rechtskräftig ist, ergibt sich schon damit die zwingende Bestellung eines Verfahrenssachwalters nach § 238 Abs 1 AußStrG, weil die Betroffene anderweitig nicht vertreten ist. Der Verfahrenssachwalter ist gemäß § 238 Abs 1 AußStrG nur zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen im Verfahren über die Sachwalterbestellung, nicht aber außerhalb des Verfahrens berufen (1 Ob 629/86; 10 Ob 60/00x = EvBl 2000/171; 8 Ob 143/00p) und beschränkt, wie bereits dargestellt, den Betroffenen nicht in seinen Rechtshandlungen.

Soweit sich daher das Rechtsmittel gegen die Bestätigung des erstinstanzlichen Beschlusses ON 16 richtet, ist es mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen iSd § 14 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

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