OGH 1Ob627/94

OGH1Ob627/9413.12.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Viktor H*****, und 2. Maria H*****, beide vertreten durch Dr.Hans Pirker, Rechtsanwalt in Irdning, wider die beklagte Partei August K*****, vertreten durch Dr.Roger Haarmann und Dr.Bärbl Haarmann, Rechtsanwälte in Liezen, wegen Feststellung des Erlöschens einer Dienstbarkeit, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgerichtes vom 15. September 1994, GZ R 562/94-12, womit aus Anlaß der Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Liezen vom 8.April 1994, GZ 2 C 1552/93-7, und das diesem vorausgegangene Verfahren als nichtig aufgehoben wurden und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Dem Berufungsgericht wird die meritorische Entscheidung über die Berufung der beklagten Partei aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung

Die Kläger begehrten die Feststellung, daß das dem Beklagten am 25.7.1972 zugunsten des (Überland-)Grundstücks 1500 einer näher bezeichneten Katastralgemeinde eingeräumte unentgeltliche Geh- und Fahrrecht über das Grundstück 1512 einer näher genannten Katastralgemeinde erloschen sei. Sie brachten dazu vor, das unentgeltliche Geh- und Fahrrecht sei dem Beklagten laut Protokoll der zuständigen Agrarbezirksbehörde vom 25.7.1972 im Zuge der Neuerrichtung einer Materialseilbahn eingeräumt worden. Im Juli 1993 sei die Seilbahnanlage abgetragen worden, so daß damit der "ausschließliche" Zweck für das Geh- und Fahrrecht weggefallen sei. Die Dienstbarkeit sei dem Beklagten als Gegenleistung für die Inanspruchnahme von dessen Grundstück zur Errichtung der Seilbahn bestellt worden. Der Beklagte stehe auf dem Standpunkt, die Servitut sei ohne jede zeitliche Begrenzung eingeräumt worden, so daß er sie auch nach wie vor auszuüben berechtigt sei.

Der Beklagte wendete ein, die Kläger hätten ihm und seinen Rechtsnachfolgern das zeitlich unbeschränkte Geh- und Fahrrecht für immerwährende Zeiten eingeräumt. Als Gegenleistung für die Bestellung der Dienstbarkeit habe sein Vater nicht nur die Zustimmung zur Errichtung einer Seilbahnanlage erteilt, sondern den Klägern auch eine etwa 20 bis 30 m2 große Grundfläche übereignet.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.

Aus Anlaß der vom Beklagten dagegen erhobenen Berufung hob das Gericht zweiter Instanz das erstgerichtliche Urteil und das diesem vorausgegangene Verfahren ab Klagszustellung als nichtig und auf und wies die Klage zurück. Es führte aus, Nichtigkeitsgründe seien bis zur formellen Rechtskraft einer Entscheidung von Amts wegen wahrzunehmen. Bei der Prüfung der Rechtswegzulässigkeit seien in erster Linie das Klagebegehren und die Klagsbehauptungen von Bedeutung; entscheidend sei die Natur des geltend gemachten Anspruchs, wie sie sich daraus ergebe. Die Kläger begehrten ausdrücklich die Feststellung, das dem Beklagten vor der Agrarbezirksbehörde eingeräumte Geh- und Fahrrecht sei seit der Abtragung der Seilbahn erloschen. Damit bezögen sie sich ausdrücklich auf ein subjektiv-öffentliches Recht, und zwar auf ein Bringungsrecht im Sinne des Steiermärkischen Güter- und Seilwege-Landesgesetzes. An der öffentlich-rechtlichen Grundlage dieses Rechts ändere sich auch dadurch nichts, daß sich die Parteien hierüber außerhalb des Verfahrens geeinigt hätten, könnten doch gemäß § 2 Abs 4 StmkGSLG ein Bringungsrecht und somit auch "Teile" davon auch durch ein Parteienübereinkommen eingeräumt werden; dieses Übereinkommen bedürfe indes zu seiner Rechtswirksamkeit der Genehmigung durch die Agrarbezirksbehörde. Diese entscheide nach § 19 Abs 2 StmkGSLG über Antrag unter Ausschluß des Rechtswegs unter anderem über Streitigkeiten, die Bestand, Inhalt, Umfang und Ausübung eines Bringungsrechts bzw Entschädigungs- oder Beitragsleistungen nach diesem Gesetz beträfen. Begehrten die Kläger die Feststellung, das dem Beklagten vor der Agrarbezirksbehörde eingeräumte unentgeltliche Geh- und Fahrrecht sei seit Abtragung der Materialseilbahn erloschen, handle es sich dabei um eine Frage, deren Entscheidung vom Gesetzgeber eindeutig der Verwaltungsbehörde übertragen worden sei. Überhaupt gehe dessen Tendenz erkennbar dahin, alle agrargemeinschaftlichen Angelegenheiten weitgehend aus der Gerichtskompetenz herauszuhalten.

Rechtliche Beurteilung

Der von den Klägern dagegen erhobene Rekurs ist ohne Rücksicht auf den Wert des Entscheidungsgegenstandes und die aufgeworfenen Rechtsfragen zulässig (vgl Kodek in Rechberger, ZPO § 519 Rz 3), er ist aber auch berechtigt.

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs sind in erster Linie das Klagebegehren und darüber hinaus die Klagsbehauptungen von Bedeutung; auf die Einwendung des Beklagten ist erst in der Sachentscheidung Bedacht zu nehmen. Dabei hängt die Rechtswegzulässigkeit davon ab, ob der Kläger seinen Anspruch auf einen Privatrechtstitel stützt (JBl 1994, 422 uva). Ausnahmen von diesem Grundsatz müssen in den solches bezweckenden Gesetzen klar und unzweideutig zum Ausdruck gebracht werden (JBl 1994, 422; SZ 59/107 ua); die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden darf in bürgerlichen Rechtssachen mit Rücksicht auf § 1 JN schon dann nicht angenommen werden, wenn sie sich nur bei ausdehnender Auslegung des Gesetzes rechtfertigen ließe (JBl 1994, 422; JBl 1990, 450 ua).

Die Kläger gründen ihr Begehren ganz eindeutig auf eine im von der Agrarbezirksbehörde am 25.7.1972 aufgenommenen Verhandlungsprotokoll erwähnte, danach aber schon vorher zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung, nach der die Kläger dem Beklagten als Gegenleistung für die Inanspruchnahme von dessen Grundflächen durch die Seilbahn das umstrittene Geh- und Fahrrecht einräumten. Gegenstand des Klagebegehrens und damit auch des darüber abzuführenden Verfahrens ist demnach nicht - wie das Gericht zweiter Instanz meint - der Umfang des Bringungsrechts, sondern allein die Frage, ob die Streitteile der Dienstbarkeitsbestellung eine zeitliche Begrenzung auf die Dauer der Grundinanspruchnahme durch die Seilbahnanlage unterstellt oder die Kläger dem Beklagten die als Gegenleistung eingeräumte Servitut auf unbegrenzte Dauer bestellt haben. Ein solcher Rechtsstreit hat nicht Bestand, Inhalt, Umfang bzw Ausübung eines Bringungsrechts (§ 19 Abs 2 Z 1 StmkGSLG), aber auch nicht Entschädigungs- oder Beitragsleistungen (§ 19 Abs 2 Z 2 dieses Gesetzes) zum Gegenstand, hat doch im vorliegenden Fall, da über die Art der Entschädigung zwischen den Streitteilen ein "Parteiübereinkommen" zustande kam, nicht die Agrarbezirksbehörde die Entschädigung autoritativ festgesetzt. Die Kläger berufen sich zur Dartuung ihres Klagebegehrens auch nicht auf den in § 5 Abs 1 GSGG bzw § 7 StmkGSLG dem Eigentümer der in Anspruch genommenen Grundfläche eingeräumten Entschädigungsanspruch, dessen Verfolgung im ordentlichen Rechtsweg ausgeschlossen wäre (§ 13 Z 2 GSGG bzw § 19 Abs 2 Z 2 StmkGSLG), sondern sie stützen ihr Begehren auf eine zwischen den Streitteilen privatautonom getroffenen Vereinbarung, also einen privatrechtlichen Rechtstitel, so daß über daraus abgeleitete Ansprüche die ordentlichen Gerichte zu befinden haben (vgl SZ 34/183 zu der mit § 5 Abs 1 GSGG inhaltlich übereinstimmenden, dieser Vorschrift vorangegangenen Bestimmung des § 6 GSGG 1951).

Im übrigen hat der erkennende Senat bereits in JBl 1994, 422 ausgesprochen, daß der Kompetenztatbestand "Bodenreform" (Art 12 Abs 1 Z 3 B-VG), zu dem auch das landwirtschaftliche Bringungswesen zu rechnen ist (VfSlg 1390/1931; 4897/1964), zwar nach der Versteinerungstheorie auch die damit notwendigerweise verknüpften zivilrechtlichen Fragen umfaßt (VfSlg 5741/1968; 8151/1977), daß aber unter diesem Begriff nur Vorkehrungen auf dem Gebiet der Landeskultur zu verstehen sind (VfSlg 3504/1959 ua). Die Übertragung zivilrechtlicher Belange in die Ausführungsgesetzgebungs- und Vollziehungskompetenz der Länder außerhalb des Bereichs der Bodenreform (vor allem auch die Übertragung der Zuständigkeit zur Entscheidung an die Agrarbehörden durch § 13 GSGG bzw § 19 StmkGSLG) wäre dann insoweit ein Verstoß gegen die ausschließliche Bundeskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG. Eine verfassungskonform enge Auslegung dieser der Bodenreform zuzurechnenden Bestimmungen des landwirtschaftlichen Bringungsrechts gebietet es daher, Rechtsstreitigkeiten wie das vorliegende Verfahren, die ausschließlich die Auslegung und Tragweite von Vereinbarungen über die Abfindung des Eigentümers der in Anspruch genommenen Grundflächen zum Gegenstand haben, von der Sonderkompetenz nach § 13 GSGG bzw § 19 StmkGSLG auszunehmen.

Das Erstgericht hat daher zu Recht über das Klagebegehren sachlich abgesprochen; das Berufungsgericht wird somit über die vom Beklagten dagegen ergriffene Berufung meritorisch zu befinden haben, ohne sich auf den ins Treffen geführten Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 6 ZPO zurückzuziehen.

Der Ausspruch über den Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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