Spruch:
Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Text
Entscheidungsgründe:
Die am 11.6.1951 geborene Klägerin ist verheiratet und Mutter eines am 24.11.1978 geborenen Kindes. Anfang 1981 entschlossen sich die Klägerin und ihr Ehegatte zu einem weiteren Kind. Die Klägerin begab sich deshalb zu ihrem Frauenarzt, der bei der Untersuchung im linken Eierstock eine Zyste feststellte und zur operativen Entfernung derselben riet. Sie wurde deshalb am 3.2.1981 in die Krankenanstalt Rudolfstiftung aufgenommen und dort vom Beklagten, dem Vorstand der gynäkologischen Abteilung, untersucht. Er ordnete, ohne mit der Klägerin wegen der Folgen Rücksprachen zu pflegen, die vaginale Operation der Zyste durch Entfernung der Gebärmutter und des einen Eierstocks an. Die vaginale Hysterektomie (= Entfernung der Gebärmutter von der Scheide her) wurde schon am nächsten Tag durchgeführt und verlief komplikationslos. Infolge der Entfernung der Gebärmutter kann die Klägerin keine Kinder mehr bekommen. Bei ihr ist eine schwere psychische Schädigung eingetreten. Dem Beklagten standen grundsätzlich zwei Operationsmethoden zur Auswahl. Der von ihm gewählte vaginale Eingriff nötigt zur Entfernung der Gebärmutter. Die andere Methode ist der Bauchquerschnitt, dessen Vorteil darin liegt, daß die Eierstockzyste bzw. der gesamte Eierstock beseitigt werden kann, ohne daß auch die Gebärmutter entfernt werden müßte. Die letztere Methode läßt eindeutig und vor allem rechtzeitig erkennen, ob die zu beseitigende Geschwulst dem Eierstock oder (auch) der Gebärmutter zuzurechnen ist. Selbst wenn sich die falsche Diagnose - ein Myom - als richtig erwiesen hätte, hätte man - um den Wunsch der Klägerin nach weiteren Kindern zu entsprechen - das Myom lediglich ausschälen können. Eine solche Differenzierung läßt die vaginale Methode nicht zu. Die Klägerin begehrt vom Beklagten ein Schmerzengeld von 500.000,-- S. Der Eingriff sei gegen ihren Willen und ohne entsprechende Aufklärung ausgeführt worden, weshalb der Beklagte für die Folgen dieser Operation einstehen müsse. Das Bewußtsein, keine Kinder mehr empfangen zu können, habe bei ihr eine tiefgreifende seelische Zerrüttung herbeigeführt. Das Eheleben sei gestört, zumal sich ihr Ehegatte eine Frau mit drei Kindern vorgestellt habe. Es träten auch sexuelle Probleme auf. Wegen des Wunsches nach weiteren Kindern hätte sie dem Eingriff nie zugestimmt. Der Beklagte habe ihr auch das Versehen eingestanden.
Der Beklagte wendete vor allem ein, das Begehren sei weit überhöht.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Durch die Anordnung des Eingriffs ohne ihre Zustimmung habe der Beklagte der Klägerin rechtswidrig Verletzungen zugefügt und in ihre Persönlichkeitsrechte eingegriffen. Der begehrte Schmerzengeldbetrag sei angesichts des Persönlichkeitsverlusts und der damit verbundenen physischen und psychischen Schmerzen angemessen.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil lediglich im Zuspruch von 300.000,-- S, wies das Mehrbegehren von 200.000,-- S ab und ließ die Revision zu. Es bejahte die Schadenersatzpflicht des Beklagten und führte zur Höhe des Schmerzengeldes aus, es stehe fest, daß die Klägerin infolge der medizinisch nicht indizierten Operation die Fähigkeit, Kinder zu gebären, verloren habe, der Wunsch der Eheleute nach zumindest einem weiteren Kind damit unerfüllbar bleibe und die Klägerin durch diesen Eingriff in ihre Persönlichkeit eine schwere psychische Schädigung erlitten habe. Es sei klar, daß die Entfernung der Gebärmutter und die damit verbundene seelische Beeinträchtigung der Klägerin vor allem Auswirkungen auf den sehr sensiblen sexuellen Bereich der erst 30jährigen habe. Im Vordergrund der Schmerzengeldbemessung stünden nicht die körperlichen Schmerzen, sondern stehe der Persönlichkeitsverlust, weil die Operationsschmerzen bei einer andersartigen operativen Entfernung der Eierstockzyste nicht geringer gewesen wären. Bei Vergleich mit anderen Fällen (zB Amputation beider Beine, Verlust eines Beines bei mehrfachen Operationen und qualvollen Schmerzen oder Schädelverletzungen mit Dauerfolgen) sei das Begehren erheblich überhöht; angemessen sei vielmehr ein Betrag von 300.000,-- S.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen beider Parteien sind nicht berechtigt. Vorauszuschicken ist, daß das Berufungsgericht trotz der abändernden Entscheidung über einen Streitgegenstand, der an Geld 300.000,-- S übersteigt, entschieden hat (Begehren auf Zahlung von 500.000,-- S) und deshalb keinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision gemäß § 502 Abs 4 Z 1 ZPO seiner Entscheidung beizufügen hatte (§§ 502 Abs 4 Z 2, 500 Abs 3 ZPO). Dieser Ausspruch ist deshalb unbeachtlich, so daß die Parteien in ihrem Anfechtungsrecht nicht beschränkt sind.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur mehr die Schmerzengeldbemessung. Die Klägerin strebt die Wiederherstellung des Ersturteils an, der Beklagte verlangt die Herabsetzung des Schmerzengeldbetrags auf 50.000,-- S. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, daß nach der besonderen Lage des Falles bei der Schmerzengeldbemessung die seelische Komponente im Vordergrund steht, weil die mit dem operativen Eingriff verbundenen körperlichen Schmerzen kaum geringer gewesen wären, wäre die Eierstockzyste ohne gleichzeitige Entfernung der Gebärmutter operativ beseitigt worden, was jedenfalls medizinisch indiziert war. Bemessungskriterium ist demnach im wesentlichen die psychische Beeinträchtigung der Klägerin, die sich in ärztlicher Behandlung begeben hat, um ein Kind zu bekommen, und danach feststellen mußte, daß sie wegen des operativen Eingriffs keine Kinder mehr bekommen kann. Es kann deshalb keine Frage sein, daß diese Erkenntnis die erst 30jährige Klägerin schwer treffen und bei ihr einen schweren Minderwertigkeitskomplex mit all seinen Folgen auslösen mußte. Auch solche drückenden Unlustgefühle sind wie körperliche Schmerzen durch ein angemessenes Schmerzengeld (§ 1325 ABGB) abzugelten (Reischauer in Rummel, Rdz 44 zu § 1325 ABGB mwN aus der Rechtsprechung; Piegler in Jarosch-Müller-Piegler, Das Schmerzengeld 4 136 f), das Genugtuung für alles Ungemach ist, welches der Verletzte im ideellen Bereich erdulden mußte bzw. auch weiterhin erdulden muß (vgl. ZVR 1982/392 uva).
Für das Ausmaß des Genugtuungsanspruches bilden naturgemäß die Dauer und die Intensität des erlittenen Ungemachs einen bestimmten Faktor. Die psychophysische Situation des Verletzten, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite im seelischen Bereich sind jedoch gleichfalls bei der Bemessung dieses Anspruchs zu berücksichtigen. Vor allem ist bei der Ausmessung des Schmerzengeldes zu beachten, daß die damit gewährte Genugtuung dem Verletzten nicht nur einen Ausgleich für die beeinträchtigte Lebensfreude - im vorliegenden Fall vor allem für das niederdrückende Bewußtsein, sich jeden weiteren Kinderwunsch versagen zu müssen - bringen, sondern ihm auch das Gefühl der Minderwertigkeit nehmen und so das gestörte Gleichgewicht in seiner Persönlichkeit wieder herstellen soll (vgl. SZ 48/69; Strasser, Der immaterielle Schaden im österreichischen Recht, 21 f; Bydlinski in JBl 1965, 254). Eine besondere Sensibilität, von der darauf geschlossen werden müßte, daß sie die mit den Eingriffsfolgen verbundenen Unlustgefühle mehr als andere Frauen ihres Alters treffen, hat die Klägerin nicht behauptet. Zieht man die vom Berufungsgericht ins Treffen geführten Fälle der Schmerzengeldbemessung zur Beurteilung des von der Klägerin erlittenen Ungemachs und der ihr deshalb zu gewährenden Genugtuung vergleichsweise heran, erscheint der vom Gericht zweiter Instanz zugebilligte Schmerzengeldbetrag angemessen; der mit dem Eingriff verbundene Persönlichkeitsverlust muß die Klägerin zwar überaus schwer getroffen haben, doch darf nicht übersehen werden, daß sie bereits ein Kind hat und die Verletzten in den Vergleichsfällen außerdem noch schwerste körperliche Schmerzen erdulden mußten. Die Entscheidung über die Aufhebung der Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 43 Abs 1 und 2, 50 ZPO.
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