Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß den §§ 78 und 402 Abs 4 EO iVm § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung
Mit rechtskräftiger einstweiliger Verfügung vom 21. Oktober 2005 wurde dem Gegner der gefährdeten Partei aufgrund eines Vorfalls vom 4. Oktober 2005 gemäß § 382b Abs 1 EO (idF vor dem 2. Gewaltschutzgesetz, BGBl I 2009/40) verboten, in die Ehewohnung und deren unmittelbare Umgebung zurückzukehren. Diese einstweilige Verfügung wurde für die Zeit bis zum rechtskräftigen Abschluss eines innerhalb von drei Monaten einzuleitenden Scheidungsverfahrens sowie eines gegebenenfalls daran anschließenden, innerhalb von drei Monaten beantragten Aufteilungsverfahrens erlassen. Die Ehe ist mittlerweile aus dem Alleinverschulden des Mannes rechtskräftig geschieden. Das Aufteilungsverfahren ist noch anhängig.
Der Gegner der gefährdeten Partei brachte in seinem Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung im Wesentlichen vor, er habe anlässlich des Vorfalls vom 4. Oktober 2005 seine damalige Ehefrau nicht gefährdet; diese habe Gewaltanwendung nur vorgetäuscht, um in den Besitz der Ehewohnung zu gelangen. Sie sei gewalttätig und aggressiv; so habe sie das gemeinsame Kind misshandelt und im September 2008 den Kinderbeistand "gestalkt“. Er selbst neige hingegen nicht zu Aggressionshandlungen, was durch ein wissenschaftliches Gutachten bestätigt werde.
Die Vorinstanzen wiesen den Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung ohne Durchführung einer mündlichen Parteieneinvernahme ab.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen gerichtete außerordentliche Revisionsrekurs ist unzulässig.
1. Nach von der Lehre überwiegend gebilligter ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung setzt die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 399 Abs 1 Z 2 EO den Wegfall des Sicherungsbedürfnisses infolge nachträglich geänderter Verhältnisse voraus; eine bloße Änderung der Beweislage ist kein Aufhebungsgrund (RIS-Justiz RS0111932; RS0088263; König, Einstweilige Verfügungen im Zivilverfahren3, Rz 8/17; G. Kodek in Burgstaller/Deixler-Hübner, EO, § 399 Rz 2, 14 und 15; Kodek in Angst, EO2, § 399 Rz 2; gegenteilig Zechner, Sicherungsexekution und EV, Rz 5 zu § 399 EO). Mit seinem Einwand der Änderung der Beweislage macht der Gegner der gefährdeten Partei nur geltend, dass die einstweilige Verfügung schon zu Unrecht bewilligt worden sei; das kann aber nur mit Rekurs oder Widerspruch aufgegriffen werden (RIS-Justiz RS0005594). Die analoge Anwendung der Vorschriften der ZPO über die Wiederaufnahmsklage ist im Provisorialverfahren nicht vorgesehen (RIS-Justiz RS0048251).
Soweit das Rekursgericht das Vorbringen des Gegners der gefährdeten Partei dahin verstand, es lasse sich daraus nicht die Behauptung ableiten, die Gefährdungslage habe sich nachträglich geändert, ist dies unbedenklich. Ob nach dem Inhalt von Prozessbehauptungen Tatsachen als vorgebracht anzusehen sind, aus denen sich der Wegfall oder die Verminderung der Gefährdung ableiten lässt, oder ob bloß eine Änderung der Beweislage behauptet wird, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042828). Die erstmalig im Rekurs aufgestellte Behauptung, seit seiner Wegweisung habe sich der Gegner der gefährdeten Partei dieser gegenüber in keiner Weise aggressiv oder feindselig verhalten, erachtete das Rekursgericht als unzulässige Neuerung. Dem setzt der Antragsteller im Revisionsrekurs nichts entgegen, außer dass er diese Behauptung wiederholt und konkretisiert.
2. In seiner Entscheidung vom 15. 10. 2009, 17056/06 (Micallef gegen Malta) erachtete der EGMR erstmals Art 6 EMRK auch im Provisorialverfahren für anwendbar, sofern eine Entscheidung über "civil rights“ vorliegt. Ist Verfahrensgegenstand eine einstweilige Verfügung nach § 382b EO, ist letztere Voraussetzung erfüllt (G. Kodek, Einstweilige Verfügungen im Familienrecht und Art 6 EMRK - Überlegungen aus Anlass der Entscheidung Micallef gegen Malta, EF-Z 2010/35). Ob ein Verstoß gegen Art 6 EMRK darin liegt, dass der Antragsteller nicht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einvernommen wurde, kann im vorliegenden Fall aber dahingestellt bleiben. Die Anforderungen des Art 6 EMRK können nämlich trotz Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung erfüllt sein, sofern das Gericht bei unstrittigem Sachverhalt ausschließlich Rechtsfragen oder in hohem Maß technische Fragen zu klären hat (EGMR 5. 9. 2002, 42.057/98 [Speil/Österreich] = MRK ÖJZ 2003/5, 117). Die Vorinstanzen hatten lediglich die Rechtsfrage zu lösen, ob sich aus dem Vorbringen Aufhebungsgründe iSd § 399 Abs 1 Z 2 EO ableiten ließen. Da sie diese Frage verneinten, erübrigte sich die Aufnahme von Bescheinigungsmitteln, sodass die Anforderungen der Konvention trotz Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung erfüllt sind. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.
3. Soweit der Revisionsrekurswerber auf die nun mehr als vierjährige Geltungsdauer der einstweiligen Verfügung hinweist, ist ihm entgegenzuhalten, dass er in seinem gegen die Erlassung der einstweiligen Verfügung gerichteten Rekurs den Ausspruch über die Geltungsdauer unbekämpft ließ und sein 2006 gestellter (erster) Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung erfolglos geblieben ist.
Da eine Rechtsfrage von der Qualität des § 528 Abs 1 ZPO nicht aufgezeigt wird, ist der Revisionsrekurs als unzulässig zurückzuweisen.
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