Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Antrag auf Zuspruch von Rechtsmittelkosten wird abgewiesen.
Text
Begründung
Csenge T***** und Koppany T***** entstammen der am 16.10.1981 in Budapest geschlossenen Ehe des Szalbolcs T***** mit Yvette G*****. Diese Ehe wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 16.10.1990, 9 Sch 93/90-5, einvernehmlich rechtskräftig geschieden. Im Scheidungsvergleich vom selben Tag wurde vereinbart, daß die Obsorge dem Vater zustehe. Beigefügt wurde, daß sich die Kinder derzeit bei den mütterlichen Großeltern in Budapest befinden. Dieser Vergleichspunkt wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 13.3.1991, 9 Nc 425/89, pflegschaftsbehördlich genehmigt. Ein Antrag der Mutter vom 21.5.1991, ihr die Obsorge für die beiden Kinder zu übertragen, wurde mit Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 28.5.1991, 9 Nc 425/89, 9 P 116/89-12, rechtskräftig zurückgewiesen. Die Kinder seien ungarische Staatsbürger, sie befänden sich seit Sommer 1989 bei den mütterlichen Großeltern in Budapest, die österreichische Gerichtsbarkeit sei nicht mehr gegeben.
Mit Beschlüssen des Rates des XIII.Stadtbezirkes der Hauptstadt Budapest betreffend die vorläufige Übertragung des Sorgerechtes für die mj. Csenge T***** und Bestellung eines Vormundes vom 23.4.1990 Nr.1418/9/1990 und für den mj. Koppany T***** vom 24.4.1990 Nr.III-1418/8/1990, wurde bis zur Rechtskraft des in dem beim zentralen Stadtbezirksgericht Pest wegen der Übertragung des Sorgerechtes auf eine dritte Person anhängigen Prozesses das Sorgerecht auf die mütterliche Großmutter Ilona G***** vorläufig übertragen; sie wurde gleichzeitig zum Vormund der Kinder bestellt. Weiters wurde festgestellt, daß das elterliche Aufsichtsrecht ruhe. Gestützt wurden die Beschlüsse unter anderem auf die Bestimmungen der §§ 70, 76 Abs.1, 91 Abs.2, 92/A Abs.1 Punkt d, 93, 94 Abs.1, 96 Abs.2 Punkt a, 99 Abs.1 und 101 bis 104 des ungarischen Familiengesetzes. Diese Entscheidungen wurden über Berufung der Eltern mit Beschluß des Exekutivkomitees des Rates der Hauptstadt Budapest vom 17.7.1990, Nr.8154/5/1990, bestätigt. Ausgesprochen wurde, daß gegen diesen Beschluß keine weitere Berufung zulässig sei. Gegen diesen Beschluß könne innerhalb von 30 Tagen nach der Übernahme eine Klageschrift beim zentralen Stadtbezirksgericht Pest unterbreitet werden. Ein Verfahren betreffend das endgültige Sorgerecht für die beiden Kinder ist in Ungarn anhängig.
Gegen den Willen der mütterlichen Großmutter wurden die Kinder von der Mutter am 22.6.1991 nach Österreich verbracht. Sie befinden sich derzeit bei dem in zweiter Ehe mit einer Koreanerin verheirateten Vater.
Das Justizministerium Budapest übermittelte am 2.9.1991 gemäß Art.6 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (BGBl.1988/512) - im folgenden:
Übereinkommen - einen Antrag der mütterlichen Großmutter auf Rückgabe der Kinder. Der Beitritt Ungarns zum Übereinkommen wurde von Österreich gemäß Art.38 Abs.4 angenommen (BGBl.1990/626). Dieser Antrag wurde vom Bundesministerium für Justiz am 13.9.1991 an das Erstgericht weitergeleitet.
Das Erstgericht wies den Antrag ab. Da beide Minderjährigen in Wien erfolgreich die Schule besuchten und es durchaus möglich sei, daß auch vom ungarischen Gericht das Sorgerecht dem Vater zugesprochen werde, würde es die beiden Kinder in eine unzumutbare Lage bringen, wenn sie nunmehr die gewohnte Umgebung verließen und dann allenfalls nach kurzer Zeit wieder hierher zurückzukehren.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der mütterlichen Großmutter Folge. Es änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß es anordnete, beide Kinder seien sofort der mütterlichen Großmutter zurückzugeben. Diese werde ermächtigt, die Kinder aus Österreich abzuholen. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte es für zulässig. Die vorläufige ungarische Obsorgeentscheidung sei jedenfalls wirksam, sodaß die Erfordernisse des Art.3 des Übereinkommens erfüllt seien. Die Verbringung der Kinder von Budapest nach Wien sei weit weniger als ein Jahr vor Antragstellung erfolgt, sodaß nach Art.12 des Übereinkommens grundsätzlich die sofortige Rückgabe anzuordnen sei. Das Rückgabehindernis nach Art.13 lit.b müsse von der sich widersetzenden Person behauptet und nachgewiesen werden. Behauptungen und Beweisanträge in dieser Richtung seien nicht gestellt worden, der Vater sei nur bemüht gewesen, gegen seine Erziehungsmethoden vorgebrachte Vorwürfe zu bestreiten. Das Erstgericht habe somit, da amtswegiges Vorgehen zur Prüfung allfälliger Gründe nach Art.13 des Übereinkommens nicht vorgesehen sei, weder Erhebungen in dieser Richtung zu führen noch Feststellungen zu treffen gehabt. Im Rekurs sei zwar nicht die Abänderung der angefochtenen Entscheidung begehrt worden. Es entspreche jedoch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß im Verfahren außer Streitsachen bei Spruchreife dennoch eine Sachentscheidung gefällt werden könne, zumal wenn der Rechtsrüge gerade noch zu entnehmen sei, daß letztlich eine Entscheidung im Sinne der Rückführung der Kinder gewünscht werde. Damit entspreche der Rekurs den auch im Außerstreitverfahren geltenden Mindesterfordernissen.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt. Ziel des Übereinkommens ist unter anderem die Sicherstellung der sofortigen Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder (Art.1 lit.a). Die Vertragsstaaten wenden zur Erreichung dieses Zweckes ihr schnellstmögliches Verfahren an (Art.2). Die Rückführungsentscheidung ist daher keine Regelung der elterlichen Sorge (Art.19; 7 Ob 573/90), sondern verhilft dem geltenden Sorgerecht zur faktischen Wirksamkeit. Das Übereinkommen strebt demnach an, nach einem entformalisierten Schnellverfahren und unter weitgehender Ausblendung von Rechtsfragen die ursprünglichen Tatsachenverhältnisse wiederherzustellen (vgl. JBl.1991, 389; Mansel, NJW 1990, 2176; Böhmer in RabelsZ 1982, 646). Beantragte Sachentscheidungen über Sorgerechtsanträge in dem Staat, in den das Kind verbracht wurde oder in dem es zurückgehalten wird, können den Verfahrensgang nicht beeinträchtigen. Sie dürfen vielmehr so lange nicht erfolgen, bis nicht entschieden ist, daß das Kind aufgrund des Übereinkommens nicht zurückzugeben ist (Art.16). Materielle Rechtsgrundlage für die Rückgabeanordnung bei Verletzung des Sorgerechtes im Sinne des Art.3 ist die Bestimmung des Art.12 (Mansel aaO 2177). Das Sorgerecht im Sinne des Übereinkommens umfaßt insbesondere das Recht, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen (Art.5 lit.a).
Der Rekurswerber behauptet, daß die Entscheidungen des Rates des XIII.Stadtbezirkes und des Exekutivkomitees der Hauptstadt Budapest keine Sorgerechtsentscheidungen im Sinne des Art.3 des Übereinkommens seien. Über das Sorgerecht, das im Rahmen des elterlichen Aufsichtsrechtes ausgeübt werde, sei nicht abgesprochen worden. Dem kann nicht gefolgt werden. Nach § 96 Abs.2 lit.a des ungarischen Familiengesetzes ist die Person, bei der die Vormundschaftsbehörde das Kind mit vorläufiger Wirkung untergebracht hat (§ 92 A Abs.1 lit.d des Familiengesetzes) als Vormund des Minderjährigen zu bestellen. Diesem Vormund stehen die Rechte und Pflichten eines die Aufsicht ausübenden Elternteiles zu (§ 102 des Gesetzes); im selben Umfang ruht nach § 91 Abs.1 lit.c des Gesetzes die elterliche Aufsicht, zu der, wie sich aus § 72 Abs.4 ergibt, unter anderem auch die Bestimmung des Aufenthaltsortes gehört. Auch bis zur Entscheidung des Streites über die Übertragung des Sorgerechtes getroffene vorläufige Maßnahmen (Unterbringung des Kindes durch die Vormundschaftsbehörde bei Dritten und Bestellung dieses Dritten zum Vormund) durch ungarische Behörden sind demnach gerichtliche oder behördliche Entscheidungen über das Sorgerecht im Sinn des Art.3 des Übereinkommens. Eine endgültige Entscheidung über die Übertragung des Sorgerechtes ist nach den Feststellungen des Erstgerichtes noch nicht erfolgt. Soweit im Rechtsmittel darauf hingewiesen wird, daß eine rechtskräftige Entscheidung des zuständigen Budapester Gerichtes vorläge, wonach die Kinder den Eltern herauszugeben seien, sodaß eine Widerrechtlichkeit im Sinne des Art.3 des Übereinkommens nicht gegeben sei, wird übersehen, daß die Entscheidung des hauptstädtischen Gerichtes vom 17.4.1990 damit begründet wurde, daß der Beschluß über die Bestellung der mütterlichen Großmutter zum Vormund noch nicht rechtskräftig sei, derzeit aber ein (weiteres) gerichtliches Verfahren über das endgültige Sorgerecht für die beiden Kinder in Ungarn anhängig ist.
Insbesondere wenn wie hier der Antrag auf Rückführung innerhalb eines Jahres nach der Verbringung des Kindes gestellt wurde, hat das Gericht im Zweifel auf Rückführung des Kindes zu entscheiden. Nach der eindeutigen Formulierung der Ausnahmebestimmung des Art.13 des Übereinkommens trägt die Person, die sich der Rückgabe widersetzt, die volle Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen von Rückführungshindernissen (Mansel aaO 2177; Böhmer aaO 649). Daß die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Leidens für die beiden Kinder verbunden wäre oder daß die Kinder auf andere Weise in eine unzumutbare Lage gebracht würden, behauptete der Vater nicht. Er verteidigte sich nur gegen die von der Antragstellerin erhobenen Vorwürfe gegen seine Erziehungsmethoden.
Im Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluß führte die mütterliche Großmutter aus, daß das Erstgericht irre, wenn es zu dem Schluß gekommen sei, daß ihr Sorgerecht nicht verletzt und die Kinder daher nicht zu ihr zu schicken seien. Damit hat sie aber mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, daß sie auch im Rekursverfahren eine Entscheidung im Sinne ihrer Anträge wünschte. Im außerstreitigen Rekursverfahren genügt es im allgemeinen, wenn der Einschreiter zu erkennen gibt, daß er die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung verlangt und Umfang und Ziel des Rechtsmittels hinlänglich deutlich zumindest im Rahmen der Rekursausführungen zum Ausdruck gebracht werden (MietSlg.36.842, EFSlg.44.505, SZ 47/64 uva). Ein verfehlter Rekursantrag führt dann nicht zur Verwerfung des Rechtsmittels (JBl.1973, 87, 5 Ob 68/82 ua).
Art 26 Abs 4 des Übereinkommens sieht Kostenersatz nur für den obsiegenden Antragsteller vor. Im außerstreitigen Verfahren selbst gibt es, soweit nicht etwas anderes angeordnet ist, keinen Kostenersatz (GMA2, Anm 7 zu § 2 AußStrG).
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