OGH 7Ob573/90

OGH7Ob573/9017.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Beatriz Ons B***, geboren am 2. April 1987, infolge Revisionsrekurses des Vaters Jose Ons R***, Canovelles, Granollers (Barcelona), C/Mediodia 17, Spanien, vertreten durch Dr. Richard Huber, Rechtsanwalt in Spital/Drau, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgericht vom 15. März 1990, GZ 3 R 78/90-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Spittal/Drau vom 30. Jänner 1990, GZ P 379/89-8, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die am 2.4.1987 in Granollers, Spanien, geborene Minderjährige ist die eheliche Tochter des Jose Ons R*** und der Elfriede Ons B***. Der Vater ist spanischer Staatsbürger, die Mutter österreichische Staatsbürgerin. Am 16.3.1988 stellte die österreichische Botschaft in Madrid für die Minderjährige einen österreichischen Staatsbürgerschaftsnachweis aus.

Die Eltern haben mit der Minderjährigen bis zum 26.6.1988 gemeinsam in Granollers gewohnt. Ihre Ehe verlief zuletzt nicht mehr harmonisch. Die Mutter fühlte sich durch das Verhalten des Ehemannes erniedrigt und konnte sich in Spanien nicht einleben. Da sich der Vater um die Minderjährige eher wenig kümmerte, entstand zwischen ihnen keine echte Beziehung. Das Kind spricht nicht spanisch. Am 26.6.1988 verließ die Mutter ohne Wissen und Zustimmung des Vaters gemeinsam mit der Minderjährigen die Ehewohnung und kehrte zu ihren Eltern nach Radenthein, Obertweng Nr. 8, zurück. Mutter und Kind waren damals in einem angegriffenen körperlichen und seelischen Zustand. Seither wohnen die Mutter und die Minderjährige bei den mütterlichen Großeltern. Die Mutter ist während der Sommersaison in den Abendstunden in einem Fremdenverkehrsbetrieb beschäftigt. Die übrige Zeit bezieht sie die Arbeitslosenunterstützung und hilft ihren Eltern in der Landwirtschaft. Die Minderjährige hat sich in der neuen Umgebung völlig eingelebt. Sie bewohnt mit ihrer Mutter ein eigenes Zimmer im Wohnhaus der mütterlichen Großeltern und hat zu ihnen, insbesondere zum Großvater, ein gutes Verhältnis. Kinder aus der Nachbarschaft kommen als Spielgefährten in Frage. Bei den gegebenen Verhältnissen wäre eine Rückführung des Kindes zum Vater nach Spanien mit der schwerwiegenden Gefahr eines seelischen Schadens für das Kind verbunden. Die Mutter ist nicht mehr gewillt, zu ihrem Ehemann nach Spanien zurückzukehren.

Mit dem am 29.12.1989 beim Erstgericht eingelangten Antrag strebt der Vater die sofortige Rückführung der von der Mutter nach Österreich verbrachten Minderjährigen gemäß Art. 3, 7, 8, und 11 des Übereinkommens über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. 1988/512, nach Spanien an. Nach spanischem Gesetz üben beide Elternteile das Sorgerecht über die Kinder aus. Ein Elternteil kann dieses Recht dem anderen nicht einseitig entziehen. Die Entführung durch die Mutter sei daher rechtswidrig gewesen.

Die Mutter sprach sich gegen den Antrag des Vaters aus. Zwischen dem Vater und der Minderjährigen bestehe keine echte Beziehung. Die Minderjährige habe sich in Österreich völlig eingelebt. Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters ab. Das Verbringen des Kindes durch die Mutter nach Österreich sei zwar rechtswidrig gewesen, weil das Kind dadurch dem -

gemäß Art. 154 Codigo civil beiden Eltern zustehenden - Sorgerecht des Vaters entzogen worden sei. Gemäß Art. 12 Abs. 1 des Übereinkommens BGBl. 1988/512 sei die sofortige Rückgabe aber nur dann ohne weitere Prüfung anzuordnen, wenn der Antrag auf Rückführung innerhalb einer Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen des Kindes beim zuständigen Gericht eingegangen sei. Nach Ablauf dieser Frist ordne das Gericht die Rückführung des Kindes nur an, sofern nicht erwiesen ist, daß das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat. Diese Jahresfrist sei im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt des Einlangens des Antrages beim Erstgericht bereits verstrichen gewesen. Da feststehe, daß sich das Kind in der neuen Umgebung völlig eingelebt habe, sei die sofortige Rückführung zu versagen gewesen. Ungeachtet des Art. 12 bestimme Art. 13 Abs 1 des Übereinkommens, daß das Gericht des ersuchten Staates nicht verpflichtet sei, die Rückführung des Kindes anzuordnen, wenn die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden sei oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringe. Da das Kind zu seinem Vater keine Beziehung habe, in Österreich in geordneten Verhältnissen lebe und die mütterlichen Großeltern neben der Mutter die einzigen Bezugspersonen des Kindes seien, sei auch dieser Versagungsgrund gegeben.

Das Rekursgericht bestätigte den Beschluß des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Revisionsrekurs gemäß § 14 Abs. 1 AußStrG zulässig sei. Es verneinte die im Rekurs des Vaters geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs, übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und trat auch dessen rechtlicher Beurteilung bei. Der Umstand, daß die Minderjährige bisher keinen Kontakt zu gleichaltrigen Kindern habe, stehe der Annahme, daß es sich in der neuen Umgebung eingelebt habe, nicht entgegen. Die Gefahr eines seelischen Schadens durch die beantragte Rückführung sei bei der scheuen Minderjährigen, deren wichtigste Kontaktperson die Mutter sei, schon damit verbunden, wenn sie aus der Gewahrsame der Mutter entfernt werde.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der wegen Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die Rückführung des Kindes nach Spanien zu verfügen. Hilfsweise stellt der Vater auch einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Als Mangelhaftigkeit rügt der Vater daß die Feststellungen über die mangelnde Bindung zu ihm ausschließlich auf Grund der Angaben der Mutter getroffen worden seien. Soweit er damit die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen bekämpft, wendet er sich in unzulässiger Weise gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nur Rechts-, nicht aber auch Tatsacheninstanz (EFSlg. 52.674; Petrasch, Der Weg zum Obersten Gerichtshof nach der Erweiterten Wertgrenzennovelle 1989, ÖJZ 1989, 743 ff Ä753Ü). Soweit damit allerdings nur ein Mangel des Verfahrens erster Instanz gerügt wird, hat ihn bereits das Rekursgericht verneint. Darin kann aber keine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegen.

In seiner Rechtsrüge kommt der Vater auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs zurück. Er sei weder zur Stellungnahme der Mutter noch zu dem Erhebungsergebnis des Jugendamtes gehört worden, noch habe er Gelegenheit zur Gegenäußerung gehabt. Das Gebot der Erfassung des vollständigen Sachverhaltes sei über das Gebot der Raschheit des Verfahrens zu stellen.

Wie bereits das Rekursgericht richtig ausgeführt hat, bildet die Verletzung des rechtlichen Gehörs auch im Außerstreitverfahren eine Nichtigkeit (EFSlg. 52.796 uva). Rechtliches Gehör ist der Partei aber schon dann gegeben, wenn sie sich nur schriftlich äußern konnte (RZ 1983/62). Der Mangel des rechtlichen Gehörs im Außerstreitverfahren in erster Instanz wird behoben, wenn Gelegenheit bestand, den eigenen Standpunkt im Rekurs zu vertreten (EFSlg. 16.707; SZ 46/53 uva). Der Nichtigkeitsgrund liegt außerdem nur bei Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, nicht aber schon dann, wenn ein Beteiligter - wie hier -

bloß zu einzelnen Beweisergebnissen nicht gehört wurde (EvBl. 1966/14; EFSlg. 37.151; ÖA 1983, 51). Im vorliegenden Fall ist aber auch noch folgendes zu beachten: Eine auf Grund des Übereinkommens BGBl. 1988/512 über die Rückgabe des Kindes getroffene Entscheidung ist gemäß Art. 19 des Übereinkommens nicht als Entscheidung über das Sorgerecht anzusehen. Die Vertragsstaaten wenden zur Erreichung der sofortigen Rückgabe des Kindes ihre schnellstmöglichen Verfahren an (Art. 2 des Übereinkommens). Die Entscheidungen im Sinne dieses Übereinkommens sind daher nur vorläufiger Natur und können der endgültigen Sorgerechtsentscheidung nicht vorgreifen. Die zwingende Anhörung des Antragstellers zu Beweisergebnissen würde dem Wesen eines derart schnell durchzuführenden Verfahrens, in dem nicht einmal die Zustellung des abweisenden Beschlusses direkt an den regelmäßig im Ausland wohnenden Antragsteller, sondern an einen - ohne Rücksicht auf die Voraussetzungen des § 63 Abs. 1 ZPO im Rahmen der Verfahrenshilfe zu bestellenden - Rechtsanwalt im Inland vorgesehen ist (§ 5 Abs 3 d. BG vom 9.6.1988 zur Durchführung des Übereinkommens vom 25.10.1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung, BGBl. 1988/513), widersprechen.

Mit seinen weiteren Ausführungen in der Rechtsrüge bekämpft der Vater die Auffassung des Rekursgerichtes, daß die Lebensverhältnisse bei der Mutter die Versagung der Rückführung des Kindes rechtfertigten. Es bestehe kein Rechtsatz, daß kleinere Kinder tunlichst bei der Mutter zu verbleiben hätten. Es könne auch nicht davon gesprochen werden, daß sich das Kind in seiner Umgebung eingelebt habe.

Mit Recht sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß das Verbringen der Minderjährigen rechtswidrig im Sinne des Art. 3 lit. a und b des - am 1.10.1988 in Kraft getretenen - Übereinkommens BGBl. 1988/512 war. Danach gilt das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes als widerrechtlich, wenn dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte. Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind hier anzuwenden, weil das Kind im vorliegenden Fall unmittelbar vor der Entführung seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat hatte (Art. 4 des Übereinkommens). Für die Beurteilung der Widerrechtlichkeit der Entführung ist das spanische Familienrecht maßgebend, weil sich die Minderjährige bis zur Entführung im gemeinsamen Haushalt ihrer Eltern in Spanien aufgehalten hat. Art. 154 Codigo civil bestimmt, daß die nicht emanzipierten Kinder unter der elterlichen Gewalt des Vaters und der Mutter stehen. Die elterliche Gewalt umfaßt das Recht und die Pflicht, für die Kinder zu sorgen, sie bei sich zu haben, sie zu ernähren, zu erziehen und ihnen eine vollständige Ausbildung zu verschaffen, sie zu vertreten und ihr Vermögen zu verwalten. Der Vater ist durch diese Entführung daher in seinem Sorgerecht verletzt worden. Die sofortige Rückführung kann daher - wie die Vorinstanzen ebenfalls richtig erkannt haben - nur unter den Voraussetzungen der Art. 12 Abs. 2 oder 13 (allenfalls auch des Art. 20 des Übereinkommens) BGBl. 1988/512 abgelehnt werden.

Ist ein Kind im Sinne des Art. 3 des Übereinkommens BGBl. 1988/512 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaates, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an (Art. 12 Abs. 1 des Übereinkommens). Ist der Antrag aber erst nach Ablauf der Jahresfrist eingegangen, dann ordnet das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Übergabe des Kindes ebenfalls an, sofern nicht erwiesen ist, daß das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat (Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommens). Da im vorliegenden Fall der Antrag erst später als ein Jahr nach der Entführung beim Erstgericht eingegangen ist, kann die sofortige Rückgabe verweigert werden, wenn sich das Kind in seine neue Umgebung eingelebt hat. Entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Auffassung lassen die Feststellungen des Erstgerichtes keinen Zweifel daran, daß sich das Kind in seiner neuen Umgebung eingelebt hat. Es ist gemeinsam mit seiner Mutter im Haus der mütterlichen Großeltern untergebracht und hat nicht nur zur Mutter sondern auch zum Großvater, bei dem es Schutz sucht, eine besondere Bindung. Das Kind lebt in geordneten Verhältnissen, wird von der Mutter gepflegt und beaufsichtigt und hat intensive Kontakte zu ihren nächsten Verwandten. Daß das Kind sich bereits mit Kindern aus der Nachbarschaft angefreundet hat, ist für die Annahme des Einlebens in die neuen Lebensverhältnisse nicht erforderlich und bei Kindern dieses Alters auch nicht immer üblich. Das Rekursgericht ist auch nicht, wie der Vater im Revisionsrekurs weiter meint, von einem Rechtssatz ausgegangen, wonach jüngere Kinder tunlichst bei der Mutter zu verbleiben hätten. Es hat vielmehr zutreffend geprüft, ob sich das Kind in die neue Umgebung eingelebt hat und diese Frage auch richtig gelöst.

Gegen die Annahme der Voraussetzung der Verweigerung der sofortigen Zurückführung gemäß Art. 13 des Übereinkommens richten sich die Rechtsmittelausführungen nicht. Da schon der Verweigerungsgrund des Art. 12 Abs. 2 des Übereinkommmens vorliegt, ist darauf nicht mehr einzugehen.

Dem Revisionsrekurs war somit ein Erfolg zu versagen.

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