OGH 1Ob54/01z

OGH1Ob54/01z24.4.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Eduard S*****, vertreten durch Riedl & Ringhofer, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17-19, wegen 765.014 S sA und Feststellung (Streitwert 70.000 S) infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Dezember 2000, GZ 14 R 192/00h-33, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs. 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs. 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Der Kläger war - nach freiwilliger Meldung - als österreichisches Exekutivorgan zufolge Entsendung durch das BMI im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen der Vereinten Nationen (UN) nach deren militärischer Aktion gegen den Irak zur Befreiung Kuwaits im Nordirak (UN Guards Contingent in Iraq - UNGCI) und zwar beim Außenposten Kalar eingesetzt. Über Auftrag durch den "Teamleader" hatte er als Beifahrer mit einem österreichischen Kollegen (im Folgenden nur Lenker) am 15. März 1992 mit einem geländegängigen UN-Fahrzeug Marke Landrover "Defender", dessen Halterin nicht der beklagte Rechtsträger war, eine Dienstfahrt durchzuführen, um die Kriegslage (nach Artillerieangriffen in den letzten Nächten) und den Straßenzustand zu erheben und für das Team Treibstoff, Kochgas und Lebensmittel in Jalawla einzukaufen. Das Fahrzeug war stark beansprucht und hatte eine ausgeleierte Lenkung. An den Reifen war das Profil abgenützt. Ob das Fahrzeug vor dem Unfall andere Mängel aufgewiesen hatte, ist nicht feststellbar. Der Lenker übernahm das Fahrzeug erstmals vor Antritt dieser Fahrt; Mängel des Fahrzeugs waren ihm nicht bekannt.

Bei der vormittäglichen Fahrt rutschte das Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h auf der im Unfallbereich gerade und eben verlaufenden Straße über den rechten Fahrbahnrand hinaus, stieß mit dem linken Vorderrad gegen einen Stein und stürzte infolge dieses Anpralls um. Die Ursache des Schleuderns und des Abkommens von der Fahrbahn ist nicht feststellbar. Auf der mit lehmiger Erde verschmierten Straße gab es gelegentlich Unebenheiten. Die Asphaltfahrbahn war wegen Nieselregens nass und der auf die Straße vertragene Wüstensand konnte im nassen Zustand vom Fahrbahnbelag nicht unterschieden werden. Die Unfallbeteiligten konnten den Unfall nicht vorhersehen. Der Kläger wurde beim Unfall schwer verletzt. Er erhielt von den UN Entschädigungszahlungen von insgesamt 57.686 S, womit eine von den UN mit 10 % bemessene Invalidität und die Behandlungskosten abgegolten sein sollten. Organe des beklagten Rechtsträgers klärten den Kläger vor Entsendung in den Irak nicht darüber auf, wie und bei wem Schadenersatzansprüche aus Unfällen oder Kampfhandlungen zu stellen sind. Der Lenker wurde in dem gegen ihn wegen des Unfalls nach § 88 Abs. 4 StGB eingeleiteten Strafverfahren in erster Instanz freigesprochen; in zweiter Instanz zog der Staatsanwalt nach Erstattung eines kraftfahrzeugtechnischen Gutachtens in der mündlichen Berufungsverhandlung seine Berufung zurück.

Die Vorinstanzen wiesen das auf Schadenersatz (Amtshaftung) gestützte Klagebegehren auf Zahlung von 765.014 S sA (200.000 S an Schmerzengeld, 194.400 S an Verdienstentgang [österreichische Beamtenbezüge], 369.930 S Verlust an UN-Taggeld für 177 Tage und 684 S an Kostenbeitrag im LKH Graz) und auf Feststellung, die beklagte Partei habe dem Kläger jeden zusätzlichen (künftigen), aus dem Unfall resultierenden Schaden zu ersetzen, gerichtete Klagebegehren ab.

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei bringt keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung.

Rechtliche Beurteilung

Dass der beklagte Rechtsträger bei der Entsendung von österreichischen Kontingenten oder Einzelpersonen ins Ausland zu UN-Einsätzen als Völkerrechtssubjekt tätig wird und das von den entsendeten Organen im Rahmen ihrer Aufgaben dabei gesetzte Verhalten nur hoheitlich sein kann, weil der Bund damit völkerrechtliche Aufgaben erfüllt, die ihm daher als Rechtsträger nach § 1 Abs. 1 AHG zuzurechnen sind, haben die Vorinstanzen zutreffend unter Billigung im Rechtsmittel erkannt. Bereits in der Entscheidung 1 Ob 1/96 = SZ 69/49 hat der erkennende Senat neuerlich klargestellt, dass der Rechtsträger auch für hoheitliches Organhandeln im Ausland haftet.

In Frage kommt hier - mangels Halterhaftung nach dem EKHG - nur eine Haftung des Rechtsträgers für den Lenker, weil er allenfalls schuldhaft handelte, und für die unterlassene Aufklärung und Fürsorge des Klägers durch Organe des BMI.

Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt, wie der Oberste Gerichtshof prüfte, nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Die Vorinstanzen gelangten zu dem Ergebnis, dass dem Kläger der prima-facie-Beweis eines haftungsbegründenden unfallskausalen Fehlverhaltens des Lenkers, im Besonderen die Einhaltung einer überhöhten Geschwindigkeit mit dem Fahrzeug, nicht gelungen sei. Denn es könne zwar nicht ausgeschlossen werden, dass der Unfall durch die gewählte Geschwindigkeit verursacht worden sei, doch habe diese Möglichkeit keine größere Wahrscheinlichkeit für sich als alle anderen denkbaren Möglichkeiten, wie etwa ein geringer Reibwert iVm Straßenunebenheit, Wind, Wüstensand, Öl und Tierkot auf der Fahrbahn oder versteckte technische Mängel am Fahrzeug. Aus technischer Sicht ergebe sich das Einsetzen der Instabilität nicht zwingend aus einem bestimmten Fahrverhalten, geschweige denn aus der Geschwindigkeit. Ein anderes Fehlverhalten des Lenkers wie dessen Unaufmerksamkeit, seine nicht ausreichende Vorinformation über die Straßenverhältnisse, die Verpflichtung, die Dienstfahrt nicht anzutreten, weil die Ausbildung nicht ausreiche, um die Fahrt zu bewältigen, oder ein sonstiges fahrtechnisches Fehlverhalten wie etwa das Überbremsen oder Verreissen des Fahrzeugs, sei vom Kläger gar nicht behauptet worden.

Der Anscheinsbeweis beruht auf typischen Geschehnisabläufen, deren Verwirklichung wahrscheinlich ist. Er dient demjenigen als Beweiserleichterung, der anspruchsbegründende Tatsachen darzutun hat, ermöglicht eine Verschiebung von Beweisthema und Beweislast und kann vom Gegner durch den Beweis eines ernsthaft in Betracht zu ziehenden atypischen Geschehnisablaufs entkräftet werden. Die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung, dagegen fällt die Wertung, ob ein solcher Beweis im konkreten Einzelfall erbracht oder durch einen Gegenbeweis erschüttert wurde, in den Bereich der nicht revisiblen Beweiswürdigung (SZ 70/179 u.a., zuletzt 1 Ob 17/99b = JBl 2000, 118 = EvBl 2000/26; 3 Ob 18/00v, alle mwN; RIS-Justiz RS0112460; Fasching, Lehrbuch2 Rz 897; Harrer in Schwimann2, § 1296 ABGB Rz 5; Rechberger in Rechberger2, vor § 266 ZPO Rz 22 mwN).

b) Die behauptete "Entsendungsfahrlässigkeit" wird vom Kläger damit begründet, der Rechtsträger habe mit den UN keine ausreichende Vereinbarung zur Klarstellung der gegenseitigen Rechtsbeziehungen und des Rechtsstatus der entsandten österreichischen Beamten getroffen. Organe des Rechtsträgers hätten dafür vorsorgen müssen, dass solche Rechtsansprüche der zu Auslandseinsätzen im Rahmen der UN entsendeten österreichischen Staatsbürger geschaffen werden. Darüber, dass nach den UN-Richtlinien Schadenersatzansprüche spätestens innerhalb von vier Monaten geltend gemacht werden müssen, sei der Kläger nicht ausreichend informiert gewesen. Dem Rechtsträger werden somit insgesamt Unterlassungen zum Vorwurf gemacht.

Die Beweislast dafür, dass der Schaden bei gebotenem Verhalten - entsprechenden Maßnahmen von Organen des Rechtsträgers, jedenfalls aber der Aufklärung des Klägers - nicht eingetreten wäre, trifft den Geschädigten (stRsp, SZ 56/181; EvBl 1993/57; SZ 70/95 u.v.a.). Auch diesen Beweis, nämlich dass er sich bei der nach seiner Auffassung gebotenen Aufklärung durch Organe des Rechtsträgers nicht zum Dienst beim UNGCI gemeldet oder seine allenfalls vorher erstattete Meldung zurückgezogen oder die vom "Teamleader" befohlene Fahrt am 15. März 1992 nicht angetreten hätte, hat der Kläger nicht erbracht. Damit erübrigen sich weitere Erörterungen der vom Kläger entwickelten Rechtsfigur der "Entsendungsfahrlässigkeit" des Rechtsträgers im Zusammenhang mit der behaupteten Verletzung der Fürsorgepflicht gegenüber österreichischen Staatsbürgern bei Entsendung zu UN-Auslandseinsätzen, im Besonderen aber ob - vom Kläger im Verfahren auch nicht behauptete - gesetzliche Grundlagen für entsprechende Warn- und Aufklärungspflichten bestanden.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs. 3 ZPO); auf den Verjährungseinwand der beklagten Partei kommt es nicht mehr an.

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