OGH 1Ob42/07v

OGH1Ob42/07v3.5.2007

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen Daniel P*****, geboren am *****, Michele P*****, geboren am *****, und Natalie P*****, geboren am *****, infolge der ordentlichen Revisionsrekurse der Minderjährigen, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, sowie der Mutter Beate G*****, vertreten durch Dr. Michael Rami, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. November 2005, GZ 44 R 618/05s-U24, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Meidling vom 11. August 2005, GZ 2 P 256/04d-U17, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen wird teilweise Folge gegeben.

Der Beschluss des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass die Mutter Beate G***** verpflichtet ist, zum Unterhalt der mj. Kinder Daniel, Michele und Natalie P***** für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis 30. 6. 2005 monatliche Beträge von EUR 16 für Daniel und je EUR 12 für Michele und Natalie, sowie ab 1. 7. 2005 monatlich EUR 50 für Daniel und je EUR 40 für Michele und Natalie zu Handen des gesetzlichen Vertreters, derzeit das Amt für Jugend und Familie - Rechtsfürsorge für die Bezirke 12, 13 und 23, 1230 Wien, Rösslergasse 15, bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Die Differenzbegehren (für 1. 1. 2005 bis 30. 6. 2005 monatlich EUR 31 für Daniel und je EUR 26 für Michele und Natalie; ab 1. 7. 2005 monatlich EUR 15 für Daniel und je EUR 12 für Michele und Natalie) werden abgewiesen.

Die bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses fälligen Beträge sind binnen 14 Tagen, die künftig fällig werdenden Unterhaltsbeträge jeweils am Ersten eines jeden Folgemonats im Voraus zu entrichten.

2. Der Revisionsrekurs der Mutter wird als verspätet zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kinder leben beim Vater. Die Mutter bezieht monatlich EUR 431 Notstandshilfe. Sie ist noch für zwei weitere Kinder sorgepflichtig. Das Erstgericht verpflichtete die Mutter ab 1. 1. 2005 zur Leistung von monatlichen Unterhaltsbeträgen von EUR 65 für Daniel und von je EUR 52 für Michele und Natalie.

Das Rekursgericht wies das Unterhaltsfestsetzungsbegehren für die Zeit vom 1. 1. 2005 bis 30. 6. 2005 zur Gänze ab und verpflichtete die Mutter ab 1. 7. 2005 zu Unterhaltszahlungen von je EUR 30 pro Kind. Im Jahr 2005 erscheine eine Belastungsgrenze von EUR 630 im Monat angemessen. Der Gesamtbezug der Mutter an Notstandshilfe und Sozialhilfe erreiche gerade EUR 620, sodass sie gänzlich leistungsunfähig sei. Sie habe jedoch nach Auskunft des AMS Linz ab 1. 7. 2005 Anspruch auf die Familienzuschläge für die drei „verfahrensgegenständlichen" Kinder im Ausmaß von rund EUR 30 monatlich pro Kind. Ohne die Unterhaltsverpflichtung für diese Kinder könne sie diesen Betrag hingegen nicht beziehen, sodass er zur Gänze für die Erfüllung der Geldunterhaltspflicht zur Verfügung zu stellen sei. Der Unterhaltsbemessung könne daher nur die Verfügbarkeit der Familienzuschläge ab 1. 7. 2005 zu Grunde gelegt werden. Da zur Bemessung der Belastbarkeitsgrenze noch keine einheitliche Rechtsprechung des OGH vorliege, sei der ordentliche Revisionsrekurs zulässig.

1. Revisionsrekurs der Minderjährigen:

Rechtliche Beurteilung

Die Minderjährigen beantragen mit ihrem Rechtsmittel die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahingehend, dass für den Zeitraum vom 1. 1. 2005 bis 30. 6. 2005 ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von EUR 38 je für Michele und Natalie sowie von EUR 47, für Daniel festgesetzt werde. Für den Zeitraum ab 1. 7. 2005 möge der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt werden. Die Mutter hat sich zum Revisionsrekurs der Minderjährigen nicht geäußert.

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist zulässig und teilweise berechtigt.

Bei der Unterhaltsbemessung ist eine absolute Leistungsgrenze zu berücksichtigen, die nicht zu Lasten des Unterhaltsschuldners überschritten werden darf. Ihm hat jener Betrag zu verbleiben, der zur Erhaltung seiner Körperkräfte und seiner geistigen Persönlichkeit unbedingt notwendig ist (6 Ob 184/06m; 2 Ob 569/94). Hilfestellung für die Ermittlung dieser Leistungsgrenze im Einzelfall bieten die Bestimmungen über das Existenzminimum nach §§ 291a, 292b EO. Dabei ist zunächst der erhöhte allgemeine Grundbetrag nach § 291a Abs 2 Z 1 EO maßgeblich, weil im Unterhaltsrecht grundsätzlich sämtliche Jahreseinkünfte auf zwölf Monate umgelegt werden. Nach § 291a Abs 2 Z 1 EO erhöht sich der Betrag nach § 291a Abs 1 EO iVm § 293 Abs 1 lit a ASVG um ein Sechstel, wenn der Verpflichtete keine Leistungen nach § 290b EO erhält.

Gemäß § 291b Abs 2 EO haben dem Verpflichteten (nur) 75 % des unpfändbaren Freibetrags nach § 291a EO zu verbleiben (6 Ob 184/06m mwN).

Der - gemäß § 291a Abs 1 EO maßgebliche - Ausgleichszulagenrichtsatz für alleinstehende Personen nach § 293 Abs 1 lit a ASVG betrug zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz EUR 662,99. Unter Hinzurechnung von einem Sechstel (§ 291a Abs 2 Z 1 EO) ergibt dies einen erhöhten allgemeinen Grundbetrag von EUR 773,48 zwölf Mal im Jahr; 75 % hievon sind EUR 580,11 (siehe auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3, 13, wonach das Unterhaltsexistenzminimum für 2004 EUR 571,50 betrug; vgl. 2 Ob 187/05x). Im gegebenen Fall ist daher grundsätzlich von einem Unterhaltsexistenzminimum der Mutter von rund EUR 580 auszugehen.

Nach § 292b Z 1 EO kann das Exekutionsgericht jedoch auf Antrag den für Forderungen nach § 291b Abs 1 EO geltenden unpfändbaren Freibetrag angemessen herabsetzen, wenn laufende gesetzliche Unterhaltsforderungen durch die Exekution nicht zur Gänze hereingebracht werden können. Diese Möglichkeit ist auch bei der Festlegung der absoluten Leistungsgrenze des Unterhaltspflichtigen zu berücksichtigen. Der Verweis des Gesetzes auf die „angemessene" Herabsetzung bedeutet nach den Gesetzesmaterialien (181 BlgNR 18. GP 34), dass die Interessen aller Unterhaltsgläubiger zu berücksichtigen sind. Es ist ein Betrag zu wählen, der alle Unterhaltsansprüche anteilsmäßig gleich abdeckt (siehe 6 Ob 184/06m mwN). Im vorliegenden Fall argumentieren die Minderjährigen in ihrem Revisionsrekurs, dass berufstätige Unterhaltsschuldner einen höheren Aufwand zur Erhaltung der Körperkräfte und der geistigen Persönlichkeit hätten als jene, die Notstandshilfe beziehen. Es werde daher ein der Mutter verbleibender Betrag von EUR 420 als angemessen erachtet. Die Differenz zwischen diesem Betrag und dem Gesamtbezug der Unterhaltsschuldnerin sei auf alle Unterhaltsberechtigten anteilig aufzuteilen, wobei Naturalunterhalt auf Geldunterhalt "umgerechnet" werde.

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Mutter in einer Phase der (intensiven) Arbeitsplatzsuche kaum geringere Aufwände für den eigenen Unterhalt zu tragen hat als während einer aufrechten Beschäftigung. Weiters ist zu berücksichtigen, dass sie noch für zwei weitere Minderjährige sorgepflichtig ist. Im konkreten Fall erscheint daher eine Herabsetzung des oben ausgemittelten Unterhaltsexistenzminimums nicht angemessen.

Der für den Zeitraum 1. 1. 2005 bis 30. 6. 2005 zur Verfügung stehende Einkommensteil der Unterhaltsschuldnerin beträgt somit EUR 40 (620 - 580) und ab 1. 7. 2005 monatlich EUR 130 (710 - 580). Die Aufteilung auf die drei antragstellenden Minderjährigen erfolgte annähernd gemäß den von den Vorinstanzen herangezogenen Prozentquoten.

Dem Revisionsrekurs der Minderjährigen ist daher teilweise Folge zu geben.

2. Revisionsrekurs der Mutter:

Die Mutter beantragt mit ihrem Revisionsrekurs, die Anträge der Minderjährigen zur Gänze abzuweisen. Die existenziellen Bedürfnisse der Mutter würden selbst bei einer Zahlung von monatlich EUR 30 pro Kind in unzumutbarer Weise gefährdet.

Die Minderjährigen beantragen, dem Revisionsrekurs der Mutter nicht Folge zu geben.

Der Beschluss des Gerichts zweiter Instanz wurde der Mutter am 20. 12. 2005 zugestellt, ihr Verfahrenshilfeantrag wurde unrichtig an das Rekursgericht adressiert. Er langte erst am 4. 1. 2006 - somit nach Verstreichen der Rechtsmittelfrist am 3. 1. 2006 - beim Erstgericht ein (siehe 1 Ob 101/06v) und ist daher verspätet.

Die - für die Frage der Verfristung des Rechtsmittels ohnehin irrelevante - Bewilligung der Verfahrenshilfe durch das Erstgericht vom 20. 9. 2006 „für: Revisionsrekursverfahren gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 25. 11. 2005, 44 R 618/05s" erfolgte erkennbar zwecks Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung. Dies erschließt sich auch aus der Stellungnahme der Mutter in ON U-37, wonach ihre Eingabe ON U-31b keinen Rekurs, sondern die Revisionsrekursbeantwortung zum Revisionsrekurs des „Jugendamtes" darstelle.

Zu prüfen bleibt noch, ob das Rechtsmittel - trotz Verspätung - gemäß § 46 Abs 3 AußStrG zu berücksichtigen wäre. Dies kommt nicht in Betracht, weil hiedurch in die materiell-rechtliche Stellung der Minderjährigen in unzulässiger Weise eingegriffen würde. Die Abänderung oder Aufhebung der Entscheidung des Rekursgerichts wäre mit einem Nachteil für sie verbunden.

Das Rechtsmittel der Mutter ist daher ohne inhaltliche Behandlung spruchgemäß zurückzuweisen.

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