OGH 1Ob340/99b

OGH1Ob340/99b14.1.2000

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Thomas S*****, vertreten durch Dr. Manfred Schiffner und Mag. Werner Diebald, Rechtsanwälte in Köflach, wider die beklagte Partei Thomas H*****, vertreten durch Dr. Rainer Kurbos, Rechtsanwalt in Graz, wegen 213.276 S sA und Feststellung (Streitwert 60.000 S) infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse (47.655,20 S sA [Leistung] und 12.000 S [Feststellung], insgesamt sohin 59.655,20 S) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 1. Juli 1999, GZ 4 R 92/99b-36, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 15. Februar 1999, GZ 20 Cg 246/97d-31, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.871,04 S (darin 811,84 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Begründung

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung mit 130.620,80 S und die Gegenforderung mit 5.000 S zu Recht bestünden. Es erkannte daher den Beklagten schuldig, dem Kläger 125.620,80 S sA zu bezahlen und wies das Mehrbegehren von 87.655,20 S sA ab. Ferner sprach es aus, dass der Beklagte dem Kläger "für 4/5 der künftigen kausalen Folgen aus dem Vorfall vom 15. Dezember 1996 ... zu haften" habe und wies das Feststellungsmehrbegehren - ungekürzte Haftung für alle "künftigen kausalen Folgen" aus dem bezeichneten Schadensereignis - ab.

Das Ersturteil wurde nur in den klageabweisenden Teilen angefochten. Das Berufungsgericht bestätigte das Feststellungsurteil, änderte jedoch das Leistungsurteil ab. Es sprach aus, dass die Klageforderung mit 170.620,80 S und die Gegenforderung mit 5.000 S zu Recht bestehe. Demgemäß sei der Beklagte schuldig, dem Kläger 165.620,80 S sA zu bezahlen. Abzuweisen sei hingegen das Mehrbegehren von 47.655,20 S sA. Das Gericht zweiter Instanz bewertete ferner den Entscheidungsgegenstand mit einem 52.000 S, jedoch nicht 260.000 S übersteigenden Geldeswert und ließ die ordentliche Revision nicht zu. Diesen Ausspruch änderte es mit Beschluss vom 30. September 1999 dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil es zu seiner Ansicht, die dem Kläger als Snowboardfahrer nach den Einwendungen des Beklagten angelastete überhöhte Geschwindigkeit schließe den Vorwurf einer fehlerhaften Reaktion ein, an einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle. In der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung 4 Ob 299/98v habe der Oberste Gerichtshof vielmehr zur Frage des Mitverschuldens "eines geschädigten Schiläufers ausdrücklich zwischen der Missachtung von Pistenregeln (wie etwa der Einhaltung einer für die Schnee- oder Pistenverhältnisse zu hohen Geschwindigkeit) und anderen fahrtechnischen Fehlern (zB Verkanten infolge Unaufmerksamkeit oder einer für das Können zu hohen Geschwindigkeit)" unterschieden. Im Anlassfall habe der Beklagte "seinen Mitverschuldenseinwand (auch den der überhöhten Geschwindigkeit) nur auf pistenwidriges Verhalten, nicht aber auch auf fahrtechnische Fehler des Klägers gestützt, wobei das vom Erstgericht und auch vom Berufungsgericht als Mitverschulden des Klägers qualifizierte Verhalten letzterem Tatbestand zuzuordnen" sei. Mangels eines ausdrücklichen Vorwurfs des Beklagten, der Kläger hätte den Unfall "bei richtiger Reaktion ... noch vermeiden" können, sei in der Auslegung des Prozessvorbringens des Beklagten zu dessen Einwand, der Kläger habe das Schadensereignis selbst verschuldet, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zu erblicken, dürfe doch das Gericht seiner Entscheidung bei der Prüfung der Berechtigung von Einwendungen keine anderen als die vom Beklagten behaupteten Tatsachen zugrunde legen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergeben wird, unzulässig.

1. Der Beklagte wendete im Verfahren erster Instanz - kurz zusammengefasst - ein, den Kläger treffe das "Alleinverschulden am Zustandekommen des gegenständlichen Schiunfalles", weil er - entgegen FIS-Regel 2 - nicht auf Sicht, seinem Können, dem Gelände, den Schnee- und Witterungsverhältnissen angepasst "mit bedeutend überhöhter Geschwindigkeit in den Zielhang" eingefahren sei. Er habe in Missachtung der FIS-Regel 3 außerdem seinen - des Beklagten - Vorrang und darüberhinaus auch die FIS-Regel 1 verletzt, "wonach sich jeder Schifahrer so verhalten" müsse, dass er keinen anderen gefährde oder schädige. Die Replik des Klägers, für ihn sei "das Unfallgeschehen unvermeidbar" gewesen, bestritt der Beklagte "im Hinblick auf sein bisheriges Vorbringen" (ON 2 und 4 iVm ON 5 S. 2).

2. Der Oberste Gerichtshof sprach in der Entscheidung 3 Ob 38/97b (=

JBl 1997,585 [Koziol] = ZVR 1997/117) aus, dass der Schiläufer nach

der FIS-Regel 1 auch "für fehlerhaftes Verhalten auf der Piste ... verantwortlich" sei. Gleiches muss für Snowboardfahrer auf der Piste gelten. Wäre es aber dem Kläger - nach den getroffenen Feststellungen - möglich gewesen, "bei entsprechender Druckausübung auf die Fersenkante des Snowboards den Radius noch weiter zu verkleinern, die Fahrlinie damit bis hin zum rechten Pistenrand zu verlagern und gefahrlos am Beklagten vorbeizufahren", so ist in der tatsächlichen Reaktion des Klägers - zu geringer Fersendruck - ein fahrtechnisches Fehlverhalten zu erblicken, das der FIS-Regel 1 widerspricht. Eine solche - allgemein gehaltene - Einwendung wurde vom Beklagten in Bestreitung der Behauptung des Klägers, für ihn sei der Unfall unvermeidbar gewesen, sogar ausdrücklich erhoben. Die für die Ausmessung des Mitverschuldens des Klägers entscheidende Feststellung war daher - trotz des Mangels eines ausdrücklichen derartigen Tatsachenvorbringens - zu beachten, weil eine insofern "überschießende Feststellung" nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht unberücksichtigt bleiben darf, wenn sie - wie im Anlassfall - in den Rahmen einer bestimmten Einwendung fällt (1 Ob 163/98x; MietSlg 45.675 SZ 61/135 uva). In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass die Auslegung des Parteivorbringens, also die Frage, ob nach den Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, gewöhnlich keine erhebliche Rechtsfrage aufwirft (1 Ob 83/99h; 2 Ob 260/98v; 6 Ob 2341/96z uva). Gleiches gilt für die Beurteilung, ob das bisherige Tatsachenvorbringen als Anspruchs- bzw Einwendungsgrundlage ausreicht (1 Ob 83/99h; 2 Ob 260/98v; 4 Ob 127/98z; 7 Ob 360/98m). Gegenteiliges gilt im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann, wenn die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist (1 Ob 83/99h; 6 Ob 2341/96z).

1. 1. Der Kläger missachtet die unter 1. erläuterten rechtlichen Zusammenhänge, weil er das auf FIS-Regel 1 bezogene Prozessvorbringen des Beklagten übergeht. Für die Zulässigkeit der ordentlichen Revision stellt sich daher gar nicht Frage, wie die Unterscheidung in der Entscheidung 4 Ob 299/98v (= JBl 1999, 465 = EvBl 1999/114 = ZVR 1999/66 [Pichler, ZVR 1999, 362]) zwischen der Missachtung von Pistenregeln "oder aber auch ... anderen fahrtechnischen Fehlern wie zB einem Verkanten infolge Unaufmerksamkeit oder einer für das Fahrkönnen zu hohen Geschwindigkeit" - angesichts der dort unaufgeklärt gebliebenen Sturzursache des Klägers als Schiläufer - näher auszulegen ist, wird doch auch vom 4. Senat betont, dass in der Missachtung von Pistenregeln ein Sorgfaltsverstoß als Grundlage für ein Mitverschulden des Geschädigten liegen kann.

2. Das Vorliegen beidseitigen Verschuldens führt in der Regel zur Schadensteilung (SZ 64/126). Es entspricht ferner der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass weit überwiegendes Verschulden des einen Teils die (Mit-)Haftung des anderen Teils aufhebt (1 Ob 401/97w; 2 Ob 216/97x; ZVR 1988/6), sodass ein geringfügiges Mitverschulden vernachlässigt werden kann (2 Ob 216/97x; ZVR 1988/6; ZVR 1980/299; siehe ferner die Nachweise aus der Rsp bei Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 45 zu § 1304). Das gilt umsomehr, je schwerwiegender das Verschulden eines Beteiligten ist (2 Ob 216/97x; ZVR 1988/6). Steht etwa krass grober Fahrlässigkeit eines Beteiligten nur leichte Fahrlässigkeit des anderen gegenüber, so trifft letzteren regelmäßig keine Haftung (SZ 64/126).

2. 1. Dem Kläger ist zuzubilligen, dass nach den unter 2. dargestellten Grundsätzen sein eigenes unfallkausales fahrtechnisches Fehlverhalten bei der Verschuldensgewichtung gegebenenfalls hätte vernachlässigt werden können. Die Verschuldensaufteilung durch das Gericht zweiter Instanz im Ermessensbereich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls wäre jedoch im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann revisibel, wenn das angefochtene Urteil auf einer krassen Fehlbeurteilung beruhte (1 Ob 401/97w). Eine solche liegt jedoch nicht vor.

3. Der Oberste Gerichtshof ist gemäß § 508a Abs 1 ZPO bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision nicht an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO gebunden. Den voranstehenden Erläuterungen ist zu entnehmen, dass die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhängt, sodass das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen ist. Dabei kann sich der Oberste Gerichtshof nach § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 und § 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte, der auf die Unzulässigkeit der Revision hinwies, beantragte primär deren Zurückweisung. Er vertritt insofern im Großen und Ganzen den Standpunkt, seine Einwendungen im Verfahren erster Instanz reichten aus, um dem Kläger das von den Vorinstanzen angenommene Unfallsmitverschulden anlasten zu können. Die Rechtsmittelbeantwortung diente demnach einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung, sodass der Kläger deren Kosten zu ersetzen hat.

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