OGH 1Ob29/09k

OGH1Ob29/09k26.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Franz T*****, und 2. Charlotte T*****, beide *****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Agnes F*****, vertreten durch Dr. Gottfried Forsthuber, Rechtsanwalt in Baden, wegen 4.262,70 EUR sA und Räumung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: Räumung) gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 30. September 2008, GZ 17 R 271/08m-35, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kläger sind seit 1966 Hauptmieter eines Geschäftslokals, das sie 1975 zum Betrieb eines Heurigenproviantgeschäfts an die Beklagte untervermieteten. Der Untermietzins war jeweils am Ersten jedes Monats im Voraus zu bezahlen. Bereits 1972 hatte die Beklagte das im Bestandobjekt betriebene Unternehmen (Heurigenproviantgeschäft) gekauft. Sie verpachtete ihrerseits das Unternehmen. Im September 2002 stellte die damalige Pächterin der Beklagten ihre Geschäftstätigkeit ein, worauf die Beklagte nach einem neuen Pächter suchte. Im Jänner 2003 schloss die Beklagte einen Vertrag mit einem neuen Pächter, der die Geschäftsräumlichkeiten als Internet- und Call-Center bzw als Internet-Cafe nutzen wollte. Das Bestandobjekt verfügte nicht über einen für einen Internetzugang geeigneten Telefonanschluss. Die Eigentümer und Vermieter der Kläger verweigerten die für die Herstellung nötige Einverständniserklärung. Die Beklagte forderte die Kläger mehrfach erfolglos auf, sich um die Erteilung dieser Zustimmung zu bemühen, was die Kläger aber nicht taten. Mangels Adaptierung des bestehenden Telefonanschlusses für einen Internet-Zugang trat der Pächter im April 2003 vom Pachtvertrag zurück. Erst ab April 2006 konnte ein neuer Pächter gefunden werden. In einem Mietzins- und Räumungsprozess, den die Liegenschaftseigentümer gegen die Kläger als Hauptmieter wegen rückständiger Hauptmietzinse (von Juli 2004 bis November 2005) führten und an dem die Beklagte als Nebenintervenientin auf Seiten der nunmehrigen Kläger beteiligt war, wurde am 18. 11. 2005 ein gerichtlicher Vergleich geschlossen. Die Eigentümer stimmten der Herstellung eines internetfähigen Telefonanschlusses zu, während sich die Hauptmieter zur Zahlung von unter anderem 3.660 EUR binnen 14 Tagen verpflichteten. Im Zusammenhang mit diesem Vergleich verpflichtete sich die Beklagte, den Klägern unter anderem 2.660 EUR (Mietzinsrückstand August 2004 bis November 2005) zu zahlen. Mit Schreiben vom 29. 12. 2005 urgierte der Klagevertreter diese Zahlung und setzte eine Frist bis 15. 1. 2006. Zwischen 18. 11. 2005 und 14. 5. 2006 fanden keine Vergleichsgespräche statt.

In der am 1. 3. 2004 eingebrachten Mietzins- und Räumungsklage behaupteten die Kläger außergerichtlich eingemahnte ausständige Mietzinse für Juni 2003 bis Februar 2004. In diesem Verfahren wurden - soweit im zweiten Rechtsgang noch relevant - folgende Beträge geltend gemacht:

Mietzins Juni 2003 bis Juni 2004 4.262,70 EUR

Mietzins Dezember 2005 bis Jänner 2006 655,80 EUR

Betrag aus Vergleich vom 18. 11. 2005 2.660,-- EUR

Gesamter Mietzinsrückstand somit 7.578,50 EUR

(Schriftsatz vom 30. 1. 2006, ON 10)

Mietzins Februar 2006 bis Mai 2006 1.311,60 EUR

(Schriftsatz vom 9. 5. 2006, ON 12)

Mietzins Juni 2006 bis September 2006 1.311,60 EUR

(Verhandlung vom 22. 9. 2006, ON 15).

Am 18. 5. 2006 (somit einen Tag vor der Verhandlung vom 19. 5. 2006, in der die Schriftsätze ON 10 und ON 12 vorgetragen wurden) erteilte der Beklagtenvertreter seiner Bank den Auftrag, 4.785,40 EUR (darin enthalten die Mietzinse für Dezember 2005 bis Mai 2006 und der „Vergleichsbetrag" von 2.660 EUR) auf das Konto des Klagevertreters zu überweisen. Die Mietzinse für Juni 2006 bis September 2006 wurden nach der Ausdehnung in der Verhandlung vom 22. 9. 2006 durch Übergabe von 1.320 EUR bar bezahlt. Die Mietzinse von Juni 2003 bis Juni 2004 von 4.262,70 EUR sind nicht bezahlt worden.

Die Beklagte berief sich auf eine gänzliche Zinsbefreiung, weil das Bestandobjekt mangels zeitgemäßen Telefonanschlusses zum vereinbarten Gebrauch untauglich und wegen des anhängigen Kündigungsstreits mit den Hauseigentümern zumindest bis Ende 2005 nicht „vermietbar" gewesen sei. Sie behauptete wegen des nicht ermöglichten Internetanschlusses, der zum Rücktritt vom Pachtvertrag geführt hätte, Schadenersatzforderungen von zumindest 470 EUR monatlich für März 2003 bis März 2006, die sie compensando gegen das Zahlungsbegehren einwendete. Bereits mit Schreiben vom 14. 7. 2003 (Blg ./1), also vor Klagseinbringung, habe sie mit ihren Schadenersatzforderungen außergerichtlich aufgerechnet. Der Vergleich vom 18. 11. 2005 betreffe nur Mietzinsforderungen der Hauseigentümer gegen die Hauptmieter. Ein grobes Verschulden sei der Beklagten nicht anzulasten, insbesondere, weil die Beklagte aufgrund diverser Auslandsaufenthalte ab Mitte 2003 auf einem Anderkonto ihres Rechtsvertreters einen Geldbetrag von 80.000 EUR zur Verfügung gestellt hätte, dies mit dem Auftrag, die erforderlichen Mietzinszahlungen an die Kläger vorzunehmen.

Das Erstgericht gab im zweiten Rechtsgang mit Teilurteil dem Räumungsbegehren wegen eines qualifizierten, grob schuldhaften Verzugs mit den Zinszahlungen für Dezember 2005 und Jänner 2006 sowie mit der Zahlung des „Vergleichsbetrags" statt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Der Beklagtenvertreter habe trotz der Vereinbarung vom 18. 11. 2005 den Betrag von 2.660 EUR erst am 18. 5. 2006 bezahlt, was unabhängig von dem nicht relevanten Sorgfaltsmaßstab eines Rechtsanwalts als grob fahrlässiges Verhalten eines Schuldners zu werten sei. Dieses Verhalten müsse sich die Beklagte nach § 1313a ABGB zurechnen lassen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Beklagten ist nicht zulässig.

1. Soweit die Revision ein gespaltenes Mietverhältnis (Kauf des im Bestandobjekt betriebenen Unternehmens 1972, also vor Inkraftreten des MRG 1982) erwähnt, ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte ihre Rechtsposition als Untermieterin im Verhältnis zu den Klägern und damit deren Legitimation, eine Mietzins- und Räumungsklage einzubringen, nicht konkret bestritten hat.

2. Hat der Vermieter vor Einbringung der Räumungsklage Mietzinsrückstände zwar eingemahnt (wie hier in der Klage behauptet wird), aber keine außergerichtliche Auflösungserklärung gemäß § 1118 zweiter Fall ABGB abgegeben, ersetzt die Räumungsklage die Auflösungserklärung (8 Ob 96/08p; RIS-Justiz RS0105354). Auch erst im Zuge des Verfahrens aufgelaufene Bestandzinsrückstände können das auf § 1118 zweiter Fall ABGB gestützte Räumungsbegehren rechtfertigen (8 Ob 97/08k; RIS-Justiz RS0020952). Im Verfahren aufgelaufene Zinsrückstände können ein zum Zeitpunkt der Klagszustellung nicht berechtigtes Räumungsbegehren aber nur dann rechtfertigen, wenn sie wenigstens zu irgendeinem Zeitpunkt des erstinstanzlichen Verfahrens qualifiziert im Sinn des § 1118 zweiter Fall ABGB waren. Die zeitliche Abfolge - Mahnung, Nachfristsetzung, Aufhebungserklärung - muss immer gewahrt bleiben (8 Ob 96/08p).

3. Die Vorinstanzen haben die Frage offen gelassen, ob der für Juni 2003 bis Juni 2004 noch geltend gemachte Mietzinsrückstand berechtigt ist oder die diesbezüglichen Forderungen der Kläger wegen behaupteter außergerichtlich eingewendeter Gegenforderungen (Schadenersatz wegen entgangenem Pachtzins) oder wegen Zinsbefreiung/Zinsminderung (kein Internet-Anschluss) ganz oder teilweise nicht zu Recht bestehen. Im Revisionsverfahren ist für die Rechtfertigung des Räumungsbegehrens damit nur der nachträglich ab August 2004 aufgelaufene, während des Verfahrens bezahlte, Mietzinsrückstand relevant.

4. Die Beklagte hat sich am 18. 11. 2005 gegenüber ihren Untervermietern, den Klägern, zur Zahlung verpflichtet und nicht gegenüber den Eigentümern. Dies lässt entgegen der Meinung der Beklagten die von den Vorinstanzen vorgenommene Interpretation zu, es handle sich um eine vergleichsweise Bereinigung der Untermietzinsrückstände von August 2004 bis November 2005, welche die Beklagte ja offenbar (wegen des entgangenen Pachtzinses) bis zu diesem Zeitpunkt nicht bezahlt hatte. Durch die vergleichsweise Bereinigung wurde die Fälligkeit der verglichenen Mietzinsforderungen verändert; erst wenn der Zahlungsvergleich nicht eingehalten wurde, ergeben sich wieder rückständige Mietzinse, die eine Auflösungserklärung nach § 1118 ABGB rechtfertigen (RIS-Justiz RS0026228). Da die vergleichsweise Regelung nach den Feststellungen im Verhältnis zwischen den Parteien keine Leistungsfrist vorgesehen hatte, wurde der Vergleichsbetrag mit Schreiben vom 29. 12. 2005 unter Fristsetzung bis 15. 1. 2006 fällig gestellt (vgl Bollenberger in KBB² § 904 ABGB Rz 1). Mit Schriftsatz vom 30. 1. 2006 (ON 10) wurden die verglichenen, nicht fristgerecht bezahlten Mietzinse sowie die Mietzinse für Dezember 2005 und Jänner 2006 geltend gemacht. Im Schriftsatz vom 9. 5. 2006 (ON 12) behaupteten die Kläger einen Verzug mit den Mietzinsen für Februar bis Mai 2006. In der Verhandlung vom 19. 5. 2006 wurden diese Schriftsätze vorgetragen, das Klagebegehren wurde ausgedehnt. Die dem Beklagtenvertreter nach der Aktenlage gemäß § 112 ZPO direkt übermittelten Schriftsätze ON 10 und 12 sind als zugegangene Mahnungen des Mietzinsrückstands zu werten. Die ausdrückliche Gewährung einer Nachfrist war aufgrund der tatsächlich gewährten Nachfrist bis zur Ausdehnung am 19. 5. 2006 nicht erforderlich (9 Ob 110/03x). Der Verzug der Beklagten mit der Zahlung der aushaftenden Mietzinse wäre erst mit dem Einlangen der Gutschrift aus dem Überweisungsauftrag auf dem Konto des Klagevertreters beseitigt gewesen (1 Ob 222/99z; vgl RIS-Justiz RS0033064; Reischauer in Rummel³ § 905 ABGB Rz 23). Dass der überwiesene Betrag zum Zeitpunkt der Ausdehnung am 19. 5. 2006, die in der ersten halben Stunde der um 9:00 Uhr begonnenen Verhandlung erfolgte, bereits auf dem Konto des Klagevertreters eingelangt gewesen wäre (was der Klagevertreter in der Verhandlung bestritt), steht nicht fest; dies geht zu Lasten der Beklagten, die die Rechtzeitigkeit der behaupteten Zahlung nachzuweisen hat (vgl RIS-Justiz RS0037797). Aufgrund des zu diesem Zeitpunkt bestandenen qualifizierten Mietzinsrückstands ist es vertretbar, den mit der Ausdehnung vorgenommenen Ausspruch der Aufhebungserklärung als wirksam zu werten (8 Ob 96/08p).

5. Ob den Mieter an der nicht rechtzeitigen Zahlung des Mietzinses ein grobes Verschulden trifft, stellt eine Frage des Einzelfalls dar (RIS-Justiz RS0042773). Eine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung lässt sich hier bei den mehrfach verzögerten Zahlungen (vgl 1 Ob 172/08p) nicht erkennen. Die Revision erklärt insbesondere nicht, warum der Beklagtenvertreter trotz der am 18. 11. 2005 vorliegenden Zustimmung zur Herstellung des Internetanschlusses, der danach nicht stattgefundenen Vergleichsgespräche und der Neuverpachtung ab April 2006 die Mieten aus dem vorhandenen Depot (jedenfalls ab April 2006) nicht fristgerecht bezahlt hat. Das Argument der Revisionswerberin zu den Gegenforderungen, auf deren Berechtigung sie als Laiin wegen der mangelnden Unterstützung bei Herstellung des Internetanschlusses vertraut hätte, zwingt zu keiner gegenteiligen Beurteilung, hat sie doch Gegenforderungen nur für den Zeitraum bis März 2006 behauptet und letztlich den gesamten Mietzinsrückstand vorbehaltlos gezahlt. Die in der Revision zitierte Entscheidung 1 Ob 531/91 betrifft eine unvertretbare Rechtsansicht des Anwalts eines Mieters zur Höhe des angemessenen Mietzinses und damit keine vergleichbare Konstellation.

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