OGH 1Ob283/02b

OGH1Ob283/02b28.1.2003

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adolf P*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) S***** Gesellschaft m. b. H., ***** und 2) A***** Gesellschaft m. b. H., ***** wegen EUR 138.078,- s. A. und Feststellung (Streitwert EUR 7.267) infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 15. Oktober 2002, GZ 16 R 224/02g-5, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 26. August 2002, GZ 20 Cg 177/02s-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird, soweit sich die Klage gegen die erstbeklagte Partei richtet, bestätigt. Dagegen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit sie die Klage gegen die zweitbeklagte Partei zum Gegenstand haben, aufgehoben.

Insoweit wird dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die klagende Partei hat die halben Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen; die verbleibende Hälfte der Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger begehrte Schadenersatz für in Zusammenhang mit Blutplasmaspenden verursachte Gesundheitsschäden durch Infektion mit dem Hepatitis C-Virus und die Feststellung der Haftung der beklagten Parteien für alle künftigen Infektionsschäden.

Er brachte vor, von 1969 bis 1976 etwa zweimal wöchentlich Blut zur Gewinnung von Blutplasma in der Plasmapheresestelle der Erstbeklagten in Linz gespendet zu haben. In der Folge sei beim Kläger eine chronische Hepatitis C und Leberzirrhose diagnostiziert worden; am 7. 6. 1999 habe er sich einer Lebertransplantation unterziehen müssen. Die Erkrankung habe sich in Form von ständiger Müdigkeit, Antriebslosigkeit, Depressionen, sowie Konzentrations- und Schlafstörungen ausgewirkt. Die Leistungsfähigkeit des Klägers sei dramatisch gesunken, er könne keine körperlich anstrengende Arbeit mehr verrichten. Erst durch die Medienberichte des Jahres 2002 habe der Kläger von der Kausalität der seinerzeitigen Blutabnahmen für seine Gesundheitsschäden erfahren.

Die Erstbeklagte habe bis zum Inkrafttreten des Plasmapheresgesetzes keine Gewerbeberechtigung gehabt, an ihrem Standort in Linz Blutplasma zu gewinnen. Sie hafte daher wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB. Die Erstbeklagte habe ferner Vorkehrungen zur Vermeidung der Ansteckung von Blutspendern mit dem Hepatitis C-Virus unterlassen. Die Blutabnahme sei unter hygienischen Bedingungen erfolgt, die nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen haben. Die Ansteckung mit Hepatititis C könne nur beim Blutspenden eingetreten sein. Die Erstbeklagte habe insofern auch vertragliche Sorgfaltspflichten verletzt. Sie habe es überdies unterlassen, den Kläger über mögliche Risken aufzuklären. Im Fall einer Aufklärung hätte er kein Blut gespendet.

Die Zweitbeklagte sei von Anfang an bestrebt gewesen, Vorfeldorganisationen zu schaffen, um die Haftung für Projekte mit voraussehbarer Schadensgeneigtheit abzuschieben, in solchen Organisationen jedoch den entscheidenden Einfluss über die in die Geschäftsleitung als Geschäftsführer entsandten Personen auszuüben. Sie habe in Wahrheit das Unternehmen der nur formell selbstständigen Erstbeklagten selbst betrieben und geführt. Die Erstbeklagte sei "mit einem ganz geringen und im Verhältnis zu den zu erwartenden Risiken geradezu lächerlichen Grundkapital ausgestattet worden". Die Geräte und das für die Plasmapherese erforderliche Wissen seien von der Zweitbeklagten zur Verfügung gestellt worden. Diese habe das gewonnene Plasma aufgrund einer Abnahmegarantie übernommen und deshalb auch eine Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen gehabt. Sie sei über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung fortlaufend informiert gewesen, ohne jedoch etwas zu deren Behebung unternommen zu haben. Die Zweitbeklagte müsse dem Kläger daher für seine Schäden direkt einstehen.

Die Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien folge aus § 75 und § 93 JN. Der Klagsanspruch werde gegen keine der in Anspruch genommenen beklagten Parteien aus Handelsgeschäften abgeleitet.

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Der Kläger mache Ansprüche aus der Schlechterfüllung eines Vertrags geltend, der auf Seiten der Erstbeklagten ein Handelsgeschäft gewesen sei. Das Erstgericht sei daher sachlich, aber zudem auch örtlich nicht zuständig, weil die Erstbeklagte ihren allgemeine Gerichtsstand außerhalb des Sprengels des Erstgerichts habe. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft liege nicht vor, weil der gemeinsame Gerichtsstand der Schadenszufügung in Linz gegeben sei. Die Zuständigkeit des Handelsgerichts sei auch in Ansehung der Zweitbeklagten gegeben, weil sich der Kläger nach seinem Vorbringen auch insoweit auf die Schlechterfüllung eines Vertrags stütze.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Realakte, die der Erfüllung von Handelsgeschäften dienten, würden im Betrieb des Handelsgewerbes gesetzt. Die im Verhältnis zur Zweitbeklagten behauptete Durchgriffshaftung verändere nicht den Kern der Rechtsnatur des Klagsanspruchs. Gegen die Zweitbeklagte werde kein selbstständiger Anspruch erhoben, sondern es werde dieser aus einem Handelsgeschäft abgeleitet, auch wenn der Verstoß gegen eine Schutznorm für den behaupteten Schaden mitursächlich gewesen sei. Schutznormen seien auch in Erfüllung eines Vertragsverhältnisses einzuhalten. Gegen die Zweitbeklagte träten zur Anspruchsbegründung nur noch jene Umstände hinzu, die allenfalls eine "Durchgriffshaftung" rechtfertigen könnten. Daher sei "das Handelsgericht" für die gegen beide beklagten Parteien erhobenen Ansprüche sachlich zuständig und es begründe der allgemeine Gerichtsstand der Zweitbeklagten gemäß § 93 JN den Gerichtsstand für die Erstbeklagte als Streitgenossen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Der Kläger will beide beklagten Parteien beim allgemeinen Gerichtsstand der Zweitbeklagten in Anspruch nehmen. Er stützte das Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte einerseits auf die Rechtsfigur der Durchgriffshaftung, andererseits aber auch darauf, dass die Zweitbeklagte allgemeine Verhaltenspflichten verletzt habe und ihm auch deshalb für Gesundheitsschäden, die er als Folge der behaupteten Hygienemängel beim Blutspenden zur Blutplasmagewinnung erlitten habe, einstehen müsse. Soweit wirft er der Zweitbeklagten ein spezifisches, unmittelbar gegen ihn gerichtetes deliktisches Verhalten als Ursache seiner Gesundheitsschäden vor. Dieser Haftungsgrund beruht unmittelbar auf dem Gesetz, also nicht auf der Verletzung von Pflichten im Rahmen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung. Daraus folgt, dass für die Klage gegen die Zweitbeklagte nicht die Handelsgerichtsbarkeit, sondern das angerufene Gericht zuständig ist, hat doch die zweitbeklagte Partei - an ihren Sitz anknüpfend - gemäß § 75 Abs 1 JN dort ihren allgemeinen Gerichtsstand (4 Ob 275/02y; 8 Ob 241/02b; 7 Ob 272/02d; 7 Ob 280/02f; 7 Ob 284/02w).

2. Der Kläger berief sich auch auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 Abs 1 JN. Danach soll das angerufene Gericht auch für die Klage gegen die Erstbeklagte zuständig sein. Dieser Gerichtsstand ist jedoch nur dann gegeben, wenn für den Rechtsstreit nicht ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch wurde aus einer Körperverletzung abgeleitet, die der Kläger nach seinem Vorbringen infolge des unsachgemäßen Vorgehens der Erstbeklagten bei der Blutabnahme zur Plasmagewinnung, das die Zweitbeklagte abstellen hätte können und müssen, erlitten habe. Solche Ansprüche aus deliktischem Verhalten können gemäß § 92a JN - auch gegen mehrere Ersatzpflichtige - bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden sein soll. Die Erstbeklagte handelte nach den Klagebehauptungen in Linz. Dort hätte auch die Zweitbeklagte in Erfüllung ihrer behaupteten Verkehrssicherungspflicht tätig werden müssen, um die schadensursächlichen Hygienemängel abzustellen. Auf dem Boden solcher Klagegründe ist der Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide beklagten Parteien in Linz begründet. Schon deshalb scheidet eine erfolgreiche Berufung auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus. Es muss daher nicht mehr erörtert werden, ob ein Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide beklagten Parteien auch dann bestünde, wenn der Kläger den gegen die Zweitbeklagte erhobenen Anspruch nur auf die Rechtsfigur der Durchgriffshaftung gestützt hätte (4 Ob 275/02y; 8Ob 241/02b; 7 Ob 272/02d;7 Ob 280/02f; 7 Ob 284/02w).

3. Somit ist dem Revisionsrekurs als Ergebnis aller bisherigen Erwägungen teilweise Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist die Erstbeklagte betreffend zu bestätigen und im übrigen Umfang aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 und § 50 iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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