OGH 1Ob260/08d

OGH1Ob260/08d26.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rita H*****, vertreten durch Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gerhard Mitteregger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 17.230,43 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), infolge Revision der beklagten Partei (Revisionsstreitwert 20.885,46 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Oktober 2008, GZ 2 R 153/08d‑24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 22. April 2008, GZ 41 Cg 128/07b‑19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00260.08D.0226.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird eine neuerliche Urteilsfällung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

 

Die Klägerin war Angestellte einer GmbH und hatte ihren Arbeitsplatz in einem Gebäude der Technischen Universität Innsbruck. Dieses steht im Eigentum der Beklagten, die die gesamte Liegenschaft an die Universität vermietet hat. Die Klägerin parkte ihr Fahrzeug üblicherweise auf einem Parkdeck auf dem Universitätsgelände. Dieses ist von jenem Gebäude, in dem sich der Arbeitsplatz der Klägerin befindet, einerseits über einen unterirdischen Gang, andererseits aber auch von einem mit Pflastersteinen belegten Vorplatz aus über eine betonierte Stiege erreichbar. Am 25. 10. 2006 gegen 22:45 Uhr nahm sie den Weg über die Stiege, weil ihre Begleiterin nicht den unterirdischen Gang benutzen wollte. Die - vom Ausgangspunkt der Klägerin abwärts führende - Stiege wies nur auf der rechten Seite einen Handlauf auf; die Klägerin ging auf der linken, ihre Begleiterin auf der rechten Seite. Im Übergangsbereich von den Pflastersteinen zur betonierten Treppe gab es in den Seitenbereichen Niveauunterschiede von 1 bis 2 cm. Die Stiege war damals nicht beleuchtet. In einem Seitenabstand von ca 1 m von der Treppe waren an der Mauer des Universitätsgebäudes zwei Halogenstrahler montiert, die über Bewegungsmelder aktiviert wurden, wobei die Erfassungsmöglichkeit sich nähernder Personen entfernungsmäßig verändert werden konnte. Etwa 3 m vor der Treppe wurde die Klägerin von ihrer Begleiterin gewarnt, dass die Beleuchtung wieder nicht funktioniere, weshalb die Klägerin sich der Treppe langsam näherte. Cirka 1 m vor der Treppe warnte die Begleiterin vor den dortigen Absätzen. Unmittelbar nach der Warnung stolperte die Klägerin dennoch aufgrund des Niveauunterschieds, indem sie an der Kante mit dem Schuh hängen blieb, und stürzte einen Großteil der Stufen hinunter. Dadurch zog sie sich erhebliche Verletzungen zu.

Am Unfallstag funktionierte zumindest der dem oberen Treppenrand näher angebrachte Halogenscheinwerfer nicht. Auf der Liegenschaft finden regelmäßig Kontrollgänge durch die Hausaufsicht statt, bei welchen auch ein allenfalls erforderlicher Leuchtmittelaustausch vorgenommen wird, während bei größeren Schäden die für Gebäude und Infrastruktur zuständige Abteilung der Beklagten verständigt wird.

Die Klägerin begehrte von der Beklagten 17.230,43 EUR samt Zinsen und die Feststellung der Haftung für künftige Schäden aus dem Unfall. Ihre Schadenersatzansprüche würden auf sämtliche Rechtsgrundlagen, insbesondere auf § 1319a ABGB gestützt. Die Beklagte sei Halterin der Treppe und habe grob fahrlässig deren Instandhaltung unterlassen und eine Gefahrenquelle nicht beseitigt, obwohl sie Kenntnis sowohl vom mangelhaften Zustand der Treppe als auch vom Nichtfunktionieren der dort angebrachten Lampen gehabt habe. Es handle sich bei der Treppe um einen offiziellen Abgang zur Tiefgarage, der auch als solcher gekennzeichnet sei. Deren mangelhafter Zustand sei der Klägerin nicht bekannt gewesen, weil sie üblicherweise den unterirdischen Gang verwendet habe.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, die Unebenheiten seien so geringfügig gewesen, dass die Klägerin das alleinige Verschulden am Unfall treffe. Sie hätte den Unfall auch durch die Wahl eines anderen Zugangs, nämlich über den unterirdischen Gang, vermeiden können. Die Beklagte treffe höchstens ein geringfügiges Verschulden. Sollte die Beleuchtung tatsächlich nicht funktioniert haben, hätte die Klägerin die unbeleuchtete Stiege nicht benützen dürfen. Sie hätte jedenfalls jene Seite der Treppe wählen müssen, an der sich ein Geländer befunden habe. Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Streitteilen seien die §§ 333 ff ASVG zumindest analog anzuwenden. Danach setzte eine Haftung der Beklagten Vorsatz voraus, der nicht vorläge.

Das Erstgericht gab der Klage in ihrem Feststellungsbegehren und im Großteil des Zahlungsbegehrens statt und wies ein Mehrbegehren von 1.344,97 EUR (samt Zinsen) ab. Es stellte über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus noch fest, es sei bekannt gewesen, dass es Probleme mit der Beleuchtung gab, zumal die Begleiterin der Klägerin schon vor dem Unfall des öfteren auf diese Probleme hingewiesen hätte. Die §§ 333 ff ASVG seien nicht anwendbar, da zwischen den Streitteilen kein Dienstnehmerverhältnis bestehe und die Beklagte daher auch nicht haftungsprivilegiert sei. Auch zwischen der Arbeitgeberin der Klägerin und der Beklagten als Eigentümerin der Liegenschaft bzw der Universität als Mieterin bestehe kein Rechtsverhältnis. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus § 1319 ABGB. Diese Bestimmung werde von der Rechtsprechung weit ausgelegt und etwa auch auf Fälle angewendet, in denen jemand in Baugruben, Schächte oder Ähnliches stürze. Hier sei der Garagenabgang aufgrund der defekten Lampe nicht nur nicht ausreichend beleuchtet gewesen, sondern er habe sich darüber hinaus aufgrund des Niveauunterschieds zwischen den vor Beginn der Stiege verlegten Bodenplatten und dieser selbst in einem schlechten Zustand befunden. Besitzer im Sinne des § 1319 ABGB sei der Halter, also derjenige, der die Gefahr rechtzeitig abwehren und rechtzeitig nötige Vorkehrungen treffen könne. Dies sei hier die Beklagte, die für die Gebäudesanierung und Aufsicht und damit auch für die rechtzeitige Gefahrenabwehr zuständig gewesen sei. Die Gefahr sei für die Beklagte erkennbar gewesen, zumal schon früher auf die nicht funktionierende Beleuchtung hingewiesen worden sei. Ein Mitverschulden sei der Klägerin nicht vorzuwerfen, da es dieser frei gestanden sei, den „offiziellen" Zugang zur Tiefgarage über die Stiege zu benutzen. Sie habe sich der Treppe auch vorsichtig genähert, den Sturz aber aufgrund der Mangelhaftigkeit der Beleuchtung und des (gefährlichen) Übergangs von den Bodenplatten zur Treppe nicht verhindern können.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Dienstgeberprivileg des § 333 ASVG komme der Beklagten nicht zu Gute, weil die Klägerin weder ihre Dienstnehmerin noch Studentin der Universität gewesen sei. Die Klägerin habe ihre Ansprüche auch keineswegs ausschließlich auf § 1319a ABGB gestützt, sondern ein Vorbringen erstattet, das die Subsumtion des Sachverhalts auch unter § 1319 ABGB zulasse, wobei sie auch ausdrücklich erklärt habe, ihre Ansprüche auf sämtliche Rechtsgrundlagen zu stützen. Es treffe nicht zu, dass die Beklagte als Wegehalterin gleichzeitig auch als Besitzerin einer im Zuge eines Wegs bestehenden Anlage im Sinn des § 1319 ABGB zu werten sei und dass § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB verdränge. Die gegenständliche Treppe sei kein Weg im Sinn von § 1319a ABGB, sondern ein Gebäudeteil. Die Beklagte sei als Gebäudehalterin im Sinn des § 1319 ABGB anzusehen, weil sie für die Behebung größerer Schäden zuständig gewesen sei und nach dem Unfall auch die Niveauunterschiede beseitigt und einen zweiten Handlauf sowie einen zusätzlichen Lichtmast angebracht habe. Der Klägerin sei kein Mitverschulden vorzuwerfen. Sie habe der einzuschlagenden Wegstrecke ausreichende Aufmerksamkeit zugewendet, aufgrund der ungünstigen Beleuchtungsverhältnisse die Unebenheiten aber nicht erkennen können. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil zur Haftung nach § 1319 ABGB eine einheitliche oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe, an die sich das Berufungsgericht gehalten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

Vorweg ist festzuhalten, dass das Berufungsgericht über die vom Erstgericht vorgenommene Korrektur des Unfalldatums im Feststellungsausspruch bereits abschließend abgesprochen hat (RIS‑Justiz RS0042963); ein (revisibler) Mangel des Berufungsverfahrens selbst wird gar nicht behauptet.

Der Oberste Gerichtshof hat in seiner früheren Judikatur eine Konkurrenz zwischen den Haftungsnormen des § 1319 und des § 1319a ABGB angenommen. Dies wurde in jüngerer Zeit nicht mehr aufrecht erhalten. Nunmehr wird judiziert (SZ 70/71 = 4 Ob 104/97s; RIS‑Justiz RS0107589), dass § 1319a ABGB als Spezialnorm § 1319 ABGB verdrängt, wenn der Wegehalter gleichzeitig als Besitzer einer im Zug des Wegs bestehenden Anlage zu werten ist. Dem schließt sich der erkennende Senat an, zumal jede befestigte Weganlage regelmäßig als ein „Werk" im Sinn des § 1319 ABGB zu qualifizieren ist, womit die Haftungsbeschränkung des Wegehalters (Haftung für grobes Verschulden) weitgehend ihre Bedeutung verlöre, stünde dem Geschädigten zugleich ein Anspruch nach § 1319 ABGB zu. Jedenfalls dort, wo die Funktion einer Baulichkeit als Verkehrsweg klar im Vordergrund steht, ist § 1319a ABGB gegenüber § 1319 ABGB als lex specialis anzusehen, auch wenn die Anlage - etwa eine Treppe - zugleich als Gebäudeteil qualifiziert werden kann. Kommt jemand zu Schaden, weil die in diesem Sinne als „Weg" gewidmete Fläche mangelhaft, also etwa uneben und/oder nicht ausreichend beleuchtet ist, kann der Geschädigte seine Ansprüche nur auf § 1319a ABGB, nicht aber (auch) auf § 1319 ABGB stützen. Sollte der zu 4 Ob 56/04w ergangenen Entscheidung eine abweichende Rechtsansicht zugrundeliegen, vermag sich der erkennende Senat dem nicht anzuschließen. In dem dort entschiedenen Fall ging es aber offenbar gar nicht um einen einem größeren Personenkreis zur Benützung offen stehenden „Weg", sondern darum, dass ein „privater" Kellerabgang nicht gesichert war, weshalb die Gefahr bestand, dass ortsfremde Passanten in diesen Abgang stürzen konnten.

Da die Vorinstanzen aufgrund ihrer abweichenden Rechtsansicht keinen Anlass hatten, sich damit auseinanderzusetzen, welcher Verschuldensgrad den Organen bzw Repräsentanten der Beklagten zur Last fällt, haben sie dazu auch keine ausreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen, was im fortgesetzten Verfahren nachzuholen sein wird. Dabei wird insbesondere auch die Feststellung zu präzisieren sein, nach der die Probleme mit der Beleuchtung bekannt gewesen seien, zumal die Begleiterin der Klägerin darauf schon des öfteren hingewiesen habe. Hier wird insbesondere klar zu stellen sein, wem gegenüber diese Hinweise erfolgt sind und worauf die offenbar wiederholten Ausfälle der Beleuchtung zurückzuführen waren. Auch die Frequenz der „regelmäßigen" Kontrollgänge wird zu klären sein.

Was die mangelnde Anwendbarkeit des § 333 ASVG sowie das fehlende Mitverschulden der Klägerin betrifft, schließt sich der erkennende Senat den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanzen an, sodass darauf verwiesen werden kann. Aus der von der Revisionswerberin angesprochenen Entscheidung (SZ 2006/159 = 2 Ob 75/06b) ist für den vorliegenden Fall schon deshalb nichts zu gewinnen, weil sich dort eine Schülerin verletzt hatte (vgl § 335 Abs 3 ASVG), wogegen das Haftungsprivileg des Schulerhalters Dritten gegenüber nicht anwendbar ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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