Spruch:
§ 367 ABGB. ist auch auf Superädifikate anwendbar.
Dem Naturalbesitzer eines Superädifikates, der die Urkundenhinterlegung unterlassen hat, kommt gleichwohl Besitzesschutz und das Klagerecht nach § 372 ABGB. zu.
Entscheidung vom 18. April 1951, 1 Ob 239/51.
I. Instanz: Landesgericht Linz - Nord; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Das Erstgericht wies die auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes gestützte Klage auf Zahlung des Betrages von 12.500 S s. A. ab. Im Jahre 1945 habe Günther S. auf einem dem Peter H. gehörigen Grundstück in D. mit Zustimmung des Gründeigentümers ein Behelfshaus für seinen Chauffeur Jaroslav S. erbaut und sich zur Entfernung des Behelfsheimes nach Kriegsende verpflichtet. Jaroslav. S. sei nicht Eigentümer des Superädifikates geworden, und darum hätten auch die Kläger von ihm Eigentum nicht erwerben können. Diese könnten deshalb von den Beklagten keinen Schadenersatz für weggeführtes Baumaterial verlangen. Im übrigen sei es nicht erwiesen, daß sich der Dritt- und der Viertbeklagte Material angeeignet hätten. Wenn den Klägern ein Schadenersatz zustehen würde, könnte es sich mit Rücksicht auf die Räumungsverpflichtung dem Gründeigentümer gegenüber nur um den Wert des Materials, nicht aber des Hauses selbst handeln. Dieser Wert betrüge beim Erst- und Fünftbeklagten 306 S und beim Zweitbeklagten 75 S. Infolge Berufung der Kläger bestätigte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil. Entgegen der Rechtsmeinung des Erstgerichtes nahm das Berufungsgericht zwar die Möglichkeit des Eigentumserwerbs nach § 367 ABGB. an Überbauten nach § 435 ABGB. an. Die Kläger hätten aber nicht behauptet, daß sie Besitz am Behelfsheim erworben hätten und daß der Besitz redlich begrundet worden sei.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der Rechtsstreit betrifft ein Behelfshaus auf fremdem Grund, somit ein Bauwerk im Sinne des § 435 ABGB. Solche Bauwerke sind als bewegliche Sachen anzusehen (E. v. 21. Jänner 1948, SZ. XXI/57, u. a.). Der abgeleitete Erwerb daran setzt nach der Regel des § 435 ABGB. die gerichtliche Hinterlegung der Vertragsurkunde voraus. Dem Naturalbesitzer des Bauwerkes, der die Urkundenhinterlegung unterlassen hat, kommt aber jedenfalls Besitzesschutz sowie das Klagerecht nach § 372 ABGB. gegen jeden zu, der nur über einen schwächeren Besitztitel verfügt.
Die Kläger haben behauptet, daß sie auf Grund der Vereinbarung vom 29. August 1945 mit Jaroslav S. das Grundstück mit dem Bauwerk übernommen und gekauft haben und daß das Bauwerk ihnen ins Eigentum übertragen worden ist. Sie haben damit vorgebracht, daß sie den Besitz am Bauwerk durch Übergabe erlangt haben. Diese Behauptung steht nicht im Widerspruch zum weiteren Vorbringen, daß die Besatzungsmacht das Haus beschlagnahmt hat. Denn dies fand erst im November 1945 statt, so daß bis dahin eine Übergabe und Besitzergreifung durch die Kläger stattgefunden haben könnte. Die Ansicht des Berufungsgerichtes, die Kläger hätten sich auf einen Besitzerwerb nicht berufen, ist aktenwidrig. Es ist auch unzutreffend, wenn das Berufungsgericht meint, die Kläger hätten nicht vorgebracht, den Besitz am Bauwerk redlich erworben zu haben. Den Ausführungen der Klage ist zu entnehmen, daß die Kläger den Jaroslav S. für den Eigentümer des Bauwerkes gehalten haben. Sonst hätten sie den Kaufvertrag vom 29. August 1945 vernünftigerweise nicht geschlossen. Die Kläger hätten daher angenommen, daß Jaroslav S. ihnen das Häuschen ins Eigentum übertrage. Von den Beklagten wurde bei der Streitverhandlung vom 23. November 1949 dementsprechend ausdrücklich behauptet, daß die Kläger beim Erwerb nicht gutgläubig gewesen seien. Es wurde von ihnen hiezu auch Beweis angeboten, wozu um so mehr Anlaß war, als nach § 328 ABGB. im Zweifel die Vermutung für die Redlichkeit des Besitzes streitet.
Die Schadenersatzklage wird darauf gestützt, daß den Klägern das ihnen gehörige Material des Bauwerkes durch die Beklagten entzogen worden sei. Im Klagsvorbringen ist nicht nur die Behauptung des Eigentums an diesem Material, sondern nach dem früher Gesagten auch die Behauptung des rechtmäßigen, echten und redlichen Besitzerwerbes daran enthalten. Falls diese Angaben richtig sind, ergäbe sich trotz der unterlassenen Urkundenhinterlegung die rechtliche Vermutung des Eigentums der Kläger am Bauwerk im Sinne des § 372 ABGB. Im übrigen käme die Heranziehung des § 367, dritter Fall, ABGB. in Frage, weil die Überlassung des Bauwerkes zu Wohnzwecken an Jaroslav S. durch den Eigentümer Günther S. den Tatbestand des Anvertrauens zum Gebrauch im Sinne des § 367 ABGB. herstellen könnte.
Die rechtliche Begründung des Berufungsgerichtes hält einer Überprüfung nicht stand. Es wäre vielmehr Sache des Berufungsgerichtes gewesen, in die Feststellung des Sachverhaltes im Sinne der vorangeführten rechtlichen Erwägungen einzugehen. Der Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, die auch die Mangelhaftigkeit des Verfahrens des Berufungsgerichtes zur Folge hatte, ist gegeben. Das angefochtene Urteil mußte aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung zurückverwiesen werden. Dieses Gericht wird zu beurteilen haben, ob mit den Feststellungen des Erstgerichtes das Auslangen gefunden werden kann oder ob es zur Aufhebung auch des erstgerichtlichen Urteiles zu kommen hat. Auf den noch geltend gemachten Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit brauchte bei dieser Sachlage nicht näher eingegangen zu werden.
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