European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00227.22X.1122.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
[1] 1. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der Beklagte als Eigentümer eines herrschenden Grundstücks nicht berechtigt sei, eine zu Lasten der dienenden Grundstücke der Klägerin im Grundbuch eingetragene Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens insoweit zu erweitern, als Mieter/Eigentümer bzw Besucher eines am herrschenden Grundstück zu errichtenden Mehrparteienhauses mit acht Wohneinheiten und 15 KFZ-Abstellplätze „berechtigt seien“, über den über die Grundstücke der Klägerin führenden Dienstbarkeitsweg zu gehen oder zu fahren. Hilfsweise erhob sie das Begehren, die Mieter/Eigentümer bzw Besucher des auf dem herrschenden Grundstück des Beklagten zu errichtenden Mehrparteienhauses seien verpflichtet, die Ausübung des Geh- und Fahrrechts über ihre dienenden Grundstücke zu unterlassen.
[2] 2. Kurz vor Einbringung der vorliegenden Klage hatte der (hier) Beklagte in einem von ihm gegen die Klägerin eingeleiteten Verfahren die Feststellung begehrt, dass das zu Gunsten seines (herrschenden) Grundstücks und zu Lasten der (dienenden) Grundstücke der Klägerin im Grundbuch eingetragene Geh- und Fahrrecht auch das Zufahren zu einem zu errichtenden Mehrparteienwohnhaus mit acht Wohneinheiten und 15 KFZ-Abstellplätzen umfasse.
Rechtliche Beurteilung
[3] 3. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist das von beiden Vorinstanzen angenommene Prozesshindernis der Streitanhängigkeit. Dieses setzt zwei nacheinander anhängig gewordene Prozesse sowie die Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen voraus (RS0039473). Eine Identität der Ansprüche – die Parteienidentität ist hier unstrittig – besteht, wenn sich aus den vorgebrachten Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren dasselbe Rechtsschutzziel beider Sachanträge ergibt. Der später geltend gemachte Klageanspruch ist mit dem früheren Anspruch ident, wenn er durch die rechtskräftige Entscheidung über diesen ebenfalls abschließend erledigt wird (1 Ob 281/01g mwN). Die Begehren müssen nicht ident sein, vielmehr reicht es aus, wenn ein Begehren das begriffliche Gegenteil des anderen ist (RS0039246; RS0039347 [T8]). Identität besteht demnach zwischen einer positiven und einer negativen Feststellungsklage in Ansehung desselben Rechts (RS0013459 [insb T2]), insbesondere zwischen dem Begehren auf Feststellung des Bestehens sowie des Nichtbestehens einer bestimmten Servitut (RS0109015; RS0013459). Ob im Einzelfall eine Identität der in zwei Verfahren geltend gemachten Ansprüche besteht, begründet typischerweise keine Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO (RS0044453).
[4] 4. Im vorliegenden Fall ist die Bejahung der Streitanhängigkeit nicht zu beanstanden. Die Klägerin begehrt mit ihrer negativen Feststellungsklage die Entscheidung darüber, ob das zu Gunsten des herrschenden Grundstücks des Beklagten bestehende Geh- und Fahrrecht in dem von ihm behaupteten und von der Klägerin bestrittenen Umfang (Zufahrt zu einem Mehrparteienwohnhaus mit acht Wohneinheiten und 15 KFZ-Abstellplätzen) besteht. Die Klärung dieser Frage ist auch Gegenstand des positiven Feststellungsbegehrens in dem vom Beklagten bereits zuvor eingeleiteten Verfahren.
[5] Das negative Feststellungsbegehren der Klägerin weicht sprachlich zwar insoweit vom positiven Feststellungsbegehren des Beklagten im ersten Prozess ab, als die Klägerin auch die Feststellung des Nichtbestehens eines Geh- und Fahrrechts zu Gunsten der Mieter bzw Besucher des am herrschenden Grundstück zu errichtenden Mehrparteienhauses begehrt, wohingegen das Feststellungsbegehren des Beklagten im Vorprozess nur ganz allgemein auf die Zufahrt zu diesem Wohnhaus gerichtet ist. Daraus kann – entgegen der Ansicht der Revisionsrekurswerberin – aber nicht geschlossen werden, dass sich beide Feststellungsbegehren auf unterschiedliche Servitutsrechte bezögen und das negative Feststellungsbegehren der Klägerin „weiter reiche“ als das positive Feststellungsbegehren des Beklagten im ersten Verfahren. Letzteres ist im Zusammenhang mit dem Klagevorbringen (RS0037440) nämlich zweifellos dahin zu verstehen, dass die Feststellung eines Zufahrtsrechts zu dem auf dem herrschenden Grundstück zu errichtenden Mehrparteienwohnhaus „durch wen auch immer“ angestrebt wurde, also neben dem (den) jeweiligen Eigentümer(n) des herrschenden Grundstücks vor allem auch durch allfällige Mieter der zu errichtenden Wohnungen sowie deren Besucher.
[6] Nur ein solches Verständnis des vom Beklagten im Vorverfahren erhobenen Feststellungsbegehrens entspricht dem damit verfolgten Zweck, den Zugang zu dem auf seinem (herrschenden) Grundstück zu errichtenden Wohnhaus durch dessen Bewohner (Eigentümer oder Mieter) sowie deren Besucher über den bestehenden Servitutsweg sicherzustellen. Entgegen dem Standpunkt der Klägerin liegen somit beiden Verfahren idente Ansprüche (wenngleich mit umgekehrten „Vorzeichen“) zugrunde.
[7] 5. Die Zurückweisung des von der Klägerin erhobenen Eventualbegehrens stützte das Rekursgericht auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach bei Vorliegen von Streitanhängigkeit hinsichtlich des Hauptbegehrens auch das Hilfsbegehren zurückzuweisen sei (RS0037688). Dass diese Judikatur auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden wäre, zeigt die Revisionsrekurswerberin nicht überzeugend auf. Nach der zu 2 Ob 694/86 ergangenen Entscheidung kommt es für die Zurückweisung des Eventualbegehrens (nur) darauf an, ob über den Hauptanspruch (im Vorverfahren) schon entschieden wurde. Ist dies – wie hier – nicht der Fall, steht auch dem Eventualbegehren das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit entgegen. Diese Rechtsfolge wurde zwar in der zu 8 ObA 158/99i ergangenen Entscheidung (zum Hauptbegehren auf Feststellung des Bestands eines Arbeitsverhältnisses und dem Eventualbegehren auf Unwirksamerklärung einer Entlassung) auf solche Hilfsbegehren eingeschränkt, die aus den selben Tatsachen abgeleitet werden, welche auch zur Stützung des Hauptbegehrens vorgetragen wurden (vgl auch 8 Ob 108/10f: „auf demselben Klagegrund fußendes Eventualbegehren“). Im vorliegenden Fall leitet die Klägerin ihr hilfsweises Unterlassungsbegehren aber gerade aus jenem Sachverhalt ab, auf den sie auch ihr (negatives) Feststellungsbegehren stützt. Somit entspricht auch die Zurückweisung des Eventualbegehrens durch die Vorinstanzen der Rechtslage. Dass das Hilfsbegehren mit dem Hauptbegehren nicht (gänzlich) ident sei, ist eine notwendige Voraussetzung des Eventualbegehrens und vermag den Standpunkt der Klägerin nicht zu stützen.
[8] 6. Zusammengefasst ist der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerin mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 528 Abs 2 ZPO zurückzuweisen.
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