OGH 1Ob281/01g

OGH1Ob281/01g27.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Elfriede B*****, vertreten durch Dr. Markus Ch. Weinl, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei "V***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Weiss-Tessbach, Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen 1,366.778,74 S sA (hier: Feststellung) infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 9. Oktober 2001, GZ 17 R 159/01d-11, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß § 526 Abs 2 erster Satz ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Gegenstand des Rechtsmittels ist die Frage nach dem Bestehen des Prozesshindernisses der von den Vorinstanzen bejahten Streitanhängigkeit.

Die klagende Alleineigentümerin einer Liegenschaft mit einem darauf errichteten Wohnhaus begehrte von der beklagten Gesellschaft mbH, mit der ein Mietvertrag nie zustande gekommen sei, die Leistung eines Entgelts für die Benützung verschiedener Räumlichkeiten (Wohnung top Nr 5 im Erdgeschoß, top Nr 11 und 12, beide im 1. Obergeschoß sowie der Dachbodenräume des linken Seitentrakts) durch die beklagte Partei und stellte in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 7. Mai 2001 - ohne Erstattung weiteren Vorbringens - den Zwischenfeststellungsantrag, die beklagte Partei sei nicht Mieterin der oben genannten Räumlichkeiten.

Im Verfahren AZ 4 C 81/99w des Bezirksgerichts Josefstadt (im Folgenden nur Vorverfahren) begehrte die hier beklagte Partei gegenüber der hier klagenden Partei die Feststellung, dass sie Mieterin der oben genannten Räumlichkeiten sei. In der Tagsatzung vom 13. Juli 2001 wurde das Vorverfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren AZ 4 C 629/00b des Bezirksgerichts Josefstadt über die Parteifähigkeit der dort beklagten Parteien rechtskräftig unterbrochen.

Das Erstgericht unterbrach das vorliegende Verfahren bis zur rechtskräftigen Beendigung des präjudiziellen Vorverfahrens und wies den Zwischenantrag auf Feststellung wegen Streitanhängigkeit iSd § 233 ZPO zurück, weil sich das Begehren des Zwischenfeststellungsantrags mit dem im Vorverfahren erhobenen Klagebegehren decke.

Das Rekursgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 260.000 S übersteige und gegen die Bestätigung der Zurückweisung des Zwischenfeststellungsantrags der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Der außerordentliche Revisionsrekurs der klagenden Partei bringt keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO zur Darstellung.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf. Eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage ist auf Antrag (exceptio litis pendentis) oder von Amts wegen (§ 240 Abs 3 ZPO) zurückzuweisen. Trotz Streitanhängigkeit geführte Verfahren sind nichtig (1 Ob 159/00p mwN). Der vom Kläger gestellte Zwischenantrag auf Feststellung ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht einer Klage bzw. Klageerweiterung gleichzuhalten (8 Ob 514/93 u.a.), sodass auch dessen Zulässigkeit mangelnde Streitanhängigkeit zur Voraussetzung hat. Die Zurückweisung einer Klage oder eines Zwischenantrags auf Feststellung wegen Streitanhängigkeit setzt neben der Identität der Parteien und der Ansprüche in diesen beiden Prozessen zwei nacheinander streitanhängig gewordene Prozesse voraus. Im vorliegenden Fall langte die Klage im Vorverfahren am 17. Februar 1999, zeitlich somit vor dem hier zu beurteilenden Zwischenfeststellungsantrag, bei Gericht ein. Ob im Vorverfahren bereits Beweisaufnahmen erfolgten, ist unerheblich.

Im vorliegenden Fall ist die Identität der Parteien nicht strittig. Die hier beklagte und die im Vorverfahren klagende Partei haben denselben Firmenwortlaut; beide werden überdies durch dieselbe, in den beiden Klageschriftsätzen genannte Firmenbuchnummer FN *****identifiziert.

Die Identität der Ansprüche ist gegeben, wenn sich aus den vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und den daraus abgeleiteten Begehren ergibt, dass die Sachanträge in beiden Prozessen dasselbe Rechtschutzziel anstreben, sodass für eine meritorische Entscheidung über die zweite Klage das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Im Vordergrund steht dabei die Wesensgleichheit des materiellen Anspruchs (1 Ob 60/97y = SZ 70/261 mwN). Der später geltend gemachte Klageanspruch ist mit dem Anspruch der "Vorklage" identisch, wenn er durch die rechtskräftige Entscheidung des "Vorprozesses" ebenfalls abschließend rechtskräftig erledigt wird. Keine Identität der Ansprüche liegt dort vor, wo in einem Rechtsstreit der vorgebrachte Tatsachenkomplex - anders als hier - nur zur rechtlichen Beurteilung der Vorfrage, im zweiten Rechtsstreit aber zur Beurteilung des Anspruchs in der Hauptsache selbst vorgebracht und erforderlich ist. Die Begehren müssen nicht identisch sein, es reicht aus, wenn das Begehren der einen Klage das genaue begriffliche Gegenteil der anderen darstellt. Identität besteht somit zwischen positiver und negativer Feststellungsklage in Ansehung desselben Rechtsverhältnisses (SZ 70/261; 1 Ob 55/99s = EvBl 1999/145 = RZ 1999/58; 1 Ob 159/99p mwN; 3 Ob 107/99b = MietSlg 51.764 u.a.; Rechberger/Frauenberger in Rechberger2, § 228 ZPO Rz 15; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1187). Ebenso wie bei Abweisung eines negativen Feststellungsbegehren aus meritorischen Gründen das zugrundeliegende Recht oder Rechtsverhältnis positiv festgestellt ist, gilt dasselbe auch im umgekehrten Fall der Abweisung eines positiven Feststellungsbegehrens: Damit ist auch das Nichtbestehen des Rechts oder Rechtsverhältnisses positiv festgestellt (3 Ob 107/99b). Im vorliegenden Fall bedeutet dies: Eine Abweisung der positiven Feststellungsklage im Vorverfahren stellt rechtskräftig fest, dass die hier beklagte Partei nicht Mieterin der oben genannten Räumlichkeiten ist. Bereits damit hat die Klägerin auch ihr hier angestrebtes Rechtsschutzziel erreicht.

Es fehlt daher dem Begehren der Klägerin in ihrem Zwischenantrag auf Feststellung die allgemeine (negative) Prozessvoraussetzung der fehlenden Streitanhängigkeit. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 528a iVm § 510 Abs 3 ZPO).

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