Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien an das Gericht zweiter Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Innsbrucker Liegenschaft mit Wohnhaus. Dieses Gebäude wurde um die Jahrhundertwende errichtet. Die Beklagten sind Miteigentümer einer benachbarten Liegenschaft mit Wohnhaus. Beide Häuser sind Teil der Gebäudezeilen einander kreuzender Straßen und bilden mit einem weiteren Haus einen an drei Seiten geschlossenen Innenhof. Dieser dient einem Installationsunternehmen als Lager- und Parkplatz. Er wird im übrigen als Abstellfläche für Fahrräder und Abfallcontainer verwendet und macht insgesamt einen „sehr ungepflegten Eindruck“. Das Haus der Klägerin hat vier Stockwerke und ein ausgebautes Dachgeschoß. Letzteres wird von der Klägerin bewohnt, die beabsichtigt, an ihr Haus hofseitig einen Personenaufzug bis zum vierten Stockwerk anbauen zu lassen. Dadurch träte eine Verringerung des Mindestabstands zum Haus der Beklagten von derzeit 10,5 m auf 8,75 m ein. Deshalb setzt eine Baubewilligung gemäß § 7 Abs 7 TBO die ausdrückliche Zustimmung betroffener Nachbarn voraus. Nur die Beklagten verweigerten einer solchen Baumaßnahme ihre Zustimmung. Die mit Lärm- und Staubentwicklung verbundenen Bauarbeiten benötigten drei bis fünf Monate. Der Transport des Baumaterials könnte durch das Haus der Klägerin erfolgen. Eine Wertminderung der Miteigenumsanteile der Beklagten bzw eine Beeinträchtigung des Blicks auf die gegenüberliegende Fassade als Konsequenz einer Errichtung des geplanten Personenaufzugs ist nicht feststellbar. Die Wohnung des Erstbeklagten im ersten Stockwerk hat Fenster zum Innenhof. Eine Glasveranda und ein Balkon sind ebenso dorthin ausgerichtet. Der Sohn der Zweitbeklagten benützt deren Wohnung über jener des Erstbeklagten. Im Haus der Klägerin sind - abgesehen vom Dachgeschoß - alle anderen Wohnungen vermietet. Im vierten Stockwerk wohnt eine Familie mit zwei Kleinkindern, im dritten Stockwerk eine betagte Dame mit Lungenbeschwerden. Diese ist oft darauf angewiesen, ein auf einem Handkarren montiertes Sauerstoffgerät mitzuführen. Das Durchschnittsalter der übrigen Mieter im Haus der Klägerin liegt bei 65 bis 70 Jahren. Die Klägerin wurde 1931 geboren. Sie darf nach zwei Operationen keine schweren Sachen mehr tragen und soll jede Überanstrengung vermeiden. Für ihren 1929 geborenen Ehemann ist das Stiegensteigen und Koffertragen beschwerlich. Das Ehepaar hält sich drei- bis viermal jährlich für ein bis zwei Wochen in Innsbruck auf. Eine 1988 im ersten Stockwerk des Hauses der Klägerin frei gewordene Wohnung wurde neuerlich vermietet. Etwa 1993 verstarb eine Mieterin im zweiten Stockwerk. Deren Wohnung wurde renoviert und ebenso weitervermietet.
Die Klägerin begehrte, die Beklagten schuldig zu erkennen, dem Bauvorhaben aufgrund einer bestimmten Planurkunde binnen 14 Tagen schriftlich zuzustimmen. In einem Eventualbegehren strebte die Klägerin die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden infolge Verweigerung der bezeichneten Zustimmmung verursachten Schaden an. Sie brachte vor, auf den geplanten Personenaufzug dringend angewiesen zu sein. Die Errichtung eines Personenaufzugs sei notwendig und zweckmäßig. Sie könne keine schweren Lasten tragen, und es sei bereits absehbar, daß sie künftig die 130 Stufen zur Dachgeschoßwohnung nicht mehr werde zurücklegen können. Auch einige Mieter befänden sich bereits im fortgeschrittenen Alter. Der Bau eines Personenaufzugs innerhalb des Gebäudes komme wegen der Anlage des Stiegenhauses nicht in Betracht. Die Weigerung der Beklagten, dem geplanten Bauwerk ihre Zustimmung zu erteilen, sei sittenwidrig und schikanös.
Die Beklagten wendeten ein, das Bauvorhaben der Klägerin sei für sie nachteilig. Es käme zu einer Verkleinerung des ohnehin bereits engen Hofraums. Der Personenaufzug befände sich nur wenige Meter von ihren Wohnungen entfernt. Dem Blick aus den Fenstern begegnete unmittelbar der „Liftturm“. Neben der optischen und ästhetischen Beeinträchtigung durch einen solchen „Betonklotz“ bewirkte der Betrieb eines Personenaufzugs eine Lärmvermehrung. Die Tageslichtausbeute für ihre Wohnungen wäre geringer. Während der Nachstunden wäre dagegen eine Lichtbelästigung zu ertragen. Insgesamt käme es daher zu einer extremen Einschränkung deren „Lebens- und Wohnqualität“, aber auch zu einer Verminderung des Verkehrswerts ihrer Liegenschaft.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf - abgesehen vom eingangs wiedergegebenen und im Berufungsverfahren nicht mehr strittigen Sachverhalt - folgende Tatsachenfeststellungen:
Die Errichtung des geplanten Bauwerks hätte für das Haus der Beklagten keine Verringerung des Lichteinfalls bzw der Sonnenbestrahlung zur Folge. Der Aufzugsbetrieb wäre für die Bewohner des Hauses der Beklagten mit keiner Lärm- bzw Lichtbelästigung verbunden. Die Errichtung des Personenaufzugs im Hausinneren sei faktisch unmöglich. Es müßten dabei alle WC auf der Seite des Stiegenhauses - unter Eingriff in bestehende Mietverhältnisse - verlegt werden. Es entstünden auch vielfach höhere Kosten als bei Ausführung des Anbauprojekts.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichts ist die Weigerung der Beklagten, dem Bauvorhaben der Klägerin nach § 7 Abs 7 TBO zuzustimmen, Rechtsmißbrauch. Allein die Beeinträchtigung während der Bauzeit rechtfertige nicht das Verhalten der Beklagten. Diese hätten nach Errichtung des geplanten Personenaufzugs keinerlei Nachteile. Dagegen seien die von der Klägerin für die Errichtung eines Personenaufzugs ins Treffen geführten und durch die Tatsachenfeststellungen bestätigten Interessen beachtlich. Ein solcher Aufzug gehöre heutzutage überdies zur Grundausstattung eines Hauses und erleichtere dessen Bewirtschaftung.
Das Berufungsgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstands im Verhältnis zu jeder der beklagten Parteien 50.000 S übersteige, und ließ die ordentliche Revision zu. Es erwog in rechtlicher Hinsicht: Das Schikaneverbot wohne der gesamten Rechtsordnung inne und gelte daher auch im Bereich des öffentlichen Rechts. Jede Rechtsausübung werde durch dieses Verbot begrenzt. Schikane sei nicht nur zu bejahen, wenn eine Schädigungsabsicht den einzigen Grund der Rechtsausübung bilde, sondern sei bereits dann anzunehmen, wenn ein unlauteres Handlungsmotiv lautere Motive eindeutig überwiege und daher augenscheinlich im Vordergrund stehe. Die Beklagten hätten jedoch durch ihre Weigerung, dem Bauvorhaben der Klägerin zuzustimmen, das Schikaneverbot nicht verletzt. Deren Verhalten sei auch nicht sittenwidrig. Die Vorschriften der Tiroler Bauordnung dienten dem Nachbarschutz. Nachbarn hätten daher ein subjektives öffentliches Recht auf Einhaltung der „gesetzlichen Grenzabstände“. Das Beharren auf Einhaltung der „gesetzlichen Abstandsflächen und Mindestabstände für bauliche Anlagen“ sei daher „legitime Rechtsausübung des Grundnachbarn“. Die in § 7 Abs 7 TBO geregelte Ausnahme bedeute lediglich, daß ein betroffener Nachbar auf die Einhaltung des gesetzlich angeordneten Mindestabstands verzichten könne. Die Ablehnung eines solchen Verzichts könne somit grundsätzlich nicht als Rechtsmißbrauch beurteilt werden. Das Erstgericht sei jedoch unzutreffend auch davon ausgegangen, daß den Beklagten durch eine Verwirklichung des Bauvorhabens der Klägerin - abgesehen von der Bauzeit - keine oder nur unwesentliche Nachteile drohten, werde sich doch der Abstand zwischen den Gebäuden von derzeit 10,5 m auf 8,75 m verringern. Allein dieser Umstand widerlege die Behauptung einer mißbräuchlichen Rechtsausübung durch die Beklagten. Einer Interessenabwägung bedürfe es nicht. Die Beklagten könnten vielmehr „nur im Falle des augenscheinlichen Vorliegens eines Rechtsmißbrauchs im Sinne der Schikane oder einer Sittenwidrigkeit zu der von ihnen verweigerten Zustimmung durch Gerichtsurteil verhalten werden“. Es fehle jedoch an der Verwirklichung solcher Voraussetzungen.
Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsbegehren auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach Ansicht der Beklagten ist der Ausspruch des Berufungsgerichts, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige im Verhältnis zu jedem der Beklagten 50.000 S, rechtswidrig, habe doch die Klägerin ihr „Streitinteresse“ selbst nur mit jeweils 15.500 S bewertet. Die Revision der Klägerin sei daher jedenfalls unzulässig.
Die Beklagten übersehen, daß das Berufungsgericht bei seinem Ausspruch über den Wert eines nicht ausschließlich in Geld bestehenden Streitgegenstands nicht an die Bewertung des Klägers gemäß § 56 Abs 2 bzw § 59 JN gebunden ist. Dessen Bewertungsausspruch ist unanfechtbar und für den Obersten Gerichtshof bindend, es sei denn, das Berufungsgericht hätte zwingende Bewertungsvorschriften verletzt oder überhaupt keine Bewertung vorzunehmen gehabt (Kodek in Rechberger, Kommentar zur ZPO Rz 3 zu § 500 mN aus der Rsp). Eine derartige Mißachtung von Bewertungsvorschriften behaupten aber nicht einmal die Beklagten; es ist auch keine solche zu erkennen. Die Revision der Klägerin ist daher - entgegen der Ansicht der Beklagten - nicht jedenfalls unzulässig.
Das der gesamten Rechtsordnung innewohnende und daher auch im öffentlichen Recht geltende Schikaneverbot (JBl 1994, 191; SZ 66/45; Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 63 zu § 1295 mwN aus der Rsp) richtet sich zum einen gegen die sittenwidrige absichtliche Schädigung bei Wahrnehmung der allgemeinen Handlungsfreiheit, zum anderen aber auch gegen den Rechtsmißbrauch in formaler Berufung auf ein durch die Rechtsordnung ausdrücklich eingeräumtes Recht (JBl 1994, 191; SZ 66/45). Rechtsmißbrauch liegt nach der neueren Rechtsprechung bereits dann vor, wenn unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund stehen und daher andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten (7 Ob 2314/96m; SZ 68/47; SZ 66/45), sodaß zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen des anderen Teils ein krasses Mißverhältnis besteht (1 Ob 1649/95; JBl 1994, 191; SZ 66/45; EvBl 1993/101). Nach diesen Kriterien kann auch ein subjektives öffentliches Recht schikanös ausgeübt werden.
Die Bestimmungen über den Mindestabstand eines Bauwerks gewähren dem Nachbarn ein subjektives öffentliches Recht auf deren Einhaltung (EvBl 1968/10; Hauer, Tiroler Baurecht2 Anm 15 zu § 7 TBO). Bei Verletzung eines solchen Rechts besteht regelmäßig ein Anspruch des Nachbarn auf Versagung der Baubewilligung, sollte dieser der Unterschreitung des Mindestabstands nicht etwa gemäß § 7 Abs 7 TBO ausdrücklich zugestimmt haben (Hauer aaO Anm 15 zu § 30 TBO). Der Tiroler Bauordnung ist dagegen kein subjektives öffentliches Recht des Nachbarn auf Beibehaltung einer bestimmten Sicht oder auf Gewährleistung eines bestimmten Ortsbildes zu entnehmen (Hauer aaO E 67 zu § 30 TBO).
Wie das Erstgericht zutreffend erkannte, ist daher - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts - die Abwägung der einander widerstreitenden Parteiinteressen erforderlich. Nur eine solche Interessenabwägung kann klären, ob der Behauptung der Klägerin, die Beklagten verweigerten dem auf ihrer Liegenschaft beabsichtigen Bau eines Personenaufzugs rechtsmißbräuchlich ihre Zustimmung, beizutreten ist.
Die Beklagten hätten, wären die Tatsachenfeststellungen des Ersturteils zugrundezulegen, - abgesehen von einer geringfügigen Verringerung des baulichen Mindestabstands - überhaupt keine über die Bauzeit hinausreichende Beeinträchtigung eigener rechtlicher Interessen zu befürchten, sollten sie der von der Klägerin aufgrund einer bestehenden Planung beabsichtigten Errichtung eines Personenaufzugs entsprechend § 7 Abs 7 TBO zustimmen. Danach hätten sich alle im Verfahren erster Instanz erhobenen Einwendungen, mit welchem sie beachtenswerte rechtliche Interessen der Beklagten an der Beibehaltung des bisherigen baulichen Mindestabstands bei der Abwägung mit dem Interesse der Klägerin an einer Zustimmungserklärung gemäß § 7 Abs 7 TBO plausibel zu machen versuchten, als unzutreffend erwiesen. Soweit die Beklagten auch eine optische Beeinträchtigung durch einen „Liftturm“ als „Betonklotz“ ins Treffen führten, die ihr ästhetisches Empfinden stören mag, hielten sie dieses Argument nach dem Inhalt ihrer Berufung (ON 24) und Revisionsbeantwortung (ON 32) im Rechtsmittelverfahren nicht mehr aufrecht. Allein eine solche Störung des ästhetischen Empfindens träte auch im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen soweit in den Hintergrund, daß zwischen den von den Beklagten verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Klägerin jenes krasse Mißverhältnis bestünde, das zur Bejahung des geltend gemachten Rechtsmißbrauchs führte. Dabei ist hervorzuheben, daß der durch die maßgeblichen Häuser gebildete Innenhof „insgesamt einen sehr ungepflegten Eindruck“ macht, sodaß das Interesse der Beklagten an der Vermeidung einer allenfalls geringfügigen weiteren Störung ihres ästhetischen Empfindens als Folge des Baus eines Personenaufzugs im Haus der Klägerin bei der Abwägung mit deren Interessen nicht schutzwürdig wäre.
Die Beklagten behaupteten jedoch in der Berufung einen Stoffsammlungsmangel, weil es das Erstgericht unterlassen habe, ihrem Antrag auf „Einholung eines schalltechnischen Gutachtens“ (ON 21 Seite 6) zum Beweis dafür zu entsprechen, daß der Betrieb eines Personenaufzugs im Haus der Klägerin mit einer erheblich vermehrten Lärmbelästigung in der Umgebung und daher auch mit „Ruhestörungen“ im Haus der Beklagten verbunden wäre. In ihrer Beweisrüge bekämpften die Beklagten überdies entscheidungswesentliche Tatsachenfeststellungen. Sie wendeten sich dagegen, daß die Errichtung des geplanten Personenaufzugs keine Verringerung des Lichteinfalls bzw der Sonnenbestrahlung für die Liegenschaft der Beklagten bewirkte und keine Lärmvermehrung hervorriefe. Im übrigen rügten sie auch die Feststellung, daß die Errichtung des Personenaufzugs innerhalb des Hauses der Klägerin „faktisch unmöglich“ sei.
Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren daher die Mängel- und Beweisrüge der Beklagten zu erledigen haben. Bliebe das Rechtsmittel der Beklagten in diesen Punkten erfolglos und übernähme das Berufungsgericht den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens, wäre das Ersturteil im Sinne der einleitenden Rechtsausführungen zu bestätigen. Änderte sich dagegen als Konsequenz eines allfälligen Berufungserfolgs der Beklagten die Sachverhaltsgrundlage, wird schließlich nur aufgrund einer neuerlichen Interessenabwägung nach den dann feststehenden Umständen des Einzelfalls (JBl 1994, 191; SZ 66/45) geklärt werden können, ob die Beklagten die von der Klägerin begehrte Zustimmung rechtsmißbräuchlich verweigerten. Mangels Präjudizialität stellt sich derzeit auch nicht die Frage, ob die Bestimmung des § 7 Abs 7 TBO - entsprechend den Behauptungen in der Revision - allenfalls als verfassungswidrig anzusehen ist.
Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1 ZPO.
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