OGH 1Ob201/11g

OGH1Ob201/11g13.10.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Adamela B*****, geboren am *****, über den Revisionsrekurs des Vaters Adam B*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Juni 2011, GZ 44 R 221/11t-34, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 14. Februar 2011, GZ 80 Pu 101/10s-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Minderjährige ist die eheliche Tochter des nunmehrigen Revisionsrekurswerbers. Aufgrund der Trennung der Eltern lebt sie seit Juli 2006 im gemeinsamen Haushalt mit der Mutter, die sie pflegt und erzieht. Die Ehe der Eltern wurde im Jahr 2010 geschieden. Eine gerichtliche Entscheidung über die Obsorge nach der Scheidung wurde bisher nicht getroffen.

Das durch den Jugendwohlfahrtsträger vertretene Kind stellte am 18. 9. 2010 den Antrag, den Vater ab 1. 7. 2006 zu Unterhaltszahlungen in bestimmter Höhe zu verpflichten.

Das Erstgericht erkannte den Vater schuldig, dem Kind ab 1. 7. 2006 Unterhaltsbeiträge in unterschiedlicher Höhe für jeweils angeführte Zeiträume zu zahlen, und wies das Mehrbegehren für diese Zeiträume (unbekämpft) ab. Die länger als drei Jahre vor dem Unterhaltsantrag fällig gewordenen Monatsbeiträge seien nicht verjährt, weil die Verjährung von Ansprüchen zwischen Eltern und Kindern so lange gehemmt sei, als letztere unter deren Obsorge stehen. Die nach der Prozentwertmethode berechneten Unterhaltsbeiträge seien nicht deshalb zu vermindern, weil das Kind mit der Mutter in einer Dienstwohnung lebe, für die kein Entgelt zu zahlen sei. Das Kind leite sein Benützungsrecht von der Mutter ab, sodass es unerheblich sei, ob die Wohnung der Mutter vom Vater überlassen wurde.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte den Revisionsrekurs für zulässig. Für die Frage, ob die Verjährung von Ansprüchen zwischen Kindern und Eltern gemäß § 1495 Satz 1 ABGB gehemmt ist, sei nicht auf die tatsächliche Ausübung der Obsorge, sondern auf den formell aufrechten Bestand der Obsorge abzustellen. Die gesetzlich angeordnete Hemmung der Verjährung ende mit dem Zeitpunkt, in dem einem Elternteil die alleinige Obsorge über ein mj Kind zukommt. Dies bedeute, dass ein unterhaltspflichtiger Elternteil einem Kind die Einrede der Verjährung nicht wirksam entgegenhalten könne, solange er obsorgeberechtigt ist. Im Übrigen gehe der Vater mit seinem erstmals im Rekurs erstatteten Vorbringen, er übe die Obsorge seit 2005 nicht mehr aus, nicht vom festgestellten Sachverhalt aus und verletze zudem das Neuerungsverbot des § 49 Abs 2 AußStrG. Ausgehend von den unbekämpft gebliebenen Feststellungen des Erstgerichts komme die Obsorge nach wie vor beiden Elternteilen gemeinsam zu. Der Geldunterhaltsanspruch sei nur dann wegen vom Unterhaltspflichtigen (laufend) erbrachter Naturalunterhaltsleistungen zu mindern, wenn der Nachweis erbracht werde, dass solche Leistungen tatsächlich erfolgen. Angesichts der getroffenen Feststellungen und Außerstreitstellungen sei davon auszugehen, dass die Minderjährige unentgeltlich eine Wohnung bewohne, welche der Vater nicht ihr, sondern ihrer Mutter überlassen hat. Im Übrigen wäre es am Vater gelegen, im erstinstanzlichen Verfahren auch konkrete Zahlenangaben über die begehrte Anrechnung konkreter Naturalunterhaltsleistungen unter dem Titel der Wohnungsbenützungskosten zu erstatten, was allerdings unterblieben sei. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur Frage der Verjährungshemmung bei aufrechter gemeinsamer Obsorge - soweit überblickbar - keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters, in dem er einerseits die Abweisung des Begehrens für die früher als drei Jahre vor dem Unterhaltsbegehren fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge und andererseits die Herabsetzung des zuerkannten Unterhalts für die späteren Zeiträume um jeweils 150 EUR monatlich wegen der Wohnversorgung der Tochter begehrt, ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil die Entscheidung von keiner iSd § 62 Abs 1 AußStrG erheblichen Rechtsfrage abhängt.

1.1. Kein Bezugspunkt im erstinstanzlichen Vorbringen des Revisionsrekurswerbers oder in den Feststellungen der Vorinstanzen ist für seine Ausführungen zu finden, der Übergang der Obsorge gemäß § 145 ABGB sei nicht abhängig von einer Gerichtsentscheidung, sondern geschehe bereits dann von Gesetzes wegen, wenn es keine Verbindung mit dem anderen Elternteil gibt. Darüber hinaus übersieht der Revisionsrekurswerber offenbar, dass § 145 Abs 1 Satz 1 ABGB in der von ihm herangezogenen Variante nicht darauf abstellt, ob es eine Verbindung mit dem Elternteil gibt, sondern vielmehr die Obsorge nur dann allein dem anderen Elternteil zuweist, wenn die Verbindung nicht oder nur mit unverhältnismäßig großen Schwierigkeiten hergestellt werden kann. Davon kann im vorliegenden Fall schon deshalb nicht die Rede sein, weil der Vater schon nach den erstgerichtlichen Feststellungen im fraglichen Zeitraum in Wien gewohnt und gearbeitet hat.

1.2. Unzutreffend ist auch die Interpretation von § 1495 Satz 1 ABGB durch den Revisionsrekurswerber, der die Auffassung vertritt, der vom Gesetz verwendete Ausdruck „andauern“ könne sich schon grammatikalisch nur auf die „faktische Ausübung der Obsorge“ beziehen, die er jedenfalls in der Zeit vom 1. 8. 2006 bis 16. 9. 2007 nicht wahrgenommen habe. Dabei verkennt der Vater offenbar bereits den Begriff der „Obsorge“, der in § 144 ABGB definiert ist. Danach haben die Eltern das mj Kind zu pflegen und zu erziehen, sein Vermögen zu verwalten und es in diesen sowie allen anderen Angelegenheiten zu vertreten. Die Obsorge stellt somit in erster Linie eine Pflicht der Elternteile dar, die allerdings auch die Ausübung gewisser Rechte beinhaltet. Wenn § 1495 ABGB nun davon spricht, dass zwischen Minderjährigen und den mit der Obsorge betrauten Personen die Verjährung weder angefangen noch fortgesetzt werden kann, solange „die Obsorge … andauert“, wird damit erkennbar darauf abgestellt, ob der betreffenden Person die in § 144 ABGB geregelte Obsorge-(pflicht) zukommt, ob ihn also im Verhältnis zum Kind die entsprechenden Pflichten treffen. Die Frage, ob die Obsorge iSd § 1495 Satz 1 ABGB „andauert“, bezieht sich somit auf eine rechtliche Kategorie, nicht aber auf das tatsächliche Wahrnehmen der in § 144 ABGB aufgezählten Angelegenheiten. Vater und Mutter eines ehelichen Kindes kommt nun die Obsorge schon kraft Gesetzes zu und besteht so lange, als sie nicht - etwa in den in § 145 Abs 1 Satz 1 ABGB angeführten Fällen - verloren geht (vgl RIS-Justiz RS0047938).

In diesem Sinne wird auch judiziert, dass die Hemmung der Verjährung, insbesondere auch von Unterhaltsforderungen, zwischen dem Kind und einem Elternteil allein durch die Scheidung der Ehe der Eltern oder die Überlassung des Kindes in Pflege und Erziehung des anderen Elternteils nicht berührt wird (RIS-Justiz RS0034673). Die Hemmung der Verjährung nach § 1495 Satz 1 ABGB greift (nur) dann nicht ein, wenn dem schuldnerischen Elternteil die Obsorge zur Gänze fehlt; die Hemmung endet erst mit dem gänzlichen Ende des Obsorgerechts dieses Elternteils (1 Ob 117/01i; vgl auch RIS-Justiz RS0021947). Vergleichbares gilt auch für das Verhältnis zwischen Ehegatten, wo die Hemmung erst mit (rechtskräftiger) Eheauflösung endet (10 Ob 59/11s mwN).

Abgesehen davon, dass die gesetzliche Anknüpfung des Endes der Hemmung an den Wegfall der gesetzlichen Obsorgepflicht in aller Regel auch dem im Verjährungsrecht besonders wichtigen Gedanken der Rechtssicherheit erheblich besser entspricht als ein Abstellen auf die tatsächliche „Ausübung der Obsorge“, ist dem vom Revisionswerber geäußerten Gedanken, der von § 1495 ABGB intendierte Schutz eines ungestörten Familienlebens sei bei fehlendem Kontakt zu dem unterhaltspflichtigen Elternteil nicht passend, entgegenzuhalten, dass sich die Intensität von Kontakten und die Dauer von Zeiträumen ohne solche durchaus ändern können. Solange dem Vater rechtlich die Obsorge zukommt und das Kind damit rechnen muss, der Obsorgeberechtigte werde auf Unterhaltsforderungen allenfalls mit unerwünschten Erziehungsmaßnahmen reagieren, liegt eine Situation vor, in der dem Gesetzgeber die Geltendmachung von Ansprüchen als wenig zumutbar erscheint.

Letztlich ist auch den Bedenken nicht zu folgen, es müsse das unbillige Ergebnis vermieden werden, das im Extremfall Unterhalt 19 (?) Jahre zurück begehrt werden könne, womit der Schuldnerschutz des § 1480 ABGB unbilligerweise ausgehöhlt würde. Jeder (gesetzlich) mit der Obsorge betrauten Person, insbesondere also einem Elternteil nach Trennung, steht es ja frei, bei Gericht den Antrag zu stellen, mit der Obsorge allein den anderen Elternteil zu betrauen, bei dem sich das Kind im Einvernehmen aufhält, sofern er sich nicht in der Lage sieht, in dieser Situation seinen Obsorgepflichten weiterhin zu entsprechen. Entschließt er sich allerdings dazu, die ihm gesetzlich zukommende Obsorge zu behalten, seinen damit verbundenen Pflichten aber nicht nachzukommen, kann er nicht verlangen, so behandelt zu werden, wie jemand, dem keine Obsorge mehr zukommt. Der § 1480 ABGB zugrunde liegende Schutzgedanke ist in den Fällen des § 1495 Satz 1 ABGB hinter die geschützten Interessen des Unterhaltsberechtigten zu stellen (idS auch Reischauer, Zur Verjährungshemmung nach § 1495 Satz 1 ABGB, JBl 1991, 559 [563]).

2. Auch die Auffassung des Rekursgerichts, der Vater könne eine Minderung seiner Geldunterhaltspflicht nicht daraus ableiten, dass das Kind mit der Mutter in einer Wohnung wohnt, die dieser von ihm überlassen wurde und die unentgeltlich benutzt werden kann, wirft keine erhebliche Rechtsfrage auf. Der Rechtsansicht des Rekursgerichts, dass das Kind sein Benützungsrecht von der Mutter ableitet und somit insoweit keine Naturalunterhaltsleistungen vom Vater erhält, vermag der Revisionsrekurswerber nichts Überzeugendes entgegenzusetzen. Ob es sich um einen der Mutter zukommenden Naturalunterhalt handelt, ist nicht von Bedeutung. Die im Revisionsrekurs vertretene Auffassung, es handle sich (auch) um Naturalunterhaltsleistungen des Vaters an das Kind, ist durch die von den Vorinstanzen ermittelten Sachverhaltsgrundlagen nicht gedeckt.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte