OGH 1Ob172/98w

OGH1Ob172/98w25.8.1998

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Paul Vavrovsky, Rechtsanwalt in Salzburg, als Masseverwalter im Konkurs der H***** Gesellschaft m.b.H., *****, wider die beklagte Partei Dr.Wolfgang M*****, vertreten durch Dr.Peter Lechenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 765.000 S sA infolge Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 460.000 S sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgerichts vom 11.März 1998, GZ 1 R 14/98d-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 17.Oktober 1997, GZ 3 Cg 59/97a-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 19.845 S (darin 3.307,50 S) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin, einer Gesellschaft m.b.H, wurde am 21.Februar 1997 der Konkurs eröffnet und der Kläger zum Masseverwalter bestellt. Der Beklagte hatte bei der Gesellschaft Waren gekauft. Dafür wurden ihm am 15.November 1996 460.000 S "in Rechnung gestellt". Im November 1996 wurde diese Kaufpreisforderung "zahlungshalber" an einen Dritten "übertragen", der eine offene Darlehensforderung von "zumindest 460.000 S" gegen die Gesellschaft hatte. Der Beklagte bezahlte den Kaufpreis an den Dritten, nachdem ihn zuvor wahrscheinlich der Zessionar von der Abtretung der Kaufpreisforderung verständigt hatte. Jedenfalls erkundigte sich der Beklagte zur Frage der Abtretung bei der Gesellschaft und erhielt im Schreiben vom 19.November 1996 folgende Anwort:

"Wir bestätigen die Richtigkeit Ihrer Anfrage, ob ... (der Dritte)... eine Forderung in Höhe von mehr als ÖS 400.000 an die ... (Gesellschaft) ... hat. Die … (Gesellschaft) ... kann einer Aufrechnung durch ... (den Dritten) ... nichts entgegensetzen."

Diese Mitteilung war von einer Geschäftführerin der Gesellschaft unterzeichnet. Dem Beklagte war nur diese Person als Geschäftsführerin bekannt. Die Gesellschaft hatte jedoch noch einen weiteren Geschäftsführer. Die Geschäftsführer waren "nur gesamtvertretungsbefugt". Für das "normale Tagesgeschäft" war jedoch die dem Beklagten bekannte Geschäftsführerin "alleinvertretungsbefugt". Der andere Geschäftsführer wurde über die Abtretung der Kaufpreisforderung gegen den Beklagten nicht unterrichtet. Der Beklagte stand mit der Gesellschaft vor dem hier maßgeblichen Kaufvertrag bereits "seit zumindest zwei Jahren in Geschäftsverbindung". Er hatte immer wieder "Textilien in kleinerem Umfang bezogen" und sein eigenes Verkaufslokal in einem Salzburger Haus, in dem auch die Gesellschaft ein Lager unterhalten hatte. Dessen Räume waren teilweise an den Beklagten untervermietet. Den Untermietvertrag hatte für die Gesellschaft die dem Beklagten bekannte Geschäftsführerin unterfertigt. Der andere Geschäftsführer übte seine Tätigkeit in Hamburg aus. Er wurde dort "regelmäßig telefonisch über den Geschäftsgang" informiert oder erhielt "Kopien des monatlichen Status". Der Beklagte hatte vor Abschluß des hier wesentlichen Kaufvertrags keine Einsicht in das Firmenbuch genommen.

Der Kläger begehrte - auf verschiedene Klagegründe gestützt - den Zuspruch von 305.000 S sA und 460.000 S sA. Er brachte zu dem im Revisionsverfahren noch strittigen Anspruch von 460.000 S sA vor, die Gesellschaft habe ihre Kaufpreisforderung gegen den Beklagten nicht rechtswirksam an den Dritten abgetreten. Deren Geschäftsführer seien nur gemeinsam vertretungsbefugt gewesen. Deshalb hätten sie die Kaufpreisforderung nur durch einen kollektiven Vertretungsakt abtreten können. Mangels rechtswirksamer Zession komme aber der Zahlung des Beklagten an den Dritten keine schuldbefreiende Wirkung zu.

Der Beklagte wendete ein, die Kaufpreisforderung der Gesellschaft durch Zahlung an den Zessionar getilgt zu haben. Während seiner Geschäftsbeziehung zur Gesellschaft sei ihm gegenüber immer nur eine Geschäftsführerin aufgetreten. Daß die Gesellschaft einen weiteren Geschäftsführer habe, sei ihm unbekannt gewesen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 305.000 S sA statt und wies das Mehrbegehren von 460.000 S sA ab. Es führte in rechtlicher Hinsicht zu dem noch noch nicht rechtskräftig erledigten Anspruch von 460.000 S sA aus, die Gesellschaft habe ihre Kaufpreisforderung gegen den Beklagten rechtswirksam abgetreten. Die kollektive Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer könne daran nichts ändern. Der Beklagte habe aufgrund des äußeren Tatbestands darauf vertrauen dürfen, daß die ihm bekannte Geschäftsführerin die Gesellschaft allein vertrete. Der Kläger habe den der Zessionsvereinbarung zugrundeliegenden Kaufvertrag "nicht angefochten". Habe aber die Geschäftführerin den Kaufvertrag wirksam abgeschlossen, habe der Beklagte auch in der Zessionsfrage auf das Alleinvertretungsrecht der Geschäftsführerin vertrauen dürfen. Demnach sei die Kaufpreisforderung der Gesellschaft gegen den Beklagten rechtswirksam abgetreten worden. Durch dessen Zahlung an den Zessionar sei die Kaufpreisforderung getilgt.

Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab, ließ in Ansehung des Klageanspruchs von 460.000 S sA die ordentliche Revision zu und erwog insoweit in rechtlicher Hinsicht, daß allfällige Mängel des Abtretungsvertrags nur das Verhältnis zwischen Alt- und Neugläubiger beträfen. Der Schuldner dürfe vom Zessionar nur "bei berechtigten Zweifeln an der Abtretung" den Nachweis seiner Forderungsberechtigung verlangen. Zahle der Schuldner an einen Scheinzessionar, habe diese Leistung dann Tilgungswirkung, wenn jenem die Unrichtigkeit der Abtretungsanzeige unbekannt gewesen sei. Der Beklagte habe von der mangelnden organschaftlichen Alleinvertretungsbefugnis der Geschäftsführerin nichts gewußt. Er habe bei der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Zession sogar angefragt und die Auskunft vom 19.November 1996 erhalten. Es sei daher kein Sachverhalt verwirklicht worden, der das Vertrauen des Beklagten auf eine gültige Abtretung hätte zerstören können. Somit habe seine Zahlung an den Dritten Tilgungswirkung gehabt. Diese Rechtsfolge sei nicht davon abhängig, ob der Abtretungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Dritten wirksam zustandegekommen sei. Diese Frage bedürfe daher keiner Erörterung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergeben wird, zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Juristische Personen handeln rechtsgeschäftlich durch Vertretungsorgane. Diese organschaftliche Vertretungsmacht kann beschränkt sein. Eine solche Beschränkung ist die hier bedeutsame Gesamtvertretungsbefugnis der Geschäftsführer der Gesellschaft, die sich für die aktive Vertretung - bei einer Mehrzahl an Geschäftsführern und in Ermangelung anderslautender Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags - gemäß § 18 Abs 1 und 2 GmbHG unmittelbar aus dem Gesetz ergibt. Rechtsgeschäftliche Willenserklärungen können daher - nach allein organschaftlichen Gesichtspunkten - nur wirksam werden, wenn daran alle Geschäftsführer mitwirkten, weil die einzelnen Geschäftsführer im Falle der Gesamtvertretung an der Bildung des organschaftlichen Geschäftswillens eben nur mitwirken, jedoch für sich allein keine Vertretungshandlungen setzen können (WBl 1996, 247; Koppensteiner, GmbH-Gesetz Kommentar Rz 13 f; Wünsch, Zur Ausübung der Vertretungsmacht durch GmbH-Geschäftsführer, GesRZ 1992, 229). Dabei wird die Gesellschaft im Sinne des Gesetzes immer dann vertreten, wenn in ihrem Namen Willenserklärungen wirksam abgegeben bzw entgegengenommen werden. Äußerungen, die keine Willenserklärungen sind, fallen dagegen nicht unter den Vertretungsbegriff (Koppensteiner aaO Rz 3). Dazu sind auch rechtserhebliche Wissenserklärungen zu zählen.

Die Abtretungsanzeige ist Wissenserklärung (JBl 1960, 639; Karollus, Zum Schutz des Schuldners bei unrichtiger Abtretungsanzeige, ÖJZ 1992, 677 [679]; Kaduk in Staudinger, BGB12 Rz 28 zu § 409) über einen rechtlich bedeutsamen Vorgang (Kaduk in Staudinger aaO). Die dem Beklagten bekannte Geschäftsführerin der Gesellschaft war daher berechtigt, über eine Zessionstatsache mittels Wissenserklärung Auskunft zu erteilen. Demzufolge ist organschaftlich zwischen einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung als Voraussetzung eines gültigen Abtretungsvertrags und der Schuldnerverständigung über eine Zession als Wissenserklärung zu unterscheiden.

Der Schutz des Schuldners nach einer unrichtigen Abtretungsanzeige des Gläubigers ist im deutschen Recht in § 409 BGB näher geregelt. Im österreichischen Recht werden dagegen in § 1395 Satz 2 ABGB nur die Rechtswirkungen einer Leistung des Schuldners an den Altgläubiger behandelt, wenn jenem die Forderungsabtretung nicht bekannt war. Karollus (ÖJZ 1992, 677 [678]) zeigte auf, daß in Österreich Fragen des Schuldnerschutzes nach einer unrichtigen Zessionsverständigung wegen des Prinzips der "kausalen Tradition" von besonderer Bedeutung sind. Er kommt nach Erörterung des Meinungsstands und von Analogiegrundlagen zum Ergebnis, daß der durch eine unrichtige Zessionsanzeige geschaffene Abtretungsanschein den Schutz eines auf die Richtigkeit der Zessionsverständigung vertrauenden Schuldners rechtfertige, wenn dieser Rechtsschein dem Zedenten zurechenbar sei. Das sei bei einer Abtretungsanzeige des Zedenten, einer Ermächtigung des Zessionars durch den Zedenten zur Abtretungsanzeige und nach Ausfolgung einer Zessionsurkunde an den Zessionar anzunehmen. Leiste der Schuldner unter solchen Voraussetzungen an den Scheinzessionar, befreie er sich in analoger Anwendung des § 1395 ABGB von seiner Schuld gegenüber dem Zedenten. Dieser Schutz sei bloß demjenigen Schuldner zu versagen, der in Kenntnis der Unrichtigkeit der Zessionsanzeige an den Scheinzessionar geleistet habe. Geschützt sei demnach auch der fahrlässige Schuldner, solange nicht ein besonderer Anlaß - etwa widersprüchliche Abtretungsanzeigen oder ein (schließlicher) Widerspruch des Zedenten - eine Nachforschungsobliegenheit begründet habe.

Dieser Ansicht schlossen sich Honsell/Heidinger (in Schwimann, ABGB2 Rz 5 zu § 1395) an. Der Oberste Gerichtshof erwähnte bereits in der Entscheidung SZ 7/136, der Schuldner könne nach einer Zessionsverständigung mit schuldbefreiender Wirkung an den Scheinzessionar leisten. Ein dem hier maßgeblichen Fall ähnliches Schutzbedürfnis des Schuldners wurde ferner bei Mehrfachzessionen anerkannt. Auch bei solchen kann der Schuldner nach herrschender Ansicht solange mit Tilgungswirkung an den Scheinzessionar leisten, als er von der vorangegangenen (wirksamen) Abtretung keine Kenntnis hat (SZ 50/1; Ertl in Rummel, ABGB2 Rz 2 zu § 1395; Honsell/Heidinger aaO; Karollus, ÖJZ 1992, 679, 683; Mayrhofer/Ehrenzweig, Schuldrecht AT3 496).

Der erkennende Senat tritt in der Frage des Schuldnerschutzes nach unrichtiger Zessionsverständigung der in ihren Kernpunkten referierten, eingehend begründeten und überzeugenden Ansicht von Karollus, der sich Honsell/Heidinger anschlossen, bei.

Daraus folgt aber, daß es - entgegen der Meinung des Klägers - für die Beantwortung der Frage des Schutzes des Vertrauens des Beklagten auf den durch eine allenfalls unrichtige Abtretungsanzeige geschaffenen Rechtsschein nicht auf die organschaftliche Vertretungsbefugnis der Geschäftsführerin, "rechtswirksam zu zedieren", ankommt. Maßgeblich ist vielmehr nur, ob die Wissenserklärung der Geschäftsführerin vom 19.November 1996, die sie, wie einleitend begründet wurde, abgeben durfte, der Gesellschaft als Gläubigerin zuzurechnen ist. Das ist nach den festgestellten Tatsachen zu bejahen, weil der Beklagte nach einer wahrscheinlichen Abtretungsverständigung durch den Dritten bei der Gläubigerin rückgefragt und daraufhin von deren Geschäftsführerin die bezeichnete schriftliche Nachricht erhalten hatte, die nur so verstanden werden konnte, daß der Dritte einen die Abtretung der Kaufpreisforderung rechtfertigenden Anspruch gegen die Gesellschaft hat. Dem Beklagten könnte daher - im Falle der Unwirksamkeit der Zession - nicht einmal fahrlässiges Verhalten angelastet werden. Selbst ein solches Verhalten könnte aber den Beklagten - im Sinne der einleitenden Begründung - nicht des erörterten Schutzes seines Vertrauens auf die Richtigkeit der allenfalls unrichtigen Zessionsbestätigung vom 19.November 1996 berauben. Wäre aber ein durch diese Bestätigung hervorgerufener bloßer Zessionsanschein der Gesellschaft zuzurechnen, so muß die Frage, ob die Abtretung aus besonderen Gründen des Vertretungsrechts doch wirksam gewesen sein könnte, nicht mehr gelöst werden, weil sich der Beklagte durch die Zahlung an den Dritten jedenfalls von seiner Schuld gegenüber der Gesellschaft befreite, mag der Dritte nun Zessionar oder bloß Scheinzessionar gewesen sein. Das Berufungsgericht erkannte somit zutreffend, daß der Schutz des auf die Richtigkeit einer auch in Wahrheit unrichtigen Abtretungsanzeige vertrauenden Schuldners die Gültigkeit des Abtretungsgeschäfts nicht voraussetzt.

Der Kläger beruft sich zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht auf die Entscheidung des erkennenden Senats zu 1 Ob 538/95 (= WBl 1996, 247). Diese stützt seinen Prozeßstandpunkt jedoch nicht, weil sie sich nur mit den Voraussetzungen eines rechtswirksamen Vertretungsakts bei organschaftlicher Gesamtvertretung durch zwei Geschäftsführer befaßt. Die Ausführungen, wonach es keine Überspannung der kaufmännischen Sorgfaltspflicht darstelle, wenn von demjenigen, der mit einer GmbH kontrahieren wolle, eine vorherige Firmenbuchabfrage verlangt werde, beziehen sich auf die Gültigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts, also nicht auf rechtserhebliche Wissenserklärungen gesamtvertretungsbefugter Geschäftsführer. Das Publizitätsprinzip gemäß § 15 Abs 2 HGB spricht daher wegen der notwendigen Unterscheidung zwischen Willens- und Wissenserklärungen, welch letztere jeder Geschäftsführer auch bei Kollektivvertretung abgeben darf, nicht gegen den Schutz des Vertrauens eines Vertragspartners auf die Richtigkeit einer solchen Erklärung.

Der Kläger mißversteht im übrigen die Ausführungen von Karollus (aaO), weil dieser Autor, wie schon einleitend dargestellt wurde, gerade nicht der These anhängt, daß der Schuldner "nach erfolgter Zessionsverständigung ... unter allen Umständen mit schuldbefreiender Wirkung an den angeblichen Neugläubiger Zahlung leisten könne". Der Revisionswerber vermag auch nicht zu erklären, wodurch dem Schuldner, dem bloß eine dem Gläubiger zuzurechnende Abtretungsverständigung oder Zessionsbestätigung zuging, deren allfällige Unrichtigkeit wegen eines Vertretungsmangels bei Abschluß des Zessionsgeschäfts erkennbar sein soll. Die Ansicht des Klägers liefe darauf hinaus, dem Schuldner nach einer Abtretungsverständigung bzw Zessionsbestätigung immer die Last der Prüfung der Gültigkeit eines Rechtsgeschäfts, an dem er nicht beteiligt ist, aufzubürden. Das ist mit dem geltenden Recht nicht begründbar und wäre geeignet, den rechtsgeschäftlichen Verkehr im Wirtschaftsleben entscheidend zu behindern.

Der Revision ist somit nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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