OGH 1Ob166/15s

OGH1Ob166/15s27.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gustav Etzl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch die Frysak & Frysak Rechtsanwalts‑Partnerschaft (OG), Wien, wegen Aufkündigung, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 27. Mai 2015, GZ 39 R 27/15g‑39, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 20. November 2014, GZ 77 C 754/13s‑35, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Das Urteil des Erstgerichts wird wiederhergestellt.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 939,84 EUR (darin 204 EUR Barauslagen und 122,64 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist seit 1991 Mieter einer im (Wohnungs‑)Eigentum der Klägerin stehenden Wohnung, die beim Bezug mit einer funktionierenden Heiztherme zur Versorgung mit Warmwasser und Heizungswärme ausgestattet war. Diese Therme funktioniert seit zumindest 2008 nicht mehr. Der Beklagte wohnt seit damals auch aus diesem Grund nicht mehr in der Wohnung.

Mit ihrer auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG („Nichtbenützung“) gestützten Aufkündigung begehrte die Klägerin vom Beklagten, das Bestandobjekt zurückzustellen. Der Beklagte benütze die Wohnung schon seit längerer Zeit nicht mehr und wohne in einem (in seinem Miteigentum stehenden) Haus in einem anderen Bundesland.

Der Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, er könne die Wohnung seit 2008 aus mehreren Gründen nicht bewohnen. Die Heiztherme sei nicht reparabel; die Klägerin verweigere deren Erneuerung. Es komme andauernd zu Wassereinbrüchen aus der darüber liegenden Wohnung. Das Haustor sei ständig offen, sodass es häufig zu Beschädigungen und Diebstählen im Haus komme. Schließlich übe die Klägerin „Psychoterror“ gegen ihn aus, um ihn aus der Wohnung zu vertreiben.

Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG könne nicht herangezogen werden, wenn dem Mieter die Benützung der Wohnung nicht zumutbar und die Unbenützbarkeit nicht von ihm zu vertreten ist. Wegen des Fehlens von Warmwasser und Heizung sei es dem Beklagten nicht zumutbar, in der Wohnung zu wohnen, und zwar auch nicht im Sommer. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (zur zum Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz geltenden ‑ inzwischen durch die WRN 2015 geänderten ‑ Rechtslage) sei weder der Mieter noch der Vermieter zur Erneuerung der Therme verpflichtet. Da den Mieter jedenfalls keine Erneuerungspflicht treffe, könne er dem Vermieter sämtliche Rechtsfolgen entgegenhalten, die sich aus dem Fehlen von Warmwasser und Heizung ergeben. Wegen der vom Beklagten nicht zu vertretenden Unbenützbarkeit der Wohnung aufgrund des Nichtfunktionierens der Therme könne ihm kündigungsrechtlich nicht zur Last gelegt werden, nicht in der Wohnung zu wohnen. Weil die Aufkündigung schon aus diesem Grund aufzuheben sei, müsse auf die weiteren vom Beklagten geltend gemachten Umstände nicht weiter eingegangen werden.

Das Berufungsgericht hob das Ersturteil über Berufung der Klägerin auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf; es erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig. Für das Vorliegen des behaupteten Kündigungsgrundes sei grundsätzlich der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner maßgeblich. Da die Zustellung am 1. März 2013 erfolgt sei, habe die durch die Wohnrechtsnovelle 2015 geänderte Rechtslage für den vorliegenden Fall außer Betracht zu bleiben. Der Oberste Gerichtshof habe etwa die Auffassung vertreten, der Vermieter sei nicht zur Kündigung berechtigt, wenn der Mieter die Wohnung nur wegen einer von ihm nicht zu vertretenden Unbrauchbarkeit des Bestandgegenstands verlassen und ein Ausweichquartier bezogen habe. Werde der Mieter durch derartige Umstände gezwungen, sich eine andere Unterkunft anzuschaffen, könne ihm das dringende Wohnbedürfnis nicht abgesprochen werden, selbst wenn ihm nun eine andere Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht. Soweit der Mieter durch vertragswidriges Verhalten des Vermieters gezwungen werde, eine andere Unterkunft anzuschaffen, könne ihm das dringende Wohnbedürfnis nicht abgesprochen werden. Aus zwei näher genannten Entscheidungen sei der Rechtssatz formuliert worden, dass dem Mieter das dringende Wohnbedürfnis an der bisherigen Wohnung nicht abgesprochen werden könne, wenn er nur durch vertragswidriges Verhalten des Vermieters genötigt sei, sich eine andere Unterkunft anzuschaffen. Es reiche daher nicht aus, dass die Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands, die den Mieter zum Verlassen desselben veranlasst habe, nicht von ihm zu vertreten sei; die Unbrauchbarkeit müsse zusätzlich auf vertragswidriges Verhalten des Vermieters zurückzuführen sein. Ein solches vertragswidriges Verhalten sei im vorliegenden Fall aber nicht erkennbar, sei doch der Vermieter bis zum 31. 12. 2014 nicht zur Erhaltung (und Erneuerung) einer Heiztherme verpflichtet gewesen. Damit sei die Auffassung des Erstgerichts, der Kündigungsgrund der Nichtbenützung sei schon deshalb nicht verwirklicht, weil die Wohnung wegen Ausfalls der bei Anmietung vorhandenen Heiztherme unbenützbar sei, unzutreffend. Darüber hinaus habe das Erstgericht nicht festgestellt, dass der Beklagte beabsichtige, nach Erneuerung der Therme in seine Wohnung zurückzukehren. Dieser selbst habe lediglich vorgebracht, warum er nicht in der aufgekündigten Wohnung wohnt. Eine Rückkehrabsicht nach Behebung der Mängel bzw Einstellung des angeblichen „Psychoterrors“ habe er nicht behauptet. Eine die Rückkehrabsicht eher bejahende „Aussage“ könne ein entsprechendes Prozessvorbringen nicht substituieren. Da die Frage der Rückkehrabsicht in erster Instanz nicht ausreichend erörtert worden sei, sei die angefochtene Entscheidung allerdings zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung aufzuheben. Der Beklagte werde aufzufordern sein, ein Prozessvorbringen zu seinem schutzwürdigen Interesse an der aufgekündigten Wohnung zu erstatten. Erst wenn ein solches Interesse ermittelt werden könne, werde das Erstgericht Feststellungen zu den beiden anderen vom Beklagten genannten Gründen für die Nichtbenützung der Wohnung aufzunehmen haben, nämlich zur behaupteten Schimmelbildung und zum behaupteten unleidlichen Verhalten auf Vermieterseite. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob bei Ausfall einer mitvermieteten Therme dem Vermieter die Berufung auf den Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 6 MRG (bis 31. 12. 2014) verwehrt war, nicht existierte.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

Vorerst ist allgemein festzuhalten, dass ein (vom Berufungsgericht für zulässig erklärter) Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss nach § 519 Abs 1 Z 1 ZPO auch dann zulässig ist, wenn er sich nicht gegen die Aufhebung an sich, sondern lediglich gegen die ‑ das Erstgericht im weiteren Verfahren bindende ‑ Begründung des Berufungsgerichts richtet (vgl nur Zechner in Fasching/Konecny ² IV/1 Vor §§ 514 ff ZPO Rz 63 mit Judikatur‑ und Literaturnachweisen). Andererseits kann der Oberste Gerichtshof aber ‑ was dem hier gestellten Rekursantrag entspricht ‑ auch eine endgültige Sachentscheidung fällen, wenn er ‑ entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ‑ die Sache für bereits spruchreif hält. Letzteres ist hier der Fall.

Ein Mietvertrag kann vom Vermieter gemäß § 30 Abs 2 Z 6 MRG gekündigt werden, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters ... regelmäßig verwendet wird, es sei denn, dass der Mieter zu Kur‑ oder Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Dem liegt erkennbar die Erwägung des Gesetzgebers zugrunde, dass es dem Vermieter möglich sein soll, die Verfügung über das Bestandobjekt wiederzuerlangen, wenn der Mieter aus in seine Sphäre fallenden Gründen über einen nicht unerheblichen Zeitraum von der Benützung Abstand nimmt und auf die Wohnung auch nicht mehr angewiesen ist. Dem vom Berufungsgericht aus einzelnen höchstgerichtlichen Entscheidungen und einem daraus formulierten Rechtssatz gezogenen Umkehrschluss, wenn dem Mieter das dringende Wohnbedürfnis in jenen Fällen nicht abgesprochen werden könne, in denen ein vertragswidriges Verhalten des Vermieters vorliegt, müsse das Gegenteil gelten, wenn die Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit der Wohnungsbenützung nicht auf ein solches vertragswidriges Verhalten zurückzuführen ist, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Gerade in den vom Berufungsgericht angeführten Entscheidungen (1 Ob 594/88 und 6 Ob 122/00k) wurde etwa ‑ für den Fall der Abbruchreife eines Hauses ‑ ausgesprochen, dem Vermieter bleibe der Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 6 MRG auch dann verwehrt, wenn ihm wegen der Abbruchreife des Hauses weitere Erhaltungsarbeiten nicht mehr zugemutet werden können; er könne in solchen Fällen nur unter Ersatzbeschaffung kündigen, wenn der Mieter wegen der Unbenützbarkeit des Mietgegenstands genötigt ist, eine andere Unterkunft zu beziehen (RIS‑Justiz RS0070261). Entscheidend sei, dass die unterlassene regelmäßige Verwendung der aufgekündigten Wohnung auf die von ihm nicht zu vertretende Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands zurückzuführen ist. Werde der Mieter durch derartige Umstände gezwungen, sich eine andere Unterkunft anzuschaffen, könne ihm das dringende Wohnbedürfnis nicht abgesprochen werden, obgleich ihm nun eine andere Wohnmöglichkeit zur Verfügung steht (1 Ob 594/88 = wobl 1989, 15 [ Würth/Call ]).

Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Sie stimmt auch mit der herrschenden Judikatur zur bisherigen Rechtslage überein, nach der den Vermieter zwar keine Verpflichtung zu Erneuerung der Heiztherme trifft, dem Mieter aber dennoch das Recht zur Mietzinsminderung ‑ bis zur gänzlichen Befreiung von der Zahlungspflicht ‑ nach gewährleistungsrechtlichen Grundsätzen zusteht, hat doch der Vermieter für die Brauchbarkeit des Mietgegenstands einzustehen (5 Ob 17/09z = SZ 2009/33 ua RIS‑Justiz RS0124630). Ist der Mieter nun wegen der ‑ hier von der Rekursgegnerin gar nicht bestrittenen ‑ Unbenützbarkeit der Wohnung genötigt, sein Wohnbedürfnis bis zu deren Beseitigung anderswo zu befriedigen, liegt kein in seine Sphäre fallender Umstand vor, der den Vermieter zur Kündigung wegen Nichtbenützung berechtigen würde.

Wie bereits dargelegt wurde, kann einem Mieter, der durch eine von ihm nicht zu vertretende Unbrauchbarkeit des Bestandsgegenstands veranlasst wurde, sich eine andere Unterkunft anzuschaffen, das dringende Wohnbedürfnis am bisherigen Bestandobjekt nicht abgesprochen werden (6 Ob 122/00k = MietSlg 52.419), weshalb auch in diesem Punkt der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden kann, nach der der Mieter eine Rückkehrabsicht zu behaupten habe. (Nur der Vollständigkeithalber ist festzuhalten, dass der Beklagte durchaus im Rahmen des Prozessvorbringens, wenn auch anlässlich der Erörterung durch das Erstgericht, eine solche Rückkehrabsicht behauptet hat und nicht bloß in einer „Aussage“.) Eine Rückkehrabsicht ist im Regelfall vielmehr ohne Weiteres zu vermuten, wenn der Mieter „unfreiwillig“ ausgezogen ist und ihm ‑ wie dargelegt ‑ das dringende Wohnbedürfnis nicht abgesprochen werden kann. In derartigen Fällen träfe die Behauptungslast für eine (ausnahmsweise) fehlende Rückkehrabsicht vielmehr den Vermieter. Die Klägerin hat lediglich darauf hingewiesen, dass der Beklagte über eine andere Wohnmöglichkeit verfüge, keineswegs aber die Behauptung aufgestellt, er beabsichtige gar nicht, in das Bestandobjekt zurückzukehren.

Damit erweist sich die Sache als spruchreif und ist die (klageabweisende) Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO.

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