OGH 1Ob156/22f

OGH1Ob156/22f14.9.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers Mag. G*, vertreten durch Mag. Manuela Prohaska, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Antragsgegnerin Mag. A*, vertreten durch Mag. Elisabeth Kaser, Rechtsanwältin in Wien, wegen Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 6. Juli 2022, GZ 45 R 222/22p‑101, mit dem der Rekurs der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 29. November 2021, GZ 1 FAM 18/19y‑79, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0010OB00156.22F.0914.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Das Erstgericht teilte das eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse der geschiedenen Ehegatten in bestimmter Weise auf. Die für die Antragsgegnerin bestimmte Ausfertigung des Beschlusses wurde am 22. 12. 2021 nach § 17 ZustG hinterlegt.

[2] Das Rekursgericht wies den dagegen erhobenen Rekurs der Antragsgegnerin, mit dem sie in erster Linie die Übertragung der Ehewohnung, in eventu die Erhöhung des ihr zu zahlenden Ausgleichsbetrags um 62.902,52 EUR anstrebte, als verspätet zurück.

[3] Es stellte aufgrund der im Rekursverfahren vorgelegten Urkunden zusammengefasst fest, dass die Antragsgegnerin ab 19. 12. 2021 auf Urlaub in * war, sich dort mit dem Coronavirus infizierte und von der örtlich zuständigen Bezirkshauptmannschaft mit Bescheid vom 25. 12. 2021 abgesondert wurde. Nachdem die Antragsgegnerin die Quarantäne zunächst im Hotel verbracht hatte, hob die Bezirkshauptmannschaft mit Bescheid vom 26. 12. 2021 die Absonderung mit sofortiger Wirkung auf und verfügte „für die erforderliche Änderung des Aufenthaltsortes bzw für den Antritt/die Fortsetzung der Absonderung am Wohnsitz“ der Antragsgegnerin strenge Verkehrsbeschränkungen, insbesondere wurde ausgesprochen, dass die Heimreise nur alleine mit einem privaten Kraftfahrzeug und ohne Zwischenstopp auf der kürzest möglichen Route erfolgen darf.

[4] Daraufhin kehrte die Antragsgegnerin noch am 26. 12. 2021 mit ihrem PKW an ihren Wohnsitz * zurück und setzte die Quarantäne, die letztlich mit Bescheid der für ihren Wohnsitz örtlich zuständigen Gesundheitsbehörde (beginnend mit 24. 12. 2021) bis einschließlich 6. 1. 2022 angeordnet wurde, dort fort. Aufgrund einer Freitestung konnte sie die Absonderung am 4. 1. 2022 beenden. Am 5. 1. 2022 behob sie den am 22. 12. 2021 für sie bei der Postgeschäftsstelle der Abgabestelle hinterlegten Aufteilungsbeschluss des Erstgerichts.

[5] Rechtlich führte das Rekursgericht aus, dass im Hinblick auf die Rückkehr der Antragsgegnerin an die Abgabestelle am 26. 12. 2021 die Zustellung durch die Hinterlegung am 27. 12. 2021 bewirkt worden sei. Sei bloß der Empfänger selbst (zB wegen Krankheit oder Quarantäne) nicht in der Lage, das Zustellstück abzuholen, während er gleichzeitig entsprechende Veranlassungen (zB die Abholung durch einen Bevollmächtigen) treffen könne, sei das Wirksamwerden nach § 17 Abs 3 Satz 4 ZustG nicht auf den Tag des tatsächlichen Zukommens (§ 7 ZustG) hinauszuschieben. Die Rekursfrist habe demnach mit Ablauf des 10. 1. 2022 geendet. Der von der Antragsgegnerin am 14. 1. 2022 eingebrachte Verfahrenshilfeantrag habe keinen Einfluss auf die Rekursfrist, sodass der am 15. 4. 2022 erhobene Rekurs verspätet sei.

[6] Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig.

[7] In ihrem außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt die Antragsgegnerin, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Rekursgericht die Sachentscheidung aufzutragen.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit des Revisionsrekurses

[9] 1.1. Der Aufteilungsanspruch des geschiedenen Ehegatten ist ein in Geld bewertbarer Anspruch rein vermögensrechtlicher Natur (RS0007124).

[10] In ihrem Rekurs bekämpft die Antragsgegnerin zwar primär die Zuteilung der Ehewohnung an den Antragsteller, hilfsweise (RS0042305 [T2, T6]) ist aber auch die diesem auferlegte Ausgleichszahlung mit einem Betrag von 62.902,52 EUR strittig. Schon deshalb liegt ein den Schwellenwert von 30.000 EUR übersteigender Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz vor. Ein Bewertungsausspruch war daher nicht erforderlich.

[11] 1.2. Weist das Gericht zweiter Instanz „im Rahmen des Rekursverfahrens“ den Rekurs gegen die erstinstanzliche Sachentscheidung wegen Verspätung zurück, ist (auch) dieser Beschluss nur unter den Voraussetzungen des § 62 AußStrG anfechtbar (RS0120565 [T3, T14]). Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses setzt daher voraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG abhängt.

[12] Eine solche zeigt der Revisionsrekurs auf, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehlt, ob nach § 17 Abs 3 ZustG die Heilung einer wegen Ortsabwesenheit des Empfängers unwirksamen Hinterlegung durch Rückkehr an die Abgabestelle auch während einer behördlich angeordneten Absonderung eintritt.

[13] 1.3. Nach § 68 AußStrG ist eine Revisionsrekursbeantwortung nur bei Beschlüssen vorgesehen, mit denen „über die Sache“ oder über die Kosten entschieden wurde. Unter „Beschluss über die Sache“ wird jede Entscheidung über den eigentlichen Verfahrensgegenstand, sei diese meritorisch oder zurückweisend, verstanden (RS0120860). Eine solche Entscheidung liegt nicht vor, wenn das Rekursgericht nur über die prozessuale Frage der Rechtzeitigkeit des Rekurses entschieden hat; das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung des Rekurses ist daher regelmäßig einseitig (RS0120614; RS0132250).

2. Zur Rechtzeitigkeit des Rekurses

[14] 2.1. Nach § 17 Abs 3 ZustG gilt ein hinterlegtes Dokument an dem Tag als zugestellt, an dem es erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Es gilt aber dann nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger (oder dessen Vertreter) wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, „doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokument behoben werden könnte“.

[15] 2.1.1. Die Abwesenheit von der Abgabestelle bewirkt die Unwirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung (RS0036591; VwGH 1559/78). Sie wird aber nach ständiger Rechtsprechung an dem innerhalb der vierzehntägigen Abholfrist gelegenen Tag wirksam, an dem der Zustellempfänger die hinterlegte Sendung nach seiner Rückkehr an die Abgabestelle hätte beheben können, sofern ihm für die Behebung noch ein voller Tag zur Verfügung steht (RS0083966).

[16] Fristauslösend ist daher der der Rückkehr an die Abgabestelle folgende Tag (Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 17 ZustG Rz 9/1 mwN), soweit an diesem die Abholung der Sendung beim Postamt möglich gewesen wäre (VwGH 99/18/0395; 96/11/0143).

[17] 2.1.2. Zur Frage, ob das Wirksamwerden der Zustellung davon abhängt, dass der Empfänger das Zustellstück tatsächlich abholen konnte, werden in der Lehre unterschiedliche Auffassungen vertreten:

[18] Nach Wessely (in Frauenberger-Pfeiler/ Raschauer/Sander/Wessely [Hrsg], Österreichisches Zustellrecht2 [2011] § 17 ZustG Rz 7) scheint fraglich, ob es für das Wirksamwerden genüge, dass die Behebungsmöglichkeit objektiv bestanden habe, oder ob auch auf die subjektive Möglichkeit des Empfängers abzustellen sei. Er spricht sich für die zweitgenannte Ansicht aus, wobei er als Maßstab für die subjektive Möglichkeit das Verhalten einer „ordentlichen Prozesspartei“ nennt.

[19] Dies entspricht im Wesentlichen den Ausführungen von Walter/Mayer (Das Österreichische Zustellrecht [1983] § 17 ZustG Anm 41), denen zufolge eine Auslegung, die die subjektive Möglichkeit einer „ordentlichen Prozesspartei“ als irrelevant betrachtet, diese in einer nicht zu rechtfertigenden Weise benachteiligen und ihr allein die Konsequenzen für behördliches Fehlverhalten aufbürden würde.

[20] Auch Gitschthaler (in Rechberger/Klicka ZPO5 § 17 ZustG Rz 9/2) verneint unter Bezugnahme auf zweitinstanzliche Entscheidungen den Eintritt einer Sanierung, wenn der Empfänger keine subjektive Möglichkeit gehabt habe, das hinterlegte Schriftstück zu beheben, etwa weil keine Hinterlegungsanzeige mehr vorhanden war (MietSlg 45.758; MietSlg 46.715) oder das Stück bei der Post nicht aufgefunden werden konnte (OLG Wien WR 1031).

[21] Hingegen meint Stumvoll (in Fasching/Konecny 3 II/2 § 17 ZustG Rz 23), das Beheben müsse subjektiv zwar insoweit möglich sein, als Rückkehr im Zustand der Prozessunfähigkeit (wegen Fehlens einer allgemeinen Zustellvoraussetzung) nicht ausreiche. Sonstige Hindernisse oder das (behauptete) Fehlen der Hinterlegungsanzeige allein berührten hingegen (wie sonst) als spezifisch in der Sphäre der Partei gelegene Umstände die Wirksamkeit der Zustellung nicht.

[22] 2.1.3. Höchstgerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage liegen nicht vor. Aus der Rechtsprechung, wonach die bereits eingetretene Zustellwirkung durch Hindernisse bei der Abholung der Sendung nicht beseitigt wird (vgl 8 Ob 12/12s mwN; 8 ObA 184/98m; VwGH 2005/06/0377), ist für den vorliegenden Sachverhalt nichts zu gewinnen, weil sie eine wirksame Zustellung voraussetzt (8 Ob 106/03a).

[23] 2.2. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist von einer unwirksamen Zustellung auszugehen:

[24] Die Antragsgegnerin kehrte zwar innerhalb der Abholfrist an die Abgabestelle zurück. Aufgrund der ihr nach § 7 Epidemiegesetz 1950 idgF iVm der Verordnung, RGBl Nr 39/1915 idF BGBl II Nr 21/2020 (Absonderungsverordnung), auferlegten Verkehrsbeschränkungen war ihr aber die Abholung der Sendung bei der Geschäftsstelle der Post nicht möglich, weil sie diese (bis 4. 1. 2022) nicht aufsuchen und betreten durfte. In der behördlichen Absonderung – die für jeden Betroffenen die gleichen rechtlichen Wirkungen entfaltet – ist jedenfalls kein spezifisch in der Sphäre des Empfängers liegendes Hindernis zu erblicken, weil die Abholung an dem rechtlichen Dürfen und nicht am persönlichen Können scheitert.

[25] Die Frage, ob auch dann keine Heilung einträte, wenn der Empfänger schwer krank oder handlungsunfähig zurückkehrte (so Walter/Mayer aaO), kann hier ebenso dahin gestellt bleiben wie die Frage, ob die Zeit der behördlich angeordneten Quarantäne als – wie die Rechtsmittelwerberin meint – fortgesetzte Ortsabwesenheit zu werten sein könnte, weil die Antragsgegnerin trotz Rückkehr an die Abgabestelle keine Kenntnis vom Zustellvorgang erlangen konnte. Eine Heilung der wegen Ortsabwesenheit unwirksamem Zustellung nach § 17 Abs 3 letzter Satz ZustG durch Rückkehr an die Abgabestelle ist hier schon deshalb nicht am 27. 12. 2021 eingetreten, weil die Empfängerin die hinterlegte Sendung bis zum Ende der Absonderung am 4. 1. 2022, aus rechtlichen Gründen nicht beheben konnte.

[26] 2.3. Davon ausgehend wurde aber der am 14. 1. 2022 beim Erstgericht überreichte Verfahrenshilfeantrag innerhalb der offenen Rekursfrist eingebracht und hat diese nach § 7 Abs 2 AußStrG unterbrochen. Der nach Zustellung der (abweisenden) Rekursentscheidung über den Verfahrenshilfeantrag am 1. 4. 2022 am 15. 4. 2022 beim Erstgericht eingebrachte Rekurs ist daher rechtzeitig.

3. Resümee

[27] 3.1. Die behördliche Absonderung des Zustellempfängers verhindert für die Zeit ihrer Dauer, dass die hinterlegte Sendung behoben werden könnte, und schließt daher die Heilung einer wegen Ortsabwesenheit unwirksamen Zustellung durch Hinterlegung nach § 17 Abs 3 letzter Satz ZustG aus.

[28] 3.2. Dem Revisionsrekurs ist aus diesem Grund Folge zu geben, die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und diesem die Sachentscheidung über den rechtzeitigen Rekurs der Antragsgegnerin aufzutragen.

[29] 4. Der Vorbehalt der Entscheidung über die Verfahrenskosten beruht auf § 78 Abs 1 Satz 2 AußStrG (vgl 1 Ob 248/15z).

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