OGH 1Ob124/13m

OGH1Ob124/13m18.7.2013

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** M*****, vertreten durch Mag. Sanjay Doshi, Rechtsanwalt in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Z*****, vertreten durch Dr. Bertram Grass und Mag. Christoph Dorner, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 135.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 2. Mai 2013, GZ 2 R 45/13d‑45, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Feldkirch vom 18. Jänner 2013, GZ 5 Cg 37/12i‑41, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Unstrittig ist, dass die 30‑jährige (objektive) Verjährungsfrist des § 1489 Satz 2 erster Fall ABGB im Hinblick auf allfällige Schadenersatzansprüche gegen die beklagte Partei, die aus dem massiven sexuellen Missbrauch des Klägers im März 1982 durch den damaligen Regens ihres Internats resultieren, zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht abgelaufen war. Im Zusammenhang mit der Verjährungsfrage wendet sich die Revisionswerberin allein gegen die Auffassung des Berufungsgerichts zum Beginn der (subjektiven) dreijährigen Verjährung nach § 1489 Satz 1 ABGB.

2. Es entspricht herrschender Lehre und Rechtsprechung (vgl nur die Nachweise bei Dehn in KBB³ § 1489 ABGB Rz 5), dass das für den Beginn der Verjährungsfrist maßgebliche Tatbestandsmerkmal der Kenntnis von Schaden und Schädiger in dem Sinn zu verstehen ist, dass (in Fällen der Verschuldenshaftung) dem Geschädigten alle Umstände bekannt sein müssen, die den Vorwurf eines schuldhaften Verhaltens eines konkret Ersatzpflichtigen sowie des Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem eingetretenen Schaden begründen. Auch die Revisionswerberin zieht nicht in Zweifel, dass der Kläger konkret erst im Februar 2012 (zufällig) Hinweise darauf erlangt hat, dass der Täter bereits vor seiner Bestellung zum Regens wegen sexuellen Missbrauchs an Unmündigen verurteilt worden war und die Verantwortlichen der Beklagten wohl in Kenntnis dieser Umstände gewesen waren. Der Kläger war viele Jahre lang davon ausgegangen, das einzige Opfer dieser Person zu sein. Hat der Kläger aber erst im Jahr 2012 Anhaltspunkte dafür erlangt, dass nicht nur der unmittelbare Täter, sondern darüber hinaus auch die Beklagte schadenersatzpflichtig sein könnte, weil ihre Verantwortlichen den Täter in Kenntnis seiner kriminellen Neigung zum Regens des Internats bestellt haben, ist erst zu diesem Zeitpunkt die für den Verjährungsbeginn gegenüber der Beklagten erforderliche Kenntnis der maßgeblichen schadenersatzbegründenden Umstände eingetreten. Unerheblich ist daher die Darlegung der Revisionswerberin, der Kläger habe den Ersatzpflichtigen, nämlich nicht nur den Peiniger, sondern auch die nunmehr in Anspruch genommene Beklagte „bereits seit langem gekannt“.

3. Unzutreffend ist die Rechtsauffassung der Revisionswerberin zur Frage einer allfälligen Erkundigungsobliegenheit des Klägers und der Verteilung der Behauptungs‑ und Beweislast in diesem Zusammenhang. Wie sich aus § 1501 ABGB ergibt, ist die Verjährung nur insoweit zu prüfen, als sie von der belangten Partei geltend gemacht wird. Diese hat nicht nur in erkennbarer Form eine Verjährungseinrede zu erheben, sondern darüber hinaus auch alle Tatsachen vorzubringen, die einen Verjährungstatbestand erfüllen. Die Behauptungs‑ und Beweislast für das Vorliegen eines Verjährungstatbestands trifft daher den (potentiellen) Schuldner (vgl dazu nur die Nachweise bei M. Bydlinski in Rummel ³ § 1501 ABGB Rz 1), wozu auch die für den Verjährungsbeginn maßgeblichen Umstände gehören (7 Ob 506/88 = JBl 1988, 321, 2 Ob 241/06i ua; RIS‑Justiz RS0034456 [T4]).

Dies gilt selbstverständlich auch dann, wenn sich ein Beklagter nicht auf positive Kenntnis des Schädigers von den nach § 1489 Satz 1 ABGB maßgeblichen Umständen, sondern darauf berufen will, der Geschädigte hätte ‑ im Sinne der Judikatur zu den im Einzelfall möglicherweise bestehenden, aber nicht zu überspannenden Erkundigungsobliegenheiten (vgl dazu nur die Nachweise bei Dehn , aaO § 1489 ABGB Rz 3, M. Bydlinski , aaO § 1489 ABGB Rz 3) ‑ ausreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen maßgeblicher Tatsachen gehabt und diese Umstände zu einem bestimmten Zeitpunkt in Erfahrung gebracht, wenn er diesen Anhaltspunkten nachgegangen wäre. Die in der Revision für eine diesbezügliche Behauptungs‑ und Beweislast des Geschädigten ins Treffen geführten Belegstellen ([5 Ob 2339/96y =] SZ 69/251 = RZ 1997/70 [dort unrichtig „6 Ob“]) tragen die ihnen unterstellte rechtliche Beurteilung nicht.

Ins Leere geht auch der Hinweis darauf, dass Unklarheiten über Rechtsfragen den Lauf der Verjährungsfrist nicht hinausschieben können, trifft doch die Behauptung der Revisionswerberin, der Kläger habe in Wirklichkeit nicht neue Tatsachen erfahren, sondern es seien ihm von seinen Rechtsvertretern nur rechtlich neue Gesichtspunkte mitgeteilt worden, keineswegs zu. Richtig hat das Berufungsgericht hervorgehoben, dass sich der Kläger viele Jahre lang für das einzige Opfer des Straftäters gehalten hatte, weshalb er keinen Anlass dafür hatte, Nachforschungen darüber anzustellen, ob Organen oder Repräsentanten der Beklagten der Vorwurf gemacht werden könnte, die Internatszöglinge durch Bestellung dieser Person zum Regens schuldhaft einer massiven Gefahr ausgesetzt zu haben, was Voraussetzung für eine Ersatzpflicht ist.

Nach dem festgestellten Sachverhalt kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Kläger erst im Jahr 2012 ausreichende Anhaltspunkte für ein schuldhaftes Verhalten der Verantwortlichen der Beklagten erlangt hat und vorher keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür bestanden, die eine Erkundigungsobliegenheit ausgelöst hätten. Derartiges war von der beklagten Partei im Verfahren erster Instanz auch gar nicht behauptet worden. Zutreffend hat das Berufungsgericht das diesbezügliche Vorbringen in der Berufung als unzulässige Neuerung qualifiziert.

4. Ein Zwischenurteil über die Verjährung gemäß § 393a ZPO hat nur zu ergehen, wenn zumindest ein schlüssiges Tatsachenvorbringen des Klägers zum Anspruchsgrund vorliegt; andernfalls hätte ja eine Klageabweisung zu erfolgen. Richtigerweise hat das Berufungsgericht daher auch geprüft, ob das Prozessvorbringen des Klägers unter Berücksichtigung der zum Anspruchsgrund getroffenen Feststellungen geeignet wäre, einen Schadenersatzanspruch des Klägers zu begründen. Dies wurde ‑ entgegen der Auffassung der Revisionswerberin ‑ zu Recht bejaht:

Zutreffend hat das Berufungsgericht insbesondere darauf hingewiesen, dass das kriminelle Verhalten des Täters nicht losgelöst vom Internatsbetrieb und damit seiner Stellung als Regens erfolgt sei, ergebe sich doch aus den Feststellungen, dass er sich die Opfer für seine Gewalt‑ und Sexualattacken gezielt nach deren Charakter aussuchte, indem er solche Schüler auswählte, die vom Typus her eher zurückhaltend und autoritätshörig waren und ein geringes Selbstwertgefühl hatten. Die Gelegenheit zu dieser gezielten „Auswahl“ habe sich dem Täter aufgrund seiner Stellung als Internatsleiter geboten. Die beklagte Abtei habe für dessen Verhalten einzustehen, habe sie sich doch eines Internatsleiters bedient, der bereits wegen sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen auffällig geworden sei. Dem ist noch hinzuzufügen, dass der damalige Abt der Beklagten bereits im Jahr 1968 davon Kenntnis erlangt hatte, dass der betreffende Ordensangehörige sich wiederholt (im Klosterbereich) an Buben sexuell vergangen hatte und ihn dennoch ‑ ohne dass er ihn darauf jemals angesprochen hätte ‑ im Jahr 1981 zum Regens des Internats bestellt hatte. Unmittelbar darauf begann der Regens sich dem (damals 15‑jährigen) Kläger mit sexueller Absicht zu nähern, wobei es in der Folge auch (zumindest einmal) zu Missbrauchshandlungen im Zimmer des Regens kam.

Dass die Revisionswerberin ungeachtet der aufgezeigten Umstände einen ausreichenden (haftungsbegründenden) Zusammenhang zwischen der Bestellung des Täters zum Regens des Internats und dem Missbrauch des Klägers im März 1982 leugnen will, nur weil dieser letztlich außerhalb des Klosters stattgefunden hat, ist nicht verständlich. Nach den Feststellungen hatte der Regens den Kläger aufgefordert, ihm bei einer Arbeit behilflich zu sein und ihn gebeten, dafür mit seinem Auto mitzufahren. Dass sich eine derartige Gelegenheit für den Täter nicht geboten hätte, wenn er dem Kläger nicht als Internatsleiter bekannt ‑ und von ihm wegen seiner allgemein bekannten Gewaltbereitschaft auch gefürchtet ‑ gewesen wäre, kann keinem vernünftigen Zweifel unterliegen.

Damit steht aber auch unbestreitbar fest, dass der Beklagten ein haftungsbegründender Vorwurf zu machen ist, hatte sie doch den Internatszöglingen gegenüber die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was für sie erkennbar eine erhebliche Gefahr darstellen könnte. Mit der Bestellung einer Person, deren kriminellen sexuellen Neigungen den Verantwortlichen bekannt waren, zum Regens eines Internats in dem Schüler zu betreuen sind, die als Opfer dieser Neigungen geradezu prädestiniert sind, liegt ein schuldhaftes Fehlverhalten, das die Beklagte ersatzpflichtig macht, wenn sich die von ihr geschaffene Gefahr ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ tatsächlich realisiert. Da in vergleichbaren Zusammenhängen für jede schuldhaft herbeigeführte Gefährdung der im Rahmen eines Internatsbetriebs schutzbefohlenen Jugendlichen einzustehen ist, egal, ob diese durch gefährliche Sachen, Tiere oder Menschen herbeigeführt wird, erübrigen sich auch nähere Erörterungen zur Frage, ob ‑ darüber hinaus ‑ auch die gesetzlichen Voraussetzungen der Gehilfenhaftung erfüllt sind. Im Übrigen kann auch nicht der geringste Zweifel daran bestehen, dass die Beklagte sich im Sinn des § 1315 ABGB wissentlich einer gefährlichen Person bedient hat und dass es zum Missbrauch des Klägers nicht gekommen wäre, wenn der Täter nicht im Internat tätig gewesen wäre und nicht aufgrund der von der Beklagten eingeräumten Leitungsposition die Möglichkeit gehabt hätte, sich den Kläger als Opfer auszusuchen.

5. Somit erweisen sich die Revisionsargumente teilweise als substanzlos, teilweise stehen sie im Widerspruch zur ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs. Insgesamt erscheint die Argumentation, die in der Behauptung gipfelt, die Beklagte hätte keine wie immer gearteten Einwirkungsmöglichkeiten gehabt, den Missbrauch zu verhindern, angesichts der Einsetzung des Täters als Regens in Kenntnis vorangegangener einschlägiger Straftaten für ein römisch‑katholisches Kloster doch verwunderlich.

Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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