OGH 1Ob114/05d

OGH1Ob114/05d24.6.2005

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner, Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau und Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*****, vertreten durch Dr. Manfred Traxlmayr, Rechtsanwalt in Linz, und der Nebenintervenientin K***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Mag. Helmut Rieger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei t*****Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Putz & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 7.170,57 EUR sA, infolge ordentlicher Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 6.447,88 EUR sA) gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom 7. Oktober 2004, GZ 1 R 186/04f-50, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 18. April 2004, GZ 3 C 961/02y-43, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu zahlen. Die klagende Partei hat dagegen die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit einem Teilbetrag von 6.447,88 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 722,69 EUR sA ab.

Das Berufungsgericht bestätigte den - allein angefochtenen - klagestattgebenden Teil dieser Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zunächst nicht zu. Mit Beschluss von 28. Februar 2005 änderte es letzteren Ausspruch dahin ab, dass die ordentliche Revision doch zulässig sei, weil es an einer gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs dazu mangle, ob der Anschein, der Inhaber eines Telefonanschlusses habe dritte Verwender (auch) bevollmächtigt, „teurere Mehrwertdienstleistungen in Anspruch zu nehmen", im Fall einer Telefonanlage mit 30 Amtsleitungen und 246 Nebenstellen nur durch „Sicherheitsvorkehrungen zur Hintanhaltung von Missbrauchsfällen" widerlegbar sei.

Die Revision ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

1. Nach Ansicht der beklagten Partei ist die Entscheidung 1 Ob 244/02t (= SZ 2003/60) „ein vereinzeltes Erkenntnis, sodass von einer gesicherten Rechtsprechung keinesfalls auszugehen" sei. Sie übergeht dabei die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass selbst eine einzige, aber ausführlich begründete Entscheidung in Ermangelung gegenteiliger Entscheidungen und substanzieller Kritik im Schrifttum für die Bejahung des Vorliegens einer gesicherten Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384).

Die Revision entbehrt eines Hinweises auf eine substanzielle Kritik der Lehre an der ausführlich begründeten Entscheidung 1 Ob 244/02t. Wessely (Neues von der Mehrwertdienste-Front, MR 2004, 149) merkt lediglich an, der Oberste Gerichtshof habe die Ansicht von Wessely/Eugen („Ich war es nicht! oder: Haftung für die Inanspruchnahme von Mehrwertdiensten durch Geschäftsunfähige", MR 2003, 3) „bedauerlicherweise" abgelehnt. Im Übrigen werden bloß „schadenersatzrechtliche Konsequenzen für den Anschlussinhaber", der eine „Sperrmöglichkeit von Mehrwertnummern" nicht genützt habe, angedeutet. Diese Bemerkung bedarf schon deshalb keiner Erörterung, weil die Revisionswerberin nicht schadenersatzrechtlich argumentiert.

Die beklagte Partei führt ferner ins Treffen, der Oberste Gerichtshof habe in der Entscheidung 2 Ob 23/03a (= MR 2003, 335) „kritisch angemerkt", es müsse nicht erörtert werden, „ob der ... vertretungsrechtlichen Argumentation" in der Entscheidung 1 Ob 244/02t „beizutreten" sei, „weil der Beklagte sowohl Anschlussinhaber als auch Anrufer" gewesen sei. Darauf ist bloß zu entgegnen, dass diese Randbemerkung keine Entscheidungskritik ist, sondern lediglich klarstellt, dass nach dem dort beurteilten Sachverhalt keine Frage des Vertretungsrechts zu lösen war. Die von der beklagten Partei behauptete „kritische Würdigung des Erkenntnisses 1 Ob 244/02t durch den 2. Senat des Obersten Gerichtshofes" ist somit nicht ersichtlich. Im Übrigen entspricht es - in einer für das Revisionsverfahren zentralen Frage - bereits der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass bei Telefon-Mehrwertdiensten der Vertrag des Anschlussinhabers mit dem Netzbetreiber vom Vertrag des Benutzers des Telefonanschlusses mit dem Mehrwertdiensteleister zu unterscheiden ist (4 Ob 7/04i = MR 2004, 221; 2 Ob 23/03a; 1 Ob 244/02t). Soweit ist daher die Auffassung der beklagten Partei, die Leitlinien der Entscheidung 1 Ob 244/02t beruhten nicht auf einer gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, jedenfalls unzutreffend.

2. Der erkennende Senat führte in der Entscheidung 1 Ob 244/02t im Einzelnen auch aus, die Tatsache, dass der Netzbetreiber gemeinsam mit den Gesprächsentgelten auch das Entgelt für den Mehrwertdienst kassiere, könne für sich allein nicht zum Verlust der Einwendungen aus dem Vertrag mit dem Mehrwertdiensteanbieter führen. Das gelte selbstverständlich auch im Verhältnis zu einem Inkassozessionar. Ein in Allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelter vertraglicher Ausschluss aller, die Gültigkeit des Vertrags betreffenden Einwendungen aus dem Vertrag mit dem Mehrwertdiensteanbieter gegenüber dem die Rechte daraus geltend machenden Netzbetreiber sei gemäß §§ 879 Abs 3, 937 ABGB und § 6 Abs 1 Z 14 KSchG unwirksam. Der Kunde könne sich somit gegenüber dem Netzbetreiber auch darauf berufen, er sei nicht Vertragspartner des Mehrwertdiensteanbieters geworden und schulde daher nicht das für dessen Leistung angefallene Entgelt, wenn das Telefongespräch, das den Vertragsabschluss bewirkt habe, von einem Dritten geführt worden sei.

Die Revisionswerberin versucht zunächst zu begründen, dass die Leitlinien der Entscheidung 1 Ob 244/02t nur für die Rechtsbeziehungen von Netzbetreibern mit Verbrauchern relevant seien; sie übergeht damit die zuvor - kurz zusammengefasst - referierten Erwägungen von allgemeiner Bedeutung. An dieser Sicht der Rechtslage ist festzuhalten. Vor diesem Hintergrund ist kein plausibler Grund dafür zu erkennen, weshalb diese Grundsätze für einen (ideellen) Verein als Rechtsträger eines Studentenwohnheims und Vertragspartner des Netzbetreibers (siehe zur Unternehmereigenschaft ideeller Vereine 4 Ob 312/99g = SZ 72/206) allein wegen seiner festgestellten '30 Amtsleitungs-Kanäle" mit insgesamt „246 Nebenstellen-Anschlüssen" nicht gelten sollen.

Das Argument, ein Studentenheim sei gleichsam ein „offenes Haus", in dem irgendjemand von jeder Nebenstelle Telefongespräche mit Mehrwertdiensteleistern führen könne, widerspricht den getroffenen Feststellungen. Danach setzt die Benützung einer Nebenstelle in einem Studentenzimmer mit „Doppelbelegung" die Verwendung eines - wenngleich simplen - Zahlencodes voraus. Für die im Anlassfall maßgebende Nebenstelle 7602 der Telefonanlage der klagenden Partei im ebenerdigen Zimmer eines Studenten ist folgender Sachverhalt maßgebend:

Der Student hielt sich Ende Juni/Anfang Juli 2001 im Ausland auf. Er hatte sein Zimmer im Heim der klagenden Partei „vor seiner Abreise" versperrt, jedoch zur Ermöglichung einer „Frischluftzufuhr" eines „der beiden in Richtung der Grünfläche vor dem Heim gehenden Fenster ... gekippt gelassen". Während seiner Abwesenheit kam es zu einem Einbruch in dieses Zimmer. Von der Telefonnebenstelle wurden in der Folge „verschiedene Anrufe getätigt". Nach einem dieser Anrufe bei einer „Sex-Hotline" am 30. 6. 2001 um 2 Uhr 55 wurde die Verbindung 32 Stunden, 54 Minuten und 44 Sekunden aufrecht erhalten. Es konnte nicht festgestellt werden, wer dieses Telefonat geführt hatte.

Nach diesem Sachverhalt war die relevante Nebenstelle gerade nicht in einem für jedermann zugänglichen Bereich eines „offenen Hauses", sondern in einem versperrbaren und während der Abwesenheit des Bewohners auch tatsächlich versperrten Zimmer eingerichtet. Durch das streitverfangene Telefonat mit einer „Sex-Hotline" verwirklichte sich daher nicht ein mit dem Betrieb eines „offenen Hauses" verknüpftes Risiko. Eines der Kernargumente, das die Ansicht der Revisionswerberin tragen soll, beruht somit auf feststellungsfremden Tatsachen.

3. Die beklagte Partei hält aber auch die Ausführungen in der Entscheidung 1 Ob 244/02t zu den Voraussetzungen des Vorliegens einer Anscheins- oder einer Duldungsvollmacht für verfehlt. Diese hätten „eine nicht auszudenkende Erschwernis kostenpflichtiger Sprachkommunikationsdienstleistungen zur Folge", die „in einer modernen Marktwirtschaft nicht zu vertreten" sei. Die Gründe der beklagten Partei laufen darauf hinaus, allein aus dem Mangel einer Sperre des Verbindungsaufbaus mit den Telefonnummern bestimmter Mehrwertdiensteleister abzuleiten, dass die klagende Partei Studenten oder sonstige Dritte ermächtigt habe, Nebenstellen etwa für Telefonate mit Sexhotlines zu ihren Lasten als Anschlussinhaber im Verhältnis zum Netzbetreiber als Inkassozessionar zu nutzen. Gegen diese Sicht der Rechtslage spricht die in der Entscheidung 1 Ob 244/02t ins Treffen geführte allgemeine Lebenserfahrung. Demnach trägt nicht schon ein Fehlen der erwähnten Sperre den Schluss, die klagende Partei habe als Anschlussinhaberin Bewohnern ihres Studentenwohnheims oder etwa auch unbekannten Einbrechern stundenlange Telefonate mit Sexhotlines ermöglichen wollen. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlasst, von den Leitlinien der Entscheidung 1 Ob 244/02t abzugehen, ist doch die Lösung der erörterten Vollmachtsfrage nach den bisherigen Erwägungen - entgegen den Revisionsausführungen - nicht davon abhängig, ob der Kunde des Netzbetreibers lediglich über einen Einzelanschluss oder über eine Telefonanlage mit vielen Leitungskanälen und zahlreichen Nebenstellen verfügt. Soweit das Berufungsgericht letztlich die Frage nach einer gebotenen Vorsorge des Inhabers „einer größeren Telefonanlage" gegen Missbrauchsfälle im Rahmen möglicher Sorgfaltspflichten für klärungsbedürftig hielt, ist dieser Gesichtspunkt jedenfalls auf der im Rechtsmittel erörterten Vollmachtsebene nicht von Bedeutung.

4. Nach den voranstehenden Ausführungen hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab. Die Revision ist somit zurückzuweisen. Gemäß § 510 Abs 3 ZPO kann sich der Oberste Gerichtshof dabei auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

5. Die Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Partei wies auf die Unzulässigkeit der Revision der beklagten Partei hin. Kein solcher Hinweis findet sich dagegen in der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei. Die beklagte Partei hat daher nur die Kosten der Revisionsbeantwortung der Nebenintervenientin als solche einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gemäß § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO zu ersetzen.

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