Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 9. 7. 2003 suchte die Klägerin eine Filiale der beklagten Partei auf, um sich in der Lampenabteilung informieren und verschiedene Angebote erklären zu lassen. Sie hatte - bevor sie die Filiale betrat - keine Kaufabsicht und kaufte auch nichts. Einer Kundin fiel im Kassenbereich ein Plastikbehälter mit grellrosa Farbe zu Boden, wodurch sich ein eher runder Farbfleck mit einem Durchmesser von ca. 15 cm bildete. Eine Kassierin, die den Vorfall sah, verständigte umgehend Mitarbeiter aus der Farbabteilung. Es dauerte etwa fünf Minuten, bis zur provisorischen Absicherung des Farbflecks zwei Mitarbeiter zum Kassenbereich kamen, um Kunden zu warnen. Während dieser Zeit waren zwei Mitarbeiterinnen, die an der Kassa tätig waren, und eine Mitarbeiterin der Informationsabteilung an der späteren Unfallstelle. Die Klägerin näherte sich zu einem „zum Hinunterfallen des Farbtopfes" nicht genau feststellbaren Zeitpunkt im schnellen Gehschritt, dem Ausgangsbereich, ohne auf die vor ihr befindliche Wegstrecke besonders zu achten. Der Kassierin, die zuvor die Mitarbeiter aus der Farbabteilung verständigt hatte, fiel das schnelle Gehtempo der Klägerin auf, weshalb sie diese mit einem Ruf „Vorsicht!" oder Ähnliches warnen wollte. Die Klägerin überhörte jedoch diesen Warnruf, drehte sich um, weil sie eine aufgeregte Diskussion hinter sich zu hören glaubte, stieg mit der linken Ferse in den Farbfleck, rutschte weg und kam zu Sturz.
Die Klägerin begehrte EUR 12.604,92 sA als Schadenersatz. Die beklagte Partei sei ihren Verkehrssicherungspflichten nicht nachgekommen. Sie hafte überdies wegen Verletzung vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten. Ein Kaufabschluss oder eine Kaufabsicht sei nicht Voraussetzung für die Annahme solcher Pflichten.
Die beklagte Partei wendete ein, die Klägerin sei unmittelbar nach dem Verschütten der Farbe auf dieser ausgerutscht. In der kurzen Zeit bis zum Sturz der Klägerin sei es weder möglich gewesen, den Boden zu reinigen, noch den Bereich zu sichern oder zu kennzeichnen. Die grellrosa Farbe sei selbst bei minimaler Aufmerksamkeit nicht zu übersehen gewesen. Die Klägerin sei verpflichtet gewesen, „vor die eigenen Füße zu schauen". Es treffe sie daher jedenfalls ein überwiegendes Mitverschulden von 80 %. Sie sei überdies nicht „Kundin" der beklagten Partei gewesen, sondern im Geschäftslokal herumgegangen, ohne zu kaufen, weshalb die Haftung der beklagten Partei nicht auf ein vorvertragliches Schuldverhältnis gestützt werden könne. Die Klägerin sei überdies von einer Mitarbeiterin durch Zuruf gewarnt worden.
Das Erstgericht erkannte die Klagsforderung als dem Grunde nach zur Hälfte zu Recht bestehend und wies einen Teilbetrag des Klagebegehrens von EUR 6.302,46 sA (rechtskräftig) ab. Vorvertragliche Schutz- und Sorgfaltspflichten bestünden unabhängig davon, ob später ein Vertragsabschluss erfolge. Zwar habe die ältere Lehre und Rechtsprechung diesen Grundsatz dahin eingeschränkt, dass zumindest Kaufabsicht bestehen müsse, in neueren Entscheidungen werde von diesem Erfordernis jedoch abgegangen und für die Bejahung vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten die „Aufnahme des Kontakts zu geschäftlichen Zwecken" als ausreichend erachtet. Die Klägerin habe die Filiale der beklagten Partei zwar nicht in Kaufabsicht aufgesucht, jedoch Informationen und Angebote in der Lampenabteilung eingeholt. Dies gehöre zum Geschäftsbereich der beklagten Partei. Der Zeitraum von fünf Minuten, während dessen die Gefahrenstelle trotz Kenntnis der Gefahr ungesichert geblieben sei, sei zu lang. Zwar dürften Sorgfaltspflichten „nicht überspannt und die Grenzen des Zumutbaren nicht überschritten" werden, die raschere Absicherung der Gefahrenstelle wäre den Gehilfen der beklagten Partei aber jedenfalls zumutbar gewesen. Vom Besucher eines Warenhauses müsse gefordert werden, dass er der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuwende. Unterlasse er dies, begründe sein Verhalten ein Mitverschulden im Sinn einer Obliegenheitsverletzung. Von einem Überwiegen des jeweils geringfügigen Verschuldens beider Parteien könne nicht ausgegangen werden, weshalb eine Schadensteilung im Verhältnis 1 : 1 angemessen erscheine.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Oberste Gerichtshof anerkenne „in jüngerer Zeit" allgemein das Bestehen von Schutz- und Sorgfaltspflichten ab der Aufnahme des geschäftlichen Kontakts. So entspreche es der herrschenden Ansicht, dass etwa der Kaufhausunternehmer der Besucherin nach vertraglichen Grundsätzen für die Sicherheit des Geschäftslokals etwa dann hafte, wenn das Personal erforderliche Aufräumarbeiten nicht durchgeführt habe. Vorvertragliche Pflichten bestünden gegenüber jedermann, mit dem der Handelnde künftig in geschäftlichen Kontakt treten wolle. „Jedermann" sei zwar nicht jede beliebige Person, aber immerhin jeder potentielle Vertragspartner. Bei der Klägerin habe es sich jedenfalls um eine potentielle Kundin der beklagten Partei gehandelt, sei doch nicht von einem bloß abstrakten Interesse der Klägerin an den Angeboten der beklagten Partei auszugehen. Sie sei jedenfalls eine Person, an die sich deren Angebote gerichtet hätten und mit der die beklagte Partei in geschäftlichen Kontakt habe treten wollen. Indem sich die Klägerin informieren und die Angebote habe erklären lassen wollen, habe sie einen geschäftlichen Kontakt zur beklagten Partei aufgenommen, der dieser Schutz- und Sorgfaltspflichten im Sinne einer vertraglichen Gehilfenhaftung nach § 1313a ABGB auferlege. Aus den Feststellungen könne keine zureichende Warnung der Klägerin abgeleitet werden. Zwar habe eine Mitarbeiterin die Klägerin durch Zuruf warnen wollen, diese habe jedoch den Warnruf überhört und sich umgedreht, weil sie hinter sich eine aufgeregte Diskussion zu hören glaubte. Davon, dass die Klägerin tatsächlich gewarnt worden sei oder den Warnruf ignoriert habe, könne nicht gesprochen werden. Obwohl sich mehrere Mitarbeiterinnen der beklagten Partei im Bereich der späteren Unfallstelle befunden hätten, sei lediglich „die Farbabteilung" verständigt worden und habe es fünf Minuten gedauert, bis eine provisorische Absicherung des Farbflecks erfolgt sei. Dem Erstgericht sei darin zuzustimmen, dass eine frühere Absicherung zumutbar gewesen wäre, ohne dass es einer „schnellen Eingreiftruppe" bedurft hätte. Allgemein sei richtig, dass man beim Gehen vor die Füße schauen müsse. Im Kaufhaus sei aber grundsätzlich nicht mit Unebenheiten zu rechnen, und es liege im Interesse des Kaufhausbetreibers, die Aufmerksamkeit des (potentiellen) Kunden auf das Warenangebot, nicht dagegen auf den Fußboden zu lenken. Die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung sei gerechtfertigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der beklagten Partei ist zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Das Kernstück der Revision stellt die Kritik der Rechtsansicht des Berufungsgerichts dar, wonach es für die Annahme vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten bereits ausreiche, dass sich die Klägerin informieren und Angebote erklären lassen wollte. Der von der Judikatur entwickelte Gedanke der vertraglichen Haftung werde im vorliegenden Fall (Baumarkt) unzulässigerweise auf jede geschäftsfähige Person ausgeweitet, sobald diese den Baumarkt betrete oder bloß in dessen Bereich gelange, weil jeder Geschäftsfähige für „ein Kaufhaus" ein potentieller Vertragspartner sei. Ob eine Person einem potentiellen Käuferkreis angehöre, sei für sich allein kein geeignetes Abgrenzungskriterium. Für die Annahme vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten sei vielmehr das Vorliegen einer konkreten Kaufabsicht der betreffenden Person zu fordern. Das bloße Interesse an angebotenen Waren ohne konkrete Kaufabsicht reiche nicht aus. Es könne ja auch der Fußgänger, der vom Gehsteig aus die Auslagen eines Kleidergeschäfts betrachte - unbeschadet des Umstands, dass er hypothetischer Kleidungskäufer sei -, nicht unter besonderen vorvertraglichen Schutz fallen.
Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:
Aus mehreren Bestimmungen des ABGB haben Lehre und Rechtsprechung das Bestehen vorvertraglicher Verpflichtungen abgeleitet. Das vorvertragliche Schuldverhältnis besteht unabhängig davon, ob es später zu einem Vertragsabschluss kommt. Es handelt sich, wenn der in Aussicht genommene Vertrag nicht zustande kommt oder als nicht zustande gekommen gilt, um ein Schuldverhältnis ohne Hauptleistungspflicht, das vor allem in Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten besteht (SZ 49/94; SZ 51/111; SZ 52/135 uva). Die vorvertraglichen Pflichten bestehen gegen jedermann, mit dem der Handelnde künftig in geschäftlichen Kontakt treten will. „Jedermann" ist zwar nicht jede beliebige Person, aber immerhin jeder potentielle Vertragspartner (Welser, Das Verschulden beim Vertragsschluss im österreichischen bürgerlichen Recht in ÖJZ 1973, 281 [286]; SZ 49/13; vgl SZ 51/111; SZ 52/135; JBl 1991, 586; RIS-Justiz RS0016402). Mögliche Geschäftspartner treten schon mit der Kontaktaufnahme in ein beiderseitiges vorvertragliches Schuldverhältnis (SZ 48/102; SZ 52/135; SZ 58/69; SZ 61/90; vgl 1 Ob 195/00h, RIS-Justiz RS0014885). Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass den Inhaber eines Geschäfts gegenüber einer Person, die das Geschäft in Kaufabsicht betritt, die vorvertragliche Pflicht trifft, für die Sicherheit des Geschäftslokals zu sorgen (EvBl 1979/22; SZ 51/111; SZ 52/135; 1 Ob 605/83; RIS-Justiz RS0016407). Aus diesen Entscheidungen kann allerdings nicht abgeleitet, werden, dass die „Kaufabsicht" unabdingbare Grundvoraussetzung für das Entstehen vorvertraglicher Schutz- und Sorgfaltspflichten sein soll.
In der Entscheidung 3 Ob 25/03b hat der Oberste Gerichtshof (neuerlich) den Grundsatz betont, dass die Parteien schon mit Aufnahme des Kontakts zu geschäftlichen Zwecken in ein beiderseitiges Rechtsverhältnis treten, das sie zur Sorgfalt und Rücksichtnahme bei Vorbereitung und Abschluss des Vertrages verpflichtet.
Hier hat die Klägerin den Baumarkt der beklagten Partei zwar nicht in Kaufabsicht, allerdings aber zu dem Zweck betreten, sich in der Lampenabteilung informieren und verschiedene Angebote erklären zu lassen. Die Einholung von Informationen zum Zweck des Produkt- und Preisvergleichs stellt ein typisches Kundenverhalten dar, mit dem die Inhaber derartiger Märkte rechnen und dem sie auch durch die Beschäftigung von entsprechend geschulten Kundenberatern Rechnung tragen. Die für die Begründung des „vorvertraglichen Schuldverhältnisses" erforderliche Kontaktaufnahme zu „geschäftlichen Zwecken" erfolgt daher bereits dann, wenn ein (potentieller) Kunde den (Bau)Markt aufsucht, um sich über das Produktangebot zu informieren und Preisvergleiche anstellen zu können. Eine (konkrete) Kaufabsicht bereits zu diesem Zeitpunkt ist nicht Voraussetzung für das Eingreifen der culpa in contrahendo.
Es ist daher den Vorinstanzen beizupflichten, dass die beklagte Partei die Haftung für ihre Erfüllungsgehilfen nach § 1313a ABGB trifft.
Entgegen der Auffassung der Revisionswerberin kann von einer Überspannung der Sorgfaltspflichten der beklagten Partei nicht die Rede sein. Ebensowenig überzeugt die Kritik der Revisionswerberin an der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Aufstellung der Warnposten verspätet erfolgt sei. Der gegenständliche Farbfleck bewirkte schon wegen der hohen Wahrscheinlichkeit des Ausrutschens eine erhebliche Gefährdung von Personen. Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang, dass sich der Farbfleck im Kassabereich befand, den zwangsläufig jeder (potentielle) Kunde passieren muss. Eine sofortige provisorische Sicherung dieser Gefahrenquelle wäre auch durch das Kassapersonal - etwa durch das Darüberstellen eines Stuhls oder eines Einkaufswagens - ohne nennenswerten Zeitaufwand leicht möglich gewesen. Die bloße Information „der Farbabteilung" kann angesichts der Wahrscheinlichkeit einer vom Farbfleck - ungeachtet seiner grellen Farbe - ausgehenden Schädigung der körperlichen Unversehrtheit von Personen nicht als ausreichend angesehen werden.
Soweit die Rechtsmittelwerberin die Auffassung vertritt, dass „die Klägerin gewarnt wurde", geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Abgesehen davon, dass die Klägerin einen unmittelbar vor ihrem Sturz abgegebenen Warnruf gar nicht hörte, ist schon bei Vorhandensein weniger Kunden nicht damit zu rechnen, dass eine nicht direkt angesprochene Person einen allfälligen Warnruf gerade auf sich bezieht.
Dem Umstand, dass der Farbfleck grellrosa und gut sichtbar war, haben die Vorinstanzen zutreffenderweise dadurch Rechnung getragen, dass sie der Klägerin ein gleichteiliges Mitverschulden angelastet haben.
Der Revision der beklagten Partei ist daher nicht Folge zu geben.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
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