OGH 15Os34/16p

OGH15Os34/16p7.9.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Beran als Schriftführer in der Strafsache gegen Christine H***** wegen des Verbrechens der Veruntreuung nach § 133 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB, AZ 34 Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen drei Beschlüsse in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie über den Antrag des Roman He***** auf Erneuerung des Verfahrens nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Erste Generalanwältin Prof. Dr. Aicher, des Privatbeteiligtenvertreters Mag. Fuhrmann und des Vertreters des Erneuerungswerbers Dr. Kremslehner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0150OS00034.16P.0907.000

 

Spruch:

 

Im Strafverfahren AZ 34 Hv 170/04y des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzen

1./ der Beschluss des Untersuchungsrichters vom 1. Oktober 2004 § 98 Abs 2 und § 143 Abs 1 StPO idF vor BGBl I 2004/19;

2./ der Beschluss der Vorsitzenden des Schöffengerichts vom 1. Juni 2015 (ON 110) in seinem Punkt 2./, soweit damit die Herausgabe und Hinterlegung des Bildes angeordnet wurden, und der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 16. September 2015, AZ 17 Bs 210/15d (ON 118), § 114 Abs 2 StPO.

Die zu 2./ genannten Beschlüsse werden im bezeichneten Umfang ersatzlos aufgehoben.

Mit seinem Antrag auf Erneuerung wird Roman He***** auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit Anklageschrift vom 24. September 2004 (ON 47) legte die Staatsanwaltschaft Wien Christine H***** unter anderem zur Last, in Wien ein fremdes Gut „in einem 40.000,- Euro übersteigenden Wert“, das ihr anvertraut worden war, sich mit dem Vorsatz zugeeignet zu haben, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, indem sie das im Eigentum des Dkfm. DDr. Silvio U***** stehende Bild „Apelles malt Roxane“ des Malers Antonio Bellucci im Wert von zumindest 72.672,83 Euro „Bruno W***** zum Verkauf übergab, der es an Alfred K***** verkaufte und dieser es sofort an Roman He***** weiterverkaufte“.

Über zugleich mit der Anklageschrift gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft wurde Roman He***** mit Note des Untersuchungsrichters vom 1. Oktober 2004 aufgefordert, „das Ölbild 'Apelles malt Roxane' weiter zu verwahren, da dieses allenfalls in dem Strafverfahren gegen Christine H***** noch durch das Gericht zur Begutachtung benötigt werden wird und durch Dkfm. DDr. Silvio U***** allenfalls zivilrechtliche Ansprüche geltend gemacht werden könnten“ (ON 1 S 3l und 3l verso).

Das Verfahren gegen Christine H***** ist im Hauptverhandlungsstadium wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten abgebrochen.

In Stattgebung eines Antrags des Roman He***** auf Aufhebung der „Sicherstellung“ (ON 96a) wurde – nach Schätzung des Gemäldes – mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Juni 2015 (ON 110) zu Punkt 2./ die „Sicherstellung“ aufgehoben und Roman He***** unter einem aufgetragen, „das beim Antragsteller verwahrte gegenständliche Ölbild“ dem Landesgericht für Strafsachen Wien „auszufolgen“, welches es danach – in Entsprechung des Antrags der Staatsanwaltschaft Wien (ON 100) – gemäß § 1425 ABGB beim Bezirksgericht Josefstadt zu hinterlegen habe.

Der gegen den die Ausfolgung und Hinterlegung anordnenden Teil des Beschlusses gerichteten Beschwerde des Roman He***** (ON 112) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. September 2015, AZ 17 Bs 210/15d (ON 118), nicht Folge.

Gemäß § 114 Abs 2 StPO seien – nach zu Recht erfolgter Aufhebung der Sicherstellung – sichergestellte Gegenstände sogleich jener Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurden, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. Zutreffend habe das Erstgericht erwogen, dass seit dem Jahr 2000 ein Zivilprozess zur Frage des Eigentums an dem gegenständlichen Gemälde anhängig sei, weshalb die Frage des Eigentümers und der berechtigten Verfügungsmacht am Gemälde „Apelles malt Roxane“ offensichtlich unklar sei. Auf Grund der aktenkundigen ungeklärten Eigentumsverhältnisse musste das Erstgericht daher berechtigte Zweifel an der Berechtigung des Antragstellers He*****, hegen, weshalb es zu Recht als gesetzliche Folge dessen gemäß § 114 Abs 2 StPO iVm § 1425 ABGB die Hinterlegung des Bildes beim Bezirksgericht ausgesprochen habe (BS 8 f).

Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, ein „Drittverbot“ rechtfertige lediglich eine bloße Aufhebung, nicht jedoch die Anordnung einer Ausfolgung, sowie dass das Gemälde sich nie in Verwahrung des Gerichts befunden habe, weshalb auch über keine Ausfolgung entschieden werden könne, folgte das Oberlandesgericht unter Hinweis auf § 114 Abs 1 StPO nicht, sei dort doch nur die Verantwortlichkeit für die Verwahrung, „nicht aber der Verwahrungsort“ geregelt. Auf Basis der an den Beschwerdeführer ergangenen Aufforderung, das Gemälde weiter (bei sich) zu verwahren, wurde der dadurch sichergestellte Gegenstand für das Strafverfahren in dessen Räumlichkeiten verwahrt. Aufgrund des Wegfalls der Sicherungsgründe und der damit notwendigen Aufhebung der Sicherstellung sei auf Grund der unklaren Eigentumsverhältnisse als gesetzliche Folge die Hinterlegung beim Bezirksgericht vorgesehen. Mit dem gegenständlichen Beschluss werde auch kein staatliches Zwangsmittel begründet, sondern im Gegenteil, die Sicherstellung aufgehoben (BS 9 f).

Dagegen richtet sich der Antrag auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO analog des Roman He*****, der eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum (Art 1 1. ZPMRK), der angemessenen Verfahrensdauer (Art 6 MRK) sowie des „Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“ rügt.

Übereinstimmend beantragten Roman He***** und Dkfm. DDr. Silvio U***** am 18. April 2016 die ersatzlose Aufhebung der Beschlüsse, weil sie sich außergerichtlich geeinigt hätten. Die G***** GmbH, deren geschäftsführender Alleingesellschafter Roman He***** ist, habe das betreffende Gemälde am 25. September 2000 rechtswirksam erworben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse stehen – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde aufzeigt – mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Zur „Note“ vom 1. Oktober 2004 (Beschluss in ON 1 S 3l verso; vgl dazu Ratz, WK-StPO Vor §§ 280‑296a, Rz 5; Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde, 26):

Gemäß §§ 98 Abs 2, 143 Abs 1 StPO idF vor dem StrafprozessreformG 2004 (BGBl I 2004/19) war Beschlagnahme – im Sinn der Begründung gerichtlicher Gewahrsame an Gegenständen – nur aus Beweisgründen oder zur Sicherung von Verfall und Einziehung zulässig. Sicherstellung (vorläufige Beschlagnahme) bezeichnete die Verwahrnahme durch Sicherheitsbehörden aus eigener Macht (Fabrizy, StPO9 § 98 Rz 1, § 143 Rz 1).

Der Sache nach hat der Untersuchungsrichter ein Verfügungsverbot über das Bild ausgesprochen und damit versucht, dieses auf – grundsätzlich zulässige – andere Weise als durch gerichtliche Verwahrung (vgl dazu § 98 Abs 2 StPO aF: „…soweit es möglich ist“; § 143 Abs 1 StPO aF: „… in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder in Beschlag zu nehmen“; § 610 Abs 3 Geo: „… so hat das Gericht einen Verwahrer zu bestellen oder sonst eine den Verhältnissen angemessene Verfügung zu treffen“) zu beschlagnahmen, dies entgegen den gesetzlichen Voraussetzungen, weil ein solches Verbot nach damaliger Rechtslage (anders als nach § 109 Z 1 lit b StPO idgF) auf die – hier nicht zutreffenden – Fälle der Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 144a Abs 2 Z 2 StPO aF beschränkt war.

Der Auftrag an einen Dritten, einen in Eigenbesitz befindlichen Gegenstand (hier das gegenständliche Ölgemälde) aus Beweisgründen sowie wegen allfälliger Privatbeteiligtenansprüche „weiter zu verwahren“, war im Gesetz nicht vorgesehen. Er vernachlässigt, dass der einer Beschlagnahme inhärente gerichtliche Gewahrsam gar nicht begründet worden ist.

Der nicht dem Gesetz entsprechende Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Oktober 2004 verletzte daher § 98 Abs 2 und § 143 Abs 1 StPO idF vor BGBl I 2004/19. Da die rechtlich verfehlte Beschlagnahme („Sicherstellung“) bereits am 1. Juni 2015 vom Erstgericht aufgehoben wurde, bedarf es keiner klarstellenden Beseitigung des Beschlusses vom 1. Oktober 2004.

2./ Zu den Beschlüssen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 1. Juni 2015 (ON 110 Punkt 2./) und des Oberlandesgerichts Wien vom 16. September 2015 (ON 118):

Ihnen zuwider steht nicht die Aufhebung einer (der Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei obliegenden) Sicherstellung, sondern die Aufhebung einer (gerichtlichen) Beschlagnahme in Rede. Wenngleich hiefür primär § 115 Abs 6 StPO gilt, ist aber auch § 114 Abs 2 letzter Fall StPO sinngemäß anzuwenden (vgl Tipold/Zerbes, WK-StPO § 114 Rz 4 f).

Die im Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien an die Aufhebung der „Sicherstellung“ (richtig: Beschlagnahme) anschließende, von diesem auf § 114 Abs 2 StPO gestützte Anordnung des Inhalts, „das beim Antragsteller verwahrte gegenständliche Ölbild“ dem Landesgericht für Strafsachen Wien „auszufolgen“, um es in der Folge gemäß § 1425 ABGB zu hinterlegen, kann sich nicht auf die bezogene Gesetzesstelle stützen.

Die Ansicht des Oberlandesgerichts, es handle sich (bei den Räumlichkeiten des Erneuerungswerbers) um den „Verwahrungsort“ des sichergestellten Gegenstands, weil durch die „Aufforderung, das Gemälde weiter (bei sich) zu verwahren, […] der dadurch sichergestellte Gegenstand“ in den Räumlichkeiten des Roman He***** „verwahrt“ wurde (BS 9), entbehrt einer gesetzlichen Grundlage.

Zudem ist gemäß § 114 Abs 2 erster Satz StPO eine sichergestellte Sache der Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurde, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. Die in der Begründung der befassten Gerichte zum Ausdruck kommende Rechtsmeinung, die Frage des Eigentümers sei „keineswegs offensichtlich“ (ON 110 S 5) und es bestünden „berechtigte Zweifel an der Berechtigung des Antragstellers“ (ON 118 S 9) verfehlt den gesetzlichen Maßstab. Denn grundsätzlich sind die Gegenstände an jene Person herauszugeben, aus deren Verfügungsmacht sie entzogen wurden, es sei denn, dass diese Person offenkundig gar keine Berechtigung über den betreffenden Gegenstand hat (EBRV 25 BlgNR 22. GP 154; Fabrizy, StPO12 § 114 Rz 2; Tipold/Zerbes, WK-StPO § 114 Rz 5).

Bleibt anzumerken, dass sich eine Deutung des Beschlusses ON 110, Roman He***** habe das bei ihm verwahrte Ölgemälde an das Landesgericht für Strafsachen Wien auszufolgen, als Aufforderung zur Herausgabe zum Zweck der Beschlagnahme zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche gemäß §§ 115 Abs 1 Z 2 iVm § 111 Abs 1 StPO, – abgesehen vom Fehlen des erforderlichen Beschlussinhalts (§ 86 Abs 1 StPO) – weder mit dem die Aufhebung der Sicherstellung anordnenden Spruch noch mit der das Erfordernis einer Sicherstellung/Beschlagnahme verneinenden Begründung („... doch kein staatliches Zwangsmittel begründet“) in Einklang bringen lässt (zum rechtserheblichen Inhalt einer Entscheidung (vgl RIS‑Justiz RS0106264).

Der das Gesetz verletzende Ausfolgungs- und Hinterlegungsauftrag und die diesen bestätigende Beschwerdeentscheidung waren daher zur Klarstellung ersatzlos aufzuheben.

Mit seinem Antrag auf Erneuerung war Roman He***** auf diese Entscheidung zu verweisen.

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