OGH 15Os23/21b

OGH15Os23/21b12.4.2021

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. April 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinksi, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in der Strafsache gegen M***** Z***** wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 20. November 2020, GZ 5 Hv 22/20g‑99, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0150OS00023.21B.0412.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M***** Z***** je eines Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1./) und nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (2./) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in der Nacht zum 1. September 2019 in G***** in der Diskothek „L*****“ folgenden Personen eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich teils zugefügt, teils zuzufügen versucht, und zwar:

[3] 1./ M***** S*****, indem er ihm mit einem abgebrochenen Bierflaschenhals zunächst zumindest zwei Mal gezielt in den Unterkiefer‑ und Hals‑(schlagader‑)bereich schlug und dann weitere Stich‑ bzw Schlagversuche unternahm, wobei die Tat eine auffallende Verunstaltung (§ 85 StGB), nämlich Narben im Gesichtsbereich (eine zirka 6 cm und zwei jeweils 1 cm lange Narben oberhalb der linken Augenbraue sowie eine zirka 5 cm lange s‑förmige Narbe am linken Unterkieferast) sowie eine längsgestellte zirka 7 cm lange und bis zu 0,8 cm breite rötliche Narbe am Hals zur Folge hatte,

[4] 2./ den ihn dann von hinten umklammernden Türsteher C***** St*****, indem er mit dem abgebrochenen Bierflaschenhals drei Stichbewegungen nach links hinten in Richtung dessen linker (unter‑)Bauchseite führte, wobei die Tatvollendung scheiterte, weil es St***** gelang, diese Stichbewegungen abzublocken und Z***** sodann zu überwältigen.

[5] Dagegen richtet sich die auf Z 5 und 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

[6] Eine unter Nichtigkeitsdrohung stehende Begründungspflicht besteht ausschließlich für den Ausspruch über entscheidende Tatsachen (RIS‑Justiz RS0099497; RS0117499). Entscheidend ist eine Tatsache dann, wenn die Feststellung ihres Vorliegens oder Nichtvorliegens entweder die rechtliche Entscheidung über Schuld‑ oder Freispruch oder – im Fall gerichtlicher Strafbarkeit – darüber beeinflusst, welche strafbare Handlung begründet wurde (RIS‑Justiz RS0117264). Diese entscheidenden Tatsachen können nur nach Maßgabe der in Z 5 des § 281 Abs 1 StPO genannten rechtlichen Kategorien bekämpft werden.

[7] Dass die Tatrichter aus dem Verhalten des Angeklagten geschlossen haben, er habe sich an der gegnerischen Gruppe „rächen“ wollen (US 4, zum Motiv vgl RIS‑Justiz RS0088761), betrifft genauso wenig eine entscheidende Tatsache wie das – den Tathandlungen zeitlich vorangehende - Geschehen vor dem Lokal (US 3 f), sodass das darauf bezogene Beschwerdevorbringen von vornherein ins Leere geht.

[8] Soweit die Beschwerde die – von den Tatrichtern als widersprüchlich und durch andere Beweisergebnisse widerlegt erachtete (US 7 f) - Verantwortung des Angeklagten wiedergibt, diese als „chronologisch und nachvollziehbar zu Protokoll gegeben“ beurteilt und daraus auf die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zum Vorliegen einer Notwehrsituation schließt, bekämpft sie lediglich die Beweiswürdigung der Tatrichter, ohne ein Begründungsdefizit im Sinn des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes aufzeigen zu können.

[9] Nichts anderes gilt für die isolierte Betrachtung und eigenständige Bewertung der Aussagen der Zeugen T*****, M*****, St*****, F***** und Str*****, die zudem von den Tatrichtern bei der Beweiswürdigung berücksichtigt wurden (US 8 ff; Z 5 zweiter Fall). Dass aus diesen Angaben auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich gewesen wären, die Tatrichter sich aber dennoch mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0098400).

[10] Mit der – im Übrigen keinen entscheidenden Umstand betreffenden – Diskrepanz in den Aussagen der Zeugen T***** und D*****, ob die Bierflasche an einem Tisch oder am Fliesenboden abgeschlagen wurde, haben sich die Tatrichter auseinandergesetzt (US 10).

[11] Gleiches gilt für die Angaben des Angeklagten zum behaupteten Vorliegen bzw der irrigen Annahme einer Notwehrsituation (US 6, 11, 13; Z 5 zweiter Fall), wobei die Tatrichter auch den Umstand in Rechnung gestellt haben, dass Z***** bei der Auseinandersetzung selbst verletzt wurde (US 13).

[12] Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (zu 2./) blieben – dem Einwand der Beschwerde zuwider (Z 5 vierter Fall) – nicht offenbar unzureichend begründet, sondern wurden – logisch und empirisch mängelfrei – aus dem Tatgeschehen (zumindest drei Stichversuche gegen den linken Oberkörperbereich mit einer abgeschlagenen Bierflasche) im Zusammenhalt mit der allgemeinen Lebenserfahrung abgeleitet (US 14).

[13] Die Subsumtionsrüge (Z 10) macht Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt (Furcht) iSd § 3 Abs 2 StGB geltend und strebt damit eine Verurteilung wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 4 StGB an.

[14] Soweit sie in diesem Zusammenhang (zu 1./) erneut das Vorliegen einer Notwehrsituation behauptet, übergeht sie die dies verneinenden Feststellungen des Erstgerichts (US 6, 11, 13) und verfehlt so den in der Gesamtheit der Konstatierungen gelegenen Bezugspunkt prozessordnungsgemäßer Anfechtung (RIS‑Justiz RS0099810). Mit dem Vorbringen, das Erstgericht hätte feststellen müssen, „dass der Angeklagte jedenfalls vom Zeugen S***** oder von einem der im unmittelbaren Umfeld des Zeugen befindlichen Personen geschlagen wurde“, kritisiert sie ebenso lediglich – im Rahmen der Subsumtionsrüge unzulässig – die Beweiswürdigung des Erstgerichts wie mit Spekulationen darüber, dass der Angeklagte „ohne Vorwarnung körperlich attackiert“ worden wäre und (zu 2./) der Zeuge St***** bei einem absichtlichen Vorgehen des Angeklagten „zweifelsohne“ erhebliche Verletzungen erlitten hätte.

[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus sich die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§§ 285i StPO) ergibt.

[16] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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