Spruch:
Die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 4. April 2002, GZ 4 Hv 32/02v-5, und des Oberlandesgerichtes Graz vom 20. September 2002, AZ 11 Bs 343/02 (GZ 4 Hv 32/02v-10 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), verletzen §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB.
Diese Urteile werden aufgehoben; die Sache wird dem Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 4. April 2002, GZ 4 Hv 32/02v-5, wurde Naser B***** des Vergehens des schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er am 21. Februar 2001 in Ilz und am 22. Februar 2001 in Untergroßau jeweils Kassierinnen von S*****-Märkten mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, unter der Vorgabe, Leergutkisten ordnungsgemäß zurückgebracht zu haben, wobei er jeweils (durch Einführen von vollen, im Eigentum der geschädigten Firmen stehenden Getränkekisten in den Gebinderücknahmeautomaten) unrechtmäßig erlangte Leergutbons an den Kassen vorlegte, somit durch Täuschung über Tatsachen unter Verwendung falscher, weil inhaltlich unrichtiger Beweismittel zur Ausfolgung von Waren sowie von Bargeld und damit zu Handlungen verleitete, welche die angeführten Firmen an ihrem Vermögen in einem 2.000 Euro nicht übersteigenden Gesamtwert schädigten.
Der von der Staatsanwaltschaft Graz aus dem Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 10 StPO erhobenen Berufung (§§ 489 Abs 1, 468 Abs 1 Z 4 StPO) gab das Oberlandesgericht Graz mit Urteil vom 20. September 2002, AZ 11 Bs 343/02 (GZ 4 Hv 32/02v-10 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz), keine Folge.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, verletzen die Urteile des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 4. April 2002 und des Oberlandesgerichtes Graz vom 20. September 2002 das Gesetz in den §§ 146, 147 Abs 1 StGB.
Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht gingen - so wie ursprünglich auch die Anklagebehörde - von der Rechtsansicht aus, dass es sich bei den durch das Einschieben von vollen, im Eigentum der geschädigten Firmen stehenden Getränkekisten in Gebinderücknahmeautomaten unrechtmäßig erlangten Leergutbons um inhaltlich unrichtige Beweismittel gehandelt habe, die jeweils zur Täuschung des Kassenpersonals eingesetzt wurden. Ungeachtet einer allfälligen Wertträgereigenschaft liegt nach Ansicht des Oberlandesgerichtes Graz eine Wegnahme des Leergutbons als fremde bewegliche Sache schon deswegen nicht vor, weil der Verurteilte diese Urkunde selbst produziert hatte; dies schließe eine Wegnahme iS eines Gewahrsamsbruchs aus.
Die nach § 127 StGB tatbestandsessentielle Sachwegnahme ist der Bruch der tatsächlichen Sachherrschaft des Gewahrsamsinhabers. Gewahrsam ist nach hM die tatsächliche Herrschaft über eine Sache, verbunden mit dem Willen, diese Herrschaft aufrecht zu erhalten (vgl Leukauf/Steininger Komm3 § 127 RN 21; Kienapfel BT II3 § 127 RN 54 mwN), wobei diese beiden (objektiven und subjektiven) Komponenten nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens zu interpretieren sind. Unter Beachtung dieses Auslegungskriteriums wird in der Rechtsprechung weniger die unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit des Gewahrsamsträgers, sondern vielmehr die soziale Zuordnung von Person und Sache in den Vordergrund gestellt (RZ 1997/50). Demnach ist der Gewahrsam jene Zugehörigkeit einer Sache zu einer Person, die auch ein Außenstehender nicht nur als eine räumliche Beziehung, sondern als eine auf soziale Gepflogenheiten beruhende Verbindung von Sache und Person zu erkennen vermag (RZ 1997/50; SSt 42/58; 52/64). So verstanden begeht das Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB, wer Geld unter missbräuchlicher Verwendung von Bankomatkarten bzw von Karten-Duplikaten (vgl Leukauf/Steininger aaO § 127 RN 47aff; Lewisch BT I2 153f; E. Steininger JBl 1992, 606; JBl 1992, 605; 14 Os 71/96; aA Kienapfel BT II3 § 148a RN 21ff; Bertel in WK2 § 127 Rz 30 u.a.) bei einem Bankomaten behebt, weil der Gewahrsam am Geldinhalt von Bankomaten dem jeweiligen (automatenaufstellenden) Bankinstitut zusteht (Leukauf/Steininger StGB3 § 127 RN 47a; Fuchs in StPdG 12, 86f; RZ 1997/50; SSt 56/85), nicht aber dem Codekarteninhaber, der daran auch keinen Mitgewahrsam (für den dieselben Voraussetzungen gelten), sondern lediglich ein ihm von seiner (kontoführenden) Bank eingeräumtes (eingeschränktes) Geldbezugsrecht besitzt.
Gleiches gilt für Warenautomaten, die nach ordnungsgemäßer Bedienung Produkte freigeben: Verschafft sich der Täter die Sachherrschaft an diesen Waren oder an den im Automaten enthaltenen, sonst geldwerten fremden beweglichen Sachen, indem er den Auswurf- oder Freigabemechanismus (etwa mittels geldähnlicher Gegenstände) manipuliert oder einen (Wert-)Herstellungsprozess sonst unberechtigt aktiviert, so greift er - vermittelt über die regelwidrige Bedienung - auf die fremde Sache zu und nimmt sie dem Berechtigten weg (vgl Kienapfel aaO § 127 RN 235; Lewisch aaO 153; EvBl 1996/146; vgl auch Leukauf/Steininger aaO § 127 RN 47; 13 Os 31/84). Eine derartige nach § 127 StGB tatbildliche Manipulation kommt auch bei jenen Warenautomaten in Frage, welche die gewünschte Ware erst produzieren (wie etwa manche Getränkeautomaten) oder welche beispielsweise amtliche Wertzeichen ausdrucken (wie etwa Parkscheinautomaten).
In diesen Fällen sind die zugrundeliegenden Geldabhebungen und Warenbeschaffungen schon im Hinblick darauf, dass jeweils eine Zustimmung der Bank bzw des Automatenbetreibers als Gewahrsamsinhabers zu den unter Verwendung von unbefugt hergestellten Bankomatkarten-Duplikaten oder sonstigen Manipulationen vorgenommenen Entnahmen keinesfalls unterstellt werden kann, als von den Tätern mit dem Vorsatz, sich dadurch unrechtmäßig zu bereichern, begangener Gewahrsamsbruch im Sinn des § 127 StGB zu beurteilen (vgl 15 Os 79/90).
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die widerrechtliche Entnahme der vom Automaten hergestellten Leergutbons mit Hilfe einer lediglich fingierten Rückgabe von Leergut als Vergehen des Diebstahls zu beurteilen gewesen wäre, sofern die von Naser B***** mittels der dargestellten Manipulation erlangten Leergutbons nicht bloß als verkürzte Urkunden mit Beweiswertfunktion (nämlich als Bestätigung, dass im Rückgabeautomaten Gebinde samt ausgewiesener Anzahl von Pfandflaschen in einem zugleich festgehaltenen Wert eingestellt wurde) anzusehen sind, sondern als selbständige Wertträger fungieren. Dazu wäre - entgegen der das konkludent darauf abstellende Berufungsbegehren der Staatsanwaltschaft Graz verwerfenden Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes Graz - abzuklären gewesen, ob der Firmengewahrsam am Bon bereits durch die Entgegennahme nach Ausdruck durch den Automaten (vgl Leukauf/Steininger § 127 RN 60) gebrochen war, und ob die Vorweisung dieser (schon sprachlich als Wertträger deklarierten) Bons an der Kassa im normalen Geschäftsbetrieb ohne weiteres, insbesondere ohne nähere Prüfung einer Berechtigung zur Geltendmachung des ausgewiesenen Pfandrückforderungswertes, einen Anspruch auf eine geldwerte Leistung (entweder auf Verrechnung mit einem Warenwert oder auf Auszahlung von Geld) vermittelt, somit im alltäglichen Geschäftsablauf jeden Inhaber zur jederzeitigen Realisierung des in ihnen verkörperten Wertes berechtigt, in welchem Falle sie als Wertträger zu qualifizieren wären (vgl Leukauf/Steininger aaO § 127 RN 8; Kienapfel aaO § 127 RN 26; 11 Os 94/99).
Brach Naser B***** durch die Entgegennahme der (infolge Einführens voller Getränkekisten aus den Einkaufsmärkten) vom Gebinderücknahmeautomaten ausgedruckten Leerbons jeweils den Firmengewahrsam an durch die Automaten hergestellten Wertträgern, dann wäre - in Anbetracht der vom Erstgericht konstatierten (US 4f in ON 5) und auch vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten (US 3f in ON 10) von vornherein auf unrechtmäßige Bereicherung abzielenden Tatplanes des Verurteilten - der festgestellte Sachverhalt als Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB zu beurteilen. Die nachfolgende Verwertung der durch Diebstahl erlangten Wertträger an den Kassen der geschädigten Einkaufsmärkte unter Fingierung einer (tatsächlich nicht bestehenden) Pfandrückforderung würde sie in diesem Fall infolge Identität der beeinträchtigten Rechtsgüter und mangels eines über die Diebstähle hinausreichenden Schadens als straflose (Betrugs-)Nachtat darstellen (vgl Ratz in WK2 § 28 Rz 66; Leukauf/Steininger aaO § 28 RN 53; SSt 54/15).
Nach den bisherigen (ergänzungsbedürftigen) Urteilsannahmen des Erstgerichtes dokumentieren die "Leergutbons" ungeachtet dieser Bezeichnung überdies lediglich die Tatsache, dass beim Rücknahmeautomaten Gebinde und Flaschen der am Gutschein angegebenen Art und Anzahl eingestellt (vgl S 15 und S 17 in ON 2) und im dort ausgewiesenen Wert registriert wurden (vgl US 4f in ON 5). Inwiefern allerdings darin inhaltlich unrichtige Beweismittel zu erblicken sind, ließ das Erstgericht offen. Das Oberlandesgericht Graz sah in diesen Bestätigungen jeweils eine Urkunde mit unwahrem Inhalt, weil diese "nicht die Rückstellung von Leergut bescheinigt" (US 7 in ON 10). Wenn aber diese Bescheinigungen über eine Beschickung des Automaten mit von in das Geschäft zurückgebrachten Pfandflaschen und Gebinden (gerichtsnotorisch) keine Auskunft geben können, weil dieser Umstand für eine bloße (Zähl-)Maschine nicht erfassbar ist, so liegt ihnen auch kein unwahrer Erklärungsinhalt zugrunde.
Abgesehen von der rechtsirrigen Unterstellung des mangels Klärung der Wertträgereigenschaft der ausgegebenen Leergutbons unvollständig festgestellten Sachverhalts unter den Tatbestand des Betruges nach § 146 StGB reichen diese Urteilsfeststellungen daher auch nicht für die vom Landesgericht für Strafsachen Graz und vom Oberlandesgericht Graz getroffene Annahme der Qualifikation nach § 147 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB, welche den Einsatz (ua) eines falschen Beweismittels, fallbezogen also einer echten Urkunde mit unwahrem Inhalt (vgl Kienapfel in WK2 § 223 Rz 160; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 147 Rz 36), voraussetzt, aus.
Beide Urteile wirken sich schon wegen der angenommenen qualifizierten Begehungsform eines Betruges zum Nachteil des Verurteilten Naser B***** aus, weshalb die Urteilsaufhebung und Verfahrenserneuerung anzuordnen war.
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