OGH 15Os135/24b

OGH15Os135/24b25.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat am 25. November 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel-Kwapinski und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Farkas in Gegenwart der Schriftführerin Kontr. Fleischhacker in der Strafsache gegen * B* wegen Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, AZ 48 Hv 34/24y des Landesgerichts Wiener Neustadt, über die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 5. November 2024, AZ 20 Bs 318/24x, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00135.24B.1125.000

Rechtsgebiet: Strafrecht

Fachgebiet: Grundrechte

 

Spruch:

 

* B* wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

 

Gründe:

[1] Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 29. Juli 2024 (ON 131.4) wurde * B* – soweit hier relevant – der Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs 4 StGB wurde ein Teil der verhängten Freiheitsstrafe von 20 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen.

[2] Danach hat er in B*, G*, V* und anderen Orten im Bundesgebiet durch die wahrheitswidrige Suggerierung und Behauptung, er wäre von seiner Ex-Ehegattin * K* nach B* zum Wohnsitz des * S* gelockt worden, am Tatort von diesem und einem weiteren Mann „zusammengeschlagen“, in einem PKW festgehalten und letztlich ermordet worden, K* und S* dadurch der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er sie von Amts wegen zu verfolgenden, mit Strafe bedrohten Handlungen, nämlich des Vergehens der Freiheitsentziehung (§ 99 Abs 1 StGB), des Vergehens der Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) sowie des Verbrechens des Mordes (§ 75 StGB bzw §§ 15, 75 StGB) falsch verdächtigte, wobei er wusste (§ 5 Abs 3 StGB), dass die Verdächtigungen falsch waren und die fälschlich angelasteten Handlungen (teils) mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht sind, indem er

A./ am 24. Oktober 2023 an * V* eine E-Mail übermittelte, mit welcher er ihn über das Treffen mit K* beim Wohnsitz des S* informierte, vermittelte, dass er sich vor dem Treffen fürchte, und ihn aufforderte, die Polizei zu informieren, dass „irgendetwas nicht stimme“, wenn V* ihn in der Folge nicht erreichen könne, was dieser auch tat, wobei er auch Zugangsdaten zu einem am von K* benützten PKW angebrachten GPS-Tracker beilegte, damit die Polizei die Genannte finden könne, wenn sie „abtauche“;

B./ zwischen 23. und 24. Oktober 2023 durch Hinterlegung eines Mobiltelefons im Postkasten der Polizeiinspektion G*, welches fingierte Nachrichten, teils über Telegram, enthielt, die den Eindruck erweckten, dass „ein tätlicher Angriff“ geplant werde bzw stattgefunden habe;

C./ zwischen 23. und 24. Oktober 2023 den am von K* benützten PKW angebrachten GPS-Tracker entfernte, diesen mit seinem PKW „herumtransportierte“ und anschließend wieder an den von K* benützten PKW montierte, um ein Bewegungsmuster des PKW der K* vorzutäuschen, das zu dem von ihm suggerierten Angriff auf ihn passte;

D./ am 15. November 2023 in einem Telefonat mit dem Polizeibeamten Sc* monierte, „die Polizei möge sich endlich um die Aufklärung des Mordes bemühen, er habe Angst um sein Leben, * K* sei eine Psychopathin, er sei zu diesem Treffen gefahren, zwei Männer haben ihn niedergeschlagen, er habe Platzwunden am Kopf und Schnittverletzungen an den Händen erlitten, er sei in den Kofferraum des PKW gelegt worden, die Personen seien mit ihm irgendwohin gefahren und er habe sich letztlich befreien können“.

[3] Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit (zu dessen Nachteil ausgeführter) Berufung. Über diese Rechtsmittel wurde noch nicht entschieden.

[4] In der Haftverhandlung vom 28. Oktober 2024 (ON 150.1) wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Fortsetzung der mit Beschluss vom 15. Oktober 2024 (zuletzt) verlängerten Untersuchungshaft abgewiesen und die Enthaftung des Angeklagten angeordnet.

Rechtliche Beurteilung

[5] Der dagegen von der Staatsanwaltschaft am 29. Oktober 2024 erhobenen Beschwerde (ON 152) gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 5. November 2024 (ON 156.3) Folge, hob den bekämpften Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt auf, verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht und trug diesem „im Fall der neuerlichen Erlassung einer Festnahmeanordnung der Staatsanwaltschaft“ deren „Bewilligung“ und nach Festnahme des Angeklagten ein Vorgehen „im Sinne einer Haftfortsetzung gemäß § 173ff StPO“ auf.

[6] Aufgrund der (über Antrag der Staatsanwaltschaft) erlassenen Festnahmeanordnung durch das Erstgericht wurde der am 29. Oktober 2024 enthaftete Angeklagte am 6. November 2024 wieder festgenommen (ON 158.2) und mit Beschluss vom 7. November 2024 (ON 164.1) die (über ihn verhängte) Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO fortgesetzt.

[7] Gegen den angeführten Beschluss des Oberlandesgerichts richtet sich die die Annahmen zu den Haftgründen der Fluchtgefahr und der Tatbegehungsgefahr bekämpfende Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die nicht berechtigt ist.

[8] Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren prüft der Oberste Gerichtshof im Grundrechtsbeschwerdeverfahren (nur) dahin, ob sie aus den vom Oberlandesgericht in Anschlag gebrachten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich (mit anderen Worten als nicht oder nur offenbar unzureichend begründet [vgl dazu RIS-Justiz RS0118317]) angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806).

[9] Die von § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO geforderte Prognoseentscheidung gründete das Beschwerdegericht insbesondere auf den Umstand, dass der („mehrfach vorbestrafte“) Angeklagte ungeachtet der am 8. März 2023 erfolgten (rechtskräftigen) Verurteilung wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung nach § 107a Abs 1 StGB zum Nachteil der K* sowie unter einem erteilten Weisung gemäß „§§ 50 Abs 1, 51 Abs 1 StGB“, jeglichen Kontakt zur Genannten zu unterlassen, nunmehr neuerlich gegen dasselbe Tatopfer straffällig geworden sei, indem er (auch) dieses „wiederholt“ verleumdet habe. Zudem verwies es darauf, dass der Angeklagte, bei dem laut dem eingeholten Sachverständigengutachten (ON 131.3 S 2 ff) zu den Tatzeitpunkten eine „akzentuierte Persönlichkeit mit vorrangig narzisstischen und dissozialen Anteilen bestand“, die inkriminierten Handlungen mit beträchtlicher Energie „monatelag penibel“ geplant und in der Hauptverhandlung „nach wie vor vehement“ den Standpunkt vertreten habe, „vom Opfer K* gestalkt und bestohlen worden zu sein“ (BS 6).

[10] Soweit die Grundrechtsbeschwerde moniert, das Beschwerdegericht habe die Tatbegehungsgefahr „lediglich mit den verba legalia“ sowie mit der – „auf viele Menschen [zutreffenden]“ – akzentuierten Persönlichkeit des Angeklagten begründet, setzt sie sich prozessordnungswidrig nicht mit der Gesamtheit der in Rede stehenden Erwägungen des Beschwerdegerichts auseinander (RIS-Justiz RS0106464 [T4]).

[11] Der Vorwurf, das Oberlandesgericht habe bei seiner Beurteilung „den wesentlichsten Umstand übergangen“, wonach aufgrund der (mittlerweile erfolgten) Verbüßung des unbedingten Teils der verhängten Freiheitsstrafe „ein Rückschluss auf eine positive Verhaltensprognose“ gezogen werden könne und damit der „angenommene Haftgrund der Tatgefährlichkeit“ nicht mehr vorliege, geht daran vorbei, dass Vergleichsbasis der vorliegend anzustellenden Willkürprüfung allein die der Prognoseentscheidung nach § 173 Abs 2 StPO tatsächlich zugrunde gelegten Tatsachen sind, weshalb das Unterbleiben der Erwägung einzelner aus Sicht des Beschwerdeführers allenfalls erörterungsbedürftiger Umstände nicht als Grundrechtsverletzung vorgeworfen werden kann (RIS-Justiz RS0117806 [insbesondere T28, T30]). Aus der ins Treffen geführten Entscheidung 11 Os 48/06b kann im Übrigen – entgegen dem Beschwerdevorbringen – gerade nicht der Schluss gezogen werden, dass der (wie hier im Wege vernetzter Betrachtung auf mehrere Tatsachen gestützte – BS 5 f) Haftgrund der Tatbegehungsgefahr schon allein deshalb wegfiele, weil die Dauer der Untersuchungshaft jene des unbedingten Teils der verhängten Freiheitsstrafe erreiche.

[12] Mit seiner Kritik an der Annahme des Haftgrundes der Tatbegehungsgefahr durch das Beschwerdegericht, weil dieses „auch dem Umstand nicht Rechnung getragen“ habe, dass er „erstmals das Haftübel in seinem Leben verspürt hat“ und „10 Monate in Untersuchungshaft gesessen ist“, setzt der Beschwerdeführer den im angefochtenen Beschluss angestellten Erwägungen lediglich eigene Schlussfolgerungen entgegen. Willkür im oben dargelegten Sinn wird solcherart nicht aufgezeigt. Mit der (der Sache nach erhobenen) Behauptung einer Verletzung der Unschuldsvermutung (vgl Art 6 Abs 2 MRK), weil ihm nicht zum Nachteil gereichen könne, dass er „nach wie vor der Meinung“ sei, „von seiner Exfrau K* bestohlen worden zu sein“, und folglich „eben gerade kein Geständnis in der HV abgelegt“ habe, spricht der Beschwerdeführer keine Garantie des Grundrechts auf persönliche Freiheit an (vgl RIS-Justiz RS0121606) und verlässt damit den Anfechtungsrahmen des ergriffenen Rechtsbehelfs (§ 1 Abs 1 GRBG; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 40 und 46).

[13] Der weiteren Beschwerde zuwider hat das Oberlandesgericht die Frage der „Substituierbarkeit [der angezogenen Haftgründe] durch gelindere Mittel“ sehr wohl geprüft (BS 6).

[14] Da bereits der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft rechtfertigt, erübrigt es sich, auf das Beschwerdevorbringen zum ebenfalls herangezogenen Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO) einzugehen (RIS-Justiz RS0061196; Kier in WK2 GRBG § 2 Rz 44).

[15] Die Grundrechtsbeschwerde war daher ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte