European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0150OS00118.24B.1113.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Im Verfahren AZ 41 Hv 23/24m des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 24. Mai 2024 im Schuldspruch zu A/I/ § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG sowie § 270 Abs 4 Z 2 StPO.
Es werden dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu A/I/, demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung), und der gleichzeitig gefasste Beschluss nach § 494a StPO aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.
Gründe:
[1] Mit rechtskräftigem, gekürzt ausgefertigtem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 24. Mai 2024, GZ 41 Hv 23/24m-203a, wurde * K* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3 SMG (A/I/), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 erster Satz zweiter Fall, Abs 2 und 3 SMG (A/II/), des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 und 3 WaffG (B/) und des Verbrechens der Geldwäscherei nach § 165 Abs 2 und 4 zweiter Fall StGB (C/) schuldig erkannt und dafür in Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach § 28a Abs 4 SMG zu einer Freiheitsstrafe verurteilt.
[2] Mit einem gleichzeitig gefassten Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2, Abs 6 StPO wurde vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit abgesehen.
[3] Nach dem Referat entscheidender Tatsachen (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO) hat K* – soweit hier von Bedeutung – in W*
[4] A/ als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, der neben ihm weitere namentlich genannte und unbekannte Täter angehören, vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Kokain (Wirkstoffgehalt 69,96 % Kokain), Cannabiskraut (Wirkstoffgehalt 0,90 % Delta‑9‑THC und 11,85 % THCA) und Ecstasy-Tabletten (Wirkstoffgehalt 42,30 % MDMA)
I/ anderen in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen, „wobei von den nachstehend unter den Punkten A./1./1.) bis [richtig:] 9.) des Anklagetenors angeführten Mengen angesichts der Verurteilung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Mai 2021, AZ 63 Hv 49/21t, eine Menge von 400 Gramm Kokain und 2.000 Gramm Cannabiskraut in Abzug zu bringen ist“, und zwar
1/ am 19. November 2019 eine insgesamt nicht festzustellende, zumindest zehn Kilogramm betragende Menge Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer,
2/ zu einem nicht festzustellenden Zeitpunkt nach dem 9. Jänner 2020 ein Kilogramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer,
3/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten nach dem 18. April 2020 100 Gramm Kokain an unbekannte Abnehmer,
4/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten nach dem 25. April 2020 100 Gramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer,
5/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten nach dem 2. Mai 2020 100 Stück Ecstasy-Tabletten an unbekannte Abnehmer,
6/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten nach dem 14. Juli 2020 zwei Kilogramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer,
7/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten nach dem 7. Dezember 2020 1.900 Gramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer,
8/ im Zeitraum von zumindest Ende November 2019 bis zumindest Anfang Jänner 2021 in zahlreichen Angriffen eine insgesamt nicht festzustellende, zumindest 2.600 Gramm betragende Menge Kokain an unbekannte Abnehmer (200 Gramm monatlich über einen Zeitraum von rund 13 Monaten),
9/ zu nicht festzustellenden Zeitpunkten im Jänner 2021 zehn Kilogramm Cannabiskraut an unbekannte Abnehmer.
[5] Weitere Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen enthält die gekürzte Urteilsausfertigung nicht.
Rechtliche Beurteilung
[6] Zutreffend zeigt die Generalprokuratur in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes auf, dass dieses Urteil mit dem Gesetz nicht im Einklang steht:
[7] Auch eine gekürzte Urteilsausfertigung muss Feststellungen zu allen Tatsachen enthalten, die für die Subsumtion unter die als verwirklicht angenommenen strafbaren Handlungen (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO) entscheidend sind (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO). Beschränkt sie sich auf das Referat nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO, ist dieses Bezugspunkt der materiell-rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0125764 [T4]; Danek/Mann, WK‑StPO § 270 Rz 60).
[8] Gegenstand von Schuld- oder Freispruch sind stets – auch im Anwendungsbereich des SMG – selbständige Taten im materiellen Sinn (vgl Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 20), nicht aber isolierte Suchtgiftquanten (vgl 15 Os 98/22h [Rz 35]; 12 Os 68/24b [Rz 1]).
[9] § 28a Abs 1 SMG ist in Bezug auf die dort genannten Tathandlungen eine selbständige Qualifikation zu § 27 Abs 1 Z 1 SMG (vgl RIS-Justiz RS0115884 [T5]) und gleichzeitig Grundtatbestand für die auf (im materiellen Sinn selbständigen) „Straftaten nach Abs 1“ aufbauenden Qualifikationen nach Abs 2, 4 und 5 des § 28a SMG (Hinterhofer in Hinterhofer,SMG2 § 28a Rz 3 f).
[10] Eine selbständige „Straftat nach Abs 1“ des § 28a SMG in Bezug auf die hier in Rede stehende Tathandlung liegt vor, wenn – nach den Feststellungen – der Täter mit entsprechendem Vorsatz eine die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigende Suchtgiftmenge (Reinsubstanz) in einem einzelnen Akt oder in Form einer tatbestandlichen Handlungseinheit (auf Basis eines einheitlichen Tatplans und mit daran geknüpftem Additionsvorsatz; RIS‑Justiz RS0112225) überlässt (vgl zum Ganzen 11 Os 93/21t [Rz 15 ff]).
[11] Die Annahme der Qualifikation nach § 28a Abs 4 Z 3 SMG setzt Feststellungen voraus, dass Suchtgift in entsprechender Menge durch eine einzige selbständige Tat im materiellen Sinn (Einzelakt oder tatbestandliche Handlungseinheit; vgl RIS‑Justiz RS0133289) oder durch mehrere gleichartige selbständige „Straftaten nach Abs 1“ des § 28a SMG überlassen wurde (zur Zusammenrechnung vgl RIS-Justiz RS0117464; abermals 11 Os 93/21t [Rz 20 ff]).
[12] Das Referat der entscheidenden Tatsachen im angefochtenen Urteil enthält jedoch der Sache nach nur nach nicht benannten Kriterien zusammengefasste Mengen von Suchtgiften, die in einer unbestimmten Zahl von Angriffen an eine unbestimmte Zahl von Abnehmern überlassen wurden. Danach ist nicht beurteilbar, ob bei einer selbständigen Tat eine die Grenzmenge übersteigende Suchtgiftmenge überlassen, ob also überhaupt eine „Straftat nach Abs 1“ des § 28a SMG begangen wurde.
[13] Diese Feststellungsbasis trägt daher weder die Subsumtion nach § 28a Abs 1 SMG, noch die darauf aufbauenden Qualifikationen nach Abs 2 Z 2 und Abs 4 Z 3, weshalb der Schuldspruch zu A/I/ diese Bestimmung sowie § 270 Abs 4 Z 2 StPO verletzt.
[14] Da die aufgezeigte Gesetzesverletzung den Verurteilten benachteiligt, war deren Feststellung wie im Spruch ersichtlich mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO). Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt (RIS‑Justiz RS0100444).
[15] Bleibt – ebenso in Übereinstimmung mit der Generalprokuratur – für den nächsten Rechtsgang anzumerken:
[16] Im Fall eines Schuldspruchs wären – insbesondere mit Blick auf die möglichen zeitlichen Überschneidungen – klärende Feststellungen (auch bei gekürzter Urteilsausfertigung; vgl RIS‑Justiz RS0125764 [T5]) zur Abgrenzung hier relevanter Taten von jenem Tatgeschehen indiziert, das dem (Sperrwirkung nach § 17 StPO entfaltenden) Schuldspruch zu A/ im Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5. Mai 2021, AZ 63 Hv 49/21t, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 und Abs 3 zweiter Fall SMG, § 15 StGB zugrunde liegt (ON 153 US 2 und 4; 11 Os 40/24b [Rz 10 ff]).
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