OGH 15Os116/16x

OGH15Os116/16x15.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Februar 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jorda als Schriftführerin in der Medienrechtssache des Antragstellers Walter S***** gegen die Antragsgegnerin A***** GmbH wegen § 6 Abs 1 MedienG, AZ 91 Hv 4/16y des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über den Antrag der A***** GmbH auf Erneuerung des Verfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00116.16X.0215.000

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe:

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2016, GZ 91 Hv 4/16y‑7, wurde ausgesprochen, dass durch den im periodischen Druckwerk „Heute“ in der Niederösterreich‑Ausgabe vom 28. Juli 2015 mit der Überschrift „NS‑Posting geteilt: FP‑Stadtrat von Soldatendienst suspendiert“ veröffentlichten Artikel, in dem behauptet wurde, der Antragsteller Walter S***** habe ein nationalsozialistisches Posting geteilt, in Bezug auf den Antragsteller der objektive Tatbestand der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB hergestellt wurde, und die Antragsgegnerin A***** GmbH nach § 6 Abs 1 MedienG zur Zahlung eines Entschädigungsbetrags von 3.000 Euro an den Antragsteller sowie (gemäß § 389 Abs 1 StPO iVm § 8a Abs 1 MedienG) zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verurteilt.

Der dagegen erhobenen Berufung der Antragsgegnerin wegen Nichtigkeit sowie gegen die Aussprüche über die Schuld und die Strafe gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Urteil vom 6. Oktober 2016, AZ 18 Bs 102/16f (ON 15 der Hv‑Akten), nicht Folge.

Gegen die Urteile des Landesgerichts für Strafsachen Wien und des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht richtet sich der auf die Behauptung einer Verletzung im Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung nach Art 10 MRK gestützte Antrag der Antragsgegnerin auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam (RIS‑Justiz RS0122228) iVm § 41 Abs 1 MedienG.

Diesem kommt keine Berechtigung zu.

Rechtliche Beurteilung

Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gestützten Erneuerungsantrag gelten alle gegenüber dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737, RS0130263, RS0128394).

Demnach hat – da die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur dann anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein – auch ein Erneuerungsantrag deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine – vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende – Grundrechtsverletzung im Sinn des § 363a Abs 1 StPO zu erblicken sei (RIS‑Justiz RS0122737 [T17]). Dabei hat sich der Erneuerungswerber mit der als grundrechtswidrig bezeichneten Entscheidung in allen relevanten Punkten auseinanderzusetzen (RIS‑Justiz RS0124359) und, soweit er auf der Grundlage der Gesamtheit der Entscheidungsgründe nicht Begründungsmängel aufzuzeigen oder erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit getroffener Feststellungen zu wecken vermag, die Tatsachenannahmen der bekämpften Entscheidung zugrunde zu legen (RIS‑Justiz RS0125393 [T1]).

Diesen Anforderungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht.

Nach den vom Oberlandesgericht geteilten (ON 15 S 9 f iVm S 5) Begründungserwägungen des Landesgerichts für Strafsachen Wien zum Bedeutungsinhalt der inkriminierten Veröffentlichung (ON 7 S 4, 6 f) ergibt sich aufgrund des Gesamteindrucks (aus dem Gesamtkontext der Veröffentlichung) für den konkret angesprochenen Rezipientenkreis (an reißerisch und boulevardesk aufgemachter, knapp und in einfachen Sätzen formulierter, oberflächlicher Berichterstattung interessierte Leser, die das Gelesene nicht kritisch hinterfragen; ON 7 S 3; ON 15 S 2, 9), dass der in der Artikelüberschrift verwendete Begriff „NS‑Posting“ im Zusammenhang mit der (unter anderem im Fließtext) berichteten Einleitung eines Disziplinarverfahrens und der erfolgten Suspendierung des Antragstellers vom Leser derart verstanden wird, dass das vom Antragsteller geteilte Posting (eines NPD‑Beitrags) einen nationalsozialistischen Inhalt aufgewiesen habe, somit auch straf‑ und disziplinarrechtlich relevant gewesen sein müsse.

Mit nicht an diesen Begründungserwägungen orientierten Einwänden erheblicher Bedenken gegen die Richtigkeit dieser Tatsachenannahmen verfehlt der Erneuerungsantrag den (wie eingangs dargestellt) geforderten Bezugspunkt des ergriffenen Rechtsbehelfs. Denn die diesen Einwänden zu Grunde gelegte Behauptung, das Erst‑ und das Berufungsgericht hätten „die Haftung der Antragsgegnerin“ entgegen grundsätzlichen Auslegungsmaximen (vgl RIS‑Justiz RS0122937) isoliert ausschließlich aus der Artikelüberschrift abgeleitet und diese sohin nicht im Gesamtkontext der Veröffentlichung gewürdigt, orientiert sich nicht am dargestellten Urteilsinhalt, womit sich das Vorbringen der Erneuerungswerberin schon von vornherein einer sachbezogenen Erwiderung entzieht.

Dem weiteren Einwand einer durch Art 10 MRK gedeckten Meinungsäußerung gegen einen (vermeintlichen) Politiker bleibt der Vollständigkeit halber zu entgegnen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – wie hier – nicht als wahr erwiesene (§§ 6 Abs 2 Z 2 lit a, 8 Abs 3 MedienG; ON 7 S 6 ff; ON 15 S 3 f, 10 f) und daher unwahre diffamierende Tatsachenbehauptungen jedenfalls nicht unter den Schutzbereich des Art 10 MRK fallen (RIS‑Justiz RS0107915, RS0075601, RS0032201; Kienapfel/Schroll, BT I5 Vorbem §§ 111 ff RN 8). Mit dem solcherart nicht an den Tatsachenannahmen des Oberlandesgerichts orientierten Argument als wahr erwiesener Tatsachenbehauptungen verfehlt die Erneuerungswerberin einmal mehr den eingangs aufgezeigten Bezugspunkt des geltend gemachten Rechtsbehelfs.

Die unmittelbare Bekämpfung (auch) des (erstinstanzlichen) Urteils des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. Februar 2016 (ON 7) mittels eines ohne vorherige Anrufung des EGMR eingebrachten Erneuerungsantrags ist im Übrigen schon deshalb nicht möglich, weil nach den bereits erwähnten Zulässigkeitskriterien (Art 34 und 35 MRK) erst die letztinstanzliche Entscheidung nach Ausschöpfung des (horizontalen und vertikalen) innerstaatlichen Instanzenzugs anzufechten ist (vgl RIS‑Justiz RS0122737).

Der somit unbegründete Erneuerungsantrag war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur und entgegen der dazu erstatteten Äußerung der Beschwerdeführerin – schon in nichtöffentlicher Beratung gemäß § 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG zurückzuweisen.

Ein Ausspruch über die Kosten des Erneuerungsverfahrens hatte – dem Begehren des Antragstellers zuwider – nicht zu ergehen, weil eine Kostenersatzpflicht im Verfahren gemäß § 363a nicht vorgesehen ist. Soweit ein Erneuerungsantrag erfolglos geblieben ist, löst er demnach von vornherein keine Ersatzpflicht aus (vgl Lendl , WK‑StPO, § 391 Rz 20; RIS‑Justiz RS0130512).

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