OGH 15Os111/13g

OGH15Os111/13g21.8.2013

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. August 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Dr. Michel-Kwapinski und Mag. Fürnkranz als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kurzthaler als Schriftführer in der Strafsache gegen Martin P***** wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. Jänner 2013, GZ 24 Hv 16/13m-53, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen - auch einen in Rechtskraft erwachsenen Freispruch enthaltenden - Urteil wurde Martin P***** des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall und Abs 4 Z 3 SMG (A./) und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG (B./) schuldig erkannt.

Nach dem Schuldspruch hat er - soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde relevant -

in Z*****, I***** und an anderen Orten

A./ vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge, nämlich insgesamt zumindest 2.000 g Kokain mit einem durchschnittlichen Cocain-Reinheitsgehalt von zumindest 40 % (zumindest 800 g Cocain bzw mehr als 53 Grenzmengen) anderen überlassen, und zwar

1./ zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 17. März 2010 über Markus F***** Kurt E***** 200 g Kokain;

2./ ab Sommer 2010 bis März 2012 Markus F***** durchschnittlich monatlich zumindest 5 g, insgesamt sohin zumindest 100 g Kokain;

3./ im Herbst 2011 und Anfang 2012 Helmut S***** bei zwei Übergaben insgesamt 20 g Kokain;

4./ zwischen März 2010 und 2. Juli 2012 über die zu A./1./ bis 3./ angeführten Weitergaben hinaus an die dort genannten Personen sowie an Altan Y***** und weitere namentlich nicht bekannte Abnehmer „im Verlauf einer Vielzahl an Teilhandlungen“ insgesamt zumindest 1.680 g Kokain.

Rechtliche Beurteilung

Die nur A./ des Schuldspruchs betreffende, auf § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten verfehlt ihr Ziel.

In der Hauptverhandlung am 11. Jänner 2013 beantragte der Angeklagte unter Hinweis auf ein von ihm vorgelegtes psychologisches Privatgutachten (ON 48 Beilage ./4) die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, dass er aufgrund „der stark herabgesetzten Realitätswahrnehmung, Realitätsdifferenzierung und Realitätsanpassung bei seinem vermeintlichen Geständnis“ vor der Polizei nicht aussagetüchtig war (ON 48 S 39 f). Durch Abweisung dieses Beweisantrags hat das erkennende Gericht Verteidigungsrechte nicht verletzt. Die Verfahrensrüge (Z 4) verkennt, dass die Beurteilung der Wahrheit und Richtigkeit einer Aussage als Prüfung der Glaubwürdigkeit und Beweiskraft ein Akt freier Beweiswürdigung ist, der ausschließlich dem erkennenden Gericht zusteht (§ 258 Abs 2 StPO). Lediglich in Ausnahmefällen, etwa bei Entwicklungsstörungen oder geistigen Defekten unmündiger oder jugendlicher Zeugen kommt insoweit die Hilfestellung durch einen Sachverständigen in Betracht (vgl RIS-Justiz RS0098297). Einen solchen Ausnahmefall hat der Nichtigkeitswerber mit seinem Vorbringen nicht dargetan, zumal er sich in der Hauptverhandlung dahingehend verantwortete, die vernehmenden Polizisten hätten ihn unter Druck gesetzt, indem sie ankündigten, für den Fall, dass er nicht gestehe, würde seine Ehefrau in Untersuchungshaft genommen und die gemeinsamen Kinder an die Fürsorge übergeben werden (US 10).

Soweit der Rechtsmittelwerber seinen Antrag auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens auch zum Beweis dafür gestellt hat, dass zum Zeitpunkt der ihm angelasteten Taten seine „Diskretions- und Dispositionsfähigkeit weit herabgesetzt war“ (ON 48 S 39), verkennt er, dass sich der einer Verfahrensrüge (Z 4) zugrunde liegende Antrag auf erhebliche (vgl § 254 Abs 1 StPO) Tatsachen beziehen muss, somit solche, die unmittelbar oder mittelbar (ohne dabei auf - unzulässige - Erkundungsbeweise abzuzielen) der Feststellung entscheidender Tatsachen dienen. Unter letzteren sind jene zu verstehen, die die Unterstellung unter ein Strafgesetz (Lösung der Schuldfrage) oder einen bestimmten Strafsatz betreffen (vgl RIS-Justiz RS0116503, RS0099473).

Weiters beantragte der Angeklagte in der Hauptverhandlung am 11. Jänner 2013, „im Sinne des § 245 StPO, dem Angeklagten hinsichtlich des Faktums 4./ der Anklageschrift jene Beweise vorzuhalten, die über das widerrufene Geständnis des Angeklagten hinausgehen und die angeblich weitergegebene Menge von 1.600 g Kokain an unbekannte Abnehmer betreffen und ihn nach Vorhalt allfälliger vorliegender Beweisanbote die entsprechenden Bemerkungen hiezu vorbringen zu lassen“ (ON 48 S 24). Diesem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, inwiefern in der Hauptverhandlung gegen die Vernehmungsvorschriften des § 245 StPO verstoßen wurde (vgl RIS-Justiz RS0113618 [T3]).

Indem die Mängelrüge (inhaltlich Z 5 vierter Fall) ausführt, das Geständnis des Angeklagten vor der Polizei sei nur wegen Drohungen durch die vernehmenden Polizisten abgelegt worden, verkennt sie, dass Beweisverbote nur dann aus dem angesprochenen Nichtigkeitsgrund releviert werden können, wenn der Beschwerdeführer an deren Geltendmachung als Verfahrensmangel gehindert war (RIS-Justiz RS0113618 [T4]).

Soweit die Mängelrüge einwendet, der „bloße Versuch der Widerlegung eines Motivs des ursprünglichen Geständnisses, welches in der Folge widerrufen wurde“, sei nicht geeignet, die vom Erstgericht angenommene Menge Kokain zu begründen, es könnten „nicht mit Sicherheit die darin angegebenen Mengen objektiv überprüft werden“, verkennt sie, dass eine Urteilsbegründung nicht auf logisch zwingenden Ableitungen beruhen muss. Auch in freier Beweiswürdigung gezogene Wahrscheinlichkeitsschlüsse sind zur Begründung von Tatsachenfeststellungen geeignet (RIS-Justiz RS0098471).

Mit den weiteren Ausführungen der Mängelrüge (Z 5 zweiter Fall) betreffend die Aussagen der Zeugen E***** und F***** sowie der als Zeugin vernommenen Ehefrau des Angeklagten wird nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft, ohne Unvollständigkeit aufzuzeigen. Das Schöffengericht hat nämlich die Aussagen der Zeugen durchaus gewürdigt (US 10 ff), war aber - dem Gebot gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend - nicht verhalten, im Urteil den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen der Zeugen im Einzelnen zu erörtern und darauf zu untersuchen, wie weit sie für oder gegen die Feststellungen sprechen, sowie sich mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinanderzusetzen (RIS-Justiz RS0098377).

Betreffend A./3./ des Schuldspruchs führt die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) aus, das Erstgericht verweise „lediglich floskelhaft“ auf die „ursprünglich übereinstimmenden“ Angaben des Zeugen S***** und des Angeklagten, erkläre jedoch nicht, warum es die „ersten Aussagen“ des genannten Zeugen für glaubwürdig erachte. Dem ist zu entgegnen, dass der zur Überzeugung der Tatrichter von der Glaubwürdigkeit eines Zeugen aufgrund des von diesem in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks führende kritisch-psychologische Vorgang als solcher einer Anfechtung mit Mängelrüge entzogen ist (RIS-Justiz RS0106588). Mit dem Umstand, dass sich der Zeuge S***** - anders als bei seinen im Ermittlungsverfahren getätigten Aussagen - in der Hauptverhandlung nicht mehr detailliert erinnern konnte, hat sich das Schöffengericht auseinandergesetzt (US 16), weshalb auch von Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) nicht gesprochen werden kann.

Soweit die Mängelrüge zu A./4./ des Schuldspruchs die erstgerichtliche Urteilsbegründung kritisiert, wonach aus cirka fünfzehn Telefonaten am 15. April 2012 zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen Y***** in Verbindung mit dem ungewöhnlich hohen Aufwand einer Reise nach R***** und dann nach I***** durch den genannten Zeugen zur Bezahlung einer Darlehensschuld, anstatt eine Überweisung durchzuführen, auf die Unglaubwürdigkeit der Angaben des genannten Zeugen zu schließen sei, wird neuerlich nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung die den Tatrichtern vorbehaltene Beweiswürdigung bekämpft.

Das gilt auch für das Vorbringen, der Angeklagte wäre im Zeitraum Juli 2010 bis März 2011 nach einem Paragleitunfall auf einen Rollstuhl angewiesen gewesen, wobei ihm ein solcher zu Hause nicht zur Verfügung stand. Die erstgerichtliche Urteilsbegründung, es wäre zur Durchführung eines Suchtgiftgeschäfts nicht notwendig, voll mobil zu sein (US 18), ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden.

Als Tatsachenrüge will Z 5a nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung verhindern (RIS-Justiz RS0118780). Eine über die Prüfung erheblicher Bedenken hinausgehende Auseinandersetzung mit der Überzeugungskraft von Beweisergebnissen - wie sie die Berufung wegen Schuld im Einzelrichterverfahren einräumt - wird dadurch nicht ermöglicht (RIS-Justiz RS0119583). Durch den neuerlichen Hinweis, das Erstgericht hätte die Feststellungen nicht auf sein ursprüngliches, in der Folge jedoch widerrufenes Geständnis stützen dürfen, zu A./4./ des Schuldspruchs beruhten die Konstatierungen überhaupt nur auf seinem widerrufenen Geständnis, nicht einmal der Zeuge Y***** hätte ihn belastet, gelingt es dem Rechtsmittelwerber nicht, erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen hervorzurufen.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei der Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen sei, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810). Die vom Rechtsmittelwerber (nominell Z 9 lit a und 10, inhaltlich bloß Z 10) vermissten Feststellungen zum Vorsatz des Angeklagten, welcher auch den an die bewusst kontinuierliche Tatbegehung geknüpften Additionseffekt mitumfasste (vgl RIS-Justiz RS0088096), finden sich auf US 8. Indem die Nichtigkeitsbeschwerde auf ein psychologisches Privatgutachten betreffend herabgesetzte Realitätswahrnehmung, Realitätsdifferenzierung und Realitätsanpassung beim Angeklagten verweist und ausführt, das Schöffengericht hätte lediglich Mutmaßungen angestellt, indem es ausführte, es wäre lebensfremd, anzunehmen, dass dem Angeklagten als jahrelangem Drogenkonsumenten nicht bewusst war, dass er sich mit seinen Tathandlungen „im Bereich der großen Menge bewegt“, verfehlt sie prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit und bekämpft neuerlich bloß in unzulässiger Weise die dem Schöffengericht vorbehaltene Beweiswürdigung.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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