OGH 15Ns55/19k

OGH15Ns55/19k24.9.2019

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. September 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Tibor V***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und fünfter Fall, Abs 2 und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB, AZ 12 Hv 24/19z des Landesgerichts Linz, über Vorlage durch das Oberlandesgericht Linz, AZ 8 Bs 80/19z, gemäß § 213 Abs 6 zweiter und dritter Satz, § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 60 Abs 1 zweiter Satz OGH‑Geo. 2005) den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:0150NS00055.19K.0924.000

 

Spruch:

Die Sache wird dem Oberlandesgericht Wien zur Zuweisung an das zuständige Gericht übermittelt.

 

Gründe:

Mit im Verfahren AZ 12 Hv 24/19z des Landesgerichts Linz eingebrachter Anklageschrift vom 1. Juli 2019 (ON 54) legt die Staatsanwaltschaft Linz Tibor V***** ein als Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 erster und „fünfter“ Fall, Abs 2 und Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB beurteiltes Verhalten zur Last.

Danach habe dieser im Zeitraum von 8. November 2015 bis 7. Februar 2019 in L*****, W*****, S***** und P***** sowie an zwei weiteren Orten in Deutschland in insgesamt zwanzig, im Anklagetenor einzeln angeführten – zu  4./ und 16./ in S***** begangenen und mit einem zu diesen beiden Fakten jeweils für sich 50.000 Euro übersteigenden Betrugs‑(differenz‑)schaden (RIS‑Justiz RS0094374) verbundenen – Fällen mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, gewerbsmäßig jeweils durch Täuschung über Tatsachen, nämlich Vortäuschung eines unrichtigen (zu niedrigen) Kilometerstands unter Benützung „von unrichtigen Messgeräten“, nämlich manipulierten („zurückgedrehten“) Kilometerzählern sowie unter Benützung falscher Urkunden wie ua gefälschter slowakischer ID-Karten und gefälschter Fahrzeugschein- oder Servicehefte, einzeln angeführte Opfer zu Handlungen verleitet bzw zu verleiten versucht, die diese in einem insgesamt 300.000 Euro übersteigenden Betrag von 413.000 Euro am Vermögen schädigten bzw schädigen sollten.

Die Annahme der (örtlichen) Zuständigkeit des Landesgerichts Linz wurde von der Staatsanwaltschaft nicht begründet. Der Angeklagte erhob gegen die Anklageschrift keinen Einspruch.

Der Vorsitzende des angerufenen Landesgerichts Linz als Schöffengericht hegte mit Blick auf die Fakten 4./ und 16./ Bedenken gegen die örtliche Zuständigkeit und legte die Akten gemäß § 213 Abs 6 zweiter Satz StPO dem Oberlandesgericht Linz vor (ON 1 S 17 ff).

Mit Beschluss vom 2. August 2019, AZ 8 Bs 80/19z (ON 58), legte das Oberlandesgericht Linz die Akten – nachdem es (ausdrücklich) das Vorliegen der in § 212 Z 1 bis 4 StPO genannten Einspruchsgründe verneint und über die Untersuchungshaft entschieden hatte – gemäß § 215 Abs 4 zweiter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof vor, weil es – wie schon der Vorsitzende des Erstgerichts – davon ausging, dass ein im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts liegendes Gericht örtlich zuständig sei.

 

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 36 Abs 3 erster Satz StPO ist für das Hauptverfahren (gegen einen – wie fallbezogen – Erwachsenen) primär das Gericht örtlich zuständig, in dessen Sprengel die Straftat ausgeführt wurde oder ausgeführt werden sollte (Oshidari, WK‑StPO § 36 Rz 6; Fabrizy, StPO13 § 36 Rz 4).

Im Falle gleichzeitiger Anklage mehrerer beteiligter Personen (§ 12 StGB) oder – wie hier – einer Person wegen mehrerer Straftaten ist das Hauptverfahren vom selben Gericht gemeinsam zu führen (§ 37 Abs 1 erster Satz StPO; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 1 f; Fabrizy, StPO13 § 37 Rz 1 f).

Dabei ist gemäß § 37 Abs 2 erster Satz, erster Fall StPO primär und soweit aktuell relevant unter Gerichten verschiedener Ordnung das höhere zur gemeinsamen Verfahrensführung zuständig (Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 4; Fabrizy, StPO13 § 37 Rz 3).

Die örtliche Zuständigkeit ist auch bei Subsumtionseinheiten hinsichtlich jeder der zusammenzufassenden (real konkurrierenden) Straftaten nach den Kriterien des § 36 StPO zu ermitteln. Bezugspunkt für die nach § 37 Abs 2 zweiter und dritter Satz StPO vorzunehmende Beurteilung, welches Gericht für das wegen aller Straftaten gemeinsam zu führende Hauptverfahren örtlich zuständig ist, ist aber jeder einzelne der Tatorte (weil an jedem eine Ausführungshandlung gesetzt wurde; § 36 Abs 3 StPO), es sei denn, eine Qualifikation, welche die sachliche Zuständigkeit eines höherrangigen Gerichts nach sich zieht, wäre nach der Verdachtslage durch eine einzige dieser Straftaten verwirklicht worden (RIS‑Justiz RS0131445; 14 Ns 27/17g; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5/1 mwN; Nordmeyer, WK‑StPO § 26 Rz 8/1).

Hinsichtlich der Anklagefakten 4./ und 16./ mit jeweils im Sprengel des Landesgerichts Korneuburg gelegenem Tatort (S*****) ist jeweils für sich betrachtet ein 50.000 Euro übersteigender (Differenz- [RIS‑Justiz RS0094374])Betrugsschaden (4./: 56.929 Euro; 16./: 53.000 Euro [ON 54 S 2 und 4]) inkriminiert, während nach der Anklage kein anderes Faktum für sich genommen einen solchen Schadensbetrag übersteigt. Gemäß § 31 Abs 3 Z 6a StPO kommt dem Landesgericht als Schöffengericht das Hauptverfahren ua wegen des Vergehens des schweren Betruges (§ 147 Abs 2 StGB) bei einem 50.000 Euro übersteigenden Schaden zu. Isoliert betrachtet fielen demnach alle Fakten außer jene zu 4./ und 16./ in die sachliche Zuständigkeit des Einzelrichters. § 37 Abs 2 dritter Satz StPO vermag deshalb keine örtliche Zuständigkeit des Landesgerichts Linz als Schöffengericht zu begründen, weil diese Bestimmung nichts am Grundsatz des Vorrangs des Gerichts höherer Ordnung ändert (RIS‑Justiz RS0124935, RS0125227; Fabrizy, StPO13 § 37 Rz 3; Oshidari, WK‑StPO § 37 Rz 5; Ohrnhofer in Schmölzer/Mühlbacher, StPO1 § 37 Rz 3). Ein Verfahren wegen mehrerer Straftaten fällt somit auch dann in den örtlichen Kompetenzbereich eines anderen Gerichts höherer Ordnung, wenn die Staatsanwaltschaft (hier: Linz) eine nach dem Anklagevorwurf in ihrem Sprengel begangene Straftat (hier: Fakten 1./, 2./, 6./ und 20./) unter Anklage stellt, die – isoliert betrachtet – bei einem niederrangigen Gericht anzuklagen wäre.

Den dargestellten Kriterien zufolge ist das Landesgericht Korneuburg als Schöffengericht zur Führung der Strafsache zuständig.

Demnach war – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – die Sache dem Oberlandesgericht Wien zu übermitteln, das gemäß § 215 Abs 4 erster Satz StPO die Sache dem zuständigen Landesgericht zuzuweisen hat.

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