OGH 14Os93/18k

OGH14Os93/18k9.10.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 9. Oktober 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Holzer als Schriftführerin in der Strafsache gegen Regina O***** wegen des

Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 21. März 2018, GZ 11 Hv 10/18h‑147, sowie über deren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00093.18K.1009.000

 

Spruch:

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung wird nicht bewilligt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung werden zurückgewiesen.

Der Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Regina O***** je eines

Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB (1) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, § 12 zweiter Fall StGB schuldig erkannt.

Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat sie von April bis Oktober 2017 in G***** und an anderen Orten Österreichs vorschriftswidrig Suchtgift in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Quantität

1) eingeführt, indem sie Kuriere mit dem Transport von 6.000 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend 780 Gramm Delta‑9‑THC) von Italien nach Österreich beauftragte und die vier Schmuggelfahrten selbst begleitete;

2) anderen überlassen, indem sie 4.000 Gramm Cannabiskraut (beinhaltend 520 Gramm Delta‑9‑THC) teilweise selbst gewinnbringend an Chidube Os***** sowie einen weiteren unausgeforscht gebliebenen Schwarzafrikaner verkaufte und teilweise ihre Kuriere zur Übergabe an die Abnehmer bestimmte.

Die Angeklagte hat in der Hauptverhandlung vom 21. März 2018 keine Rechtsmittelerklärung abgegeben (ON 146 S 10). Der letzte Tag der dreitägigen Frist für die Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (§§ 284 Abs 1, 294 Abs 1 StPO) war der 26. März 2018.

Da bis zu diesem Zeitpunkt keine Rechtsmittelanmeldung erfolgt war, ordnete die Vorsitzende am 20. April 2018 den Vollzug der über die Angeklagte verhängten Freiheitsstrafe an (ON 148).

Am 25. April 2018 beantragte die Verteidigerin der Genannten – unter gleichzeitiger Nachholung der versäumten Prozesshandlung – die

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur

Anmeldung der Nichtigkeitsbeschwerde und der Berufung (ON 149).

Dazu brachte sie vor, sie habe ihrer Sekretärin die Rechtsmittelanmeldung mit dem Auftrag, diese sofort im elektronischen Rechtsverkehr bei Gericht einzubringen, noch am 21. März 2018 diktiert. Die Eingabe sei direkt in das „ERV‑Formular“ geschrieben und dort gespeichert worden, deren Übersendung jedoch sodann (wahrscheinlich) aufgrund eines Fehlers der Sekretärin unterblieben. Ein „technisches Gebrechen“ sei „jedoch nicht auszuschließen“.

Dies sei für die Verteidigerin anlässlich einer am letzten Tag der Anmeldefrist – durch Einsicht in den Handakt und Nachfrage bei ihrer Mitarbeiterin – vorgenommenen Überprüfung nicht erkennbar gewesen, weil auf dem im Akt erliegenden Schriftstück, dessen Ausdruck automatisch vor dem Sendevorgang erfolge, das Erstellungsdatum 21. März 2018 sowie dessen Bearbeitung am selben Tag aufschienen, der Schriftsatz auch elektronisch erfasst war und die Sekretärin, die bei einer neuerlichen Kontrolle der Daten des ERV‑Aktes keine Abweichungen zu ordnungsgemäß eingebrachten Schriftstücken feststellen konnte, die rechtzeitige Sendung der Rechtsmittelanmeldung ausdrücklich bestätigte.

Sie

habe erst am 25. April 2018 durch die telefonische Mitteilung der Angeklagten über ihre Übernahme in Strafhaft Kenntnis von der (möglichen) Verfehlung ihrer Mitarbeiterin erlangt.

Diese sei seit 2011 in der Kanzlei beschäftigt und seit 2013 für die ERV‑Bearbeitung zuständig, weise ein abgeschlossenes Lehramtsstudium auf, verfüge über mehrjährige Berufserfahrung, sei stets zuverlässig und habe bislang jede Eingabe rechtzeitig abgeschickt.

Die Richtigkeit des Vorbringens wurde durch einen Screenshot aus dem kanzleiinternen ERV‑Akt und eine eidesstättige Erklärung der mit dem Vorgang befassten Mitarbeiterin bescheinigt, welche auch ausführte, dass eine Sendebetätigung zwar nicht vorlag, dies sei aber „bei jedem Schriftsatz, der auch abgeschickt wurde, in gleicher Weise der Fall“.

Rechtliche Beurteilung

Das Wiedereinsetzungsbegehren ist nicht berechtigt.

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen. Irrtümer und Fehler der Kanzleiangestellten des Vertreters sind diesem (und deren Verschulden wiederum dem Vertretenen) zuzurechnen (RIS‑Justiz RS0101272). Solche ermöglichen eine Wiedereinsetzung nur, wenn sie trotz der Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht des Anwalts bei der Kontrolle der Termin- und Fristenevidenz und trotz bisheriger objektiver Eignung und Bewährung der Kanzleiangestellten unterlaufen sind (RIS‑Justiz RS0036813). Ein einmaliges Versehen eines bewährten und verlässlichen Mitarbeiters steht der Bewilligung der Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen, wenn dem Anwalt kein Sorgfalts-, Organisations- und Kontrollversehen vorgeworfen werden muss. Berufsmäßige Parteienvertreter (Rechtsanwälte) unterliegen dabei einem erhöhten Haftungsmaßstab,

für die Beurteilung

gilt der Standard einer

gut organisierten Rechtsanwaltskanzlei. In diesem Sinn muss ein Rechtsanwalt eine Organisation schaffen, die es ermöglicht, auch offensichtlich leicht vorkommende Versehen im Nachhinein nachvollziehen und kontrollieren zu können (RIS‑Justiz RS0124904, RS0127149 [T1]). Dass der Verteidiger zur Gewährleistung der Einhaltung von Fristen verpflichtet ist, die Organisation seines Kanzleibetriebs so zu gestalten, dass entweder ein täglicher Abruf des ERV‑Computer‑Systems gewährleistet ist oder zumindest der Sendebericht einer im elektronischen Weg übermittelten Entscheidung angeschlossen wird und in der Unterlassung der Einrichtung eines derartigen Kontrollsystems kein Versehen bloß minderen Grades zu erblicken ist, hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen (RIS‑Justiz RS0125861).

Nicht anders ist der vorliegende Fall zu beurteilen:

Eine – hier in Rede stehende – elektronische Eingabe (§ 89a Abs 1 GOG) gilt erst dann als bei Gericht eingebracht,

wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Ist vorgesehen, dass die Eingabe über eine Übermittlungsstelle zu leiten ist (§ 89b Abs 2 GOG), und ist sie auf diesem Weg bei der Bundesrechenzentrum GmbH tatsächlich zur Gänze eingelangt, so gilt sie als bei Gericht mit demjenigen Zeitpunkt eingebracht, an dem die Übermittlungsstelle dem Einbringer rückgemeldet hatte, dass sie die Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH übernommen hat (§ 89d Abs 1 GOG).

Der Einbringer einer solchen Eingabe ist verpflichtet, sich einer Übermittlungsstelle zu bedienen (§ 3 Abs 1 ERV 2006). Diese wiederum hat dem Einbringer die Übernahme der Daten der Eingabe zur Weiterleitung an die Bundesrechenzentrum GmbH sofort mitzuteilen und den Zeitpunkt (Tag und Uhrzeit) dieser Rückmeldung zu protokollieren, die Bundesrechenzentrum GmbH hat zu protokollieren, wann die Daten der Eingabe bei ihr eingelangt sind (§ 4 Abs 1 und 2 ERV 2006). Im Direktverkehr (§ 3 Abs 2, § 10a ERV 2006) treffen die Bundesrechenzentrum GmbH die Pflichten der Übermittlungsstelle (erneut § 3 Abs 2 ERV 2006).

Hat der Gesetzgeber solcherart die Voraussetzungen für eine lückenlose Nachvollziehbarkeit, Überprüfbarkeit und Nachweisbarkeit der korrekten und rechtzeitigen Einbringung von Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr geschaffen, liegt es nach den oben dargestellten Grundsätzen am Rechtsanwalt, in seinem Wirkungsbereich (durch Verwendung geeigneter Software und deren Einstellung) Gewähr dafür zu schaffen, dass einerseits die entsprechenden Informationen abrufbar sind und regelmäßig abgerufen sowie ausgedruckt werden und andererseits, dass mit derartigen Aufgaben befasste Mitarbeiter mit den technischen Abläufen vertraut sind, um– bei Dateneingaben notorisch leicht vorkommende – Fehler im sensiblen Bereich des Fristenwesens zu vermeiden.

Gerade das war nach dem Antragsvorbringen und den schriftlichen Ausführungen der Sekretärin der Verteidigerin in deren Kanzleibetrieb nicht der Fall.

Vielmehr ist danach das WebERV‑System dergestalt organisiert, dass weder aus dem ERV‑Akt noch aus den – vor Versendung angefertigten – Ausdrucken von Schriftsätzen ersichtlich ist, ob diese tatsächlich abgesendet wurden und beim Adressaten einlangten (die auf den im Akt erliegenden Ausfertigungen der Eingaben angebrachten Vermerke über die Daten von Erstellung und letzter Bearbeitung sagen dazu auch nach dem Antragsvorbringen nichts aus). Dennoch wurden die Rückmeldungen der Übermittlungsstelle oder der Bundesrechenzentrum GmbH (Sendebestätigung oder -bericht) regelmäßig (auch bei – wie hier – fristgebundenen Eingaben) nicht ausgedruckt und (ersichtlich) auch nicht elektronisch eingesehen.

Aus den schriftlichen Angaben der mit derartigen Aufgaben betrauten Sekretärin der Verteidigerin geht zudem unmissverständlich hervor, dass auch ihr selbst eine (sofortige oder spätere) Überprüfung des Sendevorgangs – sei es mangels Vorliegens der technischen Voraussetzungen, sei es aufgrund unzureichender Einschulung – (auch über ausdrückliche Nachfrage) nicht möglich und ein ihr allenfalls unterlaufener Fehler daher für sie nicht erkennbar war.

Dass der Rechtsanwalt nach gleichfalls einhelliger Judikatur grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass der einem Kanzleiangestellten für einen bestimmten Tag angeordnete, bloß manipulative Vorgang der Auslösung der Versendung eines Schriftsatzes via WebERV tatsächlich erfolgt, ohne dass es einer weiteren Kontrolle bedarf (RIS‑Justiz RS0122717 [T1]), ändert sohin nichts daran, dass im Unterbleiben der Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems zur Überwachung ordnungsgemäßer Einbringung fristgebundener Eingaben im elektronischen Rechtsverkehr gerade ein solches Organisationsverschulden zu erblicken ist, das die – aufgrund einer daraus resultierenden Fristversäumnis begehrte – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt.

Ein Unterbleiben der Sendung aufgrund eines technischen Gebrechens wurde übrigens nicht mit Bestimmtheit behauptet.

Die zu spät angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde war daher zurückzuweisen (§§ 285a Z 1, 285d Abs 1 StPO).

Gleiches gilt für die ausgeführte, aber zu spät angemeldete (§ 294 Abs 1 iVm § 284 Abs 1 StPO) Berufung der Angeklagten (§ 294 Abs 4, § 296 Abs 2 StPO; RIS‑Justiz RS0100243).

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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