OGH 14Os7/14g

OGH14Os7/14g1.4.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 1. April 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Fellner als Schriftführer in der Strafsache gegen Amir B***** und eine andere Angeklagte wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Amir B***** und Latifa M***** gegen das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 5. November 2013, GZ 631 Hv 7/13w‑42, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Amir B***** und Latifa M***** jeweils mehrerer (vgl aber RIS‑Justiz RS0120828) Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 12 dritter Fall, 206 Abs 1 und Abs 3 zweiter Fall StGB (I), Erstgenannter darüber hinaus des Vergehens der Hehlerei nach § 164 Abs 1 und Abs 2 StGB (II) schuldig erkannt.

Danach haben in G*****

(I) Amir B***** und Latifa M***** zwischen 14. August 2011 und 28. Februar 2012 dadurch dazu beigetragen, dass ihr am 2. Juli 1994 geborener, infolge Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) nicht weiter verfolgter Sohn Edwin B***** im gleichen Zeitraum (mehrfach) mit der am 28. April 1998 geborenen Behija H***** den Beischlaf unternahm, wobei „die Tat“ eine Schwangerschaft der Unmündigen zur Folge hatte, dass sie in Bosnien und G***** eine Verlobungsfeier zwischen den Genannten organisierten, Behija H***** nach Österreich in ihr Haus mitnahmen und dort beiden ein gemeinsames Schlafzimmer mit Ehebett zur Verfügung stellten;

(II) Amir B***** am 15. Dezember 2012 (richtig: 15. Februar 2012, US 6) zwei iPhones im Wert von etwa 1.200 Euro, die ein anderer durch (Einbruchs-)Diebstahl erlangt hatte, gekauft.

Rechtliche Beurteilung

Die ausschließlich gegen den Schuldspruch (I) gerichteten, aus dem Grund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten sind nicht im Recht.

Indem die Rechtsrügen (nominell Z 9 lit a, der Sache nach Z 9 lit b) auf Basis allgemeiner Überlegungen zu ‑ Geschlechtsverkehr mit unmündigen Personen „mit entsprechender sexueller Reife“ erlaubenden ‑ „Regeln und Traditionen“ der Volksgruppe der Roma einwenden, die Beschwerdeführer seien einem nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum (§ 9 StGB) erlegen, erschöpfen sie sich in einer (substratlosen) Bestreitung der gegenteiligen ‑ unter ausführlicher Erörterung der entsprechenden Verantwortung der Angeklagten mängelfrei begründeten (US 11 f) ‑ Urteilsfeststellungen (US 6) und verfehlen solcherart den gerade darin gelegenen Bezugspunkt materieller Nichtigkeit (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 581; vgl im Übrigen zur Vorwerfbarkeit eines ‑ aktuell vom Erstgericht verneinten ‑ diesbezüglichen Verbotsirrtums: RIS‑Justiz RS0089443; Philipp in WK² StGB § 206 Rz 22 mwN; Fabrizy, StGB11 § 206 Rz 7 und § 9 Rz 7a).

Entsprechendes gilt für die unter Hinweis auf einzelne (im Urteil ohnehin umfassend gewürdigte; US 4, 10 f) Verfahrensergebnisse und ‑ eigenständig interpretierte ‑ beweiswürdigende Erwägungen des Erstgerichts (US 7) aufgestellte Behauptung eines Tatbildirrtums, durch die das Vorliegen des dem Tatbestand entsprechenden Vorsatzes bestritten wird (Höpfel in WK² StGB § 9 Rz 7; Steininger SbgK § 5 Rz 25 und § 9 Rz 39), wogegen die Tatrichter vorsätzliches Handeln ausdrücklich feststellten (US 6).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Daraus folgt die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen (§ 285i StPO).

Bleibt anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der rechtlich verfehlten Annahme mehrerer nach Abs 3 zweiter Fall qualifizierter Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (vgl dazu Philipp in WK² § 206 Rz 31 iVm § 201 Rz 30 f und RIS-Justiz RS0120828; vgl auch 14 Os 172/11t [verst Senat]) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) nicht veranlasst sieht, weil unrichtige Subsumtion die Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK-StPO § 290 Rz 22 ff), das Erstgericht bei der Strafbemessung nur „die mehrmalige Tatverwirklichung zu Punkt 1“ sowie (bei Amir B*****) das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen als erschwerend wertete (US 15) und das Oberlandesgericht diesen Umstand aufgrund dieser Klarstellung ‑ ohne Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung - bei der Entscheidung über die von den Angeklagten gegen den Sanktionsausspruch erhobenen Berufungen zu berücksichtigen hat (RIS‑Justiz RS0118870).

Gleichfalls ohne Nachteil für den Angeklagten Amir B***** blieb die ‑ ohne Feststellungen erfolgte ‑ verfehlte rechtliche Unterstellung der vom Schuldspruch (II). umfassten Tat auch unter Abs 1 anstelle richtig nur unter Abs 2 zweiter Fall des § 164 StGB (RIS‑Justiz RS0095389; Kirchbacher in WK² StGB § 164 Rz 17; Fabrizy StGB11 § 164 Rz 4).

Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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