OGH 14Os57/15m

OGH14Os57/15m4.8.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. August 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zonsics als Schriftführer im Verfahren zur Unterbringung der Roswitha M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Schöffengericht vom 2. April 2015, GZ 14 Hv 104/14s‑55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00057.15M.0804.000

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde im zweiten Rechtsgang (zum ersten Rechtsgang vgl 14 Os 140/14s) ‑ soweit im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde von Bedeutung ‑ unter Einbeziehung des bereits im ersten Rechtsgang in Rechtskraft erwachsenen Ausspruchs über die Begehung eines Widerstands gegen die Staatsgewalt (§§ 15, 269 Abs 1 StGB) als Anlasstat (ON 37 [2]) gemäß § 21 Abs 1 StGB (erneut) die Unterbringung der Roswitha M***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Danach hat sie am 1. Juli 2014 in J***** unter dem Einfluss eines die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Zustands (§ 11 StGB), der auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad beruht, nämlich einer ‑ gegenwärtig manischen ‑ schizoaffektiven Störung, den Polizeibeamten Michael P***** während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben oder der Erfüllung seiner Pflichten vorsätzlich am Körper verletzt, indem sie ihn im Zug ihrer im Anschluss an den von ihr zuvor gesetzten versuchten Widerstand gegen die Staatsgewalt (die bereits im ersten Rechtsgang rechtskräftig ausgesprochene Anlasstat 2) erfolgten Festnahme gemäß §§ 171 Abs 2 Z 1 iVm 170 Abs 1 Z 1 StPO im Bereich des linken Ring- und Mittelfingers kratzte, wodurch der Genannte blutende Wunden erlitt,

und dadurch das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB begangen.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus den Gründen der Z 5, 9 lit a und 11 StPO des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde der Betroffenen verfehlt ihr Ziel.

Der Einwand der Mängelrüge, die Feststellungen zur subjektiven Tatseite seien unbegründet geblieben (Z 5 vierter Fall), nimmt nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe (RIS-Justiz RS0119370). Deren ‑ von der Beschwerde übergangene - Ableitung aus dem objektiven Tatgeschehen und dem aggressiven Verhalten der Betroffenen vor der Verletzungszufügung (US 6) ist unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 452; RIS-Justiz RS0116882, RS0098671).

Mit dem Hinweis auf das Fehlen von „eindeutigen Beweisergebnissen“ („konkreten Verfahrensergebnissen“), die die Annahme eines Verletzungsvorsatzes rechtfertigen würden, und entsprechende Angaben des Tatopfers Michael P***** sowie des (gleichfalls mit der Amtshandlung befassten) Zeugen Harald K***** bekämpft die Beschwerde bloß die Beweiswürdigung der Tatrichter nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung (vgl auch Ratz, WK-StPO § 281 Rz 449; RIS-Justiz RS0098471, RS0098362, RS0098249). Zudem verkennt sie, dass Gegenstand von Zeugenaussagen nur objektive Wahrnehmungen, nicht aber Mutmaßungen über das Wissen und Wollen anderer Personen sein können (vgl Danek, WK‑StPO § 270 Rz 40, RIS-Justiz RS0097540).

Ein (erörterungsbedürftiger) Widerspruch (Z 5 zweiter Fall) zwischen den Aussagen der beiden Polizeibeamten liegt dem Beschwerdestandpunkt zuwider nicht vor, weil Harald K***** eindeutig klarstellte, die Entstehung der Verletzung nicht wahrgenommen zu haben, und in der Folge bloß den Vorgang des Anlegens der Handfesseln schilderte, ohne ‑ wie die Rüge unterstellt ‑ zu behaupten, dass Michael P***** im Zuge dessen verletzt wurde (ON 54 S 6 f).

Die Rechtsrüge (Z 9 lit a sowie nominell ‑ verfehlt ‑ auch Z 11; vgl dazu Ratz in WK² StGB Vor §§ 21-25 Rz 8), die den Ausspruch über die Subsumtion der Anlasstat kritisiert, erschöpft sich in der Bestreitung der Urteilsfeststellungen zur subjektiven Tatseite (US 5), indem sie das Vorbringen der Mängelrüge wiederholt und auf Basis eigener beweiswürdigender Überlegungen zum Schluss kommt, das Verhalten der Beschwerdeführerin könne „allenfalls … eine fahrlässige Körperverletzung darstellen“. Sie verfehlt solcherart den gesetzlichen

Bezugspunkt (RIS‑Justiz RS0099810).

Dass das Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB ‑ entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut des § 21 Abs 1 StGB („eine Tat, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist“) ‑ nicht als Anlasstat in Frage komme, weil die (vorsätzliche) Zufügung einer ‑ wie hier ‑ bloß leichten Körperverletzung mit bis zu einjähriger Freiheitsstrafe bedroht sei (§ 83 Abs 1 StGB) und die höhere Strafdrohung vorliegend nur dadurch begründet werde, dass die Tat an einem Beamten während der Erfüllung seiner Pflichten begangen wurde, wird von der Sanktionsrüge (Z 11 erster Fall) ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz bloß behauptet (vgl dazu auch Ratz in WK² StGB § 21 Rz 3 f).

Soweit sie die gesetzliche

Unterbringungsvoraussetzung des auf einer geistigen oder seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustands und dessen

Einflusses auf die Anlasstat in Frage stellt, erschöpft sie sich ein weiteres Mal darin, den darauf bezogenen Urteilsfeststellungen eigene Ansichten und Schlussfolgerungen entgegen zu stellen. Indem sie mit dem Vorbringen, die Beschwerdeführerin sei bloß „aufgrund der Situation verständlicherweise aufgeregt und aufgewühlt gewesen“, der Sache nach Zurechnungsunfähigkeit zur Tatzeit bestreitet, ist die Beschwerde zudem nicht zum Vorteil der Betroffenen ausgeführt (RIS-Justiz RS0124358, RS0126727; zum Ganzen Ratz in WK² StGB Vor §§ 21 bis 25 Rz 9 und 15).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die am 3. Juli 2015 direkt beim Obersten Gerichtshof sowie (gleichlautend) am 7. Juli 2015 bei der Justiz‑Ombudsstelle eingebrachte, als „Einspruch“ bezeichnete Eingabe der Angeklagten, die als Ergänzung der vom Verteidiger ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerde anzusehen ist, ist unbeachtlich, weil das Gesetz nur eine einzige Ausführung der Beschwerdegründe zulässt ( Ratz , WK‑StPO § 285 Rz 6; RIS‑Justiz RS0100172).

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