OGH 14Os43/14a

OGH14Os43/14a12.8.2014

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. August 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger und Mag. Marek sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zillinger als Schriftführerin in der Strafsache gegen Kamal A***** wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 10. Jänner 2014, GZ 39 Hv 167/13z‑21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleithner und der Verteidigerin Mag. Leitner zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2014:0140OS00043.14A.0812.000

 

Spruch:

Teils in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und teils aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil aufgehoben und

1. im Umfang der Aufhebung des Schuldspruchs A/I und des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache in diesem Umfang an das Landesgericht Wiener Neustadt verwiesen, sowie

2. dem Erstgericht aufgetragen,

sich der Verhandlung und Entscheidung über den unerledigt gebliebenen Anklagepunkt laut der in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklage (wonach Kamal A***** „zumindest ab Oktober 2013 in T***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut zumindest in Straßenqualität [Reinheitsgehalt 2 %] erworben und besessen“ habe) zu unterziehen, und

hinsichtlich des dem aufgehobenen Schuldspruch A/II/a zugrunde liegenden Verhaltens des Kamal A***** nach § 37 SMG vorzugehen.

Mit ihrer den Schuldspruch A/II/a betreffenden Nichtigkeitsbeschwerde wird die Staatsanwaltschaft auf dessen Aufhebung verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Kamal A***** teils abweichend von der Anklage wegen Taten, die die Staatsanwaltschaft als Verbrechen des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB und als Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 3 SMG subsumiert hatte (ON 9), der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB (A/I) und des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 achter Fall SMG (A/II/a und b) schuldig erkannt.

Danach hat er

„A) [in T*****; US 4 f]

I. am 9. Dezember 2013 den K***** Hossain vorsätzlich dadurch, dass er ihm einen Kopfstoß gegen die Nase und [mit] eine[m]n Schlag mit einem Besenstiel gegen das linke Knie und mit einer zerbrochenen Glasflasche Schnittwunden im Bereich des rechten Unterarms zugefügt [hat,] am Körper verletzt, wodurch der Genannte eine Prellung des Nasenbeins sowie eine Zerrung der Halswirbelsäule, eine Prellung am Knie und mehrfache Schnittwunden im Bereich des rechten Unterarms erlitt,

II. in der Zeit von 2. Oktober bis 9. Dezember 2013 vorschriftswidrig Cannabisharz (mit einem Straßenreinheitsgehalt von zumindest 2 % THC)[,]

a) dem Sallah N***** 2 Gramm und

b) nicht mehr feststellbaren Dritten in einer nicht mehr feststellbaren Menge

überlassen.“

Hinsichtlich der in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklage, „zumindest ab Oktober 2013 in T***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut zumindest in Straßenqualität (Reinheitsgehalt 2 %) erworben und besessen“ zu haben (ON 20 S 8), „unterblieb irrtümlich die Verkündung des Urteils“ (US 10). Die selbständige Verfolgung dieser (von der Staatsanwaltschaft nicht subsumierten) Taten, die mehreren Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG unterstellt werden könnten, wurde der Staatsanwaltschaft auch nicht vorbehalten.

Vom Vorwurf, „durch unter Punkt A) I. des Urteilsspruches beschriebenen Gewalthandlungen“ versucht zu haben, „eine[n]m anderen, nämlich de[n]m Hossain K***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich € 10,-- mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern abzunötigen, indem er diesen zur Herausgabe aufforderte“, wurde der Angeklagte „gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen“.

Die Staatsanwaltschaft führt ihre aus § 281 Abs 1 Z 5, 7, 8, 9 lit a und 10a StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zu den Schuldsprüchen A/II/a und b zum Vorteil und zum Freispruch (B) zum Nachteil des Angeklagten aus.

Rechtliche Beurteilung

Soweit sie sich mit dem Ziel einer anklagekonformen Verurteilung wegen des Verbrechens des Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1 StGB mit Mängelrüge (Z 5 erster bis vierter Fall) und Rechtsrüge (Z 9 lit a) gegen den Freispruch B wendet, womit sie inhaltlich die Subsumtion nach § 83 Abs 1 StGB zum Schuldspruch A/I (Z 10) bekämpft, kommt ihr schon aus dem erstgenannten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zu.

Die Tatrichter sahen zwar ‑ soweit hier wesentlich ‑ als erwiesen an, dass der Angeklagte einen Geldbetrag von 10 Euro von Hossain K***** forderte und diesem in der Folge vorsätzlich eine Verletzung am Körper zufügte (US 4), verneinten aber das ‑ für die Subsumtion unter § 142 Abs 1 StGB indes erforderliche ‑ Vorliegen einer auf unrechtmäßige Bereicherung und gewaltsame Wegnahme oder Abnötigung der fremden Sache gerichteten Intention des Täters (vgl US 5 iVm US 8 und 3).

Zutreffend zeigt die Staatsanwaltschaft unvollständige Begründung (Z 5 zweiter Fall) dieser Negativfeststellung zufolge unterlassener Erörterung sowohl der ‑ für die Beurteilung der subjektiven Tatseite erheblichen ‑ Depositionen des ‑ grundsätzlich für glaubwürdig erachteten (US 7) ‑ Zeugen Hossain K***** zum Beginn der Tathandlung (ON 20 S 10) als auch dessen Angaben, nach denen die Verantwortung des Angeklagten, er habe bloß eine Geldschuld eintreiben wollen, falsch sei (ON 20 S 9), auf. Mit der unsubstantiierten Aussage im Urteil, die Einschätzung des Genannten, wonach Kamal A***** ihn nur deshalb geschlagen habe, weil er das Geld wollte, sei „wenig aussagekräftig“ (US 9), wurde der Erörterungspflicht im Sinn der Z 5 zweiter Fall nicht Genüge getan.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Vorbringen zum Schuldspruch A/I.

An sich mit Recht reklamiert die Staatsanwaltschaft in diesem Zusammenhang, dass der zum Freispruch B erfolgte Verweis auf die „unter Punkt A) I. des Urteilsspruches beschriebenen Gewalthandlungen“ (US 3) zeigt, dass der Schuldspruch A/I und der Freispruch B dieselbe Tat, also das unter Anklage (Punkt I der ON 9) gestellte historische Geschehen betreffen. Einer Tat für schuldig befunden oder von der Anklage freigesprochen zu werden, ist von der Strafprozessordnung als kontradiktorischer Gegensatz angelegt; eine dritte Möglichkeit soll für Endurteile logisch ausscheiden. Da sich Schuld‑ und Freispruch demnach nicht auf die rechtliche Kategorie (strafbare Handlung), sondern auf die Tat, also das unter Anklage gestellte historische Geschehen, beziehen, kommt ein solcherart unzulässiger Subsumtionsfreispruch nicht in Frage (RIS‑Justiz RS0120128, RS0091051; Ratz in WK2 StGB Vor §§ 28‑30 Rz 20). Der Freispruch B war jedoch angesichts des ursprünglichen Schuldspruchs A/I prozessual bedeutungslos und demnach einer Anfechtung mit - hier von der Staatsanwaltschaft nominell auf Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützter ‑ Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (12 Os 51/10d, RIS‑Justiz RS0099034, RS0115553 [T5]; Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1). In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde demnach zu verwerfen.

Zur Vermeidung des Eintritts von Teilrechtskraft zufolge Aufhebung des Schuldspruchs A/I war jedoch auch der (an sich unzulässige) Freispruch B zu beseitigen (vgl Ratz, WK‑StPO § 293 Rz 15).

Zutreffend moniert die Staatsanwaltschaft (Z 7), dass der in der Hauptverhandlung am 10. Jänner 2014 erhobene Vorwurf, der Angeklagte habe „zumindest ab Oktober 2013 in T***** vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut zumindest in Straßenqualität (Reinheitsgehalt 2 %) erworben und besessen“ (ON 20 S 6), nicht erledigt wurde. Entscheidet das Gericht über die (ausgedehnte) Anklage nicht und behält es diese ‑ wie hier ‑ auch nicht der selbständigen Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft vor, liegt Nichtigkeit vor ( Lewisch , WK‑StPO § 263 Rz 53, 75, 94). In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Anklagebehörde war daher dem Erstgericht gemäß § 288 Abs 2 Z 2 StPO der Auftrag zu erteilen, sich der Verhandlung und Entscheidung über den unerledigt gebliebenen Anklagepunkt zu unterziehen (vgl 13 Os 59/03).

Wiederum mit Recht macht die Staatsanwaltschaft ein Überschreiten der Anklage (Z 8) geltend, weil diese auf das vom Schuldspruch A/II/b umfasste vorschriftswidrige Überlassen einer nicht mehr feststellbaren Menge Cannabisharz mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 2 % THC an Unbekannte im Zeitraum 2. Oktober 2013 bis 9. Dezember 2013 nicht gerichtet war. Dieser Schuldspruch A/II/b war ersatzlos zu beheben.

Aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde überzeugte sich der Oberste Gerichtshof von Amts wegen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) davon, dass dem Schuldspruch A/II/a wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 achter Fall SMG Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO zum Nachteil des Angeklagten anhaftet.

Nichtigkeit des Urteils nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO ist nämlich nicht nur dann gegeben, wenn die darin enthaltenen Feststellungen bei richtiger Rechtsansicht die Nichtanwendung der Diversion nicht zu tragen vermögen, sondern auch, wenn Ergebnisse der Hauptverhandlung auf einen Umstand hindeuten, der für die positive Beurteilung der diversionellen Voraussetzungen den Ausschlag gäbe, das Gericht dazu aber keine Feststellungen getroffen hat (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 659; 13 Os 93/09i). Letzteres ist hier der Fall:

Angesichts der Angaben des Angeklagten, nie Rauschgift verkauft, jedoch schon öfters mit Hossain K***** auf gegenseitige unentgeltliche Einladung gemeinsam Haschisch geraucht zu haben, selbst seit seinem Aufenthalt „im Lager T*****“ regelmäßig Cannabiskraut zu konsumieren und zu wissen, dass Sallah N***** vor der Untersuchungshaft täglich Drogen kaufte (ON 20 AS 5 ff), sowie der Aussage des Sallah N*****, einmal vom Angeklagten unentgeltlich zwei Gramm Suchtgift erhalten zu haben (ON 20 AS 13 f), kamen in der Hauptverhandlung Indizien dafür vor, dass der Angeklagte die dem (nun aufgehobenen) Schuldspruch A/II/a zugrundeliegende Straftat ‑ wie auch jene Taten, die vom bislang unerledigten Anklagepunkt umfasst sind ‑ ausschließlich uneigennützig (RIS‑Justiz RS0124624) für den persönlichen Gebrauch eines anderen oder zum eigenen persönlichen Gebrauch (vgl §§ 27 Abs 2, 35 Abs 1 SMG) begangen hat. Damit lag nahe, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen des Gerichts nach § 37 SMG gegeben waren, die unabhängig von den anderen, mit dem Suchtmittelgesetz nicht im Zusammenhang stehenden strafbaren Handlungen sind (RIS‑Justiz RS0113621).

Da das Erstgericht, nachdem es dennoch nicht nach § 37 SMG vorgegangen war, im Urteil keine ein solches diversionelles Vorgehen (zB mangels Bereitschaft zu einer gesundheitsbezogenen Maßnahme, vgl § 35 Abs 6 SMG) ausschließende Konstatierung traf, haftet dem Urteil ein Feststellungsmangel an, der zur Aufhebung des Schuldspruchs A/II/a führte.

Für den ‑ demnach hier gegebenen ‑ Fall eines nicht zugleich für die Schuld‑ oder die Subsumtionsfrage entscheidende Tatsachen betreffenden Feststellungsmangels nach § 281 Abs 1 Z 10a StPO hält allerdings das Verfahren bei Nichtigkeitsbeschwerden keine Regelung dafür bereit, auf welche Weise die fehlenden Feststellungen nachzuholen wären. Da § 288 Abs 2 Z 2a StPO eine Rückverweisung ohne gleichzeitigen Auftrag, nach dem 11. Hauptstück der StPO oder § 37 SMG vorzugehen, nicht kennt, scheidet eine bloß kassatorische Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus, sodass dieser selbst dazu berufen ist (vgl § 285e zweiter Satz; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 661; erneut 13 Os 93/09i).

Demnach geht der Oberste Gerichtshof aufgrund der unwiderlegt gebliebenen Verantwortung des Angeklagten (ON 20 AS 5 f) und der diese insoweit bestätigenden Aussage des Sallah N***** (ON 20 AS 13 f) davon aus, dass der Angeklagte das in Rede stehende Cannabisharz einem anderen ausschließlich uneigennützig für dessen persönlichen Gebrauch überlassen hat.

Auf dieser Basis war die Sache mit dem Auftrag an das Erstgericht zu verweisen, hinsichtlich des dem aufgehobenen Schuldspruch A/II/a zugrunde liegenden Verhaltens des Angeklagten nach § 37 SMG vorzugehen, sofern nicht die Staatsanwaltschaft zu diesem Vorwurf und allenfalls auch zu den bislang unerledigt gebliebenen (dem § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG subsumierbaren) Vorwürfen eine Erklärung nach § 192 Abs 1 Z 1 StPO abgibt (vgl dazu und zum allfälligen weiteren Vorgehen erneut 13 Os 93/09i).

Mit der gegen den Schuldspruch A/II/a gerichteten Diversionsrüge (Z 10a) war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Aufhebung der Schuldsprüche zog auch die Aufhebung des Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) nach sich.

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