OGH 14Os128/14a

OGH14Os128/14a28.4.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Moelle als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Gabriel L***** und weitere Beschuldigte, AZ 502 St 100/12f der Staatsanwaltschaft Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 5. Mai 2014, AZ 32 Bs 145/13b, ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes sowie die hinsichtlich dieses Beschlusses und des Beschlusses des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. September 2013, AZ 352 HR 242/13t, gestellten Anträge der Beschuldigten Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** auf Erneuerung des Strafverfahrens nach § 363a StPO und auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer und des Beschuldigten Dr. Gabriel L***** zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0140OS00128.14A.0428.000

 

Spruch:

 

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 5. Mai 2014, AZ 32 Bs 145/13b, verletzt, soweit er die Beschwerden der Beschuldigten Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** zurückwies, §§ 87 Abs 1, 89 Abs 2 und 107 Abs 3 erster Satz StPO.

Mit ihren Anträgen auf Erneuerung des Strafverfahrens und auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung werden Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Bei der Staatsanwaltschaft Wien wird zum AZ 502 St 100/12f ein Ermittlungsverfahren unter anderem gegen Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** wegen dem Vergehen des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 StGB und Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB subsumierter Verhaltensweisen geführt.

Dem Verfahren liegt ‑ nach den insoweit übereinstimmenden Annahmen in den hier gegenständlichen Beschlüssen (ON 111 und ON 228) ‑ der Verdacht zugrunde, Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** hätten bislang unbekannte Mitglieder des kasachischen Geheimdienstes (im Sinn des § 256 StGB) unterstützt, indem sie die Ausforschung des Aufenthalts des abgesondert verfolgten Alnur M***** (des ehemaligen kasachischen Geheimdienstchefs) in Auftrag gegeben und den Verein „T*****“ vertreten hätten, der „formal als Opferhilfsverein“ eingerichtet sei, jedoch im Verdacht stehe, „vom kasachischen Geheimdienst für die Verwirklichung eigener Ziele gegründet worden“ zu sein. Weiters bestehe der Verdacht, namentlich genannte Personen (darunter ein hochrangiger Angehöriger des kasachischen Geheimdienstes) hätten Alnur M***** 2008 in P***** durch gefährliche Drohungen gegen ihn und seine in Kasachstan lebende Familie „zur Zusammenarbeit mit der LA***** GmbH“ genötigt. Alnur M***** habe sich infolgedessen laufend mit Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** getroffen und erzwungenermaßen ein in einer österreichischen Tageszeitung abgedrucktes Interview gegeben, in welchem er Dr. Rakhat S***** „massiv belastet habe“, um die öffentliche Meinung zu dessen Ungunsten „im Sinne der Intentionen der Klientel der Kanzlei Dr. L*****“ „zu beeinflussen“.

Mit (auch dem Verteidiger Dris. Gabriel L***** ausgefolgtem) Beschluss vom 9. September 2013, GZ 352 HR 242/13t-111, gab das Landesgericht einem von Dr. Rakhat S***** gegen die (mit fehlender Opfereigenschaft begründete) Verweigerung von Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft eingebrachten Einspruch wegen Rechtsverletzung teilweise statt, indem es anordnete (§ 107 Abs 4 StPO [zur Anordnungsbefugnis des Einspruchsgerichts vgl 14 Os 108/08a, EvBl 2008/174, 904]), dass dem Einspruchswerber „als Opfer gemäß § 68 StPO Akteneinsicht in die das Faktum §§ 105, 106 StGB betreffenden Aktenbestandteile zu gewähren ist“.

Mit gegen diesen Beschluss ergriffenen Beschwerden bekämpften Dr. Rakhat S***** (ON 129) die teilweise Abweisung, Dr. Gabriel L***** (ON 132) und Dipl. iur. Anna Z***** (ON 133) die teilweise Stattgebung des Einspruchs, verbunden mit der Anordnung der Gewährung von Akteneinsicht.

Das Oberlandesgericht wies ‑ soweit hier von Interesse ‑ mit Beschluss vom 5. Mai 2014, AZ 32 Bs 145/13b (ON 228 der Ermittlungsakten) die Beschwerde der Beschuldigten Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** gemäß § 89 Abs 2 StPO als unzulässig zurück, weil § 107 Abs 3 erster Satz im Sinn des § 87 Abs 1 letzter Halbsatz StPO hinsichtlich der Rechtsmittellegitimation etwas „anderes bestimmt“, diese nämlich nur der Staatsanwaltschaft und dem Einspruchswerber einräume (ON 228 S 17).

Gegen die genannten Beschlüsse richten sich die gemeinsam ausgeführten ‑ (nominell) eine Verletzung der Art 6, 8, 13 und 14 MRK sowie Art 7 B-VG relevierenden ‑ Anträge der Beschuldigten Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO (vgl RIS-Justiz RS0125168) sowie auf Zuerkennung aufschiebender Wirkung (vgl dazu jedoch RIS-Justiz RS0125705).

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht steht ‑ wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt ‑ mit dem Gesetz nicht in Einklang.

Gemäß § 87 Abs 1 StPO steht (unter anderem) dem Beschuldigten, „soweit dessen Interessen unmittelbar betroffen sind“, gegen gerichtliche Beschlüsse Beschwerde an das Rechtsmittelgericht zu, „soweit das Gesetz im Einzelnen nichts anderes bestimmt“. Rechtsmittelgericht für Beschwerden gegen (nicht gemäß § 31 Abs 5 und § 38 StPO gefasste) Beschlüsse des Landesgerichts ist das Oberlandesgericht (§ 33 Abs 1 Z 1 StPO). Ist (wie hier) ein Rechtsmittelgericht vorgesehen, kommt den in § 87 Abs 1 StPO genannten Personen ein Beschwerderecht nur dann nicht zu, wenn das Gesetz ein solches ausdrücklich ausschließt (13 Os 56/09y, EvBl 2009/101, 677; Tipold , WK‑StPO § 85 Rz 5; Nimmervoll , Beschluss und Beschwerde in der StPO, 127 und 129; EBRV 25 BlgNR 22. GP 115; vgl auch Ratz , WK-StPO Vor § 280 Rz 6).

Dort, wo die Strafprozessordnung das Beschwerderecht ausschließt, bringt sie dies durchwegs unmissverständlich zum Ausdruck (vgl die Formulierungen in §§ 38, 45 Abs 3, 89 Abs 6, 196 Abs 1, 214 Abs 1, 226 Abs 4, 238 Abs 3, 243 Abs 3, 324 Abs 3, 391 Abs 3 StPO). Demgegenüber enthält der vom Beschwerdegericht herangezogene § 107 Abs 3 erster Satz StPO lediglich einen Hinweis auf die Legitimation von Staatsanwaltschaft und Einspruchswerber zur Beschwerde, der ‑ abweichend von der allgemeinen Regel (§ 87 Abs 3 StPO) ‑ aufschiebende Wirkung zukommt. Die Bedeutung eines Rechtsmittelausschlusses ergibt sich weder aus der Interpretation des Wortlauts dieser Bestimmung, noch aus logisch-systematischen oder teleologischen Überlegungen.

Der Einspruch wegen Rechtsverletzung eröffnet ein Rechtsschutzverfahren, in welches auf der einen Seite der Einspruchswerber eingebunden ist, auf der anderen Seite jene Strafverfolgungsbehörde, der die behauptete Rechtsverletzung zuzurechnen ist, also jedenfalls die Staatsanwaltschaft (als Leiterin des Ermittlungsverfahrens [vgl §§ 20 Abs 1, 98 Abs 1, 101 Abs 1 StPO]), allenfalls (nach §§ 106 Abs 3 letzter Satz, 107 Abs 2 zweiter Satz StPO) auch die Kriminalpolizei. Andere (sonst) am Strafverfahren beteiligte Personen nehmen am Verfahren über den Einspruch nicht teil. § 107 Abs 3 erster Satz StPO kann vor diesem Hintergrund als Klarstellung dahingehend verstanden werden, dass zwar der Staatsanwaltschaft und dem Einspruchswerber ein Beschwerderecht zukommt, nicht jedoch ‑ ungeachtet vorheriger Befassung ‑ der (auch nach der allgemeinen Vorschrift des § 87 Abs 1 StPO nicht legitimierten) Kriminalpolizei (in diesem Sinn offenbar Koenig/Pilnacek , WK-StPO § 107 Rz 21). Dass die explizite Normierung eines Beschwerderechts bestimmter Personen oder Behörden nicht gleichbedeutend ist mit einem Ausschluss in Betreff anderer in § 87 Abs 1 StPO genannter Personen, ist auch in anderem Zusammenhang anerkannt (vgl zum Beschwerderecht der Datenschutzbehörde nach § 142 Abs 4 StPO Reindl-Krauskopf , WK‑StPO § 142 Rz 15 ff).

Akteneinsicht führt regelmäßig zu einem Eingriff in die Grundrechte auf Datenschutz (§ 1 DSG) und auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 MRK) jener Personen, deren personenbezogene Daten sich im Akt befinden (vgl Korn/Zöchbauer , WK‑StPO § 68 Rz 2; Reindl-Krauskopf , WK‑StPO § 74 Rz 59 und 62; Oshidari , WK-StPO § 77 Rz 3). Ein ‑ wie hier in Stattgebung eines Einspruchs ergangener ‑ Beschluss, mit welchem Gewährung von Akteneinsicht eines sonstigen Verfahrensbeteiligten (oder eines Dritten [vgl § 77 StPO]) angeordnet wird, betrifft daher im Sinn des § 87 Abs 1 StPO jedenfalls die Interessen des Beschuldigten ( Tipold , WK-StPO § 87 Rz 5 ff; Nimmervoll , Beschluss und Beschwerde in der StPO, 131 f und 136 f; vgl auch EBRV 25 BlgNR 22. GP  115 die vom „Grundsatz der Beschwer“ sprechen), auch wenn Akteneinsicht tatsächlich erst von Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft gewährt wird (§ 53 Abs 1 StPO; vgl zur Grundrechtsrelevanz von einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Enthaftung stattgebenden Entscheidungen RIS-Justiz RS0116263, RS0124827).

Ein gegen diese Maßnahme gerichteter Einspruch wegen (dann [behauptetermaßen] bereits erfolgter) Rechtsverletzung des Beschuldigten böte keinen ‑ der Beschwerde äquivalenten ‑ Rechtsschutz. Denn über diesen Einspruch würde jenes Gericht entscheiden, welches selbst (in Stattgebung des früheren Einspruchs) die Grundlage der bekämpften ‑ die gerichtliche Anordnung bloß umsetzenden (§ 107 Abs 4 StPO) ‑ Gewährung von Akteneinsicht geschaffen hat. § 106 Abs 2 StPO will vergleichbare Konstellationen jedoch gerade verhindern (vgl EBRV 25 BlgNR 22. GP  116 und 143 und EBRV 2402 BlgNR 24. GP  11 unter Bezugnahme auf 13 Os 66/12y, 13 Os 67/12w, 13 Os 68/12t, 13 Os 69/12i, EvBl 2013/34, 230). Zudem verlangt das (Grund-)Recht auf eine wirksame Beschwerde (Art 13 MRK), dass die nationale Instanz, die über den wegen der Verletzung eines Konventionsrechts (hier: Art 8 MRK) ergriffenen Rechtsbehelf entscheidet, unabhängig und unparteiisch ist, daher nicht jene sein darf, der die behauptete Konventionsverletzung zuzurechnen ist ( Grabenwarter/Pabel EMRK 5 § 24 Rz 179; Schweizer in Pabel/Schmahl IntKommEMRK Art 13 Rz 65, jeweils mwN), deshalb verbietet sich vorliegend in verfassungskonformer Auslegung ein Verständnis des § 107 Abs 3 erster Satz StPO im Sinn eines Beschwerdeausschlusses (vgl Tipold , WK‑StPO § 87 Rz 8).

Das Oberlandesgericht hätte daher die Beschwerde nicht mangels Rechtsmittellegitimation zurückweisen dürfen (zum restriktiven Maßstab der Zurückweisungsbefugnis nach § 107 Abs 3 zweiter Satz StPO bei behaupteter Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte vgl im Übrigen RIS-Justiz RS0129023; 14 Os 60/09v, 14 Os 63/09k, 14 Os 64/09g, EvBl 2009/130, 866; Koenig/Pilnacek , WK‑StPO § 107 Rz 23). Infolge des zwischenzeitigen Todes Dris. Rakhat S***** kommen Akteneinsicht durch diesen und ein damit verbundener Eingriff in Grundrechte der Beschuldigten Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** nicht mehr in Betracht, weshalb es mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden hat (§ 292 vorletzter Satz StPO).

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens machen der Sache nach ausschließlich eine Verletzung von Grundrechten durch die Verweigerung einer Entscheidung in der Sache durch das Beschwerdegericht geltend. Dr. Gabriel L***** und Dipl. iur. Anna Z***** waren daher mit ihren Anträgen auf die Entscheidung über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu verweisen.

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