OGH 14Os125/18s

OGH14Os125/18s11.12.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. Dezember 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart des Kontr. Bodinger als Schriftführer in der Strafsache gegen Mag. (FH) Christian R***** wegen des Verbrechens des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 13. August 2018, GZ 114 Hv 146/17a‑30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00125.18S.1211.000

 

Spruch:

 

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Mag. (FH) Christian R***** (verfehlt [vgl RIS‑Justiz RS0121981]) zweier Verbrechen des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 10. November 2016 in W***** als Offizier des österreichischen Bundesheeres, mithin als Beamter, mit dem Vorsatz, dadurch „die Republik Österreich in ihrem konkreten Recht auf gesetzeskonformes Verhalten von Beamten durch Einhaltung der Verfahrensregeln, insbesondere nach dem Beamtendienstrechtsgesetz 1979, dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 und dem Heeresdisziplinargesetz 2014, sowie FI Roman S***** und FI Andreas W***** an ihrem konkreten Recht auf Ausübung der ihnen nach den gesetzlichen Bestimmungen zukommenden Zeugen‑ bzw. Beschuldigtenrechten, insbesondere auf Beiziehung einer Vertrauensperson, Verteidigung und Aussageverweigerung zu schädigen“, seine Befugnis, im Namen des Bundes als dessen Organ in Vollziehung der Gesetze Amtsgeschäfte vorzunehmen, wissentlich missbraucht, indem er die Genannten trotz eines zeitgleich anhängigen Strafverfahrens gegen ihn und W*****, somit trotz Vorliegens wichtiger Gründe, die geeignet sind, seine volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, vorgeblich zum Zweck der Abklärung vermeintlicher Verdachtsmomente wegen begangener Pflichtverletzungen, tatsächlich jedoch zum Zweck der Erhebung, ob W***** seinen Vorgesetzten belastendes Beweismaterial zur disziplinarrechtlichen Verfolgung des Angeklagten vorgelegt hatte, niederschriftlich vernahm, und zwar

I/ S***** „unter der wahrheitswidrigen Behauptung, auf Anordnung seines Vorgesetzten“ zu handeln, wobei er ihm die Beiziehung einer Vertrauensperson verweigerte und ihn dazu befragte, ob W***** belastendes Material gegen ihn (den Angeklagten) zwecks disziplinarrechtlicher Verfolgung vorgelegt habe, und ihm nach Durchführung der Vernehmung die Aushändigung einer Gleichschrift des Vernehmungsprotokolls verweigerte;

II/ W***** „unter der wahrheitswidrigen Behauptung, auf Anordnung seiner Vorgesetzten“ zu handeln, wobei er „ihm androhte, im Fall einer Aussageverweigerung ein Disziplinarverfahren einzuleiten, ihn weiters als Lügner bezeichnete, herumschrie und mit der Faust mehrmals auf den Tisch schlug, einzelne Aussagen gar nicht, teils unrichtig protokollierte und die Richtigstellung des Protokolls verweigerte, ihn über den Gegenstand einer persönlichen Aussprache mit Vorgesetzten über eine ihn“ (den Angeklagten) betreffende Beschwerde befragte und ihm schließlich für den Fall der Nichtunterfertigung des Protokolls neuerlich disziplinäre Maßnahmen androhte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 10 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten ist berechtigt.

Im Ergebnis zutreffend zeigt die Subsumtionsrüge (Z 10, der Sache Z 9 lit a [weil die für eine andere Subsumtion erforderlichen Feststellungen nicht getroffen wurden]) auf, dass das Erstgericht keine ausreichenden Konstatierungen zu einer dem Angeklagten zukommenden (abstrakten) Befugnis, deren Fehlgebrauch ihm angelastet wird, getroffen hat:

Nach dem Urteilssachverhalt (US 5) führte der Beschwerdeführer die inkriminierten Vernehmungen durch, weil er W***** „für tatsächlich oder vermeintlich begangene Pflichtverletzungen disziplinarrechtlich zur Verantwortung“ ziehen wollte. Er war „unmittelbarer Dienstvorgesetzter“ der beiden vernommenen Vertragsbediensteten S***** und W*****. Diesen beiden teilte er wahrheitswidrig mit, er führe die Vernehmungen in einem Fall im Auftrag deren Disziplinarvorgesetzten Mag. Andreas Wo*****, im anderen Fall im Auftrag des Leiters des Führungsunterstützungszentrums durch. Eine „konkrete Rechtsgrundlage“ für die Vernehmung nannte er in keinem der beiden Fälle.

Da der Beschwerdeführer nach den Feststellungen ersichtlich eine Befugnis, im Rahmen oder zur Vorbereitung eines Disziplinarverfahrens gegen W***** zu vernehmen, in Anspruch nehmen wollte, hätte das Erstgericht zunächst klären müssen, welches Disziplinarverfahren in Bezug auf W***** in Betracht kam. Bei diesem handelte es sich um einen Vertragsbediensteten, weshalb es kein Verfahren nach dem Beamtendienstrechtsgesetz 1979 (kurz: BDG) sein konnte. Nur unter der Prämisse, dass W***** Soldat im Sinn des § 1 Abs 3 Z 2 lit c oder d WehrG 2001 (kurz: WG) war, wäre ein (hoheitliches) Disziplinarverfahren nach dem HeeresdisziplinarG 2014 (kurz: HDG) durchzuführen gewesen (§ 1 Abs 1 HDG), auf welches – entgegen den unklaren Passagen im Urteil (US 2 f und 7) – die Vorschriften des BDG überhaupt nicht und jene des AVG nur punktuell über ausdrücklichen Verweis (§ 23 HDG) anzuwenden sind (vgl Kucsko‑Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 389; Ulrich , Handbuch Wehrrecht, 295). Disziplinarbehörden sind nach § 11 Abs 1 Z 1 HDG (neben der Disziplinarkommission) die (in §§ 12 f HDG näher definierten) Disziplinarkommandanten; den Begriff des „Dienstvorgesetzten“ kennt das HDG hingegen (anders als § 109 BDG) nicht. Solcherart lässt der Urteilssachverhalt offen, ob der Beschwerdeführer, der sich wahrheitswidrig auf einen entsprechenden Auftrag des Disziplinarvorgesetzten berief, überhaupt im Rahmen einer ihm selbst – allenfalls auch bloß im Wege einer (in concreto nicht aktuellen) Stellvertretung – zukommenden, zumindest abstrakten Befugnis handelte (vgl RIS‑Justiz RS0096134 [T3]; 13 Os 17/07k; 17 Os 49/14f; Marek/Jerabek , Korruption und Amtsmissbrauch 11 § 302 Rz 14 [insbesondere zum Beispiel der Ermächtigung zur Ausstellung von Organstrafverfügungen]). Das im Urteil angesprochene Verbot des Disziplinarvorgesetzten an den Beschwerdeführer, „Beschuldigtenvernehmungen“ (vgl aber § 61 HDG) durchzuführen, wäre hingegen bloß für einen Fehlgebrauch abstrakt bestehender (jedoch durch Weisung eingeschränkter) Befugnis von Bedeutung (vgl 17 Os 29/15s).

Schon dieses Feststellungsdefizit erfordert die Aufhebung des Urteils samt Rückverweisung der Sache an das Erstgericht bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO).

Im Übrigen fehlen Konstatierungen zur Beurteilung der Soldateneigenschaft (§ 1 Abs 3 Z 2 lit c oder d WG) des Vertragsbediensteten W*****. Ohne diese wären disziplinarrechtliche Maßnahmen gegen ihn bloß privatrechtlicher Natur, weshalb in diesem Zusammenhang gesetzte Handlungen des Beschwerdeführers keinen (Fehl‑)Gebrauch zur Vornahme von Amtsgeschäften „in Vollziehung der Gesetze“ darstellen würden (vgl RIS‑Justiz RS0105870), auch wenn er als Vorgesetzter die Vernehmungen (durch Weisung/Befehl [vgl § 41 Abs 3 WG; § 2 Z 5 MilStG; § 2 Z 4 Allgemeine Dienstvorschriften für das Bundesheer {ADV}]) anordnete, weil eine solche Anordnung bloß den Innenbereich der Verwaltung betrifft (vgl RIS‑Justiz RS0131762, RS0129612).

Im zweiten Rechtsgang wird (nach Klärung der angesprochenen Fragen) überdies zu beachten sein:

Ein vom Erstgericht als Bezugspunkt des Schädigungsvorsatzes formuliertes Recht „auf Einhaltung der Verfahrensregeln“ oder „auf gesetzeskonformes Verhalten von Beamten durch Einhaltung der Verfahrensregeln“ reicht (ungeachtet des inhaltsleeren Attributs „konkret“) nach ständiger Rechtsprechung für die Tatbestandserfüllung nicht aus, weil damit bloß der Anspruch auf Einhaltung jener Vorschriften, deren Verletzung den tatbildlichen Befugnismissbrauch bildet, angesprochen wird (RIS‑Justiz RS0096270 [T10 ua]).

Sollte sich im weiteren Verfahren erweisen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich eine (ihm abstrakt zukommende) Vernehmungsbefugnis im Rahmen oder zur Vorbereitung eines Disziplinarverfahrens (vgl § 61 HDG) gegen W***** (wissentlich) missbrauchte, wäre zu klären, welche (Verfahrens‑)Rechte dem jeweils Vernommenen (entweder als Zeugen oder als Beschuldigten) schon in diesem Stadium konkret zustanden (vgl [zu § 109 BDG] VwGH 90/09/0152; Kucsko‑Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 539), und ob sich der Schädigungsvorsatz des Beschwerdeführers (im Tatzeitpunkt) auf Verletzung dieser (nicht – wie bisher [US 10] – bloß pauschal, sondern einzeln zu benennenden) Rechte bezog.

Davon abgesehen könnte – mit Blick auf ein Disziplinarverfahren gegen W***** – die Beeinträchtigung des staatlichen Anspruchs auf Aufklärung und Verfolgung von (tatsächlich begangenen) Disziplinarvergehen als hinter dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung (§ 23 HDG iVm § 37 AVG) stehender Zweck – im Sinn des § 302 Abs 1 StGB relevant – durch unrichtige Protokollierung (vgl US 6) beeinträchtigt werden. Dem entspricht ein subjektives Recht des Vernommenen (allenfalls später Beschuldigten), dass nur tatsächlich von ihm begangene Vergehen geahndet werden.

Wäre der Vorsatz des Beschwerdeführers hingegen bloß darauf gerichtet gewesen, Informationen betreffend die gegen ihn selbst geführten (Disziplinar- und Straf‑)Verfahren zu gewinnen, allenfalls die materielle Wahrheitsfindung in diesen zu beeinträchtigen (vgl die Urteilsannahmen zum Zweck der Vernehmungen [US 9 iVm US 3]), wäre der Konnex zwischen (allfälligem) Befugnismissbrauch und intendierter Rechtsschädigung nicht ausreichend (RIS‑Justiz RS0129143; näher dazu Nordmeyer , Schädigungsvorsatz als strafbarkeitsbegrenzendes Tatbestandselement bei Missbrauch der Amtsgewalt, in Lewisch/Nordmeyer [Hrsg] Liber Amicorum Eckart Ratz, 71 [93 ff]).

Hätte der Beschwerdeführer S***** und W***** hingegen nicht im Zusammenhang mit einem (erst einzuleitenden) Disziplinarverfahren, sondern bloß im Rahmen seiner allgemeinen Aufsichts- und Weisungspflicht befragt, wären die Vernommenen nicht in ihrer subjektiven Rechtssphäre betroffen (vgl 17 Os 24/17h; Kucsko-Stadlmayer , Das Disziplinarrecht der Beamten 4 , 232 ff und 541).

Ergibt das Beweisverfahren, dass der Beschwerdeführer nicht eine ihm (abstrakt), sondern eine bloß dem Disziplinarkommandanten (als Disziplinarbehörde) zukommende Befugnis in Anspruch nahm, wird der Sachverhalt unter dem Aspekt der Amtsanmaßung (§ 314 StGB) zu prüfen sein.

Sollte das weitere Verfahren keine Grundlage für die Annahme einer Strafbarkeit nach § 302 Abs 1 StGB ergeben, kommt zudem Strafbarkeit nach § 34 MilStG (Missbrauch der Dienststellung) in Betracht, wenn die Intention des Beschwerdeführers darauf gerichtet war, seine Befehlsgewalt (ohne Beziehung zum militärischen Dienst) zur Gewinnung von Informationen betreffend die gegen ihn geführten Verfahren gröblich zu missbrauchen (vgl zu den Tatbestandsvoraussetzungen Schwab in WK 2 MilStG § 34 Rz 4 und 6). Unter der gleichen Voraussetzung wird schließlich zu prüfen sein, ob vom Beschwerdeführer allenfalls im Rahmen einer Vernehmung zur Erzwingung eines bestimmten Aussageverhaltens geäußerte Drohungen (vgl US 6) Strafbarkeit nach § 105 Abs 1 StGB begründen.

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