OGH 14Os110/17h

OGH14Os110/17h13.2.2018

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. Februar 2018 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Zach, LL.M. (WU) als Schriftführerin in der Strafsache gegen Marcel L***** und andere Angeklagte wegen Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Marcel B***** und Julian H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Schöffengericht vom 8. Mai 2017, GZ 23 Hv 2/17b‑71, sowie über die Beschwerde des Julian H***** gegen den gemeinsam mit dem Urteil gefassten Beschluss auf Widerruf einer bedingten Entlassung, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:0140OS00110.17H.0213.000

 

Spruch:

 

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Christian S***** betreffenden Schuldspruch G, demgemäß auch im Strafausspruch dieses Angeklagten (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch verwiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen und die Beschwerde werden die Akten vorerst dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten Marcel B***** und Julian H***** fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Entscheidungsgründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit für das Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerden und die amtswegige Maßnahme relevant – Marcel B***** und Julian H***** je zweier Verbrechen der Brandstiftung nach §§ 15, 169 Abs 1 StGB (B/1) und jeweils „der“ Vergehen der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Marcel B***** zu B/2, Julian H***** zu B/2 und C/2) sowie Christian S***** des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB (G) schuldig erkannt.

Danach haben

(B) Marcel B***** und Julian H***** am 15. Oktober 2016 in G***** im einverständlichen Zusammenwirken

1) an fremden Sachen ohne Einwilligung der Eigentümer eine Feuersbrunst zu verursachen versucht, und zwar

a) am dreistöckigen Wohnhaus P***** und dem angrenzenden Holzschuppen des Herbert St*****, indem sie den Schuppen mit Benzin übergossen und anzündeten;

b) an der „K*****“, indem sie Altpapier in zwei an deren Rückseite befindlichen Containern anzündeten;

2) fremde Sachen beschädigt, und zwar

a) Teile des Hauses „A*****“, indem sie Benzin gegen die rückseitig gelegene Hausfassade leerten, eine Benzinspur zum dort befindlichen Altpapiercontainer legten und diese anzündeten;

b) einen vor dem Haus „R*****“ abgestellten Altpapiercontainer, indem sie das darin befindliche Papier anzündeten;

(C) Julian H***** am 15. Oktober 2016 in G*****

2) fremde Sachen zerstört, und zwar

a) einen vor dem Haus „G*****“ abgestellten Altpapiercontainer, indem er ein brennendes Stück Papier hineinwarf;

b) einen Motorradreifen der Judith Stu*****, indem er diesen in den brennenden Papiercontainer vor dem Haus „R*****“ warf;

(G) Christian S***** am 1. November 2016 in F***** Beamte mit Gewalt an einer Amtshandlung zu hindern versucht, indem er „sich aus dem Festhaltegriff der Justizwachebeamten Insp. Jürgen A***** und BI Andreas K*****, die im Begriff standen, ihn in eine gesicherte Zelle zu bringen, loszureißen versuchte“.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO erhobenen, gemeinsam ausgeführten Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Marcel B***** und Julian H*****, die sich ausschließlich gegen die Schuldsprüche B/1/a und b richten und insoweit die Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 10) als offenbar unzureichend und in sich widersprüchlich begründet (nominell Z 5 vierter, inhaltlich auch dritter Fall) kritisieren, sind nicht im Recht.

Die Tatrichter unterzogen das von den Schuldsprüchen B/1/a und b, B/2 und C/2/a und b umfasste Tatgeschehen einer durchaus differenzierten Betrachtung und leiteten aus dem (im Wesentlichen auf Basis der Ausführungen des brandschutztechnischen Sachverständigen Ing. Ralph P***** und der insoweit geständigen Einlassung der Beschwerdeführer konstatierten) objektiven Täterverhalten (dem Entzünden leicht entflammbarer Materialien wie Holz und Papier unter Verwendung von Benzin als Brandbeschleuniger) und der (für sie wie für jedermann erkennbaren) Lage der in Brand gesetzten Objekte (von denen der Holzschuppen [B/1/a] direkt an das dreistöckige [leerstehende] Wohnhaus des Herbert St***** angrenzte und die gleichfalls aus Holz bestehende Einhausung der beiden Altpapiercontainer, deren Inhalt die Beschwerdeführer entzündeten [B/1/b], die in einer Entfernung von nur etwa 1,8 bis 2 Meter zum Gebäude der „K*****“ aufgestellt war) im Verein mit allgemeiner Lebenserfahrung ab, dass der Vorsatz der beiden Angeklagten bei den den Schuldsprüchen B/1/a und b zugrunde liegenden Taten jeweils auf die Verursachung eines räumlich ausgedehnten, mit gewöhnlichen Mitteln nicht mehr beherrschbaren Schadensfeuers und die Herbeiführung einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum im Ausmaß von je etwa 300.000 Euro gerichtet war

(vgl dazu RIS‑Justiz RS0094944 [T9, T10 und T11]; 13 Os 93/15y mwN und Auseinandersetzung mit teilweise abweichenden Literaturmeinungen

;

RS0094935 [insb T6, T7]). Zu B/2 und C/2 gingen sie dagegen – auch unter Hinweis auf das aktenkundige brandschutztechnische Gutachten zur Begehungsweise und der Lage der Objekte – zu Gunsten der Angeklagten (nur) von einer auf Sachbeschädigung gerichteten Täterintention aus (US 19 bis 24).

Diese Überlegungen entsprechen – entgegen dem Standpunkt der Rechtsmittelwerber, die sich insoweit auf allgemeine, nicht am Urteilssachverhalt orientierte theoretische Überlegungen beschränken – sowohl den Gesetzen logischen Denkens als auch grundlegenden Erfahrungssätzen und sind damit unter dem Aspekt der Begründungstauglichkeit (Z 5 vierter Fall) nicht zu beanstanden

(RIS‑Justiz RS0108609

, vgl auch

RS0116882).

Indem die Rüge aus Passagen der Angaben der Angeklagten zum Vorhaben der Beschwerdeführer, (Müll‑ oder Papier‑)Container und „allenfalls“ einen Stadel „anzuzünden“, in subjektiver Hinsicht den urteilsfremden eigenständigen Schluss zieht, letztere hätten bei allen in diesem Zusammenhang gesetzten Tathandlungen bloß eine daraus resultierende Sachbeschädigung ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden, und auf dieser Basis den Vorwurf erhebt, das Erstgericht habe „selbst Widersprüche geschaffen“ (Z 5 dritter Fall; vgl RIS‑Justiz RS0119089), indem es diese Aussagen im Urteil zitierte und für glaubwürdig erachtete, ohne darzulegen, aus welchen Gründen es (nur) zu B/1/a und b dennoch von einem auf Brandstiftung im Sinn des § 169 Abs 1 StGB gerichteten Vorsatz ausging, nimmt sie – trotz vollständiger Wiedergabe der wesentlichen Begründungspassagen – argumentativ nicht Maß an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe, konkret an den oben dargestellten beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter

(vgl aber RIS‑Justiz RS0119370), und

erschöpft sich insgesamt in unzulässiger Beweiswürdigungskritik.

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof, dass dem Urteil im Christian S***** betreffenden Schuldspruch G ein Rechtsfehler (Z 9 lit a) anhaftet, der diesem Angeklagten, der keine Nichtigkeitsbeschwerde erhoben hat, zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen aufzugreifen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO).

Der Tatbestand des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs 1 erster Fall StGB

verlangt in objektiver Hinsicht

die Anwendung nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines tatsächlichen oder auch nur erwarteten Widerstands. Es bedarf weder der Entfaltung überlegener Kraft, noch einer besonders qualifizierten Form körperlicher Kraftanwendung; sie darf nur nicht ganz unerheblich, sondern muss so beschaffen sein, dass sie nach den Umständen des Falles geeignet ist, durch ihren Einsatz in der körperlichen Sphäre des Opfers als physische Krafteinwirkung empfunden zu werden und effektiv zu sein. In diesem Sinn stellt das Losreißen eines Festgenommenen vom Beamten nur dann eine Tathandlung nach § 269 StGB dar, wenn es unter Aufbietung einiger Körperkraft erfolgt, während ein überraschendes Losreißen ohne Anwendung gegen den Festhaltenden gerichteter Körperkraft (etwa unter Ausnützung einer Unaufmerksamkeit) nicht dem Gewaltbegriff der Bestimmung entspricht (RIS‑Justiz RS0094001; zum Ganzen Danek in WK² StGB § 269 Rz 54 mwN und Rz 58).

Die in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen des Erstgerichts, nach denen sich Christian S*****, der als Insasse der Justizanstalt F***** „wegen Selbstgefährdung“ in einen besonders gesicherten Haftraum gebracht werden sollte und wegen seiner Weigerung von zwei Justizwachebeamten an den Armen festgehalten wurde, „unvermittelt aus der Fixierung von Insp. A***** losriss“, wobei er es „jedenfalls“ ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, „dass er durch das Losreißen Beamte an einer Amtshandlung, nämlich ihn in eine gesicherte Zelle zu verbringen, zu hindern versucht“ (US 13), reichen für die Beurteilung, ob er dabei dem Tatbestand entsprechende Körperkraft anwendete (vgl dazu auch die auf US 29 wiedergegebene Aussage des Zeugen Jürgen A*****, wonach die „Fixierung etwas locker“ gewesen sei), nicht aus und vermögen daher die vorgenommene Subsumtion nicht zu tragen. Dass der Angeklagte nach den weiteren Urteilsannahmen auch „versuchte auf die Beamten loszugehen“ (erneut US 13), ändert daran mangels näherer Konkretisierung dieses Vorhabens nichts, zumal sich sein Vorsatz nach den eben zitierten Konstatierungen nur darauf bezog, die Amtshandlung durch das „Losreißen“ zu verhindern.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen erfordert die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§§ 285e, 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) und insoweit die Verweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an den nunmehr sachlich zuständigen Einzelrichter des Landesgerichts Feldkirch (RIS‑Justiz RS0100271).

Aus der Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten Marcel B***** und Julian H***** bereits bei der nichtöffentlichen Beratung folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über deren Berufungen und die Beschwerde des Julian H***** (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO). Diesem Gericht waren die Akten daher zunächst zuzuleiten.

Bleibt anzumerken, dass sich der Oberste Gerichtshof zu amtswegiger Wahrnehmung (§ 

290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) der in der rechtlich verfehlten Annahme der Verwirklichung jeweils mehrerer Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB (Julian H***** zu A und C/1) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (Marcel B***** zu B/2/a und b sowie Julian H***** zu B/2/a und b und C/2/a und b; vgl dazu RIS‑Justiz RS0114927; Ratz in WK 2 StGB § 29 Rz 6) gelegenen Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) nicht veranlasst sieht, weil unrichtige Subsumtion die Angeklagten nicht ohne weiteres im Sinn des § 

290 StPO konkret benachteiligt (Ratz, WK‑StPO § 

290 Rz 22 ff), das Zusammentreffen von Verbrechen mit („zwei“ bzw „mehreren“) Vergehen (US 35) dessen ungeachtet als erschwerend veranschlagt werden konnte und das Oberlandesgericht die aufgezeigten Gesetzesverletzungen aufgrund der Klarstellung – ohne

Bindung an die verfehlte rechtliche Unterstellung – bei der Entscheidung über die gegen den Sanktionsausspruch gerichteten Berufungen zu berücksichtigen hat (RIS‑Justiz RS0118870).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a

Abs 1 StPO.

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