Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 5.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 514,34 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war seit 21. April 1980 in der Boutique Gina der beklagten Partei in Innsbruck als Verkäuferin angestellt. Sie wurde am 19. November 1984 vom Geschäftsführer der beklagten Partei wegen des Verdachts finanzieller Unregelmäßigkeiten bei der Kassenführung entlassen. Die Klägerin behauptet, ungerechtfertigt entlassen worden zu sein und begehrte an ausständigem Lohn, Urlaubs- und Kündigungsentschädigung, Sonderzahlungen, Weihnachtsremuneration, Provision und Abfertigung S 121.621,-- sA.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und behauptete, die Klägerin habe Erlöse aus Verkäufen nicht verbucht, sondern für sich behalten und in Überschreitung der ihr erteilten Ermächtigung Rabatte gewährt. Die von der Klägerin unterschlagenen Beträge wende die beklagte Partei bis zur Höhe der Klagsforderung aufrechnungsweise ein.
Das Erstgericht stellte die Forderung der Klägerin mit S 119.400,-- brutto sA als zu Recht und die Gegenforderung der beklagten Partei als nicht zu Recht bestehend fest und sprach der Klägerin demgemäß unter rechtskräftiger Abweisung des Mehrbegehrens von S 2.221,-- brutto sA S 119.400,-- brutto sA zu. Die erste Instanz war der Ansicht, daß die beklagte Partei die Entlassung verspätet ausgesprochen habe; überdies sei aber der Klägerin auch kein Verhalten nachzuweisen gewesen, das sie des Vertrauens ihrer Dienstgeberin unwürdig erscheinen lasse. Das Berufungsgericht verhandelte die Rechtssache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGG von neuem und gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Es legte seiner Entscheidung folgende wesentliche Feststellungen zugrunde:
Die Gattin des Geschäftsführers der beklagten Partei, Regina A***, half im Herbst 1984 infolge Schwangerschaft nur mehr zeitweise in der Boutique Gina mit; meistens arbeitete die Klägerin allein. Sie war berechtigt, auf fehlerhafte, verschmutzte oder unmoderne Ware und Ausverkaufsware Preisnachlässe zu gewähren. Ein bestimmter Prozentsatz hiefür war nicht festgesetzt. Die Klägerin hatte auch keine Anweisung, diese Preisnachlässe eigens zu vermerken oder mit der beklagten Partei Rücksprache zu halten. Personalverkäufe, Firmenausgaben und Warenumtausch hatte die Klägerin im Kassabuch zu vermerken. Sie hatte immer den vollen Rechnungsbetrag in die Kassa einzutippen und bei Gewährung von Rabatten "eben den entsprechenden Abzug".
Der von der beklagten Partei beschäftigten Änderungsschneiderin Luise K***, die ihre auf Handzetteln notierten Arbeitsleistungen ein- bis zweimal monatlich abrechnete, durfte die Klägerin über Anweisung von Regina A*** aus steuerlichen Gründen insgesamt nur S 2.000,-- monatlich auszahlen. Darüber hinausgehende Forderungen der Änderungsschneiderin sollten in den Folgemonat vorgetragen werden.
Wenn Regina A*** im Geschäft anwesend war, nahm sie gelegentlich kleinere Beträge um S 100,-- aus der Kassa, ohne einen Beleg in die Kassa zu legen. Wenn die Abrechnung deswegen nicht stimmte, behielt die Klägerin solange weniger Wechselgeld, bis Regina A*** den Betrag wieder zurückgegeben hatte. Die Klägerin forderte Regina A*** auf, von ihr der Kassa entnommene Beträge wieder zurückzugeben. Bei einer derartigen Entnahme und beim folgenden Zurückgeben von S 100,-- bemerkte Regina A***, daß die Kassa jeweils stimmte. Sie schöpfte Verdacht und regte daher bei ihrem Ehemann an, durch ein Detektivbüro Testkäufe durchführen zu lassen.
Am 27. September 1984 bemängelte eine Kundin einen vorher gekauften Pullover. Die Klägerin gewährte ihr einen Nachlaß von 20 % auf den bereits entrichteten Kaufpreis und gab ihr eine Strumpfhose und den (dem Nachlaß entsprechenden) Betrag von S 290,--. Sie vergaß dann, diese Auszahlung in die Kassa zu tippen. Am selben Tag nahm der Detektiv Herbert B*** gegen Geschäftsschluß den ersten Testkauf vor; er erwarb einen Damenpullover um S 788,--. Die Klägerin hatte zu dieser Zeit die Kassa schon abgerechnet und folgte daher dem Käufer keinen Kassabon aus. Dann tippte sie den Eingang von S 788,-- und den Ausgang von S 290,-- mit dem Datum des folgenden Tages in die Kassa. Einen entsprechenden Vermerk auf dem Kassenbon (Preisnachlaß) machte sie nicht.
Im Laufe des Oktober 1984 legte die Änderungsschneiderin Luise K*** zwei Rechnungen, die zusammen den Betrag von S 2.000,-- um S 740,-- überstiegen. Die Klägerin zahlte den S 2.000,-- übersteigenden Betrag nicht sofort, sondern erst einige Tage später über Drängen von Luise K*** aus. Sie tippte diese Ausgabe nicht in die Kassa ein, sondern reduzierte das Wechselgeld um S 740,--. Zu dieser Vorgangsweise war die Klägerin nicht ermächtigt. Am 18. Oktober 1984 nahm Helmut Z***, ein Angestellter des Detektivbüros B***, einen zweiten Testkauf vor. Er erwarb um 17,55 Uhr einen Damengürtel um S 739,--. Die Klägerin gab für diesen Kauf wiederrum keinen Bon aus und zahlte den Betrag in der Folge in die Kassa ein, um das Manko beim Wechselgeld auszugleichen, tippte aber den Betrag nicht in die Kassa ein.
Das Detektivbüro berichtete über diesen Testkauf mit Schreiben vom 7. November 1984. Nicht festgestellt werden konnte, ob dieses Schreiben der beklagten Partei vor dem 16. November 1984 zugekommen ist. An diesem Tag nahm die beklagte Partei eine Kassenprüfung vor und entließ, wie bereits eingangs dargestellt, die Klägerin am 19. November 1984. Daß die Klägerin (anläßlich der Entlassung) etwaige strafbare Handlungen eingestanden hat, konnte nicht festgestellt werden. Der Geschäftsführer der beklagten Partei erstattete Strafanzeige. Die Klägerin wurde von der Anklage, sich die Beträge von S 290,-- (Preisnachlaß) und S 739,-- (Verkauf eines Gürtels) zugeeignet und dadurch das Vergehen der Veruntreuung begangen zu haben, mit Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 12. November 1985, 8 U 828/85-7, freigesprochen.
Das Berufungsgericht war der Ansicht, daß die beklagte Partei die Entlassung der Klägerin rechtzeitig ausgesprochen habe. Das Verhalten der Klägerin bilde jedoch keinen Entlassungsgrund. Sie sei berechtigt gewesen, für fehlerhafte Ware ohne Rücksprache mit der beklagten Partei Rabatte zu gewähren, weshalb die Zurückzahlung von S 290,-- und die Ausfolgung einer Strumpfhose für einen mangelhaften Pullover keine Vertrauensunwürdigkeit der Klägerin nach sich gezogen habe.
Der einzige der Klägerin vorzuwerfende Verstoß sei die weisungswidrige Bezahlung von S 740,-- an die Änderungsschneiderin Luise K***. Die Klägerin habe den durch diese Auszahlung hervorgerufenen Kassenfehlbetrag mit dem Kaufpreis für einen Damengürtel ausgeglichen. Sie habe diese Verkäufe zwar nicht in die Kassa eingetippt, den Betrag aber in die Kassa gelegt und sich keinen persönlichen Vorteil verschafft. Sie habe mit der Bezahlung von S 740,-- dem Drängen der Luise K*** nachgegeben. Dieser Verstoß sei so gering, daß er keine Vertrauensunwürdigkeit herbeigeführt habe.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin ist der Ansicht, daß die Kassenführung der Klägerin bei den beiden Testkäufen objektiv geeignet gewesen sei, den Eindruck ihrer Vertrauensunwürdigkeit hervorzurufen, zumal sie bei deiden Geschäften keinen Kassabon ausgehändigt habe. Die beklagte Partei habe aus dem Verhalten der Klägerin beim zweiten Testkauf nur den Schluß ziehen können, die Klägerin wolle den Betrag von S 739,-- für sich behalten.
Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen.
Unter den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iS des § 27 Z 1 letzter Fall AngG fällt jede Handlung oder Unterlassung eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens eines Arbeitgebers unwürdig erscheinen läßt, weil dieser befürchten muß, daß der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, so daß dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind. Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise - also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen - als so schwerwiegend angesehen werden muß, daß das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, daß ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Für den Tatbestand der Vertrauenunswürdigkeit genügt Fahrlässigkeit; Schädigungsabsicht ist nicht erforderlich. Auf bloße Verdachtsmomente kann die Entlassung nicht gestützt werden (Kuderna, Das Entlassungsrecht 88 f und die dort zitierte Judikatur und Literatur; Martinek-Schwarz, AngG 6 604; Arb. 9.091, 9.862, 10.072, 10.212 ua., zuletzt 14 Ob 151/86). Nicht jede Pflichtwidrigkeit stellt den Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit her (Arb 9015; JBl 1977, 654 ua). In der Gewährung eines Rabatts für den mangelhaften Pullover liegt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, kein Verstoß der Klägerin gegen Dienstpflichten, weil sie in solchen Fällen ohne Rücksprache mit dem Dienstgeber zu Preisnachlässen berechtigt war. Auch eine Weisung, diese Preisnachlässe eigens zu vermerken, hatte die Klägerin nicht, sodaß das im Berufungsverfahren erstattete ergänzende Vorbringen ins Leere geht. Auch die Verbuchung dieses Preisnachlasses sowie des Erlöses aus dem ersten Testkauf mit dem Datum des folgenden Tages konnte keinen Verdacht finanzieller Unregelmäßigkeiten erwecken, weil die Klägerin zur Zeit des Testkaufs (17,50 Uhr!) die Kasse bereits abgerechnet hatte. Darauf hat das Detektivbüro B*** in seinem Bericht vom 3. Oktober 1984 sogar hingewiesen (Beilage 2: "Die Kassenlade stand während dieses Einkaufs ständig mehrere Zentimeter offen, weshalb zu vermuten ist, daß die Kassa bereits abgeschlossen war. Es ist somit auch der Tagesanfang vom Folgetag auf die S 788,-- zu überprüfen"). Die weisungswidrige Auszahlung von S 740,-- an die Änderungsschneiderin Luise K*** und die Verrechnung dieses Betrages mit einem gleich hohen Erlös aus einem Warenverkauf war zwar eine Pflichtwidrigkeit, die aber nicht so schwer wiegt, daß sie die Vertrauensunwürdigkeit der Klägerin zur Folge hatte. Bei der Wertung dieser Dienstpflichtenverletzung ist zu berücksichtigen, daß Luise K*** auf Auszahlung dieses Betrages drängte und die beklagte Partei nicht einmal behauptete, daß der Änderungsschneiderin der von der Klägerin ausgezahlte Betrag nicht gebührt hätte. Auch hat Regina A***, die Ehegattin des Geschäftsführers, der Kasse wiederholt kleinere Beträge ohne Beleg entnommen, die die Klägerin durch Verringerung des Wechselgeldes ausglich. Da die Ehegattin des Geschäftsführers der beklagten Partei selbst derartige Ungenauigkeiten der Kassenführung verursachte, konnte die Klägerin mit guten Gründen der Ansicht sein, mit der von ihr vorgenommenen Verrechnung Dienstgeberinteressen nicht schwerwiegend zu beeinträchtigen. Die unterlassene Verbuchung des Betrages von S 739,-- aus dem zweiten Testkauf konnte zwar bei der beklagten Partei, wenn sie von der Auszahlung des gleich hohen Betrages an die Änderungsschneiderin keine Kenntnis hatte, den begründeten Verdacht einer Unterschlagung erwecken, doch hätte sie der Klägerin vor einer Entlassung Gelegenheit zur Aufklärung geben müssen (Arb 9238; 4 Ob 123/80). Dazu wäre die Klägerin, wie sich aus den Erwägungen der Vorinstanzen zur Beweiswürdigung ergibt, leicht in der Lage gewesen. Im übrigen steht aber nicht einmal fest, ob die Klägerin der beklagten Partei die Auszahlung des S 740,-- an die Änderungsschneiderin verschwiegen hat. Ihre Aussage, die Rechnung der Änderungsschneiderin sei an der Pin-Wand angeheftet gewesen und Regina A*** habe davon gewußt (AS 81), ist unwiderlegt geblieben. Damit ist auch eine schwerwiegende Verletzung von Informationspflichten nicht erwiesen.
Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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